Überleben im Haifischbecken
Ich dachte, mit dem Beitrag "Buchmacher" wäre es erledigt gewesen: Ein ZEIT-Artikel gibt Einblick in die "Bestsellermacherei", pardon, das Glücksspiel, ein Buch an die Leser zu bekommen. Weil ich dieses Nadelöhr-Roulette selbst bereits seit über zehn Jahren spiele, hielt ich das Beschriebene für realistisch - und eher positiv. So kann man sich gewöhnen.
Nun empfiehlt mir in einem Kommentar Manuel ein Transkript von SWR 2 (rtf), das zufällig den gleichen Namen trägt - der Gedanke an gedopte Pferde liegt aber auch allzu augenfällig in der Luft. Der Schriftsteller Martin Ahrends erzählt mit rechtem Galgenhumor von seiner Leidensgeschichte im Mahlwerk von Warenverkehr und Profitzwang. Pech hat er gehabt, könnte man meinen, aber seine Erlebnisse sind genau die Geschichten, wegen der "alte Hasen" Newcomer immer wieder ermahnen, sich Hartnäckigkeit, Leidensfähigkeit und schier unmenschliches Durchhaltevermögen anzutrainieren.
Die Süddeutsche setzte gestern noch einmal einen drauf auf den Grusel ums Buchmachen. "An der Kette" berichtet schonunglos von den Geschäftspraktiken einer Buchhandelskette und macht die Angst und das Ausgeliefertsein von Verlagen deutlich, die ruiniert wären, würden ihre Aussagen unter echtem Namen erscheinen. Leserinnen und Leser ahnen gar nicht, was im Hintergrund ihrer Bettlektüre abläuft - und welche guten Bücher ihnen warum vorenthalten werden. Dabei haben ausgerechnet sie die Zukunft des Geschäfts in der Hand, sie sind die Konsumenten. Autorinnen und Autoren ahnen das alles auch oft nicht - und nur wenigen gelingt die Rechnung bis hin zum eigenen Honorar, an dem all diese Gelder eingespart werden. An unserer Arbeit verdienen längst andere eine goldene Nase.
Der Druck auf Autoren wächst
Nun ist Jammern und Klagen wohlfeil, die Lage ist seit Jahren so, Bücher werden verkauft wie Haarspray, keiner hat sich bisher dafür groß interessiert oder dagegen stark gemacht. Alle haben geschwiegen, Verlage wie Autoren - im großen Glücksroulette und effektiven Angstsystem. Am Ende der Nahrungskette, bei den Autoren, spürt man den Druck von oben seit ein, zwei Jahren jedoch deutlich. Selbst große Verlage sind beim Einkauf von Manuskripten extrem zögerlich geworden, Risiko-Entscheidungen werden kaum noch getroffen. Man drückt zusehends Vorschüsse und Tantiemen, vor allem bei Trendware, die eigentlich doch den Profit bringen sollte. Man hält Autoren klein, vermittelt ihnen, dass sie austauschbar und ohnehin nicht so gut seien. Selbst etablierte Autoren werden hingehalten. Man produziert offen und zynisch "Altpapier" als Tapete für wenige Superbestseller; Bücher, die von vornherein als Untergang eingeplant sind. Und wer Pech hat, wer beim engagierten kleineren Verleger landet, dem bleiben Handelsketten und Feuilleton verschlossen.
Hoppla, warum Pech?! Ist ein "richtiger Verleger", der noch nicht zum Controller verkommen ist, nicht eigentlich ein Glücksfall? Das ist die Krux, hier liegt der Denkfehler im konsumverrotteten System: Kulturgut wird an Absatzzahlen gemessen, die zu den Inhalten in keiner Relation mehr stehen und deren Erfolg oder Misserfolg schon gar nicht durch Logik erklärbar wäre. Der Buchmarkt ist durchgeknallt. Der alte Tröstesatz, ein gutes Manuskript, ein guter Autor werde sich irgendwann durchsetzen, gilt schon lange nicht mehr. Plätze für den Erfolg werden teuer verhökert - und dazu braucht man Milchkühe, die stoisch und still immer wieder geben und geben. Wie die SZ schreibt: Bauern hätten ihre Milch längst aus Protest auf die Straße gekippt!
Trotzdem
Wie hält das eine wie ich aus, die vor zehn Jahren in eine Verlagsidylle einstieg, wo noch Autoren und Bücher, vor allem Inhalte, gepflegt und gehegt wurden; wo einem Verlag und Buchhandel das Gefühl gaben, man erschaffe etwas für Menschen Wichtiges? Und die zehn Jahre später, die Finger auf der Tastatur manchmal blutig getanzt, eigentlich immer noch als Noname, aber als hartnäckiger, in einem Haifischbecken schwimmt? Darauf habe ich eine ganz einfache Antwort: Ich glaube an das BUCH. Großbuchstaben: Buch ungleich Modeparfum. Buch als Kulturgut. Buch als ein Medium, Geschichten zu erzählen. Buch als Dialog zwischen Autor und Leser. Buch als Welt in der Welt.
Allerdings, auch das muss ich zugeben: Ich versuche inzwischen weitgehend den schlimmsten Haifischen zu entgehen, in ruhigeren Gewässern zu schwimmen. Dazu brauche ich zunächst wirtschaftliche und innere Freiheit. Einen Beruf, mit dem ich so viel Geld verdiene, dass ich Nein sagen kann. Nicht dass ich das schön finde, dass Autorsein in der Buchwelt kein "ordentlicher", nämlich ernährender Beruf mehr ist, während die gleiche Autorin in der freien Wirtschaft für einfachere Texte ein Mehrfaches verdient. Aber das Neinsagen wird immer wichtiger heute. Mit leerem Kühlschrank wird man erpressbar. Ich könnte allein vom Bücherschreiben leben, wenn ich wie viele Kollegen zur Schreibmaschine würde, Auftragsarbeiten und geldwerte Projekte für Buchverlage verfassen würde. Ich habe das auch schon gemacht. Aber wertvolle Entwicklungszeit verloren. Mein eigenes Schreiben blieb zeitweise auf der Strecke.
Neinsagen bedeutet: Sich die Verleger aussuchen zu können (natürlich manchmal um den Preis, gar nicht zu veröffentlichen). Es gibt sie nämlich noch, diese wunderbaren, unabhängigen, intelligenten, bibliomanen Verleger, die zwar auch Profit erwirtschaften müssen, aber noch einen Bezug zu Kunst und Kultur haben. Die man nicht von heute auf morgen zum Produktmanager für Zahnpasta machen könnte. Es gibt noch Verleger, die Visionen haben, sich für ihre Leser und Autoren interessieren und engagieren. Für solche Verlage schreibe ich inzwischen, will ich schreiben. Und siehe da, die Arbeit macht wieder Spaß, man wird als Mensch behandelt und nicht als Nummer. Bücherliebe und Kreativität stecken an, stacheln an. Da holt man gern das Letzte aus sich heraus.
Die Utopie vom Underground
Ich glaube an eine extreme Polarisierung des Buchmarkts in den nächsten Jahren. Es wird weiter erfolgreiche Ramschkaufhäuser mit bezahlten Stapelplätzen geben, in denen man sich billiger und billiger schnelldrehende Ware für die Einmal-Lektüre besorgt, bevor sie verramscht wird. Irgendwann wird es dort ein Autorensterben geben, wenn man konsequent aussortiert, was heute als "Altpapier" bestellt wird. Ebook, Verschenkaktionen und Preisdruck werden an diesen Einkaufstempeln nicht spurlos vorbeigehen. Vielleicht überleben einige dieser Beta-Autoren, indem sie das Kuscheltier zum Buch entwerfen oder nebenbei Klorollen mit Kurzkrimis beschriften. Konzerne jedenfalls werden bleiben, zum Ersticken sind sie schon zu groß - auch Banken fallen schließlich immer wieder auf die Beine.
Kulturelle Vielfalt, künstlerische Tiefe, Bücher, die Risiko bedeuten, weil sie eigen sind, anders oder sogar unbequem - das alles könnte zu einem sehr starken Underground werden. Und warum sollte nicht mal wieder der Underground hip sein? Die Independent Verlage sind nicht untätig, besetzen mediale Nischen in den Social Media und machen mit Aktionen wie der Hotlist der Independents von sich reden. Vielleicht wird es eines Tages wie in Frankreich Überlegungen geben, den unabhängigen Buchhandel durch ein gemeinsames Qualitätslabel und gemeinsame Aktionen zu stärken. Elfriede Jelinek, die der SZ-Artikel zitiert, veröffentlicht selbst im Netz. Qualitätsverlage bieten noch all das, warum sich ein Autor einen Verlag sucht: Professionelle Arbeit in Lektorat, Graphik, Layout, Herstellung, Pressearbeit und Werbung, Autorenbetreuung, Marketing und Vertrieb.
Selbstverlag und Print on Demand sind im Profibereich - noch - verpönt. Was aber, wenn das Werk des Autors unter Outsourcing im Lektorat leidet, wenn selbst Leser schlampige Aufbereitungen in Großverlagen anmahnen? Was, wenn außer dem Spitzentitel ohnehin keiner mehr Werbung bekommt und der Vertrieb abläuft, wie es die SZ beschreibt? Ich sage das bewusst als Provokation: Dann brauche ich als ohnehin schlecht bezahlter Autor eigentlich auch keinen Verlag mehr. Denn als etablierter Profi kann man durchaus auch lektorieren. Mindestens so gut wie schlecht bezahlte und ungelernte Stundenkräfte. Ich glaube nicht dran, dass neue Techniken und Medien das Buch als solches ersetzen werden. Ich glaube aber fest daran, dass Autoren in bestimmten Bereichen lohnend abwandern werden. Sofern ihnen eine Vorfinanzierung gelingt: Brotjob.
Machen sich Verlage überflüssig?
Visionen entwickeln - ich spiele gern mit Utopien. Eines Tages werde ich vielleicht das besondere Buch von Qualitätsautor X auf dem i-phone lesen können, von ihm selbst herausgegeben. Ein Buch, das über ein Jahr oder länger von allen Verlagen abgelehnt wurde, weil es zu viel Geschäftsrisiko gewesen wäre, weil Buchhandelsketten sich dem Titel versperrt hätten. Unser Qualitätsautor hätte in dieser Zeit längst ein Netzwerk für schreibfremde Arbeiten gebildet, wahrscheinlich über Social Media, in dem man Tauschhandel betreibt. Man lektoriert sich gegenseitig, Graphiker und Pressemenschen profitieren voneinander - und auch der Autor gibt sein Können in diesen Topf. Was für einen Schriftsteller unbezahlbar scheint, wäre machbar. Und warum eigentlich nicht solche fleißigen Helferlein dann direkt am Erfolg beteiligen, wenn er denn kommt?
Noch ist das Utopie. Noch gibt es keine ausreichenden und vor allem bezahlbaren Applikationen für Einzelautoren, die mit Verlagsleistungen wirklich konkurrieren können. Noch ginge der Qualitätsautor unter den Möchtegernschreibern im Internet oder Selbstdruck unter. Noch ist mit Ebooks & Co. nichts zu verdienen, so dass diese Alternative ein schönes Hobby bleibt. Aber wenn mehr und mehr Autoren die Marktmechanismen durchschauen, von denen sie abhängen, wenn sie frei wären zur eigenen Entscheidung - dann entstünde bald ein sehr wilder, bunter und kreativer Buchmarkt.
Wild sein
Jammern ist wohlfeil. Unsere Zukunft gestalten sowohl wir Autoren am Ende der Nahrungskette als auch die zahlenden Leser und Konsumenten. Wir können dafür arbeiten, dass Bücher wieder mehr werden als Zahnpasta. An uns ist es, dass wir uns mit den richtigen Menschen / Verlagen / Buchhändlern vernetzen und als Leser und Käufer diejenigen unterstützen, die noch eine unabhängige Kulturvielfalt garantieren. Was haben wir eigentlich zu verlieren?
Auch das Buchwesen ist Ausdruck eines sinn- und v.a. wertlosen Wirtschaftens geworden. Leider. Doch mit dem Internet bestehen auch fürs Buch spannende Aussichten. Wenn Mann/Frau sie denn packt.
AntwortenLöschenPS: E-Books werden übrigens teils gut bis sehr gut verkauft. Es bedingt jedoch ein bisschen Online-Marketing Knowhow.
Ich bin auch überzeugt davon, dass das Internet für gewisse (!) Buchsparten unvergleichliche Chancen bietet. Ich träumte schon vor zehn Jahren vom multimedialen Reisenführer mit Einbindung von Fotos, Videos und Links, mit ständigem Update und womöglich gleich mehrsprachig auf die Ohren.
AntwortenLöschenAber zum PS hätte ich eine Frage: Knowhow brauche ich als Autor in allen Bereichen. Aber woher soll das eierlegende Wollmilchschwein all die Zeit und Energie hernehmen neben Brotjob und Buchschreiben? Bricht man bei all der Selbermacherei nicht irgendwann zusammen? Ich für meinen Teil setze da doch auf die fruchtbare Zusammenarbeit mit feinen Verlegern...
Ich war ja gestern auf der Buchmesse und wenn ich mir die Unmengen von Verlagen mit noch größeren Unmengen von Büchern anschaue, dann fragt man sich schon, wer das alles kaufen und lesen soll. Und wie man einen Weg in dem Dschungel schlägt, um zu den Büchern zu finden, die zu kaufen und lesen es lohnt!
AntwortenLöschenStaunend stehe ich auch bei einer Lesung einer Autorin und wundere mich, das DAS einen Verlag gefunden hat, was sie da so von sich gibt. Weil...es war wirklich nicht gut, persönlicher Geschmack hin oder her!
Vielleicht sollte man den Beruf eines "Bücherscouts" populärer machen? Mehr Elke Heidenreichs, die den Buchmarkt (durchaus unter dem Gesichtspunkt ihres eigenen Geschmacks!) für einen aufdröseln?!
Tja Sabine, da verstehst du sicher, wie ich mich freue, wenn ich von einem einzigen Leser höre: Was, da hat einer mein Buch tatsächlich gefunden! Das ist bei den Mengen von Lesestoff manchmal ein Wunder.
AntwortenLöschenDie Berufe, die du dir wünschst, gibt es ja. Zwischen Autor und Verlag sind es die Agenten, ohne die man schlicht hilflos und dumm im Dschungel steht (und über den Tisch gezogen wird). Und zwischen Buch und Leser waren das mal die Literaturkritiker. Waren.
Als ich Mitte der Achtziger im Feuilleton lernte, war unser ganzer Stolz, rare Perlen zu finden, ältere, noch unentdeckte Bücher wieder schmackhaft zu machen und Dinge auszugraben, die die Konkurrenz nicht hatte. Honorarstruktur, Buyouts, Generation Praktikum und schrumpfende Seiten haben diese Art von Journalismus zunichte gemacht. Das bißchen Feuilleton, das überlebt hat, stürzt sich wie die Unterhaltungindustrie nur noch auf Hypes und Trends. Und wenn du die neuen Buchsendungen im Fernsehen anschaust - da hat auch nur noch Denis Scheck eine eigene Meinung.
Der einzige Ausweg für Qualitätsjournalismus der alten Art und dafür, dass auch unbekanntere Autoren und Verlage eine Stimme bekommen, sind Internet und Social Media. Und da tut sich inzwischen einiges. Aber das muss man halt auch erst wieder finden... und das funktioniert wieder nur durch Verlinken.
Wenn ich mal mehr Zeit zum Schnaufen habe, werde ich die kleinen feinen Verlage hier einbauen und gegen den Strich gebürstet berichten und rezensieren. Aber weil solcher Journalismus unbezahlt ist, bleibt er oft gegen den Brotjob auf der Strecke...
Um feine Verlage kennen zu lernen, empfehle ich aber schon mal den "anderen" Internetbuchladen tubuk, rechts im Menu unter "der besondere Tipp" als feiner Buchladen verlinkt.