volle Breitseite erwischt

Eigentlich bin ich wegen völlig anderer Sachen nervös und am Warten. Und dann kam ein Anruf, als ich gerade genüsslich am Kochen war, ein Osso Buco schmorte im Topf und Madame hatte sich eben ein Glas Rotwein eingeschenkt, damit nicht nur das Rind etwas davon habe. Ich schwöre, ich habe während des Gesprächs allenfalls drei Schluck genossen. Und war volltrunken oder so etwas ähnliches.

Was sind wir Schriftsteller für komische Sensibelchen, angeblich mit eiserner Hornhaut fürs Haifischbecken bewehrt - und dann so dünnhäutig auf jedes Fitzelchen Motivation reagierend! Da haut man sich ach so knallhart in ein ambitioniertes Projekt, arbeitet bis an die Grenzen der Belastbarkeit, glaubt an den eigenen Irrsinn (Urteil "vernünftiger" Leute) und lässt sämtliche Leidenschaften hineinfließen, während im wahren Leben unerbittlich Rechnungen im Briefkasten aufschlagen, für die man eigentlich völlig andere Sachen schreiben sollte. Wenn man vernünftig wäre. Wenn...

Verwegen nimmt man sich ein Beispiel an einem der Protagonisten, Sergej Diaghilew, der zeitlebens angeblich nur einen einzigen Anzug besessen haben soll und gegen alle Unkenrufe seiner Umwelt seinen Traum von Kunst verwirklichte. An etwas wacheren Tagen sagt man sich, die Zeiten solcher Hungerkünstler seien vorbei, das 21. Jahrhundert werde von Profit und Hypes regiert und man selbst sei allenfalls eine Mikrobe, winzig, verschwindend klein und überflüssig. Und man macht trotzdem weiter. Auch mit zeitweise leerem Kühlschrank.

Und dann erfährt man in einem Nebensatz am Telefon, zwischen Karottenschnippeln und Umrühren, dass ein sehr besonderer Mensch das Manuskript gelesen und ein sehr besonderes, unglaubliches Kompliment ausgesprochen habe .

Plötzlich ist die Welt knallbunt, macht ein einziger Satz volltrunken und schmort der Osso Buco feierlich und völlig vergessen vor sich hin. Gleichzeitig kommen die Tränen, der Riesenkloß im Hals, bin das ich, bin damit ich gemeint, war es wirklich mein Text? Und dann muss man irgendwie damit fertigwerden, hat aber vor Freude fast einen Tinnitus und der Boden fängt an, seltsam zu schweben und dann sieht man es wieder. Dieses Ziel, warum man das alles stemmt, warum man schreibt, warum man diesen verrückten Beruf so liebt. Nicht Geld. Nicht Profit. Nicht Auflagen. Nicht Ruhm oder Ehre.

Es ist dieses Wunder, wenn ein Text einen Menschen berühren kann. Kaum auszuhalten, wenn man es miterleben darf. Daniel Barenboim hat es einmal so formuliert: "Einen unvergesslichen, unwiederholbaren Moment schaffen - das ist es, was die Menschen brauchen."

1 Kommentar:

  1. Ach, das kann ich so gut nachvollziehen - das Gefühl hast Du wunderbar beschrieben!
    Betse Grüße
    Patricia

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