Der Drang zur Veröffentlichung

Schreiben als Job
Jeder Schriftsteller ist anders. Es gibt daher Schreibende, die vollauf glücklich damit sind, wenn sich ein Roman von vieren verkauft. Andere sind zufrieden, wenn sie sich selbst zum Schriftsteller ernennen können, ohne dass je eins ihrer Bücher fertig wird. Manche arbeiten fleißig Aufträge ab, wie man sonst Briefmarken sortieren würde oder Wurst herstellen. Und wieder andere schreiben nur nebenbei, in einer abendlichen Freistunde und nur bei Lustempfinden. Jeder von ihnen steht wahrscheinlich mit beiden Beinen fest im Leben. In einem eigenständigen Leben, das auch noch eines ist, wenn sie nicht veröffentlicht würden.

Kunst als Berufung
Gestern in der ARTE-Doku über Nijinsky und Neumeier sagte John Neumeier etwas, das mich an Nijinskys Leben mit am meisten erschüttert hat. Er ist ebenfalls der Meinung, dass Nijinskys psychische Krise u.a. da ihren Anfang nahm, als man ihn des Tanzens beraubte. Dieser Mann tanzte nicht einfach, er WAR Tanz und Tanz war sein Leben, seine Ausdrucksform, seine Möglichkeit, mit anderen in eine wirklich tiefgründige Kommunikation zu treten. Es schien zunächst nicht schlimm, dass er im Hausarrest während des Ersten Weltkriegs nicht mehr trainieren konnte. Er lebte Bewegungen aus, indem er kleinformatiger lebte: er begann zu malen. Richtig tragisch wurde es dadurch, dass man ihm außerdem die Auftrittsmöglichkeit genommen hatte. Dass man ihm die Bühne nahm und bei seinem letzten öffentlichen Tanz ein verständiges Publikum vorenthielt. Das war wie eine Amputation von Leben.

Solche Phänomene gibt es in allen Künsten. Die einfachste Erklärung ist wohl die, dass Kunst erst zur Kunst wird, wenn sie auf ein Publikum wirkt. Aber das erklärt nicht die existentielle Betroffenheit solcher Künstler, denen man die Außenwirkung stiehlt. Mir ist an diesem Beispiel aufgefallen, was man eigentlich alles auf sich nimmt und unternimmt, um an ein Publikum zu gelangen! Auch als Schriftsteller. Der Schreibprozess der Autoren ist gut und schön und wertvoll, aber er ist nicht alles - so viel Lebenszeit und Energie werden darauf verwendet, mit Hilfe von Texten in einen Dialog zu treten. Und anstatt sich mit zwanzig Lesern im Internet zufrieden zu geben, strebt man nach dem ganz großen Publikum.

Anfängergrößenwahn
Wenn ich an meine eigene Geschichte zurückdenke, stelle ich Veränderungen in der eigenen Haltung zur Veröffentlichung fest. Meine allererste Lektorin sagte mir einmal, von der ersten Idee bis zur ersten Veröffentlichung müsse man im Schnitt 15 Jahre rechnen. Ich schaffte es in acht Jahren, aber das war wohl der Bonus durchs Studium und den Beruf: Ich war in Fachrecherche und im Thema fit und hatte wenigstens ein paar kurze Formen des Schreibens gelernt. Ich hatte Glück. Ich bewarb mich bei zehn Verlagen und beim Wunschverlag wegen diverser Fehlleitungs"unfälle" dreimal. Bei dem kam ich unter. Diese Veröffentlichung war für mich wie ein Hauptgewinn in einer immensen Weltlotterie, ich war trunken davon und ahnte zum Glück nicht, dass man an Publikum auch manchmal leiden kann.

In typischer Anfängerüberheblichkeit hatte auch ich natürlich eine meiner ersten Bewerbungen an Bertelsmann, heute Random House, geschickt. Man fängt oben an und arbeitet sich runter, dachte ich. Ziemlich bald habe ich über den netten Formbrief mit der Absage gelacht: Wie konnte ich nur! Weder ich noch mein Text waren gut genug. Mir fehlte es an harter Selbstkritik, andernfalls hätte ich diese Bewerbung nicht gewagt.

Bewerbungsmarathon
Aber zu viel Selbstkritik kann auch zur Falle werden - wenn nämlich die Absagen mit dem Können nichts zu tun haben. Irgendwann, wenn man einige Veröffentlichungen hinter sich hat, lernt man die Deutungen und liest heraus, dass die Ablehnung von Texten auch mit seltsamen Dingen wie Wetterstürzen, lektoralen Eheproblemen oder negativen Vertretern zu tun haben können. Können, nicht müssen. Die Schuld sucht man meist zuerst bei sich selbst - jedenfalls als Profi. (Es gibt noch die Sorte, die über die bösen Lektoren klagt, die das Genie nicht verstehen können, die sortieren sich durch diese Haltung zuerst aus).

Aber irgendwie klappt es immer, wenn man einmal drin ist. Selbst Monate nervenzermürbender Warterei sind vergessen, wenn der Zuschlag kommt. Man lernt, was man kann und wo die Schwächen liegen. Und dann passiert es: Ein Zufall, ein Unfall, schneidet ein Buch vom Publikum ab. Man müsste eigentlich darüberstehen. Aber es trifft immer ganz tief in den Magen. Mein traumatischstes Erlebnis hatte ich gleich mit meinem Erstling, der sich langsam zu einem der Bestseller des Verlags mauserte (und heute noch im Antiquariat Höchstpreise erzielt).

Bücherabschlachten
Kurz bevor ich die 5000er Marke erreichte (für ein Nischenthema im Hardcover enorm), bekam ich die Verramschungmitteilung. Der neue Verlagsbesitzer warf kurzerhand alle Bücher aus dem Programm, die von der alten Belegschaft gemacht waren. Ich hätte einen neuen Verlag suchen können - wenn sich nicht der Streit um die Rechte wegen weiterer Besitzerwechsel über Jahre hingezogen hätte. Ich bekam sie im vergangenen Jahr von dem Unternehmen zurück, bei dem ich mich zuerst vergeblich beworben hatte: Random House, dem neuesten aller wechselnden Besitzer. Deren Rechtsabteilung funktioniert nämlich vorbildlich.

Was ich damit erzählen will: Manchmal gelangen Bücher nicht an ein Publikum aus Gründen, die mit dem Buch selbst gar nichts zu tun haben. Und dann ist es besonders schmerzlich, wenn man weiß, da draußen gieren womöglich Menschen danach. Aber man kann selbst vielleicht nicht so schnell darüber verfügen oder irgendwie tätig werden. Nun bin ich diesbezüglich ein mehrfach gebranntes Kind, obwohl ich die rasante Verramschung meines ersten Romans fast mit Schulterzucken ertragen habe - damit rechnet die abgebrühte Autorin von heute zwangsläufig, wenn ein TB-Erstling keine Werbung erfährt. Aber wenn den vielleicht doch gern noch einige Leute gelesen hätten? Wer ist man eigentlich, wenn langsam alle Bücher der Reihe nach geschäftlicher Auflösung zum Opfer fallen?

Neue Techniken und Selbstverlag
Die Zeiten haben sich geändert. Zum Glück! Heute kann man ausweichen - sofern man eben über seine Rechte verfügt. Nicht dass Autoren das chic finden, wenn Google ungefragt und gegen die Rechte frech Bücher ins Netz stellt. Denn wir Autoren wollen weiterhin die Oberhoheit behalten und entscheiden, wer uns wo und wie anbietet. Wir können das nämlich selbst. Und wir können mit relativ wenig Aufwand unsere vergriffenen Werke selbst verlegen und verkaufen.

Mein Erstling ist inhaltlich zu veraltet und überholt, um ihn jetzt noch anzubieten. Aber mit meinem ersten Roman überlege ich schon, ob ich nicht wenigstens ein Ebook zugänglich machen sollte. Warum ein Buch abtöten, nur weil sich für einen Verlagskonzern die Lagerkosten nicht mehr lohnen? Selbstverlag hat zwar immer noch ein Schmuddelimage, weil sich all die Möchtegerns dort tummeln, die teilweise nicht einmal der Rechtschreibung mächtig sind. Aber dieses Image sollte sich bald ändern. Immer mehr durchaus veröffentlichte Autoren, sozusagen mit "echtem Verlagssegen", geben Nischenthemen oder Liebhabereien, Kleinauflagen oder Vergriffenes selbst heraus. Und immer mehr Selbstverleger produzieren Bücher nach professionellen Standards. Man sollte also genauer hinschauen und nach der Qualität urteilen.

Weg vom Schmuddelimage
Als ich mich kundig machte, wie ich das technisch am besten bewerkstelligen könne und welche Entwicklungen es am Markt gibt, wurde ich auf einen Wiener Autor aufmerksam, der all das in Qualität selbst macht. Nämlich mit Lektorat, Grafik und allem, was dazu gehört. Ich war fasziniert. Während sich unsereins alle möglichen Qualen auferlegt, um endlich endlich wieder einmal einen Verlagsvertrag unterzeichnen zu dürfen, dessen Paragraphen durchaus zu einigen grauen Haaren führen können, machte dieser Mensch einfach. Während sich unsereins die grauen Haare in monatelanger Warterei während des Bewerbungsmarathons ausriss, legte dieser Mensch mit der Veröffentlichung los. Was musste das für ein Gefühl sein, keine Absagen kassieren zu müssen nach dem Motto: "Wir verlegen im Moment nur wahnsinnige Serienmörder mit viel Blut"! Sondern stattdessen dem Publikum einen ganz eigenen Krimi in die Hand drücken zu können...

Wer müht sich mehr: Autor oder Verleger?
Ich bin ein neugieriger Mensch. Und also habe ich diesem Autor Löcher in den Bauch gefragt. Und Hochinteressantes erfahren, über das Produzieren, das Entwerfen, das Verkaufen, die Anforderungen. Vieles lehrreich auch für bei Verlagen verlegte Autoren. Ich denke, ich kann jetzt besser einschätzen, wann sich eine Verlagssuche lohnt und wann man getrost darauf pfeifen sollte. Ich ziehe den Hut vor dem, was man da alles auf sich nehmen muss. Und lerne, was sich in unserem Geschäft derzeit rasant verändert.

Morgen lüfte ich das Geheimnis, um wen es sich handelt, stelle Autor und Verlag vor - und einen köstlichen Comic über die Schmerzen von Autoren, die verlegt werden wollen. Das Interview gibt's natürlich auch...

4 Kommentare:

  1. Sehr schön. Ganz meine Meinung: Nicht jammern, sondern einfach machen. Und den Selbstverlag aus dem "den hätte sonst niemand gedruckt"-Image herausholen. Den Leser entscheiden lassen, was ihm gefällt.

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  2. Kleine Vorschau: Ich habe endlich auf meinem luxuriös neu eingerichteten Computer die notwendige Software entziffert, um in einem pdf herumzufuhrwerken. Das Interview hat mir so gut gefallen, dass ich es in voller Länge zum Download bereitstellen werde (fünf Seiten) und im Beitrag anreißen. Gerade weil darin sehr schön deutlich wird, dass es gar nicht so einfach ist, überhaupt an den entscheidungskräftigen Leser zu gelangen.

    Welche Wege es dafür gibt und wo man sich am besten krummlegt, dürfte nicht nur für Selbstverleger aufschlussreich sein, sondern auch für die große Masse der bei Publikumsverlagen veröffentlichten Durchschnittsautoren, die nicht in den Genuss von Spitzentitelvergünstigungen oder eigenen Werbekampagnen kommen.

    Mehr wird nicht verraten.

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  3. Eben, einfach selber machen das ganze. Schreiben, Veröffentlichen und Werbung für das eigene Buch sollten heutzutage keine Fremdwörter für angehende Autoren sein.

    Stephen King, ein Name der nicht nur seinen Fans, sondern auch vielen Verlegern einen kalten Schauer über den Rücken laufen lässt, hat es vorgemacht und siehe da, es funktioniert.

    Jeder kann sein Buch zu günstigen Konditionen im Eigenverlag veröffentlichen und sollte das auch tun, wenn er von seinem Werk überzeugt ist und eine Nische gefunden hat.

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  4. Na, mal abwarten! Das Interview wird zeigen, dass es so einfach wie oft beschworen, eben nicht ist.
    Und auch das Beispiel Stephen King funktioniert real im deutschen Buchmarkt nicht - da muss sich nämlich ein unbekannter Gustl Meiermüllerhuber durchsetzen.

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