Der Ausweis als Bildungsgut
Als ich gestern kritisierte, dass man für gewisse hehre Schriftstellerunterstützungen gefälligst den richtigen Pass vorlegen sollte und nur daheim anfragen, kam mir das zunächst ziemlich frech vor, obwohl es stimmt.
Bis mich ein lachender Kollege darauf aufmerksam machte, dass ich nicht die einzige bin, die mit dem Pass schludert. Der berühmte niederländische Schriftsteller Cees Nooteboom hätte auch mal besser auf seinen Pass aufpassen sollen. Da wagt der Mann doch tatsächlich ganz dreist, in der Berliner Staatsbibliothek den Lesesaal betreten zu wollen! Man stelle sich das vor, ein mehrfacher Preisträger in der Hauptstadt im Lesesaal! Der Mann ist u.a. Ehrendoktor der freien Universität Berlin, hat den Verdienstorden der BRD und ist Mitglied in der Akademie der Künste in Berlin.
Eben. Das geht nicht. Könnte ja jeder kommen. Hat der Mann daheim keine Bibliothek? Kommt der doch einfach mit dem Führerschein. Bildet sich ein, ein Führerschein sei Amtspapier genug - so wie in vielen europäischen Ländern üblich - um Bücher lesen zu dürfen! Bücherlesen dank Führerschein, wo doch jeder ordentliche Deutsche den Ausweis dazu nimmt. Absurd ist das doch, oder? Wo kämen wir da hin, wenn jeder dahergelaufene Leser mit jedem dahergeflatterten Amtspapier sich an Bücher heranmachen würde?
Anarchie machte sich breit im Land. Man stelle sich vor, Philip Roth begehrte plötzlich mit seiner Stromrechnung Einlass. Oder Elfriede Jelinek zückte den Mitgliedsausweis einer Patchwork-Näherinnen-Vereinigung. Meine Herren, meine Damen, Bücher sind schützenswertes Gut. Da muss alles seine Ordnung haben. Passkontrolle, meine Damen und Herren, Passkontrolle...
Fällt mir ein, es war in Polen, Anfang der Neunziger, als sich das Land langsam öffnete, aber Europa noch weit entfernt schien. Extreme Kontrollen, selbst die Hundegesundheitszeugnisse mehrsprachig vorgeschrieben, Visakontrollen, Stempel, Amtsschimmel. Ich war mit einem Kamerateam in der Warschauer Innenstadt, wir wollten den herrlich ruhigen Verkehr nutzen, um die Prachtstraße zu filmen, an der das berühmteste Luxushotel liegt. Als hätte irgendein Gott des Films gezaubert, war die Straße völlig autofrei. Plötzlich kam von allen Seiten Polizei gerannt und umringte uns. "Paszport, Paszport!" rief man uns zu. So ein Pech, in der Morgenstunde hatte der Filmgott noch geschlafen, wir hatten ihn alle vergessen. Kein Paszport.
Wir müssten unverzüglich die Straße räumen, sagten sie mit Blicken, die nach Kerker aussahen. Aber wir drehten doch einen Film und jede Stunde koste... Nix da, Paszport und weg hier. Der polnische Kameramann versuchte es mit der Eindruck-Schaffen-Masche: "Telewizja niemiecka (deutsches Fernsehen)!" - Aber die Jungs in Uniform waren nicht auf den Kopf gefallen, auf der Kamera klebte kein Schild. "Nix ARD, nix ZDF" sagte einer zu mir und grinste triumphierend. Ich erzählte ihm von Privatfernsehen, was nicht mal sehr gelogen war. "Aaaaah, RTL!", freute sich sein Kollege, strahlte übers ganze Gesicht und fügte dann bedauernd hinzu, ohne Paszport dürften wir uns keine Minute länger hier aufhalten, auch nicht RTL.
Der Kameramann flüsterte uns zu, wir sollten irgendein offiziell aussehendes Papier mit vielen Stempeln suchen. Mir kam die Erleuchtung. In den dunkelsten Fächern meiner Brieftasche lag ein deutscher Bibliotheksausweis, den ich vergessen hatte abzugeben. Jedes Quartal abgestempelt. Ich zeigte ihn vor und schwitzte die Angst meines Lebens.
Wir durften drehen. Wurden aber freundlich gebeten, die Straße trotzdem in fünfzehn Minuten zu verlassen, denn dann kämen die Herren Clinton und Jelzin zum Essen im Hotel hinter uns. Unser Kameramann hat sich dann auch noch vorn unter die Staatskarosse von Roman Herzog gelegt und die deutschen Fähnchen vor der Fassade des polnischen Bristol gefilmt. Zwei Bodyguards standen feixend daneben.
Alles mit deutschem Bibliotheksausweis.
Bis mich ein lachender Kollege darauf aufmerksam machte, dass ich nicht die einzige bin, die mit dem Pass schludert. Der berühmte niederländische Schriftsteller Cees Nooteboom hätte auch mal besser auf seinen Pass aufpassen sollen. Da wagt der Mann doch tatsächlich ganz dreist, in der Berliner Staatsbibliothek den Lesesaal betreten zu wollen! Man stelle sich das vor, ein mehrfacher Preisträger in der Hauptstadt im Lesesaal! Der Mann ist u.a. Ehrendoktor der freien Universität Berlin, hat den Verdienstorden der BRD und ist Mitglied in der Akademie der Künste in Berlin.
Eben. Das geht nicht. Könnte ja jeder kommen. Hat der Mann daheim keine Bibliothek? Kommt der doch einfach mit dem Führerschein. Bildet sich ein, ein Führerschein sei Amtspapier genug - so wie in vielen europäischen Ländern üblich - um Bücher lesen zu dürfen! Bücherlesen dank Führerschein, wo doch jeder ordentliche Deutsche den Ausweis dazu nimmt. Absurd ist das doch, oder? Wo kämen wir da hin, wenn jeder dahergelaufene Leser mit jedem dahergeflatterten Amtspapier sich an Bücher heranmachen würde?
Anarchie machte sich breit im Land. Man stelle sich vor, Philip Roth begehrte plötzlich mit seiner Stromrechnung Einlass. Oder Elfriede Jelinek zückte den Mitgliedsausweis einer Patchwork-Näherinnen-Vereinigung. Meine Herren, meine Damen, Bücher sind schützenswertes Gut. Da muss alles seine Ordnung haben. Passkontrolle, meine Damen und Herren, Passkontrolle...
Fällt mir ein, es war in Polen, Anfang der Neunziger, als sich das Land langsam öffnete, aber Europa noch weit entfernt schien. Extreme Kontrollen, selbst die Hundegesundheitszeugnisse mehrsprachig vorgeschrieben, Visakontrollen, Stempel, Amtsschimmel. Ich war mit einem Kamerateam in der Warschauer Innenstadt, wir wollten den herrlich ruhigen Verkehr nutzen, um die Prachtstraße zu filmen, an der das berühmteste Luxushotel liegt. Als hätte irgendein Gott des Films gezaubert, war die Straße völlig autofrei. Plötzlich kam von allen Seiten Polizei gerannt und umringte uns. "Paszport, Paszport!" rief man uns zu. So ein Pech, in der Morgenstunde hatte der Filmgott noch geschlafen, wir hatten ihn alle vergessen. Kein Paszport.
Wir müssten unverzüglich die Straße räumen, sagten sie mit Blicken, die nach Kerker aussahen. Aber wir drehten doch einen Film und jede Stunde koste... Nix da, Paszport und weg hier. Der polnische Kameramann versuchte es mit der Eindruck-Schaffen-Masche: "Telewizja niemiecka (deutsches Fernsehen)!" - Aber die Jungs in Uniform waren nicht auf den Kopf gefallen, auf der Kamera klebte kein Schild. "Nix ARD, nix ZDF" sagte einer zu mir und grinste triumphierend. Ich erzählte ihm von Privatfernsehen, was nicht mal sehr gelogen war. "Aaaaah, RTL!", freute sich sein Kollege, strahlte übers ganze Gesicht und fügte dann bedauernd hinzu, ohne Paszport dürften wir uns keine Minute länger hier aufhalten, auch nicht RTL.
Der Kameramann flüsterte uns zu, wir sollten irgendein offiziell aussehendes Papier mit vielen Stempeln suchen. Mir kam die Erleuchtung. In den dunkelsten Fächern meiner Brieftasche lag ein deutscher Bibliotheksausweis, den ich vergessen hatte abzugeben. Jedes Quartal abgestempelt. Ich zeigte ihn vor und schwitzte die Angst meines Lebens.
Wir durften drehen. Wurden aber freundlich gebeten, die Straße trotzdem in fünfzehn Minuten zu verlassen, denn dann kämen die Herren Clinton und Jelzin zum Essen im Hotel hinter uns. Unser Kameramann hat sich dann auch noch vorn unter die Staatskarosse von Roman Herzog gelegt und die deutschen Fähnchen vor der Fassade des polnischen Bristol gefilmt. Zwei Bodyguards standen feixend daneben.
Alles mit deutschem Bibliotheksausweis.
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