Gleichberechtigung bis unten

Vito von Eichborn bringt es auf den Punkt: Autorinnen und Autoren leiden. Immer schlimmer würden sie sich im medialen Betrieb vorführen lassen müssen. Vito von Eichborn irrt gewaltig. "Wer sich in die Öffentlichkeit begibt, kommt darin um", lehrte mich schon meine Oma und die hatte die Zeitungen von zwei Weltkriegen überlebt inklusive aller Blätter, die je verboten worden waren. Und einer meiner Journalistenausbilder sagte Anfang der Achtziger: "Es gibt die Guten und es gibt Boulevard. Ihr müsst euch entscheiden." Damals war die Welt noch in Ordnung. Und es traf alle Personen der Öffentlichkeit.

Den Guten wurde Achtung vor der menschlichen Würde eingeimpft und wurden Vorträge über Persönlichkeitsrechte gehalten. Die Bösen wälzten sich in Promibetten und folgten offensichtlich jedem bis auf die Toilette. Die Fronten waren klar. Leute mit beschränkter Hirnhaftung und Hang zum Silikon lasen BLÖD. Die aufgeklärte Intelligenzia lachte sich schief über Genschman und Birne. Nie hat ein Kanzlerkörper so viel Kabarett provoziert. Nie wurden Frauen so spärlich von halbmeterhohen Schlagzeilen bekleidet. Wir, die Guten, wollten nie so schlecht werden wie die Bösen. Und die Bösen wollten nie so mies verdienen wie wir Guten.

Journalisten und Spracharbeiter machten sich Gedanken um Benachteiligung. Von Frauen. Von Minderheiten. Von Schwulen. Von Gärtnern. Von Bayern. Von Opfern. Von Dreieinhalbjährigen. Wir lernten, wie man sie alle an- und über keinen schlecht redet.

Irgendwann ist es passiert. Wahrscheinlich lag es wieder mal am Geld. Angeblich waren es jedoch die Leserinnen und Leser. Abgestumpft. Medial überfressen. Geil. Die wollten das doch. Knaller, Kracher, Katastrophen - nur damit ließ sich noch um ihre Aufmerksamkeit buhlen, während sie übersättigt die fettigen Finger in Chipstüten tauchten und jede Meldung mit einem Schluck Bier hinunterspülten. Schau, ob du was aus dem herauskitzelst, was er nicht sagen will, sagte der Chef.

Ich hatte damals einen Politikerlippenstift in der Tasche und ein eigenes Lächeln Marke Naiv, das schweigsame Herren im Interview zu viel erzählen ließ. Die erfolgreichen Damen bearbeitete der junge Volontär mit wallendem Künstlerhaar, ein knochenharter Typ. Wir waren die Guten. Die Öffentlichkeit hatte ein Recht auf Informationen. Wer in der Öffentlichkeit stand, hatte kein Recht, Informationen vorzuenthalten. Noch ging es nur um Giftmüll und Falschaussagen, um Mauscheleien und Korruption. Aber irgendwann muss jemand herausgefunden haben, dass auch Interviewopfer Lippenstift und Wallehaar gegen uns verwenden konnten.

Sie schlugen uns mit unseren eigenen Waffen. Birne trug plötzlich Maßanzug, Genschman machte Diät. Silikon kam in Verruf. Und allüberall sprossen kleine PR-Beraterinnen und PR-Berater aus dem Boden, paarten sich mit Castingspezialisten und Briefingtypen für den perfekten Beinschlag in der Talkshow. Beim Bäcker und Metzger fransten den Tratschtanten schier die Lippen aus, wenn sie am nächsten Tag über "die da oben" und "die denken, sie sind was Besseres" herzogen - bei den Männern nannte man das Stammtisch und Fußballplatz und Friseur. Wer nicht durchgehechelt werden konnte, war langweilig; an wem man sich nicht abarbeiten durfte, der erschien einem winzig.

Es traf nie die Schriftsteller. Wer konnte sich nach der Lektüre eines Buchs schon noch erinnern, wie dessen Autor hieß? Wer wusste wirklich, wie Agatha Christie mit sechzig aussah oder Ray Bradbury mit dreißig? Schriftsteller waren langweilig. Die meisten konnten nicht einmal telegen reden oder schienen fast autistisch. Und wenn sie dann mal den Mund aufmachten - wer sollte das alles verstehen mit Bierpulle in der Hand?

Als Deutschland seine erste weibliche Kanzlerin zustande gebracht hatte, machte sich das Kollektivhirn Presse zuallererst Gedanken um Kostümchen und Carréfrisur. Woanders hätte man zuerst eine Veuve Cliquot entblättert und auf den historischen Moment angestoßen. Es gab die Guten und die Bösen schon lange nicht mehr. Es gab nur noch Brüller und Schweiger. Mitmacher und Verweigerer. Billige Jakobs und Nachdenker. Aber trifft die Häme, der Spott, das Vorführen wirklich nur Frauen, Schwule und Rollstuhlfahrer - ein Eindruck, den man aus deutschen Gazetten bekommen könnte? Ist es wirklich eine Männerwelt, eine Mächtigenwelt, die sich da fest auf die feisten Schenkel klatscht?

Wir leben doch die totale Emanzipation. Die Tratschtanten vom Bäcker und die Suffköppe vom Stammtisch keifen heute gemeinsam in den Kommentarspalten der Medien im Internet. Und diese ersetzen sich demnächst ohnehin selbst. Aus Guten und Bösen wurden Angestellte und Outgesourcte, aus denen Vogelfreie und Generation Praktikum und dann schrie alles: Bürgerjournalismus! Bald lasen wir Blödes im Edelblatt und Intellektuelle gaben Interviews für BLÖD. Hauptsache saftig. Keiner merkt, dass sich die Rollen vertauschen.

Wenn die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller heute öffentlich wegen einer angeblich schlimmen Frisur vorgeführt wird, um davon abzulenken, wie viel die Frau im Kopf hat, dann kommt das weder vom Stammtisch noch aus platten Schlagzeilen. Diejenige, die sich da lustig macht, ist eine von den ehemals Guten, eine Journalistin, eine die es gelernt haben müsste, eine Frau noch dazu, nach eigenen Angaben Feministin. Wenn sie nicht längst auf der anderen Seite stünde, wo man um Quoten kämpft, um Zuschauer. Und als Buchautorin um Leserinnen und Preise dazu.

Wer sich in die Öffentlichkeit begibt, kommt darin um. Warum soll es Schriftstellerinnen und Schriftstellern anders gehen? Schwarz-weiß gibt es nicht mehr. Wie viele Feuilletonisten haben mit eigenen Manuskripten schon Bruchlandungen erlebt? Wie viele Journalisten müssen sich den Verlagswitz anhören: "Journalisten können vielleicht schreiben, aber keine Romane." Vom miesen Honorar für den Gang nach Frankfurt, vom gesichtslosen Verweilen hinter der Kamera ganz zu schweigen. Da darf man schon mal ausrasten, wenn das Gegenüber den teureren Friseur hat oder den lustigeren Slip trägt. Und das Beispiel vom Slip zeigt es: Auch Männer trifft die Häme.
Gleichberechtigung total: Potenz im Kopf oder in der Hose. Wenn so jemand dann auch schreiben und lesen kann, ist das einfach verdammt verdächtig.

Lesetipp: Zehn Tipps für Autoren im Umgang mit den Medien

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