Klassentreffen
Als ich auf die Adressen schaue, bin ich, gelinde gesagt entsetzt. Ich hätte nach meinen Auslandsaufenthalten gar nicht allein sein müssen nach der Rückkehr, einfach nur dort klingeln, wo ich als Kind immer geklingelt habe. Oder im Dorf nebenan. Und im schlimmsten Fall in der nächstgrößeren Stadt. Offensichtlich war ich eine Rarität, dass ich mit neunzehn Jahren als allererstes möglichst weit weg von zuhause studieren wollte.
Und klar bin ich neugierig, als Rechercheuse sowieso - und wo es doch Internet gibt und wahrscheinlich eh alle seit Jahren bei Facebook warteten. Doch es ist seltsam - so viele von ihnen haben im Internet keinerlei Spuren hinterlassen. Virtuell unsichtbare Menschen; ich wusste gar nicht, dass es das noch gibt. Aber ich finde auch Spuren, die ich mit den Menschen von damals kaum in Deckung bringe. Am..zonlisten scheinen beliebt zu sein: eine sucht erotische Bücher und welche zum Abnehmen. Als Kind war sie ein richtig hübscher Putto. Den Namen einer ganz besonders braven finde ich auf sehr seltsamen Websites, das kann unmöglich diesselbe sein und würde man sich freiwillig unter echtem Namen...? Der Oberversager, dem die Lehrer den vollen Absturz weissagten, verkauft eine irre teure Luxusvilla.
Und ich? Ich bin die einzige aus der Liste, aus der "nix G'scheits" geworden ist und die noch nicht einmal mit den bürgerlichen Mindeststandards aufwarten kann. Und eigentlich hätte ich schon bald wieder Lust, nochmal zu emigrieren. Habe ich etwas falsch gemacht? Wie geht man mit so einem Klassentreffen um? Geht man hin, aus reiner Sensationslust? Oder hat man sich nach dreißig Jahren Pause wirklich wieder etwas zu sagen? Kann das, was einen in der Schule zusammenschweißte, so weit tragen?
Meine Freundin hatte unlängst auch ein Klassentreffen und die Leute noch länger nicht gesehen. Mir hat sie die Reise als Abenteuerurlaub beschrieben. Aber sie hatte das gleiche Problem wie ich: zu viel Ausland, zu viel ganz anderes Leben und nichts, aber auch gar nichts von dem zu bieten, worüber sich die anderen unterhielten.
Soll ich das Abenteuer wagen? Wer hat schon Klassentreffen nach sehr langen Pausen hinter sich und mag davon erzählen?
Ich LIEBE Klassentreffen (leider organisiert bei unseren Klassen kaum je einer eine ... öhm ... ich auch nicht, obowhl ich zugesagt habe .... na ja, anderes Thema ...)
AntwortenLöschenDie wenigen, die wir hatten, waren wirklich gut und gelungen. Ganz einfache. Nur zusammensitzen und was essen und plaudern, plaudern, plaudern. Kein grosses Programm, keine Musik, einfach nur wir.
So, und jetzt fasse ich gleich den verspäteten Neujahrsvorsatz, für 2010 eine Zusammenkunft zu organisieren. Gemeinsam mit dem ehemals Klassenwildesten, der heute ganz brav - und sehr liebenswert - ist :-)
Geh hin. Sei offen. Auch für die, die ihr Leben lang zuhause geblieben sind. Das macht sie noch lange nicht zu Langeweilern. Ich wünsche viel Spass.
Alice
Die zahleichen Buhrufe sind ja ganz gut und schön, aber was wollen sie mir sagen? Es kann sich in den fiktionalisierten Geschichten wohl kaum jemand wiedererkannt haben...
AntwortenLöschen@Alice
AntwortenLöschenNicht, dass ich nicht offen wäre, ich bin lausig schüchtern, wenn ich als einzig Fremde in Gruppen muss, die sich kennen ;-)
Liebe Petra von Cronenburg,
AntwortenLöschensoeben habe ich Ihren/Deinen Beitrag zum Klassentreffen intensiv mitgelesen:
Klassentreffen sind ein spannendes Thema!
Nun, ich spürte während des Lesens, wie sich meine Gesichtsmuskeln anspannten. Zum Glück las ich dann am Schluss noch Ihre/Deine beiden Kommentare. Und da veränderte sich etwas, ich wurde innerlich ganz weich: Ich erfuhr nämlich von Ihrer/Deiner Schüchternheit in kompakt erscheinenden Gruppen. Das hätte ich beim Lesen des Beitrags nämlich nicht vermutet. Da sah ich die weltoffene, selbstbewusste, seit langer Zeit im Ausland lebende und druckreif schreibende PvC vor Augen. Und irgendwie beschlich mich dabei das ungute Gefühl: Sie schaut leicht amüsiert auf die immer noch oder wieder im selben Dorf Wohnenden herab...
Alice Gabathuler hat es richtig und treffend geschrieben, das sind auch meine Erfahrungen mit Klassentreffen nach vielen Jahren.
Mit den einen fällt der Kontakt leicht. Man kommt sofort in ein Gespräch. Und staunt über Lebenswege und -entwürfe, die man hinter den ehemaligen Gespänlein nicht vermutet hätte. Und dann gibt es andere, da findet man keinen gemeinsamen Nenner und hat das Heu nicht auf der gleichen Bühne. So wie im beruflichen und privaten Alltag auch.
Spannend ist so ein Treffen allemal - ich wünsche Ihnen/Dir
einen gelungenen Abend :)
Herzlich grüsst aus der Schweiz
Hausfrau Hanna
Danke für den wunderbar offenen Beitrag, Hausfrau Hanna!
AntwortenLöschenTja, das ist immer so das Problem mit der Öffentlichkeit (wie z.B. im Internet) - der Mensch dahinter ist dann manchmal doch noch ein ganz anderer. Allzusehr mag ich mein Privatleben auch nicht zum Marktplatz tragen.
Aber ich gebe zu, das ist auch nicht eindeutig formuliert gewesen (Worte sind ja immer so deutbar), weil ich so oft Dinge, die ich denke, vergesse, auch aufzuschreiben...
Dass die meisten immer noch in der gleichen Region leben, sollte heißen: die kennen sich also alle bestens, ohne Unterbrechungen, sind ja Nachbarn, haben wahrscheinlich über all die Jahre Kontakt - und ich kleiner Depp hätte nach meiner Rückkehr eigentlich so leicht fündig werden können. Stattdessen bin ich 30 Jahre "draußen".
Übrigens ist das Ausland auch nur ein Dorf. Irgendwann stolpert man ständig über komische Expats. ;-)
Ich denke, es fühlt sich schon anders an, wenn man wie ihr beiden öfter mal ein Treffen hatte - oder wenn es nach so langer Zeit das erste überhaupt ist...
Na, mal sehen.
Und ich grüß dann mal herzlich zwifach in die Schweiz!
Hallo Petra,
AntwortenLöschenKlassentreffen sind eine Variante der sichtbar gewordenen Vergessens: Die meisten Mitschüler haben mich damals genauso wenig interessiert wie ich sie, um es ganz ehrlich zu sagen. Das ist durch die Zeit und den noch weiter gewachsenen Abstand nicht besser geworden. Ich habe ihre Namen genauso vergessen wie sie meinen.
Im Prinzip ist es sogar erschreckend, wie Menschen, die sich einmal so nahe waren, so fremd werden konnten- alte Schulfreunde, alte Schulliebe usw..
Schultreffen feiern eine Vergangenheit, als alles möglich war- nur, dass die meisten dort genau das nicht versucht haben. Es wird nur erinnert, nur verglichen, mit alten Maßstäben Leben vermessen... Interessant finde ich das nicht. Die Vergangenheit ist vergangen, und es gibt nur wenig, was wert wäre wieder aufgeweckt zu werden.
Gruss
Thomas
Hallo Thomas,
AntwortenLöschenschön, dass es dich auch noch gibt! (Ich bin immer wieder freudig überrascht, wer hier alles so mitliest).
Ich glaube, in deinem Beitrag finde ich Spuren zu meinen "Bedenken" oder wie ich das nennen soll. Ich habe ja vor nicht allzu langer Zeit solche "ehemaligen" Kontakte wiederbelebt, aber einzeln und in gegenseitigem Wissen: Es kann sein, wir sehen uns und haben uns nichts mehr zu sagen (das Gegenteil war der Fall). Und trotz des sofort wieder aufgenommenen roten Fadens ist das Beziehungsarbeit, weil man zwei fremde Planeten in Umlaufbahn bringen muss.
Und genau das kann ich mir in einer Gruppe nicht vorstellen (ich vernachlässige ja schon durch meine Berufe nahe Freunde zu sehr).
Aber ich glaube, ich ahne jetzt, warum sich mir das Fell so sträubt. Ich sehe mich da selbst in einem längst angestaubten Spiegel. Vielleicht habe ich mehr Bedenken vor dieser Konfrontation mit meine alten, völlig überholten Bild als mit der vor anderen. Denn irgendwann habe ich mit meiner eigenen frühen Vergangenheit abgeschlossen, habe mich tatsächlich sehr fortentwickelt. Mir das alles noch einmal anzuschauen, hat den Reiz eines uralten Fotoalbums. Vielleicht bin ich für das "weißt du noch" aber auch noch nicht alt genug, ich weiß es nicht...
Ich stehe gerade in einem Lebensabschnitt, wo ich wahrnehme, wie viel Zeit ich verplempert habe und wie endlich die Zeit ist, die mir noch bleibt. Ich möchte gerade mit vollem Karacho vorwärtsstürmen, so vieles verändern, neu ausprobieren, versuchen. Die ich einmal war, mag ich, aber das ist vorbei. Wert war es alles, aber jetzt ist Neues gefragt. Ich fühle mich wie eine Schlange, die sich schon mehrmals gehäutet hat und nun die alte erste Haut anschauen soll.
Sichtbar gewordenes Vergessen, schreibst du. Ja, ich habe das Gefühl, ich bräuchte dann plötzlich einen Rucksack voller Fotoecken, ein Poesiealbum und den dämlichen Ponyhaarschnitt von damals.
Vielleicht will ich einfach nur mich selbst nicht mehr sehen? ;-)
Zu viele andere Erfahrungen.....ich denke, das ist der Punkt, der Begegnungen mit Menschen aus der Vergangenheit oft so schwierig macht. Ich bin mehrmals umgezogen, nicht ins Ausland, aber innerhalb von Deutschland, ich habe thematisch mein berufliches Umfeld gewechselt. Wenige können mit den neuen Erfahrungen (oder auch mit den alten...) etwas anfangen und sind neugierig genug, nachzufragen und zuzuhören. Irgendwie gehört man damit oft nirgends so richtig dazu.
AntwortenLöschenGanz allgemein gesprochen: gehen und Neues suchen ist allein noch kein Vedienst. Aber bleiben und bewahren auch nicht. Zusammen wird ein Paar Schuhe draus!
Warum kommt mir jetzt bloß das Bild eines auseinandergelebten Paares in den Sinn? ;-)
AntwortenLöschen:-))))
AntwortenLöschenPetra,
mir (inkl. Gatte) geht es gut - sogar zusammen!
Euch hab ich damit auch nicht gemeint, Sabine!
AntwortenLöschenIch hatte da nur plötzlich alle möglichen komischen Geschichten vor Augen ;-)
Liebe Petra,
AntwortenLöschenich will hier mal die positive Seite eines Klassentreffens darstellen. Ich hatte eins, vorletztes Jahr. Ich bin mit gemischten Gefühlen hingegangen, aber dann war es einfach nur schön. Jeder blickte auf einige Jährchen gelebtes Leben zurück und jeder wusste, hatte es am eigenen Leib erlebt, dass so ein Leben nicht immer gradlinig verläuft. Wir sind uns alle mit viel Respekt, achtsam begegnet, auch die, die sich früher nicht viel zu sagen hatten. Und die lange Jahr gekappten Verbindungen sind wieder aufgelebt, zwar lose, aber trotzdem dauerhaft.
Für mich war das ein sehr nachdrückliches Erlebnis. U
Liebe Grüße
die mitlesende Luise
Oh im Gegenteil, liebe Kollegin - Du hast sehr viel erreicht. Außergewöhnliches! Gratulation und ... Chapeau!
AntwortenLöschenDas kann doch nur eine Kollegin so positiv sehen, danke Anni! Das mit dem "Erreichen" ist immer so eine Sache, "G'scheits" im bürgerlichen Sinne sieht anders aus ;-)
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