Auflagenzahlen steigern - leichtgemacht
Oh ja, ich darf maßlos übertreiben! Ich habe nämlich seit einiger Zeit heimlich, still und leise den ultimativen, bösartigen Selbstversuch laufen, wie das so aussieht mit meinem Blog und dem vielgepriesenen Massengeschmack. Angenommen, ich müsste tatsächlich mit Texten Geld verdienen (hämisches Autorengelächter aus drei Textjobs), könnte ich dann in der heutigen auflagengeilen Zeit noch mithalten? Würde ich mehr als nur einen gelangweilten Kollegen hinterm Ofen hervorlocken? Wüsste ich noch, wie man Leserinnen gierig macht und Leser von den Börsennachrichten abhält?
Meine Erhebung, mal wieder nicht repräsentativ (wie immer bei nichtrepräsentativen Leuten), war ganz einfach in der Vorbereitung. Kann jeder nachmachen. Zuerst schrieb ich in breiter Mischung eiskalt auf, was mich selbst interessierte. Nach dem Motto: Wo ein Schreiber, da auch ein Leser. Dann streute ich dazwischen Themen auf Flimmerkistenniveau - und Themen für Leute, die meilenweit, tieffliegertief, an der Twitterelite vorbeischrammen, weil sie so komische Vorlieben haben. Und weil ich nebenbei auch eine gemeine PR-Frau bin, streute ich die Verbreitung jener Artikel in den vielgepriesenen Social Media, wobei ich mich auf Twitter und Verlinkungen beschränkte, weil ich Facebook immer noch für beschränkt halte. Man hat ja schließlich auch noch was zu arbeiten.
Jetzt würde ich zu gern Wetten abschließen lassen, welche der Artikel auf dieser Seite die beliebtesten waren. Hand aufs Herz! Viel lieber aber würde ich fragen: Was passiert, wenn ich in Zukunft nur noch diese Lieblingsthemen der Masse da draußen anbiete? Wenn ich also eine von diesen Toptypen-Elite-Eitlen werden wollte, denen die Fans nur so auf den (Sch)Leim gingen? Was bliebe von meinen Texten? Was bliebe von mir?
Ich will es kurz machen. Weit abgeschlagen auf dem ersten Platz steht der heutige Tag. So viele Leser hatte dieser Blog noch nie an einem Tag. Könnte man das auf ein Jahr hochrechnen (kann man natürlich nicht) und auf ein Buch umlegen, würde ich in einem Jahr 60.225 Exemplare eines einzigen Buchs verkaufen. Davon kann ich nur träumen - und es tröstet mich, dass man Statistiken so nicht vergewaltigen darf (ich müsste erst alle Stammleser abziehen). Aber selbst bei einem Bruchteil schlage ich womöglich schneller und leichter Billigsttexte unters Volk als Verlegtes. Billigst bedeutet: beim Kaffeetrinken in die Tasten gekippt. Ich darf das gar nicht in letzter Konsequenz weiterdenken. Ich würde ja sofort alles Arbeiten einstellen und kaffeesüchtig werden!
Ich weiß allerdings absolut nicht, was die Leute gelesen haben - denn der Beitrag von heute war es garantiert nicht! So viel von wegen Tagesaktualität bei Blogs und Internetgeschwindigkeit.
Das Rennen machen ganz eindeutig die Nerds und Computerfreaks vor den Damen mit Faltenwurf und Dekolleté. Erstere wissen nämlich auch, wie man fleißig verlinkt und vertwittert, empfiehlt und weitergibt. Und so wird aus einer kleinen Schneeflocke eine zweite, eine dritte, irgendwann ein kleiner Schneeball. Wenn man viel Zeit hätte und Ideen, diesen noch an viele andere Orte zu rollen, könnte man wahrscheinlich irgendwann ein kleines Schneemännchen bauen.
Und schon haben wir die erste Anomalität: die starken Frauen aus dem Mittelalter sind weniger gefragt als Bits & Bytes. Liebe Kolleginnen der betreffenden Sparte - baut in euren nächsten Roman unbedingt einen mittelalterlichen Rechenmaschinenfreak als Herzensprinzen ein, wenn ihr keinen Trend verpassen wollt!
Aber mal wieder typisch: Die Nerds interessieren sich gar nicht für das, was in den Büchern drin ist, sondern dafür, woraus sie gemacht werden. Und sie lassen sich durch nichtrepräsentative Umfragen ködern (weswegen ich hier eine nachschiebe, ich will ja berühmt werden)!
Platz 1: Digitale Analphabeten (Ebooks)
Platz 2: Stimmen hören (Hörbücher)
Diese Veräußerlichung von Buchstaben in unterschiedlichen Trägermedien ist als Studie downloadbar unter dem Titel "Wenn digitale Analphabeten Stimmen hören" (in unserem Institut für 2658,55 Euro, Link per Briefpost). Die Studie empfiehlt sich vor allem für Buchbinder, Heringsverkäufer, Kulturmanager und Hardwarepfriemler.
Und jetzt habe ich geschummelt. "Kotschergin in Berlin" stand auf dem zweiten Platz. Ich wusste ja, dass Regionalkrimis laufen, aber dass Berlin so hip ist ... Ich lasse den Beitrag trotzdem außer Konkurrenz laufen, denn da haben einige Berliner und Berlinbesucher wohl heftig am Rädchen gedreht. Würde ich jetzt meiner eigenen Statistik auf den Leim gehen, hieße das in letzter Konsequenz, ein Blog für Ebooks und Russen in Berlin betreiben zu müssen.
Und dann kamen natürlich (weit abgeschlagen, ermüdet da ein Trend?) die historischen Romane mit "Nie wieder!" und mit ihnen Leute, die sonst nie in meinem Blog lesen und nach der Lektüre sicher "Nie wieder!" gebrüllt haben. Wäre ich jetzt Elitegroßprotzdingensmanager, würde ich die zusätzliche, noch nicht von mir befriedigte Zielgruppe abgreifen und mit Nerds und Berlinern und Russen zu verkuppeln versuchen. So ein Manager hat's nicht leicht und zum Glück habe ich keinen Verlag, in dem ich die alle unter einen Hut bringen muss.
Und sonst? Rezensionen, Verlagsportrait, Filmtipp, läuft alles ganz nett - kommt aber alles nicht an die Analphabeten ran. Steht in keinem Verhältnis zu aufgewendeten Arbeit. Könnte man, wenn man denn Zahlenfreak wäre, als reine Selbstbefriedigung betrachten.
Ganz abgeschlagen, am hinteren Ende der Fahnenstange, hängt die Autorin selbst. Was ich über meine eigene Arbeit schreibe, interessiert, gelinde gesagt, kein Schwein. Mit dem, was mich wirklich interessiert, ist kein Staat zu machen. So wird aus mir nie etwas. Vor allem das Gelaber um Sprache, Übersetzen und Buchprojekte sollte ich in Zukunft lassen. Wenn da von Twitter trotz knalliger Schlagzeile zehn Hanseln vorbeischauen, ist das schon gigantisch. Zum Glück kommen noch ein paar Steampunks mit dem Dampfschiff vorbei, sonst könnte ich zumachen.
Und da sind wir beim schlauen Vernetzen: Twitterer reagieren nicht auf Sachthemen oder zivilisierte Aussagen. Man kann den gleichen Link unter drei Titelmethoden ins Volk streuen, es gewinnt grundsätzlich die herausfordernd dämlichste, knallschrillbunte Schlagzeile mit Trendschlagworten. Man versuche also, die BLÖD-Zeitung zu übertrumpfen, dann wird am meisten geklickt. Auch Geheimnis, Vieldeutigkeit und Kalauer kommen gut.
Tja, liebe Leserinnen und Leser, wenn ich jetzt so auflagenzahlengierig wäre, wie sich das heutzutage gehört, dann gäbe es in diesem Blog künftig nur noch nichtrepräsentative Erhebungen zu computeraffinen Trendschlagwörtern, aufgelockert mit Ausgehtipps für Berlin und jede Menge Promigetratsche über Schauspieler, Urmel aus dem Eis und dolle Sprecher. Und statt Text bauen wir öfter mal ein #ebook #hörbücher #famous_actors ein, das reicht bei den Lesegewohnheiten und dann machen wir noch 'ne iphone-app draus und...
Was?
Wie bitte?
Ich höre keinen Protest?
Die "Anomalität" korrigiere ich jetzt nicht heraus, die ist zu schön...
AntwortenLöschenthe author herself
Petra,
AntwortenLöschenwas Du über Deine Arbeit schreibst, interessiert wenigstens EIN Schwein: mich!
Ok, ich geb es zu: nicht wirklich groß, die Zielgruppe..... :-(
1+1=2 -
AntwortenLöschenIch gehöre auch dazu!
Aber das mit dem Schwein habe ich auch schon manchmal gedacht ...
Christa
Drei Schweinlein inklusive Autorin - plus eins bei Twitter, ich glaube, wir brauchen noch drei, um gemeinnützig werden zu können ;-)
AntwortenLöschenUnd wenn ich jetzt wieder statistisch denke: Ausschließlich Frauen! Ich sollte Frauenromane schreiben? (Liebe,liebe Frauen, in meinem neuesten Machwerk kommen fast NUR Männer vor, Coco Chanel und Sonia Delaunay huschen nur ganz kurz durchs Bild!)
Frauen sind wir selber, Petra, her mit den Kerlen!
AntwortenLöschenDarf ich dich bei Bedarf zitieren, liebe Sabine? ;-)
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