Barack Obama und irgendwas ist anders
Man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen: Amerika hat seinen ersten schwarzen Präsidenten. Das ist ungefähr so, wie wenn die römischen Kardinäle endlich eine Frau zur Päpstin wählen würden. Oder ganz winzig und überschaubar gedacht: Als würde der nächste französische Präsident eine Frau, der neue deutsche ein Muslim. Wobei man natürlich Äpfel mit Birnen nicht vergleichen sollte, denn der deutsche Präsident hat nicht viel zu sagen. Kurzum, eigentlich hätte man heute morgen aufwachen müssen, ein langes Aaaaaahhh stöhnen und fühlen, wie sich die Erde dreht.
Früher, als ich noch jünger war, haben mich solche Ereignisse tief berührt und mitgerissen. Die Welt war für uns eins, wir wussten, wenn in China der berühmte Sack Reis umfällt, würde man das am anderen Ende der Landkarte spüren. An der Uni sammelte man Stiefel für Nicaragua und lud Redner aus Afrika ein. Wenn Reagan sprach, ging man auf die Straße und brüllte seinen Unmut heraus. Es betraf einen, man lebte damit, man engagierte sich, reagierte. Man fühlte so etwas wie die Wucht der Geschichte, wenn sich große Dinge ereigneten.
Und heute? Heute koche ich erst mal meinen Kaffee und gieße meine Petersilie. Irgendwann bekomme ich es mit, so ganz nebenbei - und jetzt müsste ich eigentlich die Wucht der Geschichte spüren. Stattdessen spüre ich nur meine eigenen Sorgen, die viel damit zu tun haben, dass die Welt den Turbokapitalismus anbetet. Ich fühle mich klein, hilflos. Und ich weiß inzwischen zu viel von der Welt. Weiß, dass Barack Obama auch nur ein Rädchen von vielen ist. Er hat diesen Kampfgeist, daran zu glauben, dass jedes Rädchen wichtig ist an seinem Platz und etwas bewirken kann. Er weiß, was es bedeutet, wenn zu einer Schneeflocke viele weitere winzige Schneeflocken dazu kommen, bis daraus eine mächtige Lawine wird.
Und ich bin müde, trinke meinen Kaffee und mein Kopf dröhnt von all dem Medienrummel, den grellen Bildern, dem Dauergeschwätz, den falschen Bildern, den gemachten Bildern, den angeblichen Experten, Beurteilern, Kommentatoren.
Ist es vielleicht das, was sich seit meiner Jugend geändert hat? Damals schien die Welt noch so einfach und geradlinig zu durchschauen. Es juckte einen nicht, wenn man nicht über jeden Furz in Hinterindien und die keuchende Kuh in Kalifornien informiert war. Als ich später Journalistin wurde, rannte man morgens noch zum Ticker, riß die Agenturmeldungen ab und stöhnte, dass dpa schon wieder drei Meter gesendet hatte. Aber man konnte mit geübtem Auge in Nullkommanichts ausfiltern, was wichtig war. Noch waren die Meldungen sortierbar, waren einzuschätzen. Noch hat man gemerkt, wann ein Informant geschummelt haben könnte, wo man nachrecherchieren musste. Irgendwann gab es keine altertümlichen Ticker mehr und kein Personal mehr zum Nachrecherchieren.
Ich trinke meinen Kaffee und freue mich, dass wenigstens er wirklich ist. Denn ich stehe heute vor drei Welten, die ich sortieren muss. Da ist die virtuelle Welt, bei der man sich immer einbildet, sie sei greifbar und real, obwohl sie eigenen Gesetzen gehorcht. Schlimmer noch ist aber die schöne neue Medienwelt, die uns Wahrnehmungen und Wirklichkeiten vorgaukelt, die nicht einmal mehr alle Journalisten durchschauen und analysieren können oder wollen. Und irgendwo hinter all diesen Filtern sitzt der reale Barack Obama, von dem wir gar nichts wissen, weil wir nur auf unsere Filter schauen. Macht zu viel Aufklärung unpolitisch und zu viel Information dumm?
Statt in Feierlaune zu sein, grusle ich mich ein bißchen. Fühle mich wie in einem Science Fiction, wo die wahre Gefahr nicht die Welt selbst ist, sondern das Bild, das wir uns von ihr machen. Aber ein bißchen von dem Kampfgeist, den Obama vermittelt, hätte ich jetzt auch ganz gern...
Endlich! Ich habe gleich heute morgen den Rechner angeworfen, um nachzulesen, ob er es wirklich geschafft hat. Und der Vergleich mit dem Papst passt natürlich deswegen nicht, weil der Papst nicht so genial Wahlkampf macht wie Obama... lies mal das hier: http://www.thalia.de/shop/tha_homestartseite/suchartikel/von_der_botschaft_zur_bewegung/kerstin_plehwe/ISBN3-9812629-0-5/ID16153584.html?jumpId=527613
AntwortenLöschenDer Papst sperrt seine Wahlmänner ja auch ein. ;-)
AntwortenLöschenSeltsam, so unrund fühle ich (mich) auch. Genau wie du es beschreibst. Gleichzeitig erinnere ich mich noch, wie wir damals vor 8 Jahren in unserer Liste "gejault" haben.
AntwortenLöschenIch freue mich ... und kehre Herbstblätter, kicke hinein, schaue, wie sie kurz in der Luft tanzen und dann wieder zu Boden trudeln, schnell und heftig die einen, langsam und sanft die anderen.
Gruß aus dem Odenwald
Elke
Naja, mein Gruseln ist natürlich textlich etwas inszeniert. Im wahren Leben bin ich, was meinen Beruf betrifft, absolut abgebrüht, sprich, mich haut nicht wirklich noch etwas um. Deshalb nutze ich auch die "alles neu"-Stimmung und mach Osterputz...
AntwortenLöschenWobei man ja nicht vergessen darf:
AntwortenLöschenObamas Hautfarbe mag schwarz sein, jedoch ist er, seiner Herkunft und seines Weges nach nun wirklich nicht mit dem zu vergleichen, was man in Amerika unter einem "Afroamerikaner" versteht.
Wir hatten mal einen türkischstämmigen Nachbarn, der kein Wort türkisch konnte, Norddeutschen Akzent sprach, Anzugträger und in hoher Leitungsposition in einer mittleren Firma, von der CDU zur FDP gewechselt, besuchte jeden Sonntag unsere evangelische Kirchengemeinde, besaß einen Kleingarten und vier Abiturienntenkindern, die allesamt Ärzte und Anwälte geworden sind.
Kurz: Er sah türkisch aus, aber er war der Deutscheste Spießbürger unserer Nachbarschaft. Sollte er jemals Bundeskanzler werden, wäre die einzige Sensation daran, dass er aus der FDP kommt.
Auch Obama ist erheblich weißer, als man aufgrund seiner Hautfarbe annehmen mag. Ich sage das nur, weil es immer noch ein Quantensprung ist zwischen einem "Dunkelhäutigen US-Präsidenten" wie Barrack Obama, und einem "Schwarzen" US-Präsidenten, der auch wirklich aus einem solchen Umfeld kommt.
Obama ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber das Ziel ist noch ein gutes Stück entfernt!
Gruß,
Marco
Ups - immer diese Begrifflichkeiten. :)
AntwortenLöschenMan mag meinen ersten "Afroamerikaner" bitte durch einen "Schwarzen" vertauschen, dann passt's wieder. :)
Weißt du was, Marco, ich guck nicht auf Hautfarben, sondern auf den Charakter... (egal bei wem), ist einfacher ;-)
AntwortenLöschenLass mich ein Gedankenspiel bis über die Spitze treiben:
AntwortenLöschenIch schaue weder auf Hautfarbe, noch auf Charakter, ich schaue auf Sozialisaton... :D
Hautfarbe hin, Charakter her -
Ich sehe in der Wahl Obamas einfach NOCH nicht DEN Triumph, noch nicht DEN Befreiungsschlag, den du darin siehst, und den ich gerne hätte.
Aber fast... Aber fast!
Sehe ich irgendwo einen Befreiungsschlag? Huch? Ich habe eigentlich versucht zu beschreiben, dass ich meine jugendliche Naivität verloren habe und die Welt nicht mehr so einfach zu erklären ist. ;-)
AntwortenLöschenHmm...
AntwortenLöschen"Man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen: Amerika hat seinen ersten schwarzen Präsidenten. Das ist ungefähr so, wie wenn die römischen Kardinäle endlich eine Frau zur Päpstin wählen würden."
Ausgehend von dem Papstvergleich (Über 100 Jahre Tradition und Geschlechterkampf) Ich hatte dies als "Triumph", bzw. "Befreiungsschlag" gewertet.
Und daraufhin erwähnt, zwischen einem "dunkelhäutigen" und einem "schwarzen" Präsidenten gibt es meiner Ansicht nach Unterschiede.
Mag mich jedoch auch irren... :)
Ich geb's ja zu, der Papstvergleich war völlig missraten... (übrigens, wenn der Papst eine Päpstin würde, gäbe es auch nicht automatisch mehr Emanzipation auf der Erde).
AntwortenLöschenGrüßle, Petra
uups,
AntwortenLöschengerade sehe ich, dass du doch eine Reaktion gezeigt hast. Hat nur ein bisschen gedauert.
Da befördere ich dich wieder zum befreundeten Blog ;)
und jetzt habe ich den Kommentar auch noch an den falschen Artikel gehängt.
AntwortenLöschenFür heute stelle ich nun jede Tätigkeit ein...