Kunstsponsoring durch Arbeit

In Frankreich ist alles etwas anders. Künstler sind so etwas wie Ein-Personen-Unternehmen, es wird Wert gelegt auf Ausbildung und Fortbildung. Auch Autodidakten müssen hin und wieder nachweisen, was sie wirklich können, wie professionell sie sind - Schriftsteller etwa, wenn sie bei der Entsprechung der deutschen Künstlersozialkasse Mitglied werden wollen.

Trotz allem geraten natürlich auch hier mehr Künstler als Menschen in anderen Berufen in Armut, verlieren Brotjobs, sind auf Sozialhilfe angewiesen. Es müsste aber doch möglich sein, dachte man sich im Elsass, dass Künstler sich einerseits mit einer Lohnarbeit finanzieren können, aber andererseits genug Freiraum für ihre Kunst behielten. Zwei volle fordernde Berufe, so sieht man das hier, sind eigentlich zu viel, um beide zufriedenstellend ausführen zu können. Und der Staat habe mehr davon, wenn sich ein Künstler auch so weit entwickelt, dass er von seiner eigentlichen Berufung existieren kann.

Es entstand ein Experiment, begrenzt auf plastische Kunst. Dahinter stecken das Syndicat Potentiel und die Precaritas. Die Precaritas schreibt auf ihrer Website, dass es immer einen Kunstmarkt (und damit auch Künstler) gibt, der nicht nach den üblichen Marktmaßstäben finanziellen Profits funktioniert und funktionieren kann. Es stellt sich die Frage, ob eine Gesellschaft bereit ist, "Produkte" zu unterstützen, die außerhalb der Marktwirtschaft stehen. Und man stellt sich die Frage, ob und wie weit ein Wirtschaftssystem über Kunst bestimmen darf.

Was passiert, wenn man Kunst und Künstler in die Arbeitswelt bringt? Was passiert, wenn man Kunst außerhalb ihrer etablierten Verbreitungsformen präsentiert? Kann Kunst dann die Gesellschaft stärker beeinflussen? Und kann die Arbeitswelt den Künstler inspirieren, verändern?
Man erhofft sich durchaus Befruchtung beim allgemeinen Diskurs über das herrschende Wirtschaftssystem: Künstler könnten mit ihrer kreativen und intellektuellen Arbeit helfen, die richtigen Fragen zu stellen für ein Menschlicherwerden des Kapitalismus. Denn manche ihrer Probleme sind zunehmend auch die von normalen Arbeitnehmern: Ausbeutung in Billiglohnjobs; Arbeit, die keine Familie mehr ernährt; Forderung nach extremer Mobilität. Die Künstler sollen in ihrem Selbstbild gestärkt werden, die Werte ihrer Kunst, ihre Individualität wiederentdecken, anstatt zu glauben, "Ware" produzieren zu müssen.

Viel gäbe es noch über die Theorie zu sagen, hinter der nicht irgendwelche Laienvereine stecken. Das Projekt ist eng eingebunden in unterschiedliche Kunstorganisationen, Projekte des Sozialministeriums, die Wirtschaft und arbeitet mit ARTE und dem Museum für Moderne Kunst zusammen. Wie sieht es praktisch aus?

Die Künstler aus dem Bereich Plastik müssen sich in prekärer Lage befinden, also entweder Sozialhilfe empfangen oder Langzeitarbeitslose sein.
Bei ihren Bewerbungen müssen sie nachweisen, dass sie sich professionell und dauerhaft der Kunst widmen und Potential besteht.

Die ausgewählten Künstler schließen mit der Precaritas einen Vertrag über neun Monate ab. In dieser Zeit müssen sie 25 Stunden pro Woche Lohnarbeit verrichten, bezahlt mit dem französischen Mindestlohn. Die Arbeit soll nicht fremd sein, sondern zur ausgeübten Kunst passen und diese befruchten, um die Künstler erfolgreicher wieder einzugliedern. Die Künstler tragen ihre künstlerische Arbeit auch in die Unternehmen. Dafür berichten die Künstler der Precaritas über ihre Arbeitsbedingungen. Die Aktion finanziert sich u.a. durch Subventionen und Mäzenatentum.

Laissez-Faire ist nicht möglich. Jeder Künstler muss in einem eigenen Blog täglich über seine Arbeit, sein Umfeld, seine Fortschritte in der Kunst Rechenschaft ablegen, öffentlich. (Beispiel)
Es werden daneben Ausstellungen organisiert, Fortbildungskurse absolviert und künstlerischer Austausch gepflegt. Wöchentlich berichtet der Künstler mit Fotos und Text über die Fortschritte seiner künstlerischen Arbeit. Die Werke werden danach gemeinsam ausgestellt. Dadurch lernen die Künstler, diszipliert, strukturiert und professionell auch an ihre Kunst heranzugehen. Sie denken darüber nach, wie sie näher an ein Publikum herankommen können, welche kreativen Möglichkeiten es gibt, Kunst sichtbar zu machen.

Ein Experiment, das ernst nimmt, dass künstlerische Arbeit auch Arbeit ist, Künstler ein Beruf und kein Hobby. Ein Projekt, das fragt, ob sich eine Gesellschaft in Zukunft nur noch Profit und profitbringende Waren erlauben will, ob sie verlangt, dass sich Kunst dem Markt unterwirft. Oder ob sie akzeptiert, dass es Arbeit außerhalb von "Ware" geben muss. Eine Aktion, die erprobt, wo neben den etablierten Kunstorten (Galerien, Museen etc.) Kunst in die Gesellschaft getragen werden kann. Eine Idee zwischen öffentlicher Finanzierung und privatem Mäzenatentum.

Ein Experiment, das nicht fragt, ob Kunst oder Kultur notwendig für die Menschheit ist. Ein Projekt, das davon ausgeht, dass erst Kunst und Kultur die Entwicklung der Menschheit ermöglichten und zu den Uräußerungen aller lebendigen Gesellschaften gehören.

Zur Nachahmung empfohlen.

1 Kommentar:

  1. Vielen Dank. Ein hochinteressanter Beitrag über ein hochinteressantes Projekt.

    Liebe Grüsse

    Alice / Frau Zappadong

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