Die Kehrseite

Ich denke gerade darüber nach, ob ich mit meinem märchenhaften "Making of" nicht unsinnige Illusionen wecke. Wer will schließlich nicht auch solche Märchen erleben, also werde ich Schriftsteller! Um einige vor allzu rosigen Träumen zu bewahren, bin ich nun so böse und präsentiere die Kehrseite, die schnöde Realität.

Was ich bisher beschrieben habe, ist der Rauschzustand der kreativen Schöpfung (den Künstler jeder Art kennen). Und Künstler wissen auch, dass dieser Rausch ganz schnell erlöschen kann, etwa, wenn die Idee nicht trägt. Trotzdem müssen wir brennen können, oder wie man im Französischen so schön sagt: "je suis mordue" - ich bin gebissen - von dieser Idee. Ich mag das französische Bild besonders, weil es die notwendige Steigerung zeigt. Erst, wenn sich Schöpfer und Idee richtig ineinander verbissen haben, besteht die Hoffnung, dass diese Beziehung auch hält. Sie muss halten, muss einem die Kraft geben, mindestens ein Jahr des Lebens darauf zu verwenden - auch in schlechten Zeiten, in Kämpfen mit der Idee und in Kämpfen mit dem Außen. Schließlich handelt es sich um mehr als nur eine Liebesbeziehung, es ist eine Beziehung aufs Leben.

Ein besseres Wort finde ich dafür nicht. Ehepartner und Liebhaberinnen kann man immerhin die Nase vor der Tür zuschlagen, die kann man aussperren, davonjagen. Mit Buchfiguren geht das nicht. Man ist ihnen vierundzwanzig Stunden am Tag auf Gedeih und Verderb in der Enge des eigenen Hirns ausgeliefert. Manchmal entkommt man ihnen nicht einmal, wenn man sie abschaffen will, umbringt oder das Manuskript gegen die nächste Wand knallt. Sie setzen sich morgens an den Frühstückstisch und bevölkern manchmal sogar noch die Träume. An manchen Tagen will man sie nicht mehr loslassen und bedauert den Zustand, dass es keine Zeitmaschinen gibt - an anderen Tagen wird man aufmüpfig, weil man die Nase voll hat, sich langsam anders zu kleiden, womöglich andere Dinge zu essen oder sonstwie figurenkonform und auffällig zu verhalten.

Ich habe mir zwei sehr komplizierte und furchtbar anstrengende Herren ausgesucht (oder haben nicht umgekehrt sie mich ausgesucht?). Und insgeheim lange ich mir schon an die Stirn, warum ich mir das antue. Als ich entdeckte, dass mich der eine schon 1989 nachhaltig packte, zu einem Zeitpunkt, an dem ich jeden ausgelacht hätte, der mir gesagt hätte, ich würde eines Tages Bücher schreiben - als ich entdeckte, wie nachhaltig dieser Mensch schon damals in mein Leben eingegriffen hatte, da kam mir der Gedanke, Schreiben könne auch Exorzismus sein. Aber ich willl ihn ja gar nicht losbekommen. Nur austesten, ob ich die beiden wirklich aushalte. Aber Angst habe ich natürlich auch.

Wenn ich zuversichtlich bin, die beiden Herren in mein Leben aufzunehmen, beginnt die schnöde Arbeit. Zuerst einmal Recherche. Diesmal nicht ganz einfach, weil da selbst das ach so allwissende Internet versagt. Immerhin kann man sich dort weltweit schräge Bücher zusammensuchen. Für die muss allerdings ein Budget gefunden werden, Recherchematerial zahlt einem keiner. Wenn ich Pech habe, gibt es einiges nur auf Russisch, dann heißt es wieder organisieren... Und wenn ich noch größeres Pech habe, stürzt nach der ersten Investition von Geld und Arbeit alles wie ein Kartenhaus zusammen. Nämlich dann, wenn die Recherchen ergeben, dass es kein Fleisch gibt für das Buch, dass einer der beiden vielleicht nicht zugänglich wäre. Oder dass das schöne Hirngespinst einfach nicht trägt. Oder - auch das kann passieren - man hält plötzlich die eigene Idee in Händen, geschrieben von einem genialen Kollegen.

Trägt sie dann doch, muss man für die Idee eine adäquate Form finden, einen eigenen stimmigen Ton. Jede Geschichte, jede Figur hat ihren Ton. Ein winziges Thema verändert sich grundlegend, ob es für eine große Symphonie oder eine Klavieretude ausgearbeitet wird. In meinem Fall ist es ganz einfach: Ein Sachbuch funktioniert nicht und ein Roman funktioniert nicht. Also bin ich völlig frei, genau hinzuhören. Inhalt, Leben und Figuren werden mir zeigen, wie ich zu komponieren habe. Aber dafür muss ich unzählige Skizzen anlegen, Blätter zerreißen, Nuancen verändern, immer wieder von Neuem anfangen. Und diesmal wird es besonders herausfordernd: Vorbilder gibt es nicht, etablierte Formen auch nicht. Wird die Idee wirklich so stark sein, in eine eigene Form hineinzuwachsen?

Irgendwann werde ich erste Texte haben. Dann kommt die Bewährungsprobe. Denn ich habe von Anfang an einen Klang im Ohr, ich "weiß", wie das klingen sollte, das diesen beiden Figuren entspräche. Werde aber ausgerechnet ich meinen Figuren genügen? Was, wenn ich an diesem Klang nur um ein winziges Hertz knapp vorbeischramme? Dann heißt es wieder arbeiten, experimentieren, neu schreiben, wegwerfen...

Nur eines ist diesmal einfacher, bei diesem speziellen Projekt. Es fehlt mir nämlich die sonst bohrendste Frage: Wird das wer veröffentlichen? Und wer könnte das veröffentlichen? Über Fragen, was ich womöglich tun müsste, damit es dort und dort hineinpasst oder veröffentlicht wird, kann ich diesmal nur schallend lachen. Es ist mir sowas von egal. Weil mir das keiner außer meinen Figuren sagen kann, was ich zu tun und zu lassen habe. Und gerade weil es in allem, wirklich allem gegen die üblichen Gewohnheiten und Trends und angeblichen "man tut" spricht, klingt es so vielversprechend. Genau deshalb. Meine Figuren werden ihren Weg machen, wenn ich gut genug bin.

Aber wie gesagt: Ich schreibe mir jetzt nur den Rausch groß, damit ich nachher auch durchhalte, wenn die Finger bluten. Oder wenn ich wie oft bei größeren Projekten am Abgrund stehe und blind hineinspringen muss, weil sich eine Figur mal wieder völlig verheddert hat. So eine Beziehung aufs Leben hat auch etwas von einer Beziehung zum Tod: Jederzeit ist man sich der Zerbrechlichkeit bewusst, in jedem Augenblick kann alles absterben, wenn man nicht im rechten Moment wieder alles zum klingen bringt.

Natürlich belügt man sich bei so einem Projekt auch selbst und das ist das Gnadenlose: man schaut sich dabei ins Gesicht. So wie ich mir das Zaudern und die Vorsicht vorrede, habe ich ja längst den ersten Text entworfen, habe ihn längst mindestens fünfmal bearbeitet. Er fühlt sich so an, als müsse er nur noch zwanzigmal überarbeitet werden, klingt also für einen experimentellen Anfang ganz nett... Und wenn alles schief geht, habe ich wieder etwas gelernt. Aber bisher ging nichts schief, was mich gebissen hatte, im Gegenteil, die mit den Beißerchen sind die besten.

1 Kommentar:

  1. too late, es hat Sie voll erwischt.
    Passion pure! Russische Winter im schnee bedeckten Elsass.

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