Nie wieder!

Disclaimer: Menschen, die Menschen nicht mögen, die keine historischen Romane mehr mögen, sollten aus psychohygienischen Gründen nicht weiterlesen.

Menschen, die mich länger kennen, wissen dagegen, dass ich einmal mit Begeisterung historische Romane gelesen habe - kein Wunder bei einer, die Geschichte schon im Studium als Schwerpunkt hatte und häufig historisch arbeitet und recherchiert. Dass ich historische Romane sogar gesammelt habe, sieht man meiner Bibliothek an, etwa bei Leo Perutz oder Lion Feuchtwanger. Der letzte historische Roman, der es mir angetan hatte und vor meiner Kritik bestehen konnte, war Irving Stone's Michelangelo, aber schon damals gingen die Fans von "HiRos" auf mich los, das sei gar keiner, das sei eine Romanbiografie. Nun gut. Die Zeit der Genre-Erbsenzählerei in den Verlagen begann. Ich lernte schnell und mit Entsetzen, dass ich für alles, was danach kam, nicht gemacht war. Dafür aber aus einer anderen Romanbiografie, Colum McCann's "Der Tänzer" (Nurejew) mit Donnerschlag lernen konnte, was literarisch aus Historie machbar wäre...

Nun verdamme ich nichts auf immer und wollte es einfach mal wieder ausprobieren. Inzwischen wird ja auch Allergikern gegen Mittelalter so einiges geboten, wenn auch die Faltenwürfe auf den Covern immer und immer wieder aus dem 19. Jahrhundert zu stammen scheinen. In eben diesem spielt mein neuerlicher Selbstversuch mit dem historischen Roman. Namen, Titel oder Verriss wird es nicht geben, obwohl mir letzterer vortrefflich gelingen würde, um in der Sprache des Romans zu bleiben. Mich interessieren vielmehr die Mechanismen solcher Romane und warum sie bei Leuten wie mir einfach nicht funktionieren können. Dabei bin ich mir im Klaren, dass sie trotzdem Tausende begeisterter Leserinnen finden, die nicht so dämlich sind wie ich. Das sei ihnen auch vollkommen gegönnt!

In Autorenkreisen wird häufig diskutiert, woher die Vorliebe für Mittelalter und alte Zeiten kommt und warum etwa Romane über das 19. Jahrhundert nicht so leicht in die Kassenstapel geraten. Von den Lektorinnen (überwiegend weiblich) wird das schnell auf die Leserinnen geschoben - es würde eben verlangt. Nach meiner Lektüre habe ich einen anderen Verdacht: Verlage schaffen diese Nachfrage womöglich künstlich, indem sie zeitnahe Romane vermeiden. Denn die sind brandgefährlich. Je mehr wir nämlich über eine Zeit wissen oder zu wissen glauben, desto eher prüfen wir nach, wie viel denn der Autor weiß und wie deckungsgleich sich sein Roman zu unseren Vorstellungen verhält. Als Sachbuchautor kennt man das, wenn man im Lektorat jede Aussage auf die Goldwaage legen muss. Solche spät spielenden Romane würden also nicht nur den Autoren sehr viel mehr Arbeit machen.

Nun hat mein Autor (Frau oder Mann ist egal) mich damit geködert, dass er eine Geschichte über real existiert habende Personen schreibt, wobei ihn vornehmlich das konstruierte Liebesdreieck interessiert und weniger die Historie. Da werden also real existiert habende Menschen in genau den gleichen Seitenabständen zum saftigen Liebesspiel getrieben, in dem sich sonst mittelalterliche Maiden auf vielfachen Wunsch vergewaltigen lassen müssen. Dem kundigen Leser wird das natürlich verdächtig, das klingt nach Hite-Report für Arme, nach wochenstatistischen Befriedigungen, die mit modern spießbürgerlichem Eheverhalten in Übereinstimmung gebracht werden. Und wie bei den meisten derart "eingebauten" Liebesszenen (ich weiß, wovon ich rede, ich musste im "Lavendelblues" auch auf Lektoratswunsch zum Höhepunkt kommen) - finde ich: Ohne Sex wäre das Buch sehr viel besser gewesen, denn nichts törnt mehr ab beim Lesen als handwerklich gebastelte Anti-Erotik, die sich als "pralles Leben" verkauft.

Das eigentliche Problem mit diesem Buch ist jedoch eines, das bei Mittelalterromanen so krass nicht auftauchen kann: Zufällig kenne ich zwei der Protagonisten aus zahlreichen Sachtexten und Essays, eine Figur sogar sehr gut. Von zumindest zwei Personen in dem Buch gibt es historisches Fotomaterial, mindestens das Portrait der einen Figur ist allgemein bekannt. Es gibt zig gute Beispiele, wo Autoren Menschen von Fotografien wirklich lebendig werden lassen, wo man merkt: der Autor hat mit diesen Fotos (oder Gemälden) gelebt, er hat diese Gabe wie ein Archäologe, aus zufälligen Fundstücken ein Bild zu schaffen. Wenn ich mich aber bei 80% der Personenbeschreibungen fragen muss, wie viel Wein ich bechern sollte, um von den realen Fotos auf diese Fantasietypen zu kommen, dann werde ich stutzig und überprüfe auch die Historie. Dann wird mir alles verdächtig.

Dabei begegne ich einem zweiten Problem solcher Romane. Mein Buchhändler meinte zu dem Buch lächelnd: "handwerklich solide gemacht". Er hat das vielleicht nicht so gemeint, aber für mich ist das inzwischen ein Schimpfwort. Alles, was den Beruf der Hauptfiguren betrifft (um den es auch gehen soll, wenn sie mal nicht im Bett... oder schmachtend...) ist entweder hölzern-auktorial "herunterberichtet", in jenem unverwechselbaren Stil, den Redakteure von Oberstudienräten kennen, die als freie Mitarbeiter über Kulturereignisse berichten. Oder es wird eine auskunftsfreudige, lehrerhafte Nebenfigur aus dem Hut gezaubert, die in einer aus dem Hut gezauberten Dialogszene alles erklärt, was der Autor unbedingt seinem Leser erklären möchte. Unsereins ruft dann in froher Erwartung zehn Seiten weiter: Trara, jetzt muss er wieder eine Nebenfigur einführen - klar, mit Pünktlichkeit, wird prompt geliefert. Und dementsprechend wimmelt es in solchen Büchern von handwerklich solide gemachten Dienerschaften, Handwerkern und sonstigen Zuträgern. Es wimmelt so sehr, dass der Autor auch schon einmal den Überblick über seinen Flohzirkus verliert.

Das fällt aber nicht weiter auf, weil alle Figuren im gleichen Ton sprechen. Auf gleichem Sprachniveau (dem des Autors), mit gleicher Wahrnehmung, gleichem Denken. Rutscht so schön rein, das ist es, was manche Menschen so schnell versinken lässt. Mag vielleicht sogar im Mittelalter funktionieren, weil wir keine Tonaufnahmen besitzen. Wenn aber der Tonfall und das Denken einer Figur einem aus deren eigenen historisch existenten Worten bekannt ist, dann hat man doch sehr daran zu knabbern, wenn aus ihr ebenfalls ein Oberlehrer wird. Da agieren Pappfiguren, die sich von realen Menschen die Namen ausgeliehen haben, um marketingtechnisch zu punkten; da wird Historie zwischen Spitzenunterröcken ins Bett gezerrt und werden reiche Charaktere voller Brüche und Faszinationen zu eindimensionalen Schreibratgeber-Klischees. Handwerklich solide gemachte Leichenfledderei.

Denn was in einer solchen Schmonzette außen vor bleiben muss, ist die wahre Geschichte, ist das, was man eben Historie nennt. Mehr als es ein schön bunter Kostümfilm im Vorabendprogramm verträgt, ist nicht erwünscht; sobald es an die damals wirklich brutalen politischen und gesellschaftlichen Umbrüche tastet, ergeht sich der Autor in vagen Andeutungen oder schnappt handwerklich solide zum rettenden Spitzenunterrock. Die historisch vorgebildete Leserin, die genau weiß, dass mindestens eine der Figuren im wahren Leben einer der ganz großen Umsturz-Vorbereiter war, möchte dem Autor einfach nur noch zurufen: "Lass diese Figur um Himmels Willen endlich aus dem Bett und den Ballsälen und ihre Arbeit machen!" Dabei konnte der Autor nicht anders. Stark muss ja die Frau in der Hauptrolle sein, da muss man den Mann an ihrer Seite eben etwas zurechtbiegen.

Ich habe noch nie solchen Hunger auf Sachbücher bekommen, auf Originalschriften. Ich fürchte, ich bin damit für immer von historischen Romanen geheilt. Trotzdem habe ich eine Menge gelernt dabei. Handwerk ist nicht alles, wenn man statt vielschichtiger und lebensechter Charaktere nur Pappkameraden zum Leben erweckt. Historie lässt sich nicht in Schablonen und Erwartungsmuster pressen, lässt sich nicht aufbauen wie ein solide gebastelter Ratgeberplot à la Hollywood-Betafilm. Akribisch geplanter Figurensex auf den üblichen Seiten hat etwas von einer gelangweilten Frau, die den Einkaufszettel herunterbetet und nur darauf wartet, dass der Alte endlich fertig ist. Vor allem aber wäre die reine Fiktion mit erfundenen Personen oft weniger schmerzvoll als ein ahistorisches Bemühen, bei dem die Figur zum Plot vergewaltigt wird und nicht die Geschichte der wahren Figur folgt.

Noch etwas habe ich gelernt: Unendlich viel Respekt vor historischen Personen und meiner Art der Annäherung. Mir wäre die Herausforderung, ihnen eine romanhafte Handlung anzudichten, ehrlich gesagt zu groß. Obwohl es wirklich viele gute Beispiele gibt, wo Autorinnen und Autoren das auf hohem Niveau gelingt. Aber das darf man dann nicht historische Romane nennen, habe ich mir sagen lassen.

Da ich mich für ein neues Projekt ebenfalls mit historisch echten Figuren beschäftige und kein reines Sachbuch schreiben will, bekomme ich regelrecht Angst. Ich muss auf der einen Seite eine ihnen adäquate, völlig andere Form finden. Und ich muss mich jetzt schon dagegen wappnen, falls Lektorinnen verlangen, ich sollte die doch bitte zusammen ins Bett legen...

Bei der Gelegenheit fällt mir auf, wie formal arm dran wir deutschsprachigen Autoren sind, was historische Dinge betrifft. Da ist einerseits das literarische Schreiben, das aber gekonnt sein will und das man sich nicht per Schreibratgeber aus dem Ärmel schüttelt. Und da sind Mischformen, neue Formen, die in allen funktionierenden Fällen, die ich kenne, ausschließlich aus anderen Sprachräumen kommen. Da bleibt viel zu lernen.

Und bevor jetzt alle auf die Kostverächterin losgehen: Morgen oder übermorgen gibt es eine "echte" Rezension, die zeigt, dass man über Geschichte auch ganz anders schreiben kann. Dann lade ich nach Sankt Petersburg ein...

5 Kommentare:

  1. Ich bin gerade überwältigt vom Feedback *hinter* den Kulissen, auch von AutorInnen historischer Romane. Tenor: Wir würden ja gern anders, dürfen aber nicht / haben weniger Chancen, das Manuskript anzubringen.

    Jemand bedankt sich darum bei mir, dass ich öffentlich den Kopf hinhalte. Keine Ursache. Wenn Schriftsteller nicht mehr laut sagen können, was sie denken, wer dann?
    Zwänge ändern sich nur, wenn man darüber redet...

    Wobei ich ja nichts gegen die Existenz solcher Bücher habe - ich habe etwas dagegen, dass darum alles andere vermieden wird, was möglich wäre.

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  2. Sabine Kanzler19/1/10 09:33

    Was ich bei historischen Romanen das aller, allerschlimmste finde? Wenn daraus Fortsetzungsromane gemacht werden, in denen die erzählte Geschichte pro Band eigentlich in maximal 50 Seiten erzählt wäre.

    Dabei lese ich doch so vorm Einschlafen oder in der Badewanne so gerne solche Romane. Als Jugendliche habe ich "Desirée" geliebt, die untere Hälfte des Buches ist sichtbar von Wannenwellen umspült. Nicht, dass "Desirée" jetzt der Gipfel der Literatur wäre, aber es war nicht langweilig und es hat mich zu Lion Feuchtwanger geführt....

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  3. Wenn Bücher in Reihe gehen, heißt das eigentlich, dass sie sehr erfolgreich sind, Sabine.

    Hach, und Längen... ich habe gerade dem Lektor des von mir zu übersetzenden Buchs erzählt, dass er die 600 Seiten mit dem Faktor 1,2 malnehmen darf ;-) Nein, kein historischer Roman...

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  4. Sabine Kanzler20/1/10 09:39

    Erfolgreich? Bist Du sicher, dass "Die Wanderhure", von der es meines Wissens mehrere Teile gibt, erfolgreich ist? Nur um mal ein Beispiel zu nennen!

    Aber muss wohl! :-(

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  5. "Die Wanderhure" plus Nachfolger war über sehr lange Zeit in sämtlichen Bestsellerlisten, die man sich nur denken kann, und der erste Band war in der Tat einer der erfolgreichsten historischen Romane aus deutschsprachiger Feder. Was dazu führte, dass viele Verlage "Aufsetzer" suchten.

    Mir geht es aber nicht um die Trendmacher (oder Einzeltitel), sondern darum, was mit einem Markt passiert, wenn sich ein Trend längst verselbstständigt hat, indem man ihm künstlich mit Mustern und Vorgaben zusetzt.

    Aus dem Feedback von Kolleginnen, die selbst historische Romane schreiben, entnehme ich, dass diese die ersten Glücklichen wären, wenn sich das Genre wieder breiter öffnen würde und mehr Raum für Individuelles und Experimente gegeben würde. Von vielen höre ich "ich würde ja gern, aber ich darf nicht".

    Desgleichen die Leserschaft - und da schließe ich mich ein: Wer einmal die ewig gleichen Faltenwurfdamen auf dem Cover über hat, wird nie wieder zu Faltenwurf greifen. Ergo auch Perlen verpassen, die zufällig unter so ein Cover geraten (was der Autor ja seltenst beeinflussen kann). Wie also in Zukunft diese Perlen und guten Romane finden? Uns wird schon mit der Verpackung vorgegaukelt: alles gleich, alles austauschbar. Wonach sollen wir dann greifen? Da sind eindeutig die Verlage gefordert.

    Übrigens eine Marketingentwicklung, die nicht nur historische Romane trifft. In der Literatur blühten 2009 plötzlich botanische Blütendarstellungen auf Weiß, damit man nicht mehr wusste, welches der originale gute Roman war und welches die Nachahmer.

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