Jahrmarktsattraktion Schriftsteller-in

Madame liest mal wieder zwei Artikel parallel, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben (und man sollte zumindest in ersteren schauen, um den vollen Spaß zu verstehen):
In "Würde 2.0" fragt der Autor Richard K. Breuer angesichts einer Lesung, was der Unterschied zwischen einem Schausteller, Bittsteller und Schriftsteller sein könnte.
Unter dem Titel "Wenn das Schwein gut inszenieren kann" spricht Anke Dürr im SpOn über Frauenkarrieren im Theater und über das, was Frauen in der Regie womöglich anders erleben könnten als Männer.
Da ist natürlich die Rede davon, dass manche Zeitgenossen immer noch lieber aufs Geschlecht achten als auf die Qualität, aber auch davon, dass sich Frauen gern selbst im Weg stehen, wie Ruth Berghaus zitiert wird: "... die Selbstzensur der Frau verhindere die Auflehnung, sie dränge das Aufbegehren in die Träume zurück."

Nun ist die Spezies Schriftsteller eher eine, die das Rampenlicht scheut und im stillen Kämmerlein mit sich selbst die Welt zu verändern sucht. Nicht jeder, der gut Welten erfinden kann, ist zur Rampensau oder gar zum Unterhosen-Model geboren. Aber das war gestern. Zu Richard K. Breuers Sammlung käme nämlich noch der Selbstdarsteller hinzu (übrigens sind immer auch die Frauen gemeint!). Ohne Selbstdarstellung, die im Idealfall sympathisch und natürlich daherkommt, geht in diesem Beruf nichts mehr.

Das fängt bei auf den Leib, pardon das Genre zugeschriebenen Lebensläufen an, wobei manche Verlage auch nicht davor zurückschrecken, multiple Persönlichkeiten mit drei Pseudonymen und drei Leben entsprechend umzuschminken und abzulichten. Und das hört bei der Auftrittswilligkeit auf. Wer sich Lesungen und ähnlichen Aktionen nämlich verweigert, kann ein noch so tolles Manuskript abgeben - die Chancen auf Veröffentlichung sinken beträchtlich. Manche Literaten mögen indes noch glauben, der schwarze Rolli und das Nuscheln täten es immer noch. Das mag auf dem platten Land ankommen, selbst dieser berühmte Literaturwettbewerb in diesem österreichischen Ort, dessen Namen ich immer wieder vergesse, kommt ohne Fernsehshow und Medieninszenierung nicht mehr aus. Hätte eine achtunvierzigjährige Hegemann mit kurzem Stoppelschnitt Chancen gehabt? Wohl dem und der, die ein gesundes Selbstbewusstsein haben - oder denen der Zirkus egal ist.

Das Leben als "Steller" ist hart für Schriftsteller. Nun weiß ich nicht, wie das für Männer ist, ich bin ja keiner. Ich habe mir nur bei Frank Schätzings halbnackten Posen amüsiert denken müssen, dass Männer auch nicht ganz frei sind von Jugendwahn und Angst vor dem Altern. Da werden Maßstäbe gesetzt, für die ein Bierbauch in den Fünfzigern künftig eine Menge brillanter Sätze entgegensetzen muss. Irgendwann wird der gute Märchenonkel in der Kinder- und Jugendbuchszene wahrscheinlich auch die Haare färben müssen. Und dann können sie ja uns Frauen um Tipps fragen, wir haben das alles hinter uns, wir wissen, dass es eben nicht immer egal ist, ob da ein Schwein auf der Bühne pfeift.

Irgendwo im Internet erzählte eine Kollegin, dass die Kinder- und Jugendbuchverlage zunehmend an ihrem Alter herummäkelten. Sie war offensichtlich nicht zu dem bereit, was andere längst praktizieren: Im Zeitalter der zurechtgeschriebenen Lebensläufe kann man sich nicht nur jünger machen, man kann sich auch jünger fotografieren. Gute Autorenfotos sind Schummelfotos. Das habe ich gelernt, weil ich im echten Leben ständig Haarlängen und Farben und damit mein Aussehen wechselte - nur passte das dann immer partout nicht zu den Büchern. Auf die Dauer wurde das teuer.

Also habe ich ein einziges Bild für alle fabrizieren lassen, auf dem man mich im echten Leben nicht erkennt (im Moment sind die Haare mal wieder halblang). Menschen, die mich zuerst auf Plakaten sehen und dann live, sind überrascht. Und überraschen mich: "Sie sehen in Echt ja viel jünger aus als auf dem Foto!" Wunderbar. Also bleibt das Foto, das Mitte der Neunziger aufgenommen wurde. Jetzt bin ich viel jünger.

Als Frau - wie gesagt - bekommt man den äußeren Schein schon stark mit. Wer unter einem Scheinwerfer sitzt, wird automatisch mit den retuschierten Schönheiten aus der Frauenpresse verglichen - vornehmlich von Frauen übrigens. Und die Verlage tun ihr Übriges dazu, am Selbstbewusstsein zu kratzen. Als ich meine ersten Sachbücher schrieb, war ich jung und sehr schlank. Im Verlag mäkelte man: "Haben Sie nicht vielleicht wenigstens einen Doktortitel oder können Sie sich ein wenig auf älter zurechtmachen, damit sie glaubwürdig wirken?" Offensichtlich muss Intelligenz sichtbar gemacht werden. Ich weiß nicht, ob Männer dieses Problem auch haben - ich fand es als junge Frau ungeheuer anstrengend, ständig beweisen zu müssen, dass unter meinen langen Haaren auch ein Hirn steckte.

Irgendwann war ich einige Pfunde und Jahre schwerer und schrieb über Frauen voller Lebensgenuss Romane. Man schaute mich von oben bis unten an und war zufrieden: "Wenigstens sind Sie nicht so ein Hungerhaken, dann nimmt man Ihnen das ab!" - Ach, waren das noch Zeiten, als man versteckt im Schriftstellerkämmerchen Geschichten zusammenspinnen durfte, egal, ob sie zur eigenen Figur passten! Aber ich bekomme das auch bei Elsass-Lesungen vom Publikum gesagt: "Ist das schön, dass Sie selbst genießen können, da will ich Ihre Rezepte gern ausprobieren." Nach solchen Komplimenten steige ich erschrocken auf die Waage und untersuche meine Wangen. Welche Art Bücher passt eigentlich zu Augenfältchen? Sollte ich zum Nijinsky meine Wangenknochen mehr betonen, unter denen ich als Kind gelitten habe?

Eine Bekannte fragte mich mal, wieso ich mir das antue, in die Öffentlichkeit zu gehen und mich den Blicken eines Publikums auszusetzen. Sie konnte gar nicht glauben, dass ich gern vorlese und den Kontakt mit dem Publikum für meine Arbeit schätze. Die Blicke sehe ich ja währenddessen gar nicht, das Publikum verschwimmt zu einem grauen Brei, der atmet und Energien aussendet, gute wie schlechte. Wenn man mit Fünfzig keinen Durchbruch hatte, lese ich im Internet, sinken die Chancen einer Veröffentlichung beträchtlich, Verlage wollen Autoren einkaufen, die lange produktiv sein werden. Hoppla. Früher war eine Schriftstellerin mit 50 nur Seniorin, jetzt ist sie schon fast pflegebedürftig? Bei meiner Rentenhöhe werde ich mindestens bis Neunzig schreiben müssen!

Getreu nach dem Motto der Selbstverhinderung habe ich dann auch schon Kolleginnen erlebt wie diese: "Ich brauche mit 55 doch gar nicht mehr anfangen, auf eine Bühne zu wollen, die wollen doch nur junges Fleisch." Und dann zwängte sie sich in Hippieklamotten und ließ das Walleehaar rauschen und dichtete Verslein für ein Publikum von 70 plus, wie man heute so schön sagt. Mich jedenfalls hatte sie ganz kirre gemacht. Fortan stand ich vor jedem Auftritt stundenlang vor dem Spiegel und litt darunter, dass Hausfassaden nach soundsovielen Jahren eben bröseln. Wann würde mir der erste Veranstalter ins Gesicht sagen, man ziehe die zwanzigjährige, knochenschlanke Blondine vor? So tough, wie ich mir einreden wollte, war ich ja nicht.

Warum mietest du dir keinen Mann?, fragte mich dann eine fesche Dreißigjährige ernsthaft. Den könne ich doch in öffentlichen Situationen vorschicken, der würde mir als Prellbock dienen können ... Hatte sie wirklich "Prellbock" gesagt? In der Tat, ohne ihren Mann gab es sie öffentlich nicht. Ich versuchte, mir das vorzustellen, es klang fast romanreif: Autorin im schönsten Alter schreibt über die Avantgarde und rauscht nebst abendweise gemieteten, perfekt gekleideten Mann in den Saal. Und schon hatte ich das erste Problem.

Was für eine Sorte Mann passt zur Avantgarde? Sollte ich bei einer dieser Männervermietungszentralen einen verschwitzten hässlichen Gnom à la Picasso ordern, der mir die Show nicht stahl? Oder machte ich mich besser mit dem zwanzig Jahre jüngeren Lover, den neuerdings alle Frauen haben müssen, die etwas werden wollen? Nähme ich lieber einen, der nach Hirn aussah oder einen Schrankkoffer im Anzug? Ich weiß nicht, wie die Frau sich das vorstellte, vor einem Auftritt habe ich genug mit meinem Lampenfieber zu tun.

Irgendwann habe ich dann mal den Härtetest gemacht. Nämlich auf die Meinungen von Jungmädchen-Lektorinnen in manche Verlagen gepfiffen, die ich erfolgreich hinter mich gebracht hatte. Ich trat auf, wie ich war. Als ich selbst. Keiner schrie entsetzt auf. Keiner wollte, dass das Buch von einer Jüngeren geschrieben wurde (es waren allerdings auch keine männlichen Feuilletonisten im überfälligen Alter anwesend).

Und dann setzte ich noch ein I-Tüpfelchen drauf - spielte auf der Bühne eine Frau, die sich über Diäten lustig machte, genoss, ständig vom guten Essen redete, soff und passend zur Rolle auch noch unpassend angezogen war. In den Pausen ließ es sich das Publikum schmecken. Und das Feedback war enorm. "Endlich!", riefen die Frauen. "Endlich!", riefen die Männer. Die Frauen waren glücklich, dass endlich einmal dem Bild von Jugendrausch und Schönheitszwang etwas entgegengesetzt wurde, das Leben nämlich. Ich wette, einige haben die nächste Schwarzwälder Torte mit Lust gegessen. Und die Männer waren beeindruckt, dass sie endlich mal keinen zurechtgespritzten, zurechtoperierten Hungerhaken ertragen mussten.

Dabei ging es doch eigentlich um Literatur? Dachte ich. Aber der Mensch ist wohl doch ein Augentier. Und das Schriftstellertier ein Schwein, das über die Bühne getrieben wird...

Neuerdings präsentiere ich mich in der Öffentlichkeit übrigens mit dieser edlen Haarfarbe, die man "Salz und Pfeffer" nennt. Aber das ist richtig schmerzhaft. Ich weiß nicht, wie lange ich das durchziehen kann, denn es geht an die Nieren. Das Feedback der Frauen nämlich: "Dass du dich das traust." - "Mein Mann würde das nie erlauben." - "Ich hätte Angst, damit meinen Job zu verlieren." - "Ich habe das mal probiert, aber alle haben auf mir herumgehackt." - "Meinst du nicht, dass du dir damit schadest?"

Nur manchmal, ganz still und heimlich, in unbeobachteten Momenten kommen Frauen auf mich zu und flüstern: "Danke. Danke, dass sie sich das trauen. Wenn das mehr Frauen machen würden, bräuchten wir keine Angst mehr davor haben, grau zu werden."

In was für einer Welt leben wir eigentlich?
Jedenfalls haben Schriftstellerinnen und Schriftsteller heutzutage noch einen Beruf: Weichensteller.

Lesetipp: "50plus löst die Ruderoma ab"
Neugier 2.0: Gibt's hier öffentlich auftretende Männer, die von ihren Erfahrungen als "Steller" erzählen mögen?

2 Kommentare:

  1. Ja, all diese Steller, wir leiden unter der Mediengaukelei. Die Leutchen können kaum mehr den Inhalt eines Buches auf Qualität prüfen, deshalb vertrauen sie der Werbung oder den Bestseller-Listen (die auf ihre Weise manipuliert werden). Die Verlage schieben die AutorInnen immer mehr ins Rampenlicht, weil sich für das geschriebene Wort bald kein Schwein mehr interessiert (oder es so platt ist, dass es beliebig austauschbar ist).

    Instinktiv denke ich, man müsste sich als Künstler rar machen. Das Seltene wird geschätzt und lädt die Leutchen zum Phantasieren ein.

    Ach, darüber gäb's viel zu sagen. Da reicht wohl ein Schriftstellerleben gar nicht erst aus.

    Muss ich mir jetzt auch die Haare färben?

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  2. Da fällt mir spontan Tom Robbins ein, der lange die Presse schockierte, indem er grundsätzlich nur mit Krokodilsmaske erschien, wenn er überhaupt mal erschien. Das wirkte - der Mann war Kult.
    Googelt man jedoch Fotos von ihm, kommt das schlimme Erwachen: heute posiert er wie alle anderen auch.

    Ja, bitte Haare färben! Ich entwerfe nämlich gerade ein Interview, das ich dir vorschlagen will (wenn mir was eingefallen ist). Zum Thema Andersmachen (von Büchern). Rot? Grün? Lila Strähnchen?

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