Ein Jahr in den Koffer gesteckt

Das Opferfest der Muslime ist vorbei, es stehen noch Channuka und Weihnachten an - und wir alle zusammen müssen uns sputen, neue Kalender zu kaufen, weil die alten sehr schütter werden. Zeit für einen ganz privaten Jahresrückblick. Wie aber sortiere ich das Jahr 2008? Es ist heuer ganz einfach: Es war besch...(eiden). So dämlich und debil kann 2009 gar nicht werden.

Als mir zwei Fastverträge urplötzlich platzten, dachte ich noch naiv an Frühlingsgewitter. Da hatte halt mal der eine den anderen gekauft und kein Geld mehr vom anderen, um andere zu kaufen, und dann hatte der eine keine Lust auf den Kram vom anderen und suchte anderen Kram, und dann wollte ich nicht kramen, schon gar nicht anders. Später Arbeit an einem großen Genußprojekt passend für einen Verlag, der bedauert, haargenau dieses gerade an eine Hausautorin vergeben zu haben. All das kann jedem passieren. Ich habe als Kind im Kaufladen auch nie Waschpulver gekauft, wenn es Liebesperlen gab. Man muss sein Geld zusammenhalten für all die freundlichen Übernahmen durch rote Gummibärchen, die dann doch zuerst gefressen werden.

Das Geld ging mir dann aber ganz fix aus, weil andere, die noch nicht verkauft oder gekauft oder überhaupt wussten, wie man kauft, auch nicht wussten, wie man Entscheidungen trifft und wer da wen mit seinen Entscheidungen treffen könnte. Rrrrrisikoooo, schwähäre Entscheidungen, da müssen wir erst die dritte Konferenz hinter der fünften überstehen, schwärend, und den Vor-Während-Nachbuchmesserummel dazu und dann ist Weihnachten. Und jetzt, wo der Lover die Lektorin im Stich gelassen hat und der Chef am Morgen ins Büro dampft und auch nicht weiß, was er will, und eigentlich nur wütend ist, weil das Meeting gleichzeitig mit seinem Kater, und der Wodka ist in diesem Jahr auch schlechter geworden, wie Katzenpisse, die stürzt auch ständig vom Himmel, dass man in diesem Sommer keinen Hund vor die Tür jagt.

It's raining cats and dogs in vielen Entscheiderhirnen und dann lief da was aus und keiner wusste wohin, und ein Starautor nannte das die große geistige Krise in der Verlagsbranche und im Feuilleton. So, jetzt ist es öffentlich benannt, es läuft darum nicht weniger und die Inkontinenz des Jahres 2008 ergießt sich ins Darwin'sche 2009, survival of the fittest. Endlich funktioniert Evolution wieder, die Klimakrise macht die Ölknappheit zunichte; Leute, die Geld vernichten, bekommen Geld geschenkt und vernichten auch das, und Nischenbewohner, die früher im Mainstream nichts zu sagen hatten, erobern das Weiße Haus und die Kunst.

Dann der Sommer mit Kontrastprogramm. Regen auf Rosen. Rosen in einem Tabakschuppen und eine völlig neue Welt. (Da war ja dieses neue Buch, über das ich mich so freute, wenn ich denn zum Freuen kam). Ich begriff, dass Innovation, Kunst und wahres Unternehmertum längst nicht mehr dort sitzen, wo Unternehmensberater und Werbefachleute diese Eigenschaften hinreden wollen. Die ganz Mutigen, die wirklich Kreativen, die Jetzt-Trotzdem-Leute brodeln von unten. Sie handeln, während andere in Dauermeetings das Leben verschnarchen. Sie improvisieren und erfinden, während andere die Sicherheit anbeten. Sie unterwandern PISA und Schund und schlagen dem Kitsch freche Schnippchen. Sie entscheiden. Hier und jetzt. Ohne Wenn und Aber.

Ich fühlte mich wohl an jenem Sommertag. Ich ahnte nicht, wie sehr er mich verändern würde.
Und als es ganz vorbei war mit Sicherheit und Planbarkeit, kam der Zauber. Irgendwie immer just in time. Wundervolle Lesungen vor wundervollem Publikum, das mir meinen Weg bestätigte. Ein Übersetzungsauftrag für einen deutsch-französischen Theaterabend. Viele Anfragen für genussreiche Sinnesreisen aus dem Publikum, von Veranstaltern, und in den großen Verlagen wieder nur Dauervermeidungskonferenzen, Bedenkenträgergesichter, Risikoscheue, Berufsabwarter. Aber Trotz macht schwanger und so wurde Gina Grumbier mit ihrem Koffer für die Bühne geboren, weil Text kein Buch braucht, um Geschichten aus dem Koffer zu erzählen.

Die gute Gina ahnte nicht, wie sie ihre Autorin veränderte. Gegen Jahresende das neue große Projekt, völlig überraschend, direkt fürs Hören mit Text und Musik - und schnell gehen muss alles, man konferenzt sich nicht zu Tode, sondern macht. Endlich wirklich und richtig kreativ sein dürfen. Das Arbeiten ein Rausch. Das Schreiben nimmt neue Formen an. Frischer Wind im Gehirn. Und ein leiser Schrei aus der Schublade.

Nicht nur Gina hat einen Koffer. Da war noch dieser Roman mit dem Koffer. Der so anders war. Der mit dem Kein-Zurück. Heimliches Schreiben. Die Autorin träumt inzwischen nachts von Koffern. Muss eiligst das Nötige packen, flüchten, immer wieder flüchten. Da sind dunkle Gestalten in Dauermeetings. Da sind böse Geheimdienstler, die über Geschmack und Verblödung des Publikums bestimmen wollen. Da droht die Konsummafia. Nichts wie weg. Zum Glück alles nur ein böser Traum, keine Paranoia. Die Autorin findet im Keller einen uralten Emigrantenkoffer für Gina. Qualität fürs Unterdeck. Sie schreibt. Währenddessen geht im Text unsichtbar die Titanic unter, die schöne glatte Luxuswelt.

Gestern war die Autorin wieder in jenem Tabakschuppen, in dem alles angefangen hatte. Wo jenes Jetzt-erst-recht geboren wurde. Wo Kunst und Literatur sie infiltrierten. Wo sie Publikum fand, das gern liest und genießt und doch gute Bücher immer mehr vermisst. Wo sie mit einer Frau am Tisch saß, ohne dass beide ahnten, dass sie einmal ein Projekt zusammen machen würden. Wo die Schnapsidee mit der Bühne entstand und Gina ihren Nachnamen bekam.

Es ging alles ganz schnell. Gina Grumbier wurde engagiert. Wird mit ihrem Koffer im Juni 2009 dort auftreten. Und als die Autorin hochblickte, um die Bühne zu inspizieren, stieg ein seltsames Lachen in ihr auf wie Himbeerbrause. Die riesigen uralten Schrankkoffer dort oben kamen als Bühnenbild gerade richtig.

Und damit wünsche ich allen Leserinnen und Lesern von "cronenburg" mutiges "Kofferpacken" und improvisierende Beweglichkeit für 2009 - und ein paar erholsame, entspannende freie Tage, in denen man das machen kann, was mein Hund so perfekt beherrscht: Abschütteln, einfach all den Dreck und die Dummheit des alten Jahres abschütteln!

In der Kolumne wird es die Tage etwas stiller werden. Nicht, weil ich Weihnachten feiere, sondern weil ich die Ruhe nutzen werde, um zu überlegen, wie ich meine Visionen für 2009 praktisch ins Leben rufen kann. Auch wenn es manchen schon abgedroschen klingt, Martin Luther King dachte schon darüber nach: "I have a dream" - und manchmal dauert es unendlich lange, muss man elend durchhalten, bis sich ein Traum umsetzen lässt. Aber irgendwann gelingt es immer, wenn man denn die eigenen Träume vorher nicht verrät.

2 Kommentare:

  1. Es grüßt ein Verehrer von Martin Luther King.
    Ich habe schon in meiner Schulzeit seine Bücher im Original gelesen. Ich kann mich nicht erinnern, dass mich jemand so sehr beeindruckt hat.Toller Mensch, tolles Vorbild, exzellenter Rhetoriker.

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  2. Wenn ich dran denke, dass wir geheult haben, als er erschossen wurde - und wir waren da Kinder, dann muss er einen sehr tiefen Eindruck auf uns hinterlassen haben. Ich glaub, er war auch nicht so ganz unschuldig an meiner Studienwahl... Als Teenie kaufte ich mir vom Taschengeld Coretta Scott King's Biografie: Mein Leben mit Martin Luther King.

    Solche Prägungen werden einem manchmal erst in der Rückschau bewusst. Und dann frage ich mich immer: Wer könnte mich heute so aufstachelnd prägen und mir Werte vermitteln?

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