Lesen wie bekloppt

Wenn man als Autor von Lektoren immer wieder schöne Theorien hört, was Leser angeblich lesen - so aus dem Kaffeesatz der Programmkonferenz gebröselt und in den seltensten Fällen mit echter Marktforschung unterlegt (die ist ja bekanntlich teuer), beginnt man entweder an den Lesern zu zweifeln - oder will es wirklich wissen.

Nachdem ich seltsamerweise ständig Bücher verkaufte, die Leserinnen (angeblich nie Männer) angeblich nie lesen würden, machte ich den Härtetest. Zu oft hatten sich LeserInnen bei mir beklagt, sie würden im Buchladen in all den Stapeln nichts Passendes mehr finden, nichts auf ihrem Niveau. Mit meinem Bühnenprogramm versuchte ich, den Horror greifbar zu machen: "Genuss im Gepäck" kaperte die Damen mit den Lesebrillen über den Body-Mass-Index und servierte knallhart literarische Klassik.

Bei der Auswahl der Texte staunte ich zunächst noch über den unbekannten Witz angeblicher Langweiler wie Goethe und Nietzsche. Und dann wurde ich forsch. Wie viel könnte ich genüsslichen Leserinnen und Lesern von heute eigentlich zumuten? Verstünden die wirklich keine Klassiker mehr, keine Hochliteratur? Würden sie angeekelt die bezahlten Sitze verlassen, wenn ich sogar Lyrik deklamierte?

Ich gebe zu, ich war vorsichtig. Erst als alles gelaufen war, kurz vor dem Schlussapplaus, bedankte ich mich bei allen Literaten, bei denen ich mich hatte bedienen dürfen. Da musste ich dann schon fast wieder grinsen, dass ich in der Szene, in der ich einen Theaterwodka an den Hals hob, etwas zum Besten gab, was selbst polnische Schulkinder abtörnt: Einen Ausschnitt aus dem Nationalepos Pan Tadeusz von Mickiewicz. Das deutsche Publikum fand es grandios und fragte mich, wo man das ganze Opus nachlesen könne. Aber das waren die gleichen verdächtigen Personen, die auch bei Nietzsche gelacht hatten.

Ich hatte das im vergangenen Jahr nicht glauben wollen. Jetzt beweist die ZEIT, dass deutschsprachige Leserinnen und Leser vom Buchmarkt permanent unterfordert werden. Und ich lag mit Nietzsche offensichtlich voll im Trend.

PS: Ich werde das Programm vielleicht im nächsten Jahr wieder aufnehmen - in diesem Jahr fehlt mir für Auftritte leider die Zeit.

6 Kommentare:

  1. Der "Beweis" über die "Fan"-Zahl ist natürlich ein schlechter Treppenwitz, denn ich zum Beispiel bin Facebook-öffentlich nur Fan von Dingen, die man nicht gegen mich halten kann oder die - im Gegenteil - mich als besonders brillanten Geist erscheinen lassen. (Oder eben als der Poser, der ich bin.) Daher Nietzsche, Goethe usw. Nie würde ich zugeben, heimlich britische "chick lit" zu konsumieren oder Fan von "American Psycho" zu sein, denn beides könnte den potentiellen Freund oder Arbeitgeber verstimmen.

    Dennoch ist eines ganz gewiss auch wahr: Der Leser wird massiv unterfordert. Aber nicht nur vom Niveau her (niveauvolle Bücher gibt es genug, aber sind sie auch wirklich immer lesenswert?), sondern auch von der Bandbreite der Genres. Vampirschnulzen gibt es in D doch erst, seitdem Verleger nun wirklich absolut 100%ig nicht mehr leugnen können, dass sich das Zeug auch hier verkauft. Dabei hätte ein Blick auf die zahlreichen deutschsprachigen Rezensionen zu englischsprachigen Büchern auf Amazon gereicht, um sich klarzumachen, dass ins Regal zwischen U und E mehr Bücher reinpassen, als sich Marketingkonferenzen vorstellen können.

    Solange Genre-Autoren - jenseits des Krimis und der "Hausfrauenemanzipationsliteratur" - in Deutschland von Verlagen, Lektoren und der Kritik (nie: vom Leser) bespuckt werden, weil diese lieber eine popliterarische Sau nach der anderen durchs Dorf treiben, solange wird das auch so bleiben. Es ist wie im Kino: Man quält die Zuschauer mit einer halben Stunde Werbung inmitten des Taco-Gestanks mampfender Cola-Schwitzer und wummert sie dann mit dem schlechtesten Plot seit „Das Geheimnis der unbeschriebenen Serviette“ zu und wundert sich, warum die Zuschauerzahlen sinken. Unlängst versuchte ich, eine CD zu erwerben, aber wer nicht im Sampler-Dreck wühlen will, der darf die halbe Großstadt durchwandern - kein Wunder, dass sich CDs schlecht verkaufen, denn sie werden schlecht verkauft.

    Ich empfehle das Buch "Understanding Comics", das in einem Kapitel sehr schön einfach darstellt, wie der Versuch der (Comic-) Verlage, sich nur auf Comics mit dem besten Absatz zu konzentrierten, zum Niedergang (auch in Absatzzahlen) der gesamten Comic-Kultur führte. (Zu jener Comic-Kultur, die dann zu Recht als flach ignoriert wurde, so dass daraufhin jeder Versuch, ihr frischen Geist einzuhauen, im Sande verlief.)

    Ich denke, man muss sich heute sowohl als Leser wie wahrscheinlich auch als Autor der Erkenntnis stellen: Verlage sind dumm. Sie sind dumm in einem Ausmaß, das geradezu erschreckend ist wenn man bedenkt, dass man es meist mit Akademikern zu tun hat. Sie sind so ungeheuer dumm, dass der Verdacht nahe liegen wird, dass sie den Medientransfer, in dem wir uns befinden, nicht schaffen werden. Ich prophezeie unkühn, dass der „long tail“ der Autoren in zehn Jahren direkt über Amazon und Apple seine eBücher publizieren und davon leben wird. Die einzigen, um die es mir dabei leid tut, sind engagierte Buchhändler von heute und die kommenden Generationen der Leser, die das Stöbern in einer Buchhandlung nicht mehr kennenlernen werden (dieses ist ja nicht zu verwechseln mit dem Abgreifen eines Exemplars von einer Thalia-Palette).

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  2. Hmmm ... tja .... ähm ... ich darf jetzt natürlich nicht sagen, an welchen Stellen und wie oft ich besonders geschmunzelt habe oder bei welchem Satz ich applaudiert hätte. (Neugierig wäre ich außerdem auf das Serviettendrehbuch).

    Schließlich bin ich LEIDER nicht anonym und muss mich darum als ganz besonders brillanter und loyaler Geist gegenüber potentiellen Arbeitgebern präsentieren. Ich ahne, warum ich bei Facebook wieder raus bin, so eine wie ich hält das nicht lange durch...

    Trotzdem muss ich mal wieder (eine Krankheit, die ich nicht verbergen kann) widersprechen: Man kann nicht alle Verlage über einen Kamm scheren, im Gegenteil, die Schere (also nicht der Kamm) zwischen "Abgreifware" und "Perlen" klafft immer weiter. Sprich, die Perlen werden weiter produziert, es gibt hochintelligente Verlagsmenschen, es gibt engagierte Verlage.

    Das Problem ist ein anderes: Marktkonzentration. Die meisten guten oder anderen Bücher sind heute unsichtbar, wenn man nicht wie ich mit einem unabhängigen engagierten Buchhändler gesegnet ist, der sie noch ausstellt und empfiehlt (aber auch nicht den Platz für alle hat). Und anders als die vielen Foren und Plattformen für Schmöker gibt es leider noch keine ernstzunehmende Plattform für die "anderen" Bücher. Da liegt meiner Meinung nach der Hase im Pfeffer, nicht so sehr bei den Verlagen.

    Es gibt keine ernstzunehmende Empfehlungsinstanz mehr! Spätestens mit Hegemann hat auch das Feuilleton sein Versagen zelebriert.

    Die Bücher kommen nicht mehr an die Leser. Selbst ich, die glaubte, SEHR viele Verlage zu kennen, entdecke im Internet laufend neue, bei deren Programm ich jauchze. NIE irgendwo gesehen, weder im Buchhandel noch im Feuilleton. Und dann haben wir das Problem: unsichtbare Bücher = geringere Umsätze = keine Finanzpolster wie bei Konzernen = kleinere Programme, das kann auch lähmen.

    Ich persönlich glaube leider auch (noch) nicht ans Selbstverlegen, obwohl es mir bei bestimmten Projekten in den Fingern juckt. Denn da bin ich dann aus anderen Gründen unsichtbar: schon jetzt spuckt die Suchmaschine von gewissen Händlern mehr Müll als Buch aus. Das Problem, die guten Bücher zu finden, wird da nur verlagert. Und dann muss ich auch noch beweisen, dass ich nicht das unlektorierte, schlecht layoutete, grausam geschriebene Machwerk von Tante Erna einstelle.

    Um ordentliche PR kommt man heutzutage nicht herum. Und ganz ehrlich: Ich mach das lieber gut bezahlt für andere, als dass ich diese immense Arbeit als Selbstverleger nach Feierabend erledige! Dann käme ich nämlich nicht mehr zum Schreiben.

    Ich glaube, es wird in Zukunft alles Mögliche geben, da wird nichts aussterben, der Markt fragmentiert sich zusehends. Viel spannender fände ich Zusammenschlüsse der Independents, evtl. Vertriebsgemeinschaften, um in Ketten zu kommen, Unterstützung unabhängiger Buchhändler (z.B. durch kaufende Leser) oder - wie das gerade in der FAZ diskutiert wird, eine Nachahmung des französischen Qualitätslabels für literarische Breite im Buchhandel.

    Jetzt klinge ich wieder ganz optimistisch (siehe Brillanzvorgabe). Aber ich glaube auch mindestens dreimal täglich an den Untergang des Abendlandes und will mich natürlich noch rechtzeitig in eine aufsteigende Kultur absetzen ;-) (irgendwelche Reiseempfehlungen?)

    Wenn ich wieder halbwegs Luft holen kann, werde ich das Thema im Blog vertiefen. Auf der To-Do-Liste stehen zwei Interviews, eines mit einem unabhängigen Buchhändler und eines mit einem Menschen, der seine Bücher grundsätzlich ohne Verlag an die Leute bringt. Und falls es Menschen gibt, die mit Alternativkonzepten wirklich gut leben können - immer her mit den Beispielen.

    Jetzt ist erst mal Osterpause.

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  3. Es ist klar, dass bei einem anonymen 9-Euro-Haarschnitt alle über einen Kamm geschert werden, aber auch mir ist klar: Selbstverständlich gibt es Ausnahmen! Viele! Brave! Tapfere! Die lässt der Krimiperlen verfassende Philosophenkoch im Regen stehen, sobald Erfolg und Random House an die Tür klopfen. Aber egal: Ein Hoch auf auf diese Verleger! Und als Buchtipp noch nachgeschoben: "Verlage ohne Verleger". Diesmal ohne Comic. Voll niwoh und so.

    Zum Selbstverlegen: Wird nie kommen, jedenfalls nicht als Maß der Dinge. Nur: die neuen Verleger werden Apple und Amazon heißen. Auch Software brauchte früher Verleger - heute braucht sie nur noch einen App Store. Ich halte das iPad für *den* Angriff auf den Buchmarkt - mit der Herausforderung, sich "selbst" (bei Apple) zu verlegen. Wer 500 Mal 1 Euro verdient ist doch schon Glücklich damit.

    In der daraufhin einsetzenden Flut wird man neue Guides brauchen, denn das Feuilleton mag nur noch den Mainstream abdecken. Zugleich glaube ich an Channels für den diskretesten Geschmack. "Viktorianische Vampirschnulze, die tragisch endet und in der ein echter Arzt der Erzähler auf dem virtuellen Cover ist" oder "Mitteltoughe Chick-Lit mit einer rothaarigen Heroine, die am Ende dann doch einen Adeligen heiratet" - das werden künftig die Beschreibungen *eines* Genres sein.

    Ist natürlich leicht, zu prophezeien, so als Anonym. :D

    Und jetzt machen Sie endlich mal Eierpause, Mme v.C.!

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  4. Ihnen, werter Anonymus, würde ich gern einmal meinen Kaffeesatz zum Prophezeien reichen!

    Stichwort "neue Verleger" - da frage ich mich: Werden die uns Autoren besser behandeln als die alten? Bei den "echten" Verlegern kann man Verträge wenigstens noch verhandeln und man hat Ansprechpartner aus Fleisch und Blut... Trotz aller Segnungen der Technik sehe ich raue Zeiten auf Autoren zukommen.

    Aber zum Stichwort Krimi: Genau dieses Genre könnte ich mir als App vorstellen. Das würde allerdings auch die Form beeinflussen, weil die Lesezeiten kürzer werden. Aber so ein Handy wäre ja ideal, um den gespannten Griff zur Fortsetzungstaste herauszufordern.

    DAS fehlt noch völlig: multimediales, also auf das jeweilige Medium abgestimmtes Schreiben. Meines Wissens haben es Verlage bisher kaum verstanden, dass man nicht einfach ein Printwerk 1.1 konvertiert und hoppla, hat man das perfekte Ebook.

    Übrigens ist in Ihrem Text ein winziger Fehler: Das Wörtchen "künftig" bei den wunderbaren Frauenromanen - Schablonen grassieren bereits.

    Die Autorin hierselbst hat einmal einen Entwicklungsroman schreiben wollen und wurde dann gelockt mit "Durchgeknallte Heroine vom Fernsehen versumpft in Trennungsselbstmitleid, findet keinen Arzt und gibt sich deshalb Speed bei Dates mit echten durchgeknallten Männern, bis sie auf den Hund kommt."
    Das nennt man Schreiben nach Zahlen ;-)

    Autorin tritt ab zum Goetheschen Osterspaziergang...

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  5. Habe besagten PvC-Entwicklungsroman sehr genossen und spreche ihm die Schablone ab. Mit der schmücken sich Madame nur aus Bescheidenheit...

    Ein Blick in den Kaffeesatz: Ah ha, ich sehe da so einiges, was tief blicken lässt...

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  6. Keine Bescheidenheit - nur Selbstkritik und ein wenig Trauer darüber, was aus dem Roman hätte werden können, wenn die Autorin damals schon so rücksichtslos frei geschrieben hätte wie heute.

    Den / Die Anonym würde ich übrigens gern öfter lesen, stand das auch im Kaffeesatz? ;-)

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