Parellelwelterfahrung

Eben war ich in der verkehrten Welt. Der Artikel in der NZZ las sich aber auch zu schön und wahr, zumal der Titel versprach: "Ein Talent setzt sich durch." Das reden wir, die wir uns talentiert glauben, ja mindestens dreimal täglich selbst ein. Was ich las, kam mir bekannt vor, das hatte ich so oder so ähnlich schon von vielen Kolleginnen und Kollegen gehört.

Da kommt für viele Jungautoren die Zeit des "irgendwie Helfens", beim Fernsehen nannte man das damals "über die Couch rutschen", aber das soll ja heute schon lange nicht mehr funktionieren, im Verlagsgeschäft sowieso nicht, weil die Programme der Verlage streng begrenzt sind, Planwirtschaft oft über zwei Jahre hinaus und kein Durchkommen. Dann dieser Wettbewerbsbetrieb, für den man den richtigen Wohnort, das richtige Alter und ein veröffentlichtes Buch oder besser doch keins und garantiert die richtige Farbe und Form und eine Gesinnung vielleicht auch gleich dazu... ach, wenn man da einen menschlichen Schuhlöffel hätte - einen, der den jungen vielversprechenden Autor ins Gartenhäuschen winkt und jovial sagt: "Mal sehen, was wir da tun können!"

Stattdessen bleibt uns nur der Brotjob, Wohnungslesungen und Eigenverlag sowieso. Die NZZ empfiehlt als Broterwerb "Heizer oder Wachmann". Mal was ganz anderes, warum nicht? Und wer kennt diese dann arrivierten Schriftsteller nicht: Hauen sich mit Fusel die Rübe voll und sobald sie für den Schriftstellerverband auftreten, kleiden sie sich in schwarze Einheitskluft, schwarzer Rolli, schwarze unförmige Cordhose. Und machen einen auf Weißwein und Prosecco, um zu zeigen, auf welcher Stufe der Trittleiter sie stehen.

Wer kennt sie nicht, die Ermahnungen, man müsse "einfacher und zugänglicher schreiben", mehr ans Publikum denken - und manche sagen einem dann auch explizit, was das Publikum zu wünschen hat: Starke Frauen, hochgerüstet, die das System umstürzen wollen, um erfolgreicher die Ehefrau und Mutter und mittelalterliche Breiköchin zu leben; blutrünstige wahnsinnige Serienmörder, die das System zum Leuchten bringen mit einem ebenso knallroten Untergang ihrer selbst; heitere, systemumschmalzende Lektüre für die leichte Muse und was es da noch alles gibt...

Endlich sagt das alles mal jemand laut, wollte ich dem NZZ-Autor zurufen. Endlich schaut einmal jemand ganz tief in diesen Betrieb hinein. Und dann merkte ich, dass etwas nicht stimmte.
Wodka statt Prosecco.
Ich war im falschen Land.
Und doch wieder auch nicht.

Und empfehle deshalb als vergnügliche Parallelweltlektüre Oleg Jurjew: Ein richtiger Schriftsteller oder Ein Talent setzt sich durch in der NZZ.

4 Kommentare:

  1. Oleg Jurjew11/1/10 13:41

    Vielen Dank! Habe mit großem Vergnügen gelesen, wie Sie meinen Text "parallelisierten".

    Herzlich
    Oleg Jurjew

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  2. So eine Überraschung! (Manchmal wird mir das Internet richtig unheimlich...)
    Eigentlich war es ja respektlos, die Überflussgesellschaft mit jener zu "parallelisieren" - aber Ihr Artikel war einfach zu vergnüglich und hat mir nun Buchlust gemacht.
    Herzliche Grüße,
    Petra van Cronenburg

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  3. Oleg Jurjew11/1/10 16:15

    Das war überhaupt nicht respektlos, sondern inhaltlich sehr richtig und wichtig.

    Normalerweise versuche ich immer, solche Parallelen selbst zu verdeutlichen, um zu zeigen, dass die sowjetische Gesellschaft eine Variante der gesamteuropäischen Entwicklung war, und damit die Versuche zu untebinden, alles als Exotikum, als eine Eigenschaft "dieser Russen" abzutun, wozu man im Westen außerordentlich geneigt ist.

    Ich glaube, diese Parallelen sind für den westlichen Leser wichtig, um die sowjetischen und russischen Realien jenseits der zahlreichen Propaganda- und Kulturklischees wahrzunehmen, und gleichzeitig um einen tieferen, strukturellen Einblick in die eigene Situation zu bekommen.

    Im Falle dieses Textes, der mehr eine kleine Erzählung ist als ein Zeitungsartikel, haben Sie diesen Job für mich gemacht. Dafür danke ich Ihnen.

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  4. Merci! Ich denke aber, die Parallele kam aus Ihrem Beitrag schon sehr deutlich heraus, sonst wäre ich ja nicht so leicht darauf angesprungen.

    Ich glaube, das Schlimme ist, das wir viel zu wenig übereinander und die Kulturdurchdringungen wissen - und vor allem fragen. Als lebendiges "Theater" erlebe ich das oft im nahen Baden-Baden, wo einem die Grotesken auf der Straße begegnen: einerseits Kniefälle vor einem romantisierten, gezähmten Turgenjew, andererseits das Besserwissen über DIE Russen, die man aber gern als - eben exotisches - Aushängeschild nutzt.

    Ich beschäftige mich gerade als Übersetzerin mit der Avantgarde und ansonsten mit dem Silbernen Zeitalter und eben dieser - und staune, obwohl ich im Stoff einigermaßen "drin" bin, wie viel ich umlernen und umdenken muss. Wie oft ich auch auf falsche Bilder hereinfalle.
    Wie armselig unsere ganze Kunst und Kultur geblieben wäre, wenn sie sich, wie das heute oft geschieht, im Sicherheitswahn in sich selbst verschlossen hätte.

    Da gibt es viel zu tun, also schreiben Sie bitte noch ganz viel!

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