Kreise schließen sich
Eigentlich ist es noch ein russisches Wintermärchen (Vorsicht, länglich).
Wer hier länger mitliest, wird wissen, dass ich einen Traum habe. Ich glaube unverbesserlich und idealistisch daran, dass auch heute noch etwas anderes möglich sein muss als "durchhörbare" Bücher, wie das Thomas Roeder so schön nennt. Er meint damit Bücher, die ihre Leser nicht mehr anstrengen, leicht konsumierbar - und übrigens für die Autoren auch leicht an Verlage zu verkaufen.
Ich träume (nicht nur als Autorin) von Büchern, die Horizonte aufreißen, Ungewöhnliches wagen, neue Denkwelten bieten, und durchaus auch einmal ihre Leser (heraus)fordern. Ich träume von Büchern, die nicht in die Betulichkeit einer Tante Erna oder ins Verlagsschema F gepresst werden. Bücher, die kein eindeutiges Geschlecht haben, bei denen das Geschlecht der Autorin genauso wenig eine Rolle spielt wie das von Hauptfiguren und Lesern (und für manche Verlage muss man leider hinzufügen: die Nationalität auch nicht). Ich träume von Büchern, bei denen Sprache und Form die gleiche Rolle spielt wie der Inhalt, weil Sprache nicht immer nur der kleinste gemeinsame PISA-Nenner sein darf, sondern eine Kunst ist, eine Kunst wie Musik, Malerei, Tanz, Bildhauerei...
Mit meinen Büchern über das Elsass und Rosen habe ich mich langsam vorgetastet, geschnuppert.
Ich träume auch einen ganz privaten Traum. Weil ich selbst als Synästhesistin meine Texte hör-seh-fühle, so wie ich z.B. eine Symphonie von Mahler oder ein Bild von Kandinsky wahrnehme, sind mir Texte allein fast zu eindimensional. Als ich für die BBC an der DVD zu Francis Poulenc mitarbeitete, bekam ich eine Ahnung davon, dass unterschiedliche Medien und moderne Techniken vielleicht eines Tages auch die Ausdrucksformen von Text erweitern könnten. Wäre es eines Tages möglich, einen "anderen" Text zu schaffen?
Ich habe mir dann erst einmal fast die Nase blutig geschlagen, weil "Durchhörbarkeit" und 0815-Strickmuster fröhliche Urständ feiern. Selbst Freunde verstanden mich nicht mehr: "Warum passt du dich nicht endlich an?" Wie passt sich eine an, die mit sechs Jahren eine Blumenwiese malte, auf der mit ungelenken Großbuchstaben steht: Es ist verboten zu verbieten...
Wenn man einen Traum nicht nur fest genug träumt, sondern auch hart genug dafür arbeitet, passiert es manchmal, dass sich die Linien, die ins Nichts zu führen scheinen, zu Kreisen biegen. Manchmal fangen diese Kreise an, sich zu überschneiden - und dann gelangt so ein Traum in die Realität.
Ich weiß nicht, wann sich die erste Linie bog. Als ich im Sommer an einem Zauberort eine Verlegerin kennenlernte, ahnten wir beide nichts. Als es mir kürzlich gelang, nach über einem Jahr vergeblicher Versuche Karten für die Dostojewski-Nacht in Baden-Baden zu ergattern, freute ich mich wie ein Schneekönig, aber träumte nur heftigst. Ich schrieb ja nur heimlich. Aber plötzlich bogten sich Kreise...
Da war der georgische Maler, den ich am gleichen Zauberort kennenlernte, dem ich mit meinem letzten Geld ein Bild abkaufte. "Ludzie" (poln. "Leute") nenne ich es für mich, weil der Wortklang tanzt und sich aufbäumt und rund ist. Männer, Frauen, Zwischenwesen, sie versammeln sich, drapieren sich, überall Beine - sie tanzen. Das gesichtslose Wesen mit seinem gewaltigen Rot hat keine Macht; es schwelt eine kleine orangene Revolution da unten, die nicht gewalttätig ist, sondern schön, erotisch: Kunst. Ich habe das Bild an einem Tag gekauft, an dem ich selbst aufgeben wollte. An dem ich beinah zerbrochen wäre am Massenmarkt, der so hochrot durchknallt: Du musst dies, du musst das! Das Bild sagt mir: Trotzdem.
Ich traf die Verlegerin wieder. Sie erzählte mir von einem Thema, das ich "Dingens" nennen will, denn solche Sachen sind ja immer strengstens geheim bis zur Verlagsvorschau. Ihr Traum. Ich stolperte hinein; Dingens biss mich nicht, Dingens verschlang mich. Ich las ihr aus meinem heimlichen Schreiben vor. Und plötzlich rundete sich so viel mehr. Hatte ich nicht vor zwei Jahren, weil ich die musikalischen Klänge in Baden-Baden ständig auf der Straße höre, beschlossen, mein verstaubtes Russisch wieder aufzufrischen? Hatte ich nicht nur nach einem zwingenden Anlass gesucht? Das Wörterbuch liegt wieder auf meinem Tisch... Und ich entdeckte: Dingens war schon mal in Baden-Baden.
Kurzum: Wir werfen zwei Träume zusammen und produzieren. Wenn alles klappt, soll Dingens im Herbst 2009 erscheinen. Die Zeit, die Riesenverlage inzwischen brauchen, um sich überhaupt entscheiden zu können, nutzen wir fürs Texten und Herstellen. Es wird für mich eine ganz besondere Herausforderung, denn, nur so viel kann ich verraten - dieser Text wird nicht als Buchstabenansammlung sichtbar werden und sich mit einer anderen Kunst verbinden. Und Dingens hat sehr sehr viel mit Russland zu tun, auch wenn es nicht um das Land geht.
Um mein Glück zu begreifen, habe ich auf Zbginiew Preisners Musik zu Kieslowskis Film "Das doppelte Leben der Veronika" getanzt und lauthals gesungen. Als ich den Film im Original sah, habe ich gelernt, dass der Zu-Fall im Polnischen eine Art magnetische Laufrichtung hat. Parallel läuft er neben einem her, begegnet einem nie. Aber wenn man sich ihm nur ein klein wenig entgegen neigt, verschiebt sich die eine Linie der Parallele, fällt er auf einen zu.
Ich staunte nicht schlecht. Als ich Dingens, für das es keine einheitliche Schreibweise gibt, in kyrillischen Buchstaben las, wusste ich plötzlich die polnische Schreibweise. Und erinnerte mich an das heftige Dingensfieber in Warschau, das auch mich mitgerissen hatte. Das war also Dingens! Als ich als kleines Kind ein goldenes Geschenkband in die Haare band und so tat, als könne ich tanzen und Klavier spielen, stand Dingens eigentlich schon neben mir. Ich lernte mit sieben oder acht kyrillische Buchstaben, um "Geheimzettelchen" mit meiner Mutter auszutauschen.
Dingens war schon so lang da. Jetzt will er raus. Und er darf raus.
Denn es gibt trotz all des billigen Einheitsbreis noch Verleger mit Mut, Risikofreude, Liebe zum eigenen Metier und zur Kunst. Dingensfieber. Unheilbar. Ich Stschastliwtschik!
Wer hier länger mitliest, wird wissen, dass ich einen Traum habe. Ich glaube unverbesserlich und idealistisch daran, dass auch heute noch etwas anderes möglich sein muss als "durchhörbare" Bücher, wie das Thomas Roeder so schön nennt. Er meint damit Bücher, die ihre Leser nicht mehr anstrengen, leicht konsumierbar - und übrigens für die Autoren auch leicht an Verlage zu verkaufen.
Ich träume (nicht nur als Autorin) von Büchern, die Horizonte aufreißen, Ungewöhnliches wagen, neue Denkwelten bieten, und durchaus auch einmal ihre Leser (heraus)fordern. Ich träume von Büchern, die nicht in die Betulichkeit einer Tante Erna oder ins Verlagsschema F gepresst werden. Bücher, die kein eindeutiges Geschlecht haben, bei denen das Geschlecht der Autorin genauso wenig eine Rolle spielt wie das von Hauptfiguren und Lesern (und für manche Verlage muss man leider hinzufügen: die Nationalität auch nicht). Ich träume von Büchern, bei denen Sprache und Form die gleiche Rolle spielt wie der Inhalt, weil Sprache nicht immer nur der kleinste gemeinsame PISA-Nenner sein darf, sondern eine Kunst ist, eine Kunst wie Musik, Malerei, Tanz, Bildhauerei...
Mit meinen Büchern über das Elsass und Rosen habe ich mich langsam vorgetastet, geschnuppert.
Ich träume auch einen ganz privaten Traum. Weil ich selbst als Synästhesistin meine Texte hör-seh-fühle, so wie ich z.B. eine Symphonie von Mahler oder ein Bild von Kandinsky wahrnehme, sind mir Texte allein fast zu eindimensional. Als ich für die BBC an der DVD zu Francis Poulenc mitarbeitete, bekam ich eine Ahnung davon, dass unterschiedliche Medien und moderne Techniken vielleicht eines Tages auch die Ausdrucksformen von Text erweitern könnten. Wäre es eines Tages möglich, einen "anderen" Text zu schaffen?
Ich habe mir dann erst einmal fast die Nase blutig geschlagen, weil "Durchhörbarkeit" und 0815-Strickmuster fröhliche Urständ feiern. Selbst Freunde verstanden mich nicht mehr: "Warum passt du dich nicht endlich an?" Wie passt sich eine an, die mit sechs Jahren eine Blumenwiese malte, auf der mit ungelenken Großbuchstaben steht: Es ist verboten zu verbieten...
Wenn man einen Traum nicht nur fest genug träumt, sondern auch hart genug dafür arbeitet, passiert es manchmal, dass sich die Linien, die ins Nichts zu führen scheinen, zu Kreisen biegen. Manchmal fangen diese Kreise an, sich zu überschneiden - und dann gelangt so ein Traum in die Realität.
Ich weiß nicht, wann sich die erste Linie bog. Als ich im Sommer an einem Zauberort eine Verlegerin kennenlernte, ahnten wir beide nichts. Als es mir kürzlich gelang, nach über einem Jahr vergeblicher Versuche Karten für die Dostojewski-Nacht in Baden-Baden zu ergattern, freute ich mich wie ein Schneekönig, aber träumte nur heftigst. Ich schrieb ja nur heimlich. Aber plötzlich bogten sich Kreise...
Da war der georgische Maler, den ich am gleichen Zauberort kennenlernte, dem ich mit meinem letzten Geld ein Bild abkaufte. "Ludzie" (poln. "Leute") nenne ich es für mich, weil der Wortklang tanzt und sich aufbäumt und rund ist. Männer, Frauen, Zwischenwesen, sie versammeln sich, drapieren sich, überall Beine - sie tanzen. Das gesichtslose Wesen mit seinem gewaltigen Rot hat keine Macht; es schwelt eine kleine orangene Revolution da unten, die nicht gewalttätig ist, sondern schön, erotisch: Kunst. Ich habe das Bild an einem Tag gekauft, an dem ich selbst aufgeben wollte. An dem ich beinah zerbrochen wäre am Massenmarkt, der so hochrot durchknallt: Du musst dies, du musst das! Das Bild sagt mir: Trotzdem.
Ich traf die Verlegerin wieder. Sie erzählte mir von einem Thema, das ich "Dingens" nennen will, denn solche Sachen sind ja immer strengstens geheim bis zur Verlagsvorschau. Ihr Traum. Ich stolperte hinein; Dingens biss mich nicht, Dingens verschlang mich. Ich las ihr aus meinem heimlichen Schreiben vor. Und plötzlich rundete sich so viel mehr. Hatte ich nicht vor zwei Jahren, weil ich die musikalischen Klänge in Baden-Baden ständig auf der Straße höre, beschlossen, mein verstaubtes Russisch wieder aufzufrischen? Hatte ich nicht nur nach einem zwingenden Anlass gesucht? Das Wörterbuch liegt wieder auf meinem Tisch... Und ich entdeckte: Dingens war schon mal in Baden-Baden.
Kurzum: Wir werfen zwei Träume zusammen und produzieren. Wenn alles klappt, soll Dingens im Herbst 2009 erscheinen. Die Zeit, die Riesenverlage inzwischen brauchen, um sich überhaupt entscheiden zu können, nutzen wir fürs Texten und Herstellen. Es wird für mich eine ganz besondere Herausforderung, denn, nur so viel kann ich verraten - dieser Text wird nicht als Buchstabenansammlung sichtbar werden und sich mit einer anderen Kunst verbinden. Und Dingens hat sehr sehr viel mit Russland zu tun, auch wenn es nicht um das Land geht.
Um mein Glück zu begreifen, habe ich auf Zbginiew Preisners Musik zu Kieslowskis Film "Das doppelte Leben der Veronika" getanzt und lauthals gesungen. Als ich den Film im Original sah, habe ich gelernt, dass der Zu-Fall im Polnischen eine Art magnetische Laufrichtung hat. Parallel läuft er neben einem her, begegnet einem nie. Aber wenn man sich ihm nur ein klein wenig entgegen neigt, verschiebt sich die eine Linie der Parallele, fällt er auf einen zu.
Ich staunte nicht schlecht. Als ich Dingens, für das es keine einheitliche Schreibweise gibt, in kyrillischen Buchstaben las, wusste ich plötzlich die polnische Schreibweise. Und erinnerte mich an das heftige Dingensfieber in Warschau, das auch mich mitgerissen hatte. Das war also Dingens! Als ich als kleines Kind ein goldenes Geschenkband in die Haare band und so tat, als könne ich tanzen und Klavier spielen, stand Dingens eigentlich schon neben mir. Ich lernte mit sieben oder acht kyrillische Buchstaben, um "Geheimzettelchen" mit meiner Mutter auszutauschen.
Dingens war schon so lang da. Jetzt will er raus. Und er darf raus.
Denn es gibt trotz all des billigen Einheitsbreis noch Verleger mit Mut, Risikofreude, Liebe zum eigenen Metier und zur Kunst. Dingensfieber. Unheilbar. Ich Stschastliwtschik!
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