Es gibt erstaunlich viele Leute, die Hörbücher ablehnen, bevor sie je eins gehört haben. Ihre Argumente sind nachzuvollziehen. Die einen sind es gewohnt, visuell einen Text vor sich zu haben und mit der Hand umblättern zu können. Die anderen - und das ist weit gewichtiger - tun sich schwer, ihrer Fantasie ein anderes Medium zuzumuten. Denn da ist plötzlich eine Stimme, die man selbst sich vielleicht völlig anders vorstellen mag? Es soll sogar Menschen geben, die lehnen Hörbücher kategorisch ab, weil sie Angst haben, gedruckte Bücher würden dadurch untergehen.
Aber mit den Hörbüchern ist es wie mit Verfilmungen. Sie sind ein eigenständiges Medium, eine eigenständige Kunstform. Ergänzung, nicht Verdrängung. Sie gehorchen eigenen Gesetzen und sind eine Herausforderung, ein Werk in eine andere Kunstform zu "übersetzen". In meiner Schulzeit besaß ich eine vom Lesen völlig zerfledderte Ausgabe von Thomas Manns "Tod in Venedig". Aber ich habe auch den gleichnamigen Film von Luchino Visconti bestimmt zehn Mal gesehen! Er war völlig anders, aber ein Kunstwerk, das sich neben dem Buch nicht zu schämen brauchte. Er war in sich gelungen, weil der Regisseur sich auf die Gegebenheiten des Mediums Film konzentriert hatte und nicht einfach kopieren wollte.
So ein Hörbuch ist mir unlängst in die Hände gefallen: Oliver Korittke liest Jochen Schmidts "Meine wichtigsten Körperfunktionen". Das Original ist bei C.H. Beck 2007 erschienen, das Hörbuch bei "der Diwan".
Ich muss zugeben, ich liebe Oliver Korittke als Schauspieler und bin da vielleicht ein wenig voreingenommen. Als ich für eine Zeitung "Die Musterknaben" kritisieren musste, schrieb ich: "Den Mann wird man sich merken müssen." Denn er kann mehr als das Kumpelimage, das ihm so anhängt, er hat alles drauf vom supercoolen Typen am Abgrund bis hin zum ernsthaften Unangepassten oder braven Finanzbeamten. Oliver Korittke ist auf den ersten Blick unscheinbar wie der Mann von nebenan und entwickelt seine Wirkung langsam. Man liebt sogar seine weniger sympathischen Typen und empfindet jede noch so schräge Rolle als lebensecht und nah.
Seine Rollen vor Augen gibt es keinen besseren Sprecher für Jochen Schmidts "Meine wichtigsten Körperfunktionen" als Oliver Korittke. Denn die Ichfigur ist neurotisch und banal, ein perfekter Selbstverhinderer und vielschichtiger Selbstbeobachter, ein Mensch, der sich in seiner Unfähigkeit zu leben mit einem derart trockenen Humor entlarvt, dass man ihn einfach ins Herz schließen muss. Oliver Korittke macht die Gratwanderung zwischen hypochondrischer Verzweiflung und humorvoller Eigendistanz des Protagonisten hörbar. Und wenn er scheinbar banal erzählt, wie "Der lange Weg zur Tür" für den Schriftsteller schier unüberwindlich wird, packt einen die Sequenz doppelt. Ich habe schallend gelacht über den anderen. Dann habe ich mich ertappt gefühlt mit meinen eigenen Ausreden und Selbstvermeidungs-Maßnahmen. Und befreit über mich selbst gleich mitgelacht.
Man muss nicht Schriftsteller sein, um das leidvolle Leben der Ichfigur mit ihrem vergnüglichen Sezieren am eigenen Leib genießen zu können. Themen wie "Meine Einsamkeit", "Meine Unattraktivität" oder "Mein Immunsystem" gehen jeden an. Dieser gebärneidische, vergessliche, inkompetente, hilfsbereite, unordentliche und empfindsame Typ, der wirkt wie der Mann von nebenan, ist die Verkörperung unserer eigenen versteckten Neurosen. Er spricht aus, was wir nur heimlich denken, und lebt vor, was wir uns selbst nie zugeben. Durch Oliver Korittke tritt er aus skurriler Originalität weit heraus und wird zum Vertrauten, der uns den Spiegel vorhält. Schön, wenn man auch solche Abgründe lieben kann!
Ich wollte jedenfalls "nur mal reinhören", bin dann die ganzen 186 Minuten der drei CD's an einem Stück drangeblieben und finde: Mir persönlich gefällt das Hörbuch besser als der gedruckte Text! Ideal für schlechte Zeiten, in denen einen die Probleme des Protagonisten überwältigen wollen: Ängstlichkeit, Geiz, schlechtes Gewissen oder der eigene Geburtstag.
Hörtipp "Das besondere Geschenk":
Oliver Korittke liest Jochen Schmidt – Meine wichtigsten Körperfunktionen
Ungekürzte Lesung der Originalausgabe des C.H.-Beck-Verlags
Hörbuchverlag Der Diwan
Spielzeit ca. 190 min, 3 CDs in Multibox
ISBN & EAN: 978-3-941009-02-8
EUR 19,95 (D) / EUR 20,20 (A) / CHF 37,90 (CH)
Aber mit den Hörbüchern ist es wie mit Verfilmungen. Sie sind ein eigenständiges Medium, eine eigenständige Kunstform. Ergänzung, nicht Verdrängung. Sie gehorchen eigenen Gesetzen und sind eine Herausforderung, ein Werk in eine andere Kunstform zu "übersetzen". In meiner Schulzeit besaß ich eine vom Lesen völlig zerfledderte Ausgabe von Thomas Manns "Tod in Venedig". Aber ich habe auch den gleichnamigen Film von Luchino Visconti bestimmt zehn Mal gesehen! Er war völlig anders, aber ein Kunstwerk, das sich neben dem Buch nicht zu schämen brauchte. Er war in sich gelungen, weil der Regisseur sich auf die Gegebenheiten des Mediums Film konzentriert hatte und nicht einfach kopieren wollte.
So ein Hörbuch ist mir unlängst in die Hände gefallen: Oliver Korittke liest Jochen Schmidts "Meine wichtigsten Körperfunktionen". Das Original ist bei C.H. Beck 2007 erschienen, das Hörbuch bei "der Diwan".
Ich muss zugeben, ich liebe Oliver Korittke als Schauspieler und bin da vielleicht ein wenig voreingenommen. Als ich für eine Zeitung "Die Musterknaben" kritisieren musste, schrieb ich: "Den Mann wird man sich merken müssen." Denn er kann mehr als das Kumpelimage, das ihm so anhängt, er hat alles drauf vom supercoolen Typen am Abgrund bis hin zum ernsthaften Unangepassten oder braven Finanzbeamten. Oliver Korittke ist auf den ersten Blick unscheinbar wie der Mann von nebenan und entwickelt seine Wirkung langsam. Man liebt sogar seine weniger sympathischen Typen und empfindet jede noch so schräge Rolle als lebensecht und nah.
Seine Rollen vor Augen gibt es keinen besseren Sprecher für Jochen Schmidts "Meine wichtigsten Körperfunktionen" als Oliver Korittke. Denn die Ichfigur ist neurotisch und banal, ein perfekter Selbstverhinderer und vielschichtiger Selbstbeobachter, ein Mensch, der sich in seiner Unfähigkeit zu leben mit einem derart trockenen Humor entlarvt, dass man ihn einfach ins Herz schließen muss. Oliver Korittke macht die Gratwanderung zwischen hypochondrischer Verzweiflung und humorvoller Eigendistanz des Protagonisten hörbar. Und wenn er scheinbar banal erzählt, wie "Der lange Weg zur Tür" für den Schriftsteller schier unüberwindlich wird, packt einen die Sequenz doppelt. Ich habe schallend gelacht über den anderen. Dann habe ich mich ertappt gefühlt mit meinen eigenen Ausreden und Selbstvermeidungs-Maßnahmen. Und befreit über mich selbst gleich mitgelacht.
Man muss nicht Schriftsteller sein, um das leidvolle Leben der Ichfigur mit ihrem vergnüglichen Sezieren am eigenen Leib genießen zu können. Themen wie "Meine Einsamkeit", "Meine Unattraktivität" oder "Mein Immunsystem" gehen jeden an. Dieser gebärneidische, vergessliche, inkompetente, hilfsbereite, unordentliche und empfindsame Typ, der wirkt wie der Mann von nebenan, ist die Verkörperung unserer eigenen versteckten Neurosen. Er spricht aus, was wir nur heimlich denken, und lebt vor, was wir uns selbst nie zugeben. Durch Oliver Korittke tritt er aus skurriler Originalität weit heraus und wird zum Vertrauten, der uns den Spiegel vorhält. Schön, wenn man auch solche Abgründe lieben kann!
Ich wollte jedenfalls "nur mal reinhören", bin dann die ganzen 186 Minuten der drei CD's an einem Stück drangeblieben und finde: Mir persönlich gefällt das Hörbuch besser als der gedruckte Text! Ideal für schlechte Zeiten, in denen einen die Probleme des Protagonisten überwältigen wollen: Ängstlichkeit, Geiz, schlechtes Gewissen oder der eigene Geburtstag.
Hörtipp "Das besondere Geschenk":
Oliver Korittke liest Jochen Schmidt – Meine wichtigsten Körperfunktionen
Ungekürzte Lesung der Originalausgabe des C.H.-Beck-Verlags
Hörbuchverlag Der Diwan
Spielzeit ca. 190 min, 3 CDs in Multibox
ISBN & EAN: 978-3-941009-02-8
EUR 19,95 (D) / EUR 20,20 (A) / CHF 37,90 (CH)
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