Die schwarzen Engel

Ein russisches Weihnachtsmärchen für Autoren auf dem Wartebänklein
von Petra van Cronenburg (c)

Es waren einmal drei Autoren, Kolja, Wolja und Wanja, die schufteten gar hart in ihrem kargen Beruf und schrieben, bis ihnen das Blut in die Tasten lief. Sie schrieben so fleißig, dass sie schon mehrere Veröffentlichungen geschafft hatten und ihre Leser nach mehr fragten. In der großen Stadt saßen ihre Agenten und handelten die Verträge aus. Und dann und wann verließen die Drei ihr heimatliches Dorf und trugen ihre Bücher selbst zu Markte, lasen in Hallen und unter freiem Himmel vor, signierten und plauschten.

Kolja, Wolja und Wanja waren fleißige Vertreter ihrer Zunft, denn die gute Fee hatte ihnen versprochen, dass es mit viel Schweiß und Disziplin bald eine Belohnung gäbe. Noch ein, zwei Bücher in Folge und sie könnten sich vielleicht ein wenig mehr leisten als den Machorka zum Markttag und die sauren Gurken zum Neujahrsfest. Dann hätten sie sich nämlich so etwas wie einen Namen gemacht und dürften noch mehr Bücher schreiben.

Ihr Leben war nicht leicht. Die Babuschka von nebenan verspottete sie, weil sie keinen vernünftigen Beruf gefunden hatten. Die Kollegen aus der Stadt verspotteten sie, weil sie so seltsame Ideen zu Papier bringen wollten. Und ihre Frauen zeterten, weil sie vergaßen, ihren Kindern beim Wachsen zuzusehen, so hart arbeiteten sie Tag und Nacht.

Aber es hatte sich doch immer gelohnt. Nach drei, manchmal auch acht und im schlimmsten Fall nach zwölf Monaten war ein neuer Vertrag ins Haus geflattert. Kolja, Wolja und Wanja hatten dann einen besseren Wodka gekauft und mit ihren Freunden angestoßen, bei Unmengen von Hering in Sahne. Wieder hatten sie sich dann auf den Hosenboden gesetzt und sogar eine Arbeit als Tagelöhner beim Schweinebauern angenommen, weil sie das Vierteljahr finanzieren mussten, in dem sie die Exposés und Probetexte unbezahlt verfassten. Frohen Mutes schickten sie regelmäßig die Papiere an ihre Agenten in der großen Stadt und freuten sich auf zukünftige Markttage und einen besseren Wodka.

Da flog auf einmal Baba Jaga aus ihrem Finsterwald über die großen Verlagsstädte und streute riesige Fliegenpilze auf die Lektoren. Haps, hast du nicht gesehen, sagten die, und schluckten. Und fortan war nichts mehr wie es einmal war. Zuerst verzweifelte Koljas Agent. Es seien zu wenig Huren in Koljas Roman, zu wenig böse Fürsten und Zaren und zu wenig starke schöne Proletarierfrauen, sagte die Cheflektorin aus Konsumolsk. Und würde Kolja sich nicht bald bereit erklären, das von der Partei verordnete Mittelalter zu bearbeiten, dann drohe ihm die lebenslängliche Verbannung als Autor!

Als nächster bekam Woljas Agent die Schwermut. Kaum hatte sich ein Verlag interessiert, wurde der auch schon verkauft. Einmal hatte er einen Vertrag wieder zurückschicken müssen, weil der, der unterschrieben hatte, fristlos gekündigt worden war. Lektorinnen gingen reihenweise in Mutterschaftsurlaub ans Schwarze Meer, dann lähmte die Buchmesse das ganze Land und schließlich war von der Parteizentrale das Motto ausgegeben worden: "Hand in Hand für eine neue Welt ohne Risiko." Niemand antwortete dem Agent, niemand rief zurück, keiner reagierte auf Nachfrage. Wolja wartete vergeblich.

Da klagte auch Wanja sein Leid. Jetzt, wo das Waldsterben in Sibirien ernsthaft bedrohend war und allerorts diskutiert wurde, hatte er ein völlig neues Projekt darüber vorgelegt. Aber die Verlage waren der Meinung, dass sterbende Wälder die Menschen traurig machten und sich solche Bücher nicht verkauften, er möge doch lieber etwas über die Schönheit von Birkenrinde schreiben. Bestimmt fünf verschiedene Projekte hatte er vorgelegt, aber auch hier herrschte das große Schweigen im Walde.

Baba Jaga rieb sich vergnügt die Hände. Sie hatte es geschafft, dass die Verlage nichts mehr wagten und Lektoren nicht mehr lasen. Alle hörten fein auf die Parteizentrale und arbeiten brav nach Planwirtschaft. Die Waldfrau Baba Jaga liebte diese Stille, sie war stolz, dass sich das große Schweigen ausgedehnt hatte. Ein Jahr? Das war noch nichts! Noch ein halbes Jahr mehr, noch ein Schweigen hier, noch eine lastende Stille dort. Nicht einmal mehr Stipendiaten und Preisträger bekamen Antwort, wozu auch. Und bald würden sich die drei Schriftsteller wieder als Leibeigene beim Schweinebauern verdingen müssen und endlich herrschte vollkommene Ruhe im Land.

Kolja, Wolja und Wanja aber wurden wütend, sehr wütend. Sie kratzten ihre letzten Kopeken zusammen und kauften eine halbe Flasche Wodka. Ihnen grauste von den Aussichten, Schweinemist zu schaufeln, dafür waren sie nicht so talentiert auf die Erde gekommen. Talent, so befand Kolja, war eine Gabe, für die man Verantwortung trug. Und Wanja seufzte tief in sein Glas und fand, er würde Depressionen bekommen und irgendwann gelähmt in seinem Sessel sitzen, so wie die alte Jekaterina, der sie das Kind genommen hatten. Wenn er nicht bald irgendwo Geld eintreiben konnte, wenn er nicht bald schreiben dürfte, würde er traurig werden, würde erstarren.

Bei diesem Stichwort hatte Wolja eine Idee. Die drei steckten ihre Köpfe zusammen, tuschelten und tranken den Rest der Flasche aufs Gelingen. Am nächsten Tag wurden die Verlagsstädte heimgesucht von einer seltsamen Truppe. Schwarze Engel standen an Hausecken, hefteten sich als Schatten an Lektoren und erwarteten Verleger in den Tiefgaragen. Ging ein Lektor mit seiner Geliebten essen - der schwarze Engel stand schon schweigend hinter dem Tisch. Schob ein Lektor einen Stapel Manuskripte beiseite, stand ein schwarzer Engel auffällig im Vorzimmer. Vertröstete ein Lektor Agenten am Telefon, traf ihn der bohrende Blick eines schwarzen Engels.

Wir warten nicht mehr lang, sagte Wolja zu Kolja und Wanja. Die schwarzen Engel hören sich Ausreden wie Vorbuchmessestress, Buchmessestress und Nachbuchmessestress geduldig an. Sie schweigen. Aber sie folgen auf Schritt und Tritt. Und irgendwann sprechen sie die Leute in der Öffentlichkeit laut an, warum sie nicht herausrückten mit den Antworten! Stellt euch vor, wie sich das macht, wenn einer in Moskau im Frankfurter Hof vor Medienvertretern angeben will, und der schwarze Engel fragt, ob er seinen Autoren und Agenten schon geantwortet hat! Und warum eigentlich nicht.

Wir wissen nicht, was aus Kolja, Wolja und Wanja geworden ist, denn in ihrem Russland gibt es kein Weihnachten. Wir wissen nur, dass die Autorin des Weihnachtsmärchens sich gerade mit Tschai besäuft und auf das Billigticket nach Petersburg wartet (Baden-Baden - Petersburg, 99 E). Dort laufen spannende Seminare: Dostojewskijs Tipptechnik am Roulettetisch und Russeninkasso leichtgemacht für Autoren.

3 Kommentare:

  1. Ich liege, in Lachtränen zerflossen, unterm Tisch!

    Na zdrowie!

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  2. Also, dass jetzt Baba Jaga für alles verantwortlich gemacht wird, finde ich gemein. Die saß doch ganz friedlich in ihrem Haus auf Hühnerfüßen und wartete. Wartet auf Dummheit, die sich, meist zweibeinig, im Finsterwald verirrte. Da trippelte der Baba Jaga ihr klein Häuschen immer sehr behende auf den Hühnerfüßen genau an die Stelle, wo die Dummheit zu erwarten war. Und "haps", weg war sie, die Dummheit.
    Doch seit einiger Zeit trippeln die Hühnerbeine gar nicht mehr behende, weil sie gänzlich atrophiert und ausgemerkelt sind. Und warum? Die Dummheit ist in die Städte abgewandert und hat sich vornehmlich auf Parteisesseln und in Verlagen niedergelassen. Was kann sie dafür, sollte sie deshalb verhungern, die Baba Jaga, in ihrem hühnerfüßigen Häuschen im Finsterwald? Ja wo kämen wir denn da hin? Wo die Dummheit sowieso schon überhand zu nehmen droht, in den Parteizentralen und in den Verlagen.
    Ich denke, Kolja, Wolja und Wanja sollten dankbar sein, dass Baba Jaga sich so einsetzt. Und ich finde, bei allem Respekt und bei allem Genuss, den man beim Lesen dieses russischen Weihnachtsmärchens hat, Sie, liebe Frau van Cronenburg, sollten die notwendigen Belange der Baba Jaga nicht so einseitig beleuchten.

    ниц новый год

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  3. Hab Dank für die Neujahrswünsche, Ulli (ich möchte auch kyrillische Buchstaben haben!)

    Baba Jaga war gestern auf ein Gläschen Vogelbeerwodka bei mir und freute sich sehr über deinen Beitrag. "Wahr gesprochen!", sagte sie und trank ex.

    Sie hat mir dann erklärt, woher mein Denkfehler kam. Zwei deutsche Brüder seien daran schuld, die einen alten Mythos vollkommen verdreht hatten. Im Original kam ein Junge namens Hans aus den seichten Niederungen schlimmster Massenproduktion gemeinsam mit Gretel, Angehörige der Generation Praktikum, ins Pfefferkuchenhäuschen von Baba Jagas Cousine. Im Urmythos wehrt die sich gegen Verflachung und Abstumpfung und wirft beide folgerichtig in den Ofen, um endlich wieder in Ruhe edle, außergewöhnliche Pfefferkuchen zu backen.

    Baba meint, die grimmigen Brüder hätten dann dafür gesorgt, dass die querdenkenden Hexen dieser Welt geächtet wurden und der Ruf habe international abgefärbt.

    Sie lässt dir ausrichten, sie mäste deshalb die Leute eingesperrt, weil sie von ihrer Cousine gelernt hat: Wenn die lang genug im eigenen Saft braten und sich vorher nicht allzu sehr bewegen, werden sie schneller fett und das Fleisch zarter. Auf dieses Schlachtfest freut sie sich.

    Bon appetit,
    Petra

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