Nicht gut genug?

Irgendwer hat einmal gesagt, es gibt nirgendwo sonst so viele neurotische Perfektionisten wie unter den Schriftstellern. Da ist was dran. Ein neurotisch perfektionistischer Banker wird ohne Abfindung freigesetzt, neurotisch perfektionistische Lehrer landen im Nervenzusammenbruch und neurotisch perfektionistische Briefmarkenhändler im Konkurs. Nur Schriftsteller finden selbst mit den übelsten Gebrechen noch einen Vertrag.

"Dann bist du eben nicht gut genug" - irgendwer in den Kommentaren weiter unten schrieb, dass man das als Autor gern von KollegInnen zu hören bekommt, wenn etwas nicht glatt läuft. Absage? Na klar, du solltest einfach besser werden! Irgendwer mosert an einer Szene herum? Warum hast du es nicht geschafft, eine zu entwerfen, die allen gefällt! Du hast zehn Testleser und jeder sagt etwas anderes? Nimm dir elf und du hast dreizehneinhalb Meinungen! Wir müssen besser als gut genug sein und wir wollen das auch. Denn unsere Mami hat das früher auch gesagt: Streng dich an. Guck mal, wie dein großer Bruder das macht. Das könntest du besser. Das hast du falsch geschrieben, dafür wird der Nachtisch gestrichen. Wir sollten dankbar sein für solche Kollegen - sie sind so mütterlich.

Blutige Anfänger und verkannte Dichter zeigen allerdings mehr Mut und Selbstbewusstsein. Sie können noch herrliche Tiraden über die ach so ignoranten Verlage abfassen, statt am Text zu arbeiten. Kritik ficht sie nicht an; wer das Werk nicht drucken mag, weiß einfach das kommende Genie nicht zu schätzen. In jugendlichem Leichtsinn und fröhlichem Größenwahn bewirbt man sich zuerst einmal beim größten erreichbaren Verlag. Ehre, wem Ehre gebührt. Ja, ja, auch ich habe eine Absage von Bertelsmann für ein noch kindliches Werk in der Schublade. Ich werde nicht rot. Denn anfangs braucht man ein wenig Größenwahn, als Impetus. Irgendetwas mus einen doch über diese Schwelle schubsen!

Einmal im Leben muss man das gefühlt haben: Ich bin wer. Ich kann was. Ich werde Bestseller schreiben. Aber einmal reicht. Denn Kunst macht Spaß, aber auch viel Arbeit - und Größenwahn macht faul. Die Idole der Größenwahnsinnigen taugen nicht als Vorbilder. Jesus und Napoleon haben keine Bestseller geschrieben. Doch manche dieser Autoren bleiben vermessen und eingebildete Genies, leben glücklich und zufrieden im Kokon ihrer Seifenblase. Denn die Welt da draußen ist einfach zu dumm. Die anderen Autoren werden erwachsen und leben auch in einer feindlichen Welt. Die nämlich heuchelt selbst über verunglückte Texte Begeisterung und klatscht schrecklichen Jugendsünden Beifall. Solche Autoren stricken sich manchmal auch einen Kokon, zwei links in Selbstmitleid, zwei rechts in Selbstzerstörung.

Der Schriftsteller, der es geschafft hat, erwachsen zu werden, stürzt ins andere Extrem. Er wird sein ärgster Feind. Er dissoziiert in den schlimmsten Kritiker der Weltgeschichte, der das masochistische kleine Häuflein Schreiberling niedermacht - und lustvoll nachtritt. Weil aber die Domina an der Tastatur auch nicht sagen kann, wo es langzugehen hat, schrumpft dem kleinen Häufchen erst recht die Potenz. Nichts geht mehr, das weiße Papier wird zum Abgrund tiefster Seelenqualen. Ich bin nichts, ich kann nichts. Bestseller? Ich schaffe ja noch nicht einmal ein Buch!

In diesem Stadium ist es Zeit, sich eine gepflegte Depression zu nehmen. Es soll Kollegen geben, die sich die manische Phase der Schreibjugend zurück saufen wollen oder zu Schlimmeren greifen. Sie vergessen, dass ein Hammet sein Publikum schmählich allein gelassen hat. Warum musste der Kerl sich das Hirn absaufen? Manche Autoren leben sich in dieser Phase im Roman aus: Ein Löffelchen Mord für mich als Deppen, ein Löffelchen Mord für mich als schlechten Stilisten, ein Löffelchen Mord für den miesen Plot. Kein Wunder, dass solche Schriftsteller am Happy-End-Gebot moderner Verlage verzweifeln. Lektoren glauben doch tatsächlich, man könne einen Katatoniker mit Jahrmarktsmusik aufwecken!

Hat man sämtliche Extreme augetestet, ist man endlich völlig orientierungslos. Der Mordbube im eigenen Herzen bringt nicht mehr genug Lust an der Qual, fremde Peiniger müssen her. Moderne, technikaffine Schriftsteller begeben sich in Datingbörsen im Internet, die sich als Autorenforen oder Textkritik-Plattformen tarnen. In Wirklichkeit werden hier SM-Paare vermittelt: Liest du meins, les ich deins. Machst du mich fertig, tret ich dich. Schmierst du mir Honig ums Maul, tret ich dich doppelt. Die Menschen in solchen Swingerclubs nennt man gemeinhin "Testleser" und vergisst dabei eins: Mit einem Swinger hat man Sex. Aber man lässt doch nicht jeden ans Eingemachte ran!

Fünf Testleser sind eine vernünftige Zahl, weil der Mensch fünf Extremitäten hat, die man beim Rädern abreißen kann. Aber das reicht nicht. Man muss sich auch noch ausgerechnet ins Kolosseum begeben. Ein Indianer weint nicht und was ein echter Gladiator ist, der schreibt auch noch, wenn er längst bewusstlos ist. Oben in der Agentenloge sitzt der Caesar und hebt die Hand. Die Testleser im Publikum kreischen. Wohin wird sein Daumen zeigen? Diesen ganzen irren Zinnober hat man doch nur auf sich genommen, weil man ahnt... nach unten, was sonst, zu schlecht für diese Welt, nach unten.

Der Caesar besinnt sich anders. Die Testleser jubeln. Diesen Gladiator kann man verkaufen, bevor er ganz auseinander fällt! Und während sich der mühsam wiederbelebt, zweifelt er von Neuem. Wer wird mein Herr sein? Wo werde ich künftig in Diensten stehen? Nach diesem Desaster schaffe ich es nie in die Villa Aurea im warmen Süden. Vielleicht könnte ich mein Manuskript noch zurechtklonen für einen Job am Hadrianswall? Ein Auftrag aus Mittelgermanien wäre natürlich der absolute Abstieg, bevor jeder Aufstieg begonnen hat.

Ich bin nicht gut genug. Ich bin nichts. Ich kann nichts. Keiner liebt mich. Mama gibt mir nur ein Dessert, wenn ich brav bin. Eine ideale Strategie der Selbstverhinderung, lustvolle Selbstzerfleischung und der sichere Weg in einen Job als Briefmarkenverkäufer.

Manche fallen wieder in frühkindliche Muster zurück. Werden größenwahnsinnig. Pah, der Oberdepp von Kollege hat es doch auch geschafft! Hast du gesehen, was die kürzlich für ein mieses Buch im Programm hatten? Man fragt sich, wo das Lektorat war. Das kann ich auch. Schlecht bin ich selbst. Ich schaffe das. Und bei der nächsten Absage lacht einem der Oberdepp frech ins Gesicht und kräht: "Warst du eben nicht gut genug!"

Ja, ofendeckelmistkäfermülleimeraltlastensaperlott noch mal, wie soll man so zu einem vernünftigen Text kommen!? Wie soll man, derart durchgeknallt, vor ganz normalen Lesern bestehen? Die werden das doch durchschauen, das mit dem Dessert damals und der Mutter. Weil man keine Zeit für den Psychiater hat, sucht man sich externe Berater. Macht Workshops. Liest Ratgeber. Und weint, weil es viel zu wenig praktische Hilfen gibt. Wo bleibt das passende Seminar? Wie bringe ich meine Schwierigkeiten mit dem dritten Akt in Deckung mit meiner Ehe? Leide ich schon an Aphasie, wenn ich Adjektive vermeide? Warum kann ich nicht mehr fröhlich sein und verschiebe meine Steuererklärung?

Freud wusste es besser. Er verweigerte nach kurzem Einblick Gustav Mahler eine ausführliche Analyse. Der Mann könne ohne seine Neurosen nicht mehr komponieren. Warum schreiben die Leute, die genau wissen, wie man einen verdammt guten Roman schreibt, keinen solchen? Ganz genau. Sie sind zu gut. Sie können alles. Sie machen nichts mehr falsch. Sie essen täglich zwei mal Dessert.

Frisch ans Werk. Auch in der Geschlossenen gibt es Papier. Es kann uns nichts passieren. Raus mit allem, was stört. Wir stellen uns einen Pudding auf den Tisch und geben uns Mühe, den besten schlechtesten Text unseres Lebens zu verfassen. Mama soll still sein, die soll das Buch kaufen.

Viel zu lang dieser Text hier. Zu geschwätzig. Die Pointen kommen nicht spitz genug, Anfängerware...

2 Kommentare:

  1. Danke, Gesichtslos, aber muss man für ein Kompliment seinen Namen verstecken? ;-)
    (Hinweis mit dem Zaunpfahl: Vollkommen anonyme Kommentare werden normalerweise kommentarlos gelöscht)

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