Streik mit Mozart

Inzwischen weiß es wohl auch jeder im Ausland: In Frankreich wird tüchtig gestreikt. Und zwar nicht etwa, wie das verkürzt gern dargestellt wird, weil wir zu faul wären, bis 62 zu arbeiten, sondern weil der ganze kleingedruckte Rattenschwanz der Rentenreform für unsägliche Ungerechtigkeiten sorgt. Für Menschen, die körperlich hart arbeiten gegenüber Menschen mit Bürojobs, vor allem aber für Frauen gegenüber Männern. Kommt die Reform, wird es mehrere soziale Klassen von Rentnern geben und einen Anstieg der Altersarmut.

In dieser Woche soll sich der Streik verschärfen. Was ich immer wieder in solchen Zeiten bewundere, ist die spontane Solidarität unter den Menschen. Schon als das ungerechte Gesetz für die Einstellung Jugendlicher bereits beschlossene Sache war, gingen solidarisch alle Altersgruppen mit der Jugend und für die Jugend auf die Straße - auch diesmal spielen Alter und Beruf keine Rolle. Ich bewundere auch den Willen zur Basisdemokratie in einem Land mit einem sehr mächtigen Präsidentenamt - die französische Revolution hat eben Tradition. Man wählt, aber man lässt sich nicht alles von oben diktieren. Und auch diesmal halten die Menschen zusammen, wer nicht mitstreikt oder demonstriert, hat zumindest Verständnis und jammert nicht herum.

Und da stellt sich ein Gefühl ein, das ich aus Deutschland überhaupt nicht kenne. Man könnte es fast als eine Art Freude am Ausnahmezustand beschreiben, als die Fähigkeit, sich mit neuen Umständen zu arrangieren und zu improvisieren. Zeiten, in denen man kein öffentliches Verkehrsmittel erwischt oder in einer LKW-Blockade steckt, werden andersweitig genutzt, denn schließlich kommen ja alle irgendwie überall zu spät. Dass die Müllmänner nicht arbeiten, merkt man vielleicht daran, dass man frühmorgens nicht durch Gerumpel geweckt wird, also bleibt die Tonne einfach stehen, bis es soweit ist. Man schaltet das Radio ein, Nachrichten gibt es immerhin noch, wenn auch kein vollständiges Programm mehr. Da wird Strawinsky angekündigt. Und dann läuft nach der Streikdurchsage Mozart aus der Konserve - Streik eben, aber richtige Musik muss trotzdem sein.

Die Menschen rücken zusammen, reden wieder mehr miteinander und diskutieren. Vielleicht herrscht Verdrossenheit gewissen Politikern gegenüber, aber politikverdrossen sind die Menschen ganz und gar nicht. Man ruft sich gegenseitig an, wie es ergangen ist, was noch kommt - und tauscht Adressen und Ideen aus. Denn das Benzin wird knapp, der Streik der Raffinerien ist bis morgen früh um sechs auf alle Fälle festgelegt, vielleicht wird verlängert, keiner weiß das so genau. Manche Tankstellen haben kein Benzin mehr, manche haben welches, werden aber von Streikenden blockiert. Die Leute haben Verständnis. Grenzgänger bringen Benzin aus Deutschland mit und wenn es an anderen Dingen fehlen sollte, wird auch das irgendwie organisiert.

Und auch bei mir wird es so ein Festchen mit Freunden geben, mit heißen Diskussionen und messerscharfer Satire und Wein und gutem Essen und Wärme. Denn irgendwie habe ich es geahnt: Ich habe im letzten Moment noch Heizöl bekommen. Wenn es einem gut geht, muss man teilen, wenn man etwas hat, muss man feiern. Denn wer weiß, wie viele von uns im Alter hungern und frieren werden.

6 Kommentare:

  1. Ich bitte um mehr solcher Inside-Betrachtungen. Bei uns Ösi-Land wird zumeist nur verkürzt berichtet (bzw. mache ich mir nicht die Mühe, alle Informationsstellen abzugrasen), deshalb finde ich es doppelt wichtig, wenn jemand von "der Front" berichtet, wie denn der Hase so in Frankreich läuft.

    Und ja, die Franzosen wissen, welche Macht die Masse auf der Straße hat.

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  2. Ach, ich will mein Blog eigentlich politikfrei halten, es zieht sonst so komische Gestalten an...
    Und ich bekomme es ja nur subjektiv, punktuell und aus dem untypischsten aller Departements mit.

    So schön ist die "Macht der Straße" nicht nur - auch das lässt sich an der Französischen Revolution ja gut ablesen. Die Masse ist verführbar. Und speziell in Frankreich haben wir Angst, dass es wieder eskaliert wie vor Jahren. Unter dem Deckel herrscht eine immense Aggression und Wut. Nichts hat sich verändert, nur Kosmetik wurde betrieben. Ich fürchte, das nächste Mal brennt es nicht nur in den Vorstädten. Und dann benutzt die Masse leider eins nicht mehr: ihr Hirn.

    Leider sind das auch immer die Zeiten, in denen Populisten aus ihren Löchern kommen und brandstiften. Die Stadt Strasbourg hat gerade eine Unterschriftenaktion gestartet, weil antimuslimische und antisemitische Anschläge sich erschreckend und in verabscheuungswürdiger Weise häufen. Erst am Sonntag gab es einen Brandanschlag auf die Moschee in Haguenau.

    Das ist das hässliche Gesicht der "Straße". Und wir sollten in ganz Europa sehr wachsam sein, dass wir uns unsere Demokratie nicht selbst zerstören, weil wir den Brandstiftern auf den Leim gehen.

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  3. ....und etwa die Hälfte der Franzosen, die jetzt gegen Sarko und seine Politik auf die Straße geht, hat ihn vor noch nicht allzu langer Zeit gewählt.

    Muss man ja auch mal sehen - und auch sagen!

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  4. Stimmt! Ich nenne das den Resistance-Effekt: Hinterher will keiner auf der falschen Seite gestanden haben. Ich fürchte nur, auch dieser Effekt ist in ganz Europa zu betrachten...
    Ich glaube, die Politiker in Stuttgart waren auch vom Volk gewählt? ;-)
    Ich glaube, man macht sich selten Gedanken, welche verheerende Wirkung Nichtwähler haben können.

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  5. Hmm...heute Frueh haben in Wissembourg Schueler "demonstriert". Viele sahen noch garnicht wahlberechtigt aus.

    Ich habe den Vorteil - und damit verbunden, auch die Qual, vieles aus drei Perspektiven zu beobachten - die englische die mir, durch meinen Lebensweg sehr Nahe steht, die deutsche, weil ich einen deutschen Pass habe, zum Teil auch in Deutschland arbeite und meine Familie dort lebt. Und dann die franzoesische, (oder die Elsaessishe..?) weil ich in diesem Land lebe und es auch liebe, hier zu leben.

    Was mir dabei auffaellt, wenn ich mal die "Huete" wechsele ist - dieser Disput der gerade durch Frankreich weht herrlich romantisch ist und es herrscht die Illusion, dass man vielleicht was bewegen kann. 1789 laesst gruessen, und ich habe gelernt, diese Revolution ist noch tief in der franzoesischen Seele verankert.

    Doch, ich sehe auch eine andere Perspektive, die aus den Universitaeten in USA, England aber auch Deutschlan kommen. Und diese heissen Forschung in der Verbesserung und die Bewaeltigung der Fragen unserer Zukunft. Und die Industrie mischt kraeftig mit, und die Militaers sowieso.

    Wie es aus einem Werbefilm den IBM in diesem Jahr gemacht hat zu entnehmen ist:

    "A hub airport uses digital video surveillance, a security command and control centre and a leading edge system that utilizes information from bio-metric hand prints and badge readers. The system is more effective at recognizing risks and alerting the command centre.

    The result?

    The enabled staff reduction saves the airport an estimated 2.2 million US dollars annually in labour costs. And the more reliable, secure and effective technology solution gives the airport the flexibility it needs to work with a wide range of sensor technologies.

    As we move into the age of the globally integrated and intelligent economy, society and planet, it’s time we made transportation smarter.

    IBM’s breadth of experience, working with transportation providers across the globe, across all modes of transportation is unparalleled. Let’s work together to drive real progress in our world."

    Man bemerke bitte genau die Wortwahl und die eigentlich Botschaft, auch wenn es hier um das eher nette Beispiel vom oeffentlichen Transport handelt.

    Man sollte, meiner Meinung nach, sich nicht von den "Kleinigkeiten" einer Rentenreform ablenken lassen. Diese wird in 20-30 Jahren garnicht mehr relevant sein, weil sich dieser Planet sich derart technologisch weiter entwickelt hat.

    Wir als gesteuerte "Konsumenten" freuen uns ueber I-Pads und aergern ueber Facebook. Diese Themen, und wie wir mit dieser unaufhaltsamen, auch zum Teil, positiven Entwicklung umgehen, sollten viel mehr "mainstream" werden.

    Ich hatte, als Schulkind in Austalien, dass Equivalent von Leistungskurs Geschichte als ich dort mein australisches Abi machte.

    Das Thema der NS Zeit habe ich, naturgemaess, aus eine anderen Perspektive erfahren. Das hiess auch, dass unser Lehrer uns ubersetzte Passagen aus Hitler's "Mein Kampf" zu lesen gab. Was ich, als ich in Deutschland das deutsche Abi nachmachte (weil austral. nicht anerkannt wurde), natuerlich nicht zu lesen bekam, da verboten.

    Doch, in diesem Buch hat besagter Mensch seine Vision dargelegt und keiner, wenige, nahmen ihn ernst bevor es zu spaet war. Romantische Illusionen, ("Peace in our time") geschickte Ablenkung sorgten dafuer.

    Was in den Uni's weltweit geforscht wird, an was gebastelt wird, an welche Ideen gearbeiten werden, ist auch, dank dem Internet, allen zugaenglich. Ebenso, was Firmen damit machen. Ich habe mir, durch meiner Arbeit bedingt, mich mal etwas naeher umgesehen.

    Sorry, bei aller Romantik, Mozart und das eine oder andere abgefackelte Auto - die wirklichen Fragen liegen ganz woanders und wir taeten gut daran, uns diesen etwas mehr zu widmen, besonders in den Schulen, denn diese Generation werden damit umgehen muessen.

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  6. @Frank Peters
    (Ich hab den doppelten Kommentar gelöscht.)
    Ehrlich gesagt hatte ich eben zuerst etwas Probleme, einen Zusammenhang zwischen der IBM-Werbung und der Rentenreform zu sehen ;-) und so sehr ich weiß, was Sie meinen, bleiben mir da doch unbeantwortete Fragen:

    Sollte man, nur weil es an allen Ecken brennt und klemmt und Visionen (schöne wie schlimme) anstehen, wegen solcher "Kleinigkeiten" wie einer Rentenreform nicht mehr protestieren? Wo fängt das Wichtige an? Schweigen, weil anderes wichtiger ist?

    Überschätzen Sie die Menschen nicht in ihrer Medienkompetenz? Wer sich mit Zukunftstechnologien und Zukunftsvisionen beschäftigt und diese zu recherchieren weiß, gehört zu einer winzigen Minderheit. Die Mehrheit versorgt sich immer noch mit dem, was Massenmedien bieten - und deren Niveau sinkt stetig. Für Ihre Vision vom aufgeklärten Menschen bräuchten wir einen völlig neuen Journalismus und andere Politiker. So viel Aufklärung hat nicht einmal die Revolution geschafft, die schlug nämlich um in den Terror und die Schreckensherrschaft des Pöbels. Wer wird zukünftig den Menschen wie erzählen, wie Zukunft aussehen könnte? Und in welchem / wessen Interesse?

    Natürlich klingt mein kleiner ausschnitthafter "Stimmungsbericht" so romantisch, wie man hier auf dem Land noch gut behütet lebt. Genau dieses Asterix-Verhalten sollte er ja zeigen.
    Ich selbst empfinde das aber nicht als romantisch: Was hinter den Klängen von Mozart schwelt, hinter dieser Fassade, macht mir eher Angst. Sie wissen doch auch, dass heuer nicht nur gegen eine Reform demonstriert wird... (übrigens sind gerade die Schüler so wütend, weil immer schlimmer an ihnen gespart wird).

    Frankreich fühlt sich für mich (und andere) an wie ein Dampfkochtopf, der seit vielen Jahren, sogar Jahrzehnten, Druck aufbaut. Ich möchte wahrscheinlich nicht unbedingt dabei sein, wenn sich der entladen sollte. Und ich finde auch abgefackelte Autos und Schulen nicht lustig. Zu gut kann ich mich an ein paar angsterregende Situationen vor Jahren erinnern.

    Wie also kommen wir zu einer aufgeklärten, intelligenten, mündigen und womöglich auch noch visionären Menschheit, die nur noch demonstriert, wo es sich lohnt? Ich würde ja gern an ein solch romantisches Bild glauben. Und ich bin schon verdammt idealistisch, sonst würde ich nicht an Europaprojekten arbeiten, an all den Betonköpfen vorbei, die einem da im Weg stehen.
    Im Moment sehe ich eher haufenweise Rückschritte, populistisch hochgekocht und darum hochgefährlich.

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