Grüne Äpfel
Kürzlich habe ich mir ja Gedanken darüber gemacht, warum einem in meinem Alter keiner mehr Entwicklung zutraut und Frau Zappadong hat treffend ihre Erfahrungen mit dem Förderbetrieb in Hinsicht auf Altersgrenzen beschrieben. Aber jetzt habe ich wieder zwei hochgelobte Erstlinge von garantiert ganz jungen und frischen Autoren daliegen und frage mich: Ist es nicht gefährlich, wenn man als Junger alles von allen Seiten hereingestopft bekommt? Wo bleibt man da selbst zwischen all den selbsternannten Tutoren und Talentmachern, den Hallelujasängern unter den Kritikern und dieser Menschenmasse, die Bücher nur kauft, um mitreden zu können?
Dieser Italiener damals las sich erfrischend anders, spritzig, neu. Aber er klebte offensichtlich so fest an der eigenen Autobiografie, dass mehr als ein Buch in ihm nicht war. Ein absolut verzeihlicher Anfängerfehler, dieses autobiografische Schreiben. Man bedient sich am eigenen Leben, weil man den Schritt in die wahre Freiheit der Fiktion noch nicht wagt. Man hängt ein Buch an einem Thema auf, das einen selbst gerade beschäftigt. Ich habe wie viele andere Autoren diesen Fehler auch gemacht. War irgendwann geschieden und dachte: Hoppla, jetzt weiß ich alles über Scheidungen, jetzt schreibe ich über eine Trennung. Ehrlich - mir ist damals schlicht nichts Besseres eingefallen. Heute bin ich froh, dass diese "Jugend"stümperei nicht mehr zu haben ist.
Früher hat man so etwas für die Schublade geübt und kam dann erst mit den reiferen Werken heraus. Allenfalls berühmten Menschen zogen die Verlage zum Zeitpunkt des Alterswerks womöglich schon verschimmelte Jugendsünden aus der Tasche. Fans lesen schließlich begierig alles, wenn der Tod ihres Lieblingsautors naht und dessen Schreibkraft zu erlahmen droht. Heute jedoch wird wirklich alles gedruckt. Hauptsache jung. Hauptsache als irrer Erstschlag zu bejubeln. Hauptsache schräge Autobiografie, dann kann man den Typen gleich mitvermarkten. Und manchmal gelingt das. Manchmal kann einer wirklich sofort schreiben und legt immer bessere Bücher nach. Manchmal.
Auf meinem Nachttisch türmt es sich wieder: Brillante Debuts, fulminant sind sie sowieso alle, in irrwitzigem Tempo oder voll irrwitziger Komik geschrieben. Da gehen neue leuchtende und strahlende Sterne am Literatenhimmel auf, da ruft es kraftvoll in die Literaturszene und sämtliche großen Vorbilder hätten sich gern eine Scheibe abgeschnitten oder sind jetzt endlich zur Vollendung gereift - in ihm, in ihr, vorzugsweise Geburtsjahr in den Achtzigern oder später. Manche Verlage sind derart dreist, mit hysterischen Blurbs obskurer Zeitungen und Zeitschriften aus dem tiefen Middlewest oder den Notstandsgebieten Irlands zu winken, im Internet nicht zu finden, man druckt da eben noch auf Papier und so hat der Leser alles zu glauben. Was soll man auch machen, ein blutjunger Erstling kann rein theoretisch ja noch nicht besprochen worden sein.
Beim Lesen passiert mir immer wieder das Gleiche. Ja, die Bücher lesen sich oft erfrischend anders. Die Leute sind begabt. Manche haben sogar schon etwas zu sagen. Aber wie sie es schreiben, wirkt oft ungereift. Wirklich witzig und unterhaltsam, dieser neue amerikanische Literat, den mir ein edler Verlag so vollmundig ans Herz legen will, dass sogar Nabokov im Grab rotiert. Aber was ich lese, ist leicht manische Unterhaltung, die haarscharf an Klischees vorbeirammt und sich zuweilen etwas wirr im Handwerklichen verheddert. Speedschreibe.
Sprachlich kann ich nicht alles beurteilen, weil auch die Übersetzung stellenweise zu wünschen übrig lässt. Aber inhaltlich, handwerklich hätte diesem Buch ein gutes Lektorat zum wirklich bleibenden Roman verholfen. So werden die im Ansatz vorhandenen Gedanken in Klamauk und wilder Action in dramaturgisch manchmal nicht stringenter Logik erstickt.
Hier wurde ein Autor um Entwicklung und Verbesserung betrogen. Und eine Leserin um Neugierde auf weiteres. Werde ich in der schnelllebigen Zeit diesem begabten jungen Mann genug Zeit geben wollen? Oder lege ich ihn wie diesen Italiener damals gleich ad acta: Da kommt nichts nach, der wird nie die Literatur schaffen, die man ihm anlobt?
Die Jüngste im Bunde veröffentlicht Erzählungen. Schon ein Wunder an sich, wissen wir doch alle, wie Verlage reihenweise ablehnen, wenn man Kürzeres als einen Roman anbietet. Aber auch sie hat das Glück, in Lizenz übersetzt zu werden, und sie kommt aus einem Land, aus dem man eben auch Erzählungen aufkauft, weil das irgendwie zu diesem Land passt. Irre produktiv ist die junge Frau, im irre dollen Job wie in der Literatur, gehört hat man von ihr hierzulande noch nichts, aber wie immer werden wir uns den irren Shootingstar merken müssen.
Die Frau hat etwas. Die Frau kann etwas. Und im Unterschied zu obigem Amerikaner hat sie sogar etwas zu sagen. Aber nach der zweiten Erzählung habe ich das Schema durchschaut. Ich würde mir zutrauen, Texte dieser Frau "zu fälschen" und bin mir sicher, andere Kollegen könnten das auch. Vielleicht ist es ihre ungeheure Produktivität, die bereits zur Routine erstarrt ist. Vielleicht hat man sie zu früh hochgelobt und auf einen Literatenthron gehoben, von dem sie sich nicht mehr herunterwagt. Ihre Sprache (übersetzt) ist auf den ersten Blick berückend und auf den zweiten manieristisch. Sie wiederholt zwei drei Lieblingformen in jeder Geschichte. Und natürlich darf ein Erzählband um ein Thema kreisen, wenn es aber formal so wiederholbar wird, dass nur noch Personen und Orte ausgetauscht werden, was dann? Schablonenschönheit. Scherenschnittstimmung.
Ich möchte der Autorin zurufen: Brich auf! Hier ist jemand womöglich am eigenen, zu frühen Erfolg versteinert, hat literaturgepreiste Wendungen so verinnerlicht, dass es das Leben im Text erstickt. Was kommt danach? Hat die Frau überhaupt eine Chance, noch anderes auszutesten? Darf sie sich jemals noch von sich selbst befreien?
Solche Bücher sind wie grüne Äpfel - von zuviel davon bekomme ich Bauchweh. Ich wünschte, Verlage würden auch einmal wieder den Mut haben, Texte reifen zu lassen, womöglich mit den Autoren vorher ein wenig zu gärtnern. Schneller früher Erfolg und Literaturpreise für Erstlinge seien jedem von Herzen gegönnt. Aber nicht immer tut man dabei den Autoren wirklich einen Gefallen. So ein Absturz von ganz oben tut verdammt weh.
Wir hatten in der Schweiz Zoe Jenny. Jung, wunderschön, der Erstlinsroman in den Himmel gelobt und x-fach verkauft.
AntwortenLöschenHeute ist sie schwanger und berichtet der biedersten Familienzeitschrift der Schweiz auf mehreren Seiten über Freuden und Leiden der künstlichen Befurchtung, alles schön mit Fotos garniert.
Autorin? Ist sie auch. Irgendwie immer noch, obwohl nach dem Erstling alles zerrissen wurde, von den gleichen Leuten, die sie vorher in den Literaturhimmel gelobt hatten. Vor allem aber ist sie jetzt (Achtung Zitat): Eine Yummy Mummy.
"Hauptsache jung" - das dachte ich gestern, als ich die Einsendebedingung eines Literaturwettbewerbs las: Ein Autorenfoto mußte beigelegt werden - - -*hüstel*... warum wohl?
AntwortenLöschenSchade, daß du uns die Buchtitel vorenthältst, Petra.
Stimmt, Alice, das war das sogenannte "Fräuleinwunder", ich erinnere mich - da passt eine Mutter natürlich nicht mehr rein...
AntwortenLöschenAch Jan, andere sind da weniger zimperlich, wenn du wüsstest, wie viele junge Verwandte für Bewerbungsfotos herhalten müssen. Oder schau mich an, Autorenfoto von 1993! (Nicht aus Angeberei, sondern mangels besserem...) Hast du kein Schulfoto mehr?
Buchtitel nenne ich nur, wenn ich die Bücher wirklich richtig und angemessen rezensiere. Kommt irgendwann...
Zum Fräuleinwunder: Mich nervte damals das künstliche Hochpushen. Und danach die ganz gezielte Demontage. Von den genau gleichen Medien. Womit wir bei deinem "Haifischbecken" sind ...
AntwortenLöschenLiteraturwettbewerbe: Da gibt's nur eins: Bescheissen. Pseudonym, Künstlername und weg damit. Wenn die uns mit den Alterslimiten ver... (das schreib ich jetzt nicht aus) wollen, dann schlagen wir halt mit den gleichen Waffen zurück.