Digitale Analphabeten
Nun bin ich selbst das genaue Gegenteil. Auf meiner Festplatte schimmeln nämlich zwei Manuskriptentwürfe in englischer Sprache, die ich im Jahr 2000, beim ersten Hype, für einen amerikanischen Ebook-Verlag geschrieben hatte. Ich erinnere mich noch gut an das Pioniergefühl, als eine absolut seriöse und in den USA nicht übel verkaufende Verlegerin sich für die Ideen einer völlig unbekannten deutschen Autorin interessierte. Normalerweise kennt man das nur umgekehrt. Plötzlich schienen Grenzen zu fallen. Und weil ich eigene technische Vorschläge einbringen durfte, träumte ich von einem webverlinkten Ebook mit interner Suchfunktion und eingebauten Bildern, mit regelmäßigen Updates für aktuelle Daten. In Deutschland wagte man Multimedia-Ebooks noch gar nicht zu denken.
Als die Verlegerin so weit war, mir den Vertrag zu schicken, verschluckte sich der Hype plötzlich an sich selbst. Damals scheiterte das Ganze am ultrateuren "Rocketbook" und fehlender Kompatibilität der Systeme. Die Kunden hatten schlicht keine Lust. Und ein einfaches pdf oder html-Konstrukt war für mich keine wirklich technische Erneuerung. So schnell wie manche Verlage fürs Hochladen einer neuen Webseite brauchen, war jene Verlegerin plötzlich pleite - und nicht nur sie. Aus der künstlich hochgepowerten Ebookmode war ein stinkender Leichnam geworden, den keiner mehr anfassen wollte. An die Verlage, die so dumm waren, alles auf eine Karte zu setzen, erinnert sich zehn Jahre später niemand mehr.
Anlaufphase zwei im Jahr 2010 liest sich für den kritischen Beobachter genauso wie Anlaufphase eins: Jeder will dabei sein; keiner traut sich, gegen den Strom zu schwimmen - und während alle lobhudeln und keinerlei gesicherten Erkenntnisse vorliegen, freuen sich nur wieder einmal die Hersteller. Die wie damals mit eigenen Standards und eigenen Plattformen nur den altvertrauten Machtkampf um den Profit pflegen, aber weder AutorInnen noch Publikum. Überhaupt hört man erschreckend wenig über Autorinnen und Autoren, es sei denn, sie sind so prominent, dass sie auch bedrucktes Toilettenpapier verkaufen könnten. Wieder gibt es massiv teure Endgeräte, wieder verrückte Investitionen von Verlagen, wieder keine weltkompatible Norm. Aber meine Einstellung hat sich seither geändert. Ich würde nicht jedes meiner Bücher als Ebook freigeben, würde aber Dinge per Ebook lancieren, die eigentlich kein Buch sind oder werden - und scheitere daran, woran alle AutorInnen schon damals scheiterten: an Handling, Urheberunsicherheit, an kompatiblen und vor allem bezahlbaren technischen Lösungen. Die scheinen wie immer nur für die Großen gemacht zu sein - nämlich teuer.
Deshalb wollte ich jetzt einmal genau wissen, ob ich mir irgendwann den Schuss geben müsste, denn ich besitze auch keinen Reader - habe nicht vor, für so etwas Unausgereiftes Firmen reich zu machen. Unsereins wartet ab, wartet auf E-Ink und augenfreundlichere Formate - und will natürlich Bücher auch künftig in der Badewanne und bei Stromausfall lesen können. Bin ich ein Dinosaurier der Jetztzeit? In einer nicht repräsentativen Umfrage in meinem nicht repräsentativen Bekanntenkreis kam Aufregendes zutage:
- Eine Freundin kennt zwar im engsten Freundeskreis ein Todesopfer der Schweinegrippe, kennt aber auch im weitesten Bekanntenkreis niemanden, der einen Reader besitzt oder kaufen will.
- In meinem gesamten Bekanntenkreis (Vielleser, Branchenleute) kennt niemand irgendwen persönlich, der einen Reader besitzt. Eine Frau meinte, der Chef habe einen, weil dem die Firma XY einen zum Ausprobieren / Verführen geschenkt habe. Doch, im Zug würde er den benutzen, aber die meiste Zeit fahre er ja Auto.
- Wer bekennt, schon einmal ein Ebook gelesen zu haben oder lesen zu wollen, verwendete dafür Plattformen wie Gutenberg, die guten alten pdf-Dateien oder CD-ROMs. Auch Menschen, die sich wie ich häufig in internationalen Bibliotheken und Fachdatenbanken einloggen, um Bücher oder Zeitschriften abzurufen, tun das ausschließlich wegen Benutzer- und Augenfreundlichkeit am Computer und unterwegs am Laptop, weil man mit dem gleichzeitig arbeiten und Notizen machen kann.
- Drei völlig verrückte Leseratten legten sich für Weihnachten das Geld für den zu dieser Zeit teuersten Reader beiseite und kauften dafür Papierbücher.
- Ausgerechnet die Computer-Nerds, die ständig online sind und alle Neuheiten kennen, verweigern sich dem Ebook. Auch noch am Bildschirm lesen - bloß nicht. Man habe schließlich nur zwei Augen in diesem Leben.
- Ein paar lassen sich von den Apokalypsen ums gedruckte Buch derart beeindrucken, dass sie Stammkunden im Antiquariat geworden sind. Einer von denen glaubt sogar, jetzt mit bald aussterbender Ware zocken zu können. Zwei andere sammeln vorwiegend Bücher mit handschriftlichen Notizen und Widmungen, weil diese "Leben und Geschichte" atmeten.
- Auffallend ist neuerdings auch der Griff zu Notizbuchpreziosen. Neben den digitalen Planern und I-Phones fällt immer häufiger Opulentes oder Künstlerisches aus der Tasche. Das "ich brauch einfach mal wieder was Haptisches" lassen sich die Herrschaften etwas kosten.
Und was macht Madame, wenn - wie in Frankreich öfter mal - der Strom wegbleibt? Genau, lesen! Seit Orkan Lothar uns für zwei Wochen den Saft abdrehte, weiß ich genau, bei wie vielen Kerzen man bequem ein Buch lesen kann und inzwischen auch, wo die Gaslampe mit den Kartuschen steht. Was hat mich das Frieren ohne Heizung damals vergessen lassen? Gute Bücher. Bücher, die warm und weich in der Hand lagen, in einer von Bücherwänden gut isolierten Bibliothek.
Das war kürzlich unsere Diskussion: Wie abhängig sind wir eigentlich schon von den elektronischen Medien - so segensreich sie sind? Wie gingen wir mit einem neuerlichen Sturm dieser Art um? Eigentlich müssten auch nur zwei Kernkraftwerke in Frankreich ausfallen. Oder die Regierung dreht einem den Saft ab, wie jetzt gesetzlich verankert. Wie würden wir unser Leben organisieren, wie unsere Arbeit, wie unser Lesen? Ganz ehrlich: allein bei dem Gedanken wurde mir schon schlecht. Ich wäre arbeitsunfähig und müsste auf äußerst wertvolle Kommunikation verzichten (das Telefon braucht ja auch Strom). Allerdings nicht auf gute Bücher.
PS: Mir kommt es so vor, als hätte ich obige Umfrage schon einmal gebracht. Dies ist dann der Tatsache geschuldet, dass in diesem Blog die Putzfrau den Chefredakteur gibt und Gugl in den verstaubten digitalen Untiefen mal wieder nichts findet.
E-Books in der augenblicklichen Form sind sicher eine Sackgasse. Sie sind Phantasien der Hardwareindustrie. Die Phantasien der Verlege sind hingegen banal. Sie meinen die Druckdaten nochmals in elektronischer Form an den Endverbraucher zu verscherbeln genüge. Damit werden sie ebenso auf den Bauch fallen, wie mit ihren Versuchen Bücher als CDs ein zweites Mal zu vermarkten.
AntwortenLöschenDiese Goldeselei beim Medienwechsel nochmals den gesamten Bestand zu verhökern, gelang nur bei Musik und Film, beim Buch wird es dagegen schwer werden. Niemand wird sich ein Buch zum zweiten Mal kaufen, nur weil der Medienträger wechselte.
Für die Autoren schaut es indessen finster aus. Die Honorare werden mit den E-Books sinken, denn diese Produkte generieren keinen größeren Absatz, senken aber die Berechnungsgrundlage fürs Honorar.
Außerdem ohne kluges DRM werden die E-Books nur zum Stoff für die Schmarotzer, die meinen aus dem Internet wird am Ende auch noch Milch und Honig für umsonst und gar nix fließen.
Gruß
Matthias Mala
Was die reine Medienwechselei betrifft, bin ich ganz Ihrer Meinung. Ein Roman auf dem Reader bringt wirklich nur einer reisenden Minderheit etwas, die Gepäckkosten oder Kilos sparen will.
AntwortenLöschenIch glaube allerdings an das multimediale Ebook, wie es die Franzosen z.B. schon vormachen. Viele gedruckte Genres vor allem aus dem Ratgeberbereich werden tatsächlich überflüssig werden. Wer soll sich künftig noch einen herkömmlichen Reiseführer kaufen, wenn er elektronisch einen haben kann, der sämtliche Wechsel von Hotelbesitzern und Küchenverschlechterungen aktuell im Update verzeichnet?
Forscher experimentieren bereits mit Reiseführern per Handy, die nicht nur die Sprache flexibel wechseln und Videos einbinden, sondern auch noch per GPS mit den jeweiligen Orten verbunden sind. Sprich: Mein Buch liest mir künftig in meiner Muttersprache vor der Kirche alles Wissenswerte über diese vor, indem es mich ortet. Dementsprechend werden sich gedruckte Reisebücher vollkommen ändern müssen. Das fasziniert mich - und ich wäre die erste, die bei solchen Projekten mitmachen würde. Allerdings halte ich die DVD im Moment noch für das ausgereiftere multimediale Lesemedium...
Was die Autoren betrifft, muss ich povokant sagen: die sind auch selbst schuld, wenn sie zu allem Ja und Amen sagen. In meinen neueren Verträgen habe ich einen eigengestalteten Passus, wie ich die Sache mit den Ebooks gestaltet haben will und wie nicht. Ich weiß, dass große Publikumsverlage gern ihre eigenen Normverträge durchdrücken wollen, aber jeder Passus ist verhandelbar. Man kann das Nebenrecht der elektronischen Verwertung auch behalten. Neinsagen ist selbst in Ebookzeiten nicht verboten ;-)
Was DRM und Urheberrechte betrifft - da sollte so langsam mal an Lösungen gebastelt werden. Auf der anderen Seite betrifft mich das schon nur noch halb, denn wenn ich in Frankreich dreimal illegale Downloads gemacht habe, habe ich mal einen Internetzugang gehabt... Das, fürchte ich, wird die Zukunft sein.
Zukunft wird aber sicher auch sein, dass multimedial fähige Autoren und Fachautoren gesucht sein werden. Falls Verlage nicht bei der reinen digitalen Produktion einschlafen wie derzeit und Autoren nicht bei ihrer herkömmlichen Printarbeit, öffnen sich damit jede Menge neuer Arbeitsfelder und neuer literarischer Formen.
Nun ja, im wesentlichen geht es derzeit beim E-Book aber vorrangig noch um Hardware und weniger um die Form der Inhalte. Jedenfalls werden Inhalte derzeit mit dem goldenen Köder gesucht, wie dieser Artikel im BuchMarkt zeigt:
AntwortenLöschenhttp://www.buchmarkt.de/content/41175-rumbergs-randnotiz.htm
Servus
Matthias Mala