Hirn sortieren

Im Moment beneide ich wieder einmal Menschen, die einen (einzigen) "ordentlichen" Beruf gelernt haben, den sie womöglich auch noch außer Haus ausüben. Wie schön, umschalten und abschalten zu können. Ich selbst habe im Moment nämlich leicht den Überblick verloren, wie viele Schreibberufe ich derzeit ausübe und wann am besten. Aber so langsam bildet sich ein Rhythmus heraus, der mit dem Terminkalender Schritt hält.

Morgens schreibe ich mich im Internet warm und trinke genüsslich Kaffee. Nebenher wird Unliebsames, aber Notwendiges erledigt, Buchhaltung, Post, Rechnungen bezahlen... Dann ist eiserne Disziplin angesagt: Buch übersetzen. Schnell habe ich bemerkt, dass man Disziplin auch übertreiben kann, denn nach sechs Seiten Rohübersetzung setzt derzeit noch das Hirn aus. Würde mich in solch einem Moment jemand ansprechen, würde ich wahrscheinlich in wildem Europlais antworten. Also wieder eine Pause. Das wird nach dem Vorwort besser werden, zehn Seiten sind mein Ziel.

Die beste Zäsur fürs Freiwerden des Kopfes ist die tägliche Stunde mit dem Hund durch den Wald, und je nach Lust, Denksportaufgaben und Wetter werden daraus auch mal mehr als zwei Stunden. Habe ich Kurztexte zusätzlich zu übersetzen, müssen die weit in den Abend geschoben werden, in Sicherheitsabstand von der stilistischen Arbeit an der Buchübersetzung. Aber da sind auch Texte zu schreiben... Es ist zu recherchieren. Neuerdings wird das nach Aufgabengebieten fein in stundenweise Blöcke eingeteilt. Bei der Europaarbeit kann man manchmal sogar nebenher Musik hören.

Überhaupt ist das erstaunlich, wie unterschiedlich einen eine Seite Text je nach Art und Inhalt beanspruchen kann. Ich lerne jetzt erst, was für eine ungeheure Anstrengung hinter meinen für ein gedrucktes Buch lächerlichen 80 Seiten Hörbuch stecken. Und finde es lustig, wie ich mich heute bei Texten langweile, die ich vor zwanzig Jahren noch anspruchsvoll fand. Zum Glück gibt es diesen Mix!

Ach - und dann wollte ich noch X mit Y vernetzen und bei der Veranstaltung von Z das Projekt einer möglichen Zukunft mit Möglichkeiten zwischen U und V kreuzen, damit sich A und B befruchten. Zeit für wilde Kritzeleien im papierenen Terminplaner, denn digital hält mein Chaos kein Programm aus. Zum Glück hat sich U noch nicht gemeldet, sonst müsste ich jetzt schnell noch einen Artikel schreiben. Demnächst sollte ich ein Buch querlesen und eigentlich längst die verlängerten Bettlektüren in die Bücherei zurückbringen. Mir ist der Lesestoff ausgegangen. Zum Glück ist Buchmesse, alle Verleger beschäftigt, das gibt mehr Zeit. Irgendwann sollte ich ein wenig Isolierarbeiten vornehmen, es ist kalt geworden und irgendwo pfeift es durch.

Im Handstand dann noch etwas Eigenwerbung in die Welt gestreut und eine Strategie der Nichtstrategie entworfen. Und war da nicht gerade eine Idee? Flüchtig grüßte sie und ich weiß nicht, zu welcher Arbeit sie sich genau melden wollte. Zum Glück ist mein Hund ein echter Franzose und toleriert es, wenn ich neuerdings besonders schräge Redewendungen vor mich hinplappere, fasziniert vom Lernen.

Gestern dann beim Kochen ist mir etwas ganz Komisches passiert: Mir fiel auf, dass ich schon seit mindestens zwei Wochen an keinem Buch mehr schreibe. Ist es gesund, wenn ich das nicht einmal merke? Im Moment wüsste ich aber auch nicht, wie ich noch eine Art des Textens unterbrächte. Noch ist das Übersetzen zu frisch, ich muss für den französischen Autor einen eigenen Stil, einen Sprachatem entwickeln und habe Angst, dass das auf meinen eigenen abfärbt. Denn seine Art, Französisch zu schreiben, liegt mir sehr nah. Vom Nijinsky habe ich allerdings ein Ausruhen verdient, jemand fiel aus allen Wolken, als er hörte, in welcher Zeit ich das recherchiert und geschrieben habe. Solche Bücher produziert man nicht in Fließbandarbeit.

Und der Roman? Seit er keine Chance auf ein Stipendium hat, flattert er vogelfrei herum und verlockt mich, jetzt ganz schräg mit der Idee zu spielen. Ich schreibe gerade kein Buch, aber spiele und spinne in jeder freien Minute daran herum. Vielleicht hätte ich einfach besser Hühner züchten sollen. Oder eine Banklehre gemacht.
Ach - und da war noch die verletzte Hand. Gymnastik soll ich mit der machen, meinte die Ärztin, viel Gymnastik.Wenn es doch die meine auf Krankenschein gäbe: Powertastaturtraining. Damit Sie auch morgen noch kraftvoll zuhacken können.

2 Kommentare:

  1. Vielen Dank für den interessanten persönlichen Bericht. Ich habe Übersetzen/Dolmetschen studiert und stehe noch ganz am Anfang ... Die Freuden, Mühen und Fallen der "Heimarbeit" kenne ich allerdings auch schon recht gut. Alles Gute weiterhin!

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  2. Oh Danke - gleichfalls! Ich übersetze offiziell ja auch erst seit letztem Jahr und muss dann oft den alten Hasen ganz dumme Anfängerfragen stellen.
    Viel Erfolg mit der wunderschönen Sprache Italienisch!

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