Die Selbermacher

Es bewegt sich was
Wer fleißig Branchennachrichten liest, wird es längst wissen: Im Buchmarkt bewegt sich etwas. Da werden einerseits technische Neuerungen wie E-Books, Apps & Co. diskutiert, da kämpfen Nische gegen Mainstream und der kleine unabhängige Buchhändler gegen die Marktkonzentration - und andererseits wird die Herstellung von Büchern im Gegensatz zu früher "kinderleicht". Autorinnen und Autoren nehmen an den Fachdiskussionen erschreckend wenig teil, viele wollen sich nicht mit Dingen außerhalb des Schreibens beschäftigen, andere sind einfach nur verunsichert. Kein Wunder, denn Diskussionen werden in unseren Breiten gern nur in Schwarz-Weiß ausgetragen und über den Extremen vergisst man gern die Lösungen und Chancen. Und doch ist das kurzsichtig gedacht: Autoren schaffen den Inhalt der Bücher. Ohne Autoren keine Bücher - so einfach ist das.

Was jetzt für die Zukunft entwickelt wird, betrifft vor allem Verlagsautoren nachhaltig. Wenn sich ein amerikanischer Superagent mit Random House um die Ebookrechte seiner Autoren streitet, wenn Verlage plötzlich Pferdefüße bzgl. der Honorierung in Verträge einbauen, dann betrifft das jeden einzelnen Autor genauso wie die seltsame Entwicklung, dass sich die Buchherstellung zwar enorm beschleunigt hat, die Wartezeiten bei vielen Verlagen jedoch selbst für eingeführte Profis und Agenturen inzwischen eine Schmerzgrenze überschreiten. Bisher - und so steckt das auch noch in den Köpfen - war die Welt der Bücher noch strikt und deshalb bequem geordnet.

Alles lief nach dem gleichen Schema ab: Autor schreibt - bewirbt sich - findet Verlag - wird verlegt - Buch liegt überall im Buchhandel - Buch wird tüchtig beworben - Buch wird doll verkauft - Autor schreibt einfach weiter und muss sich um nichts kümmern. Doch irgendwann wurde diese Kette aufgebrochen: Nicht jedes Buch bekommt Werbung. Nicht jeder Verlag gelangt mehr in jede Buchhandlung. Und mit dem Schreiben allein ist das Autorendasein nicht gelebt.

Nun kann man in Zeiten von Umbrüchen über die "guten alten Zeiten" jammern und sich verwirren lassen - man kann aber auch die Chancen sehen und einfach machen... Drei Anregungen zum Nachdenken möchte ich vorstellen, die vielleicht deutlich machen: Den Weg gibt es nicht. Das Buch, egal in welcher äußerlichen Form, ist eine Kulturleistung, die sich wie Kultur auch weiterentwickeln darf - genauso übrigens wie die Kulturschaffenden.

"Autoren können ohne Verlage leben - aber Verlage nicht ohne Autoren"
so titelt Matthias Czarnetzki in seinem Blog und hat damit eine hochinteressante Diskussion auch mit der Verlagsseite angestoßen. In seinem Beitrag spricht er Schwachstellen an, die unter Autoren oft beklagt werden: Welche Verlage können sich heutzutage noch eine echte Autorenentwicklung oder gar den Aufbau von Autoren leisten? Das ist in Literaturverlagen noch üblich oder bei sehr engagierten Verlegern - aber das sind dann auch meist die idealistischen, die ihre Arbeitszeit nicht in Cents umrechnen. Oder was passiert mit einer Buchauswahl, wenn tatsächlich nur noch der Controller oder die Rabattforderungen potenter Buchketten entscheiden? Wo liegen eigentlich die Kernkompetenzen der Verlage, wo ihr künftiger Reiz für Autoren?

Sein lesenswerter Beitrag macht deutlich, dass Autoren in der Partnerschaft mit dem Verlag eine wichtigere Rolle spielen, als viele sich dessen gewahr sind. Er zeigt aber auch, dass Verlage Autoren vieles zu bieten hätten - selbst wenn es nicht immer deckungsgleich mit dem ist, was manche derzeit anbieten. Das Experimentierfeld jedenfalls wächst, die Zwischenräume werden größer. Wohl dem, der wagt, jenseits der eingefahrenen Wege nachzudenken. Doch wünschenswert wäre ein gemeinsameres Nachdenken, als das in der Branche bisher der Fall ist. Ob sich Autoren deshalb so selten für Buchpolitik interessieren, weil sie kaum darin vorkommen?

Schmuddelimage passé
Selbermachen wird immer einfacher, ist absolut erschwinglich (DKZV braucht heute wirklich keiner mehr!) und verliert zunehmend sein Schmuddelimage, das ohnehin meist nur durch "richtige" Autoren transportiert wird. Auf der Website der Krimiautorin Nele Neuhaus habe ich Überraschendes über ihre Laufbahn gefunden. Natürlich ist sie einer der berühmten Ausnahmefälle und nicht die Regel, aber ihr Beispiel zeigt etwas, das auch ich im Moment erfahre: Selbermachen ist nicht einmal Verlagen gegenüber schmuddelig oder ehrenrührig. Die Zeiten sind vorbei.

Nele Neuhaus ist eine starke Macherin: Sie hat sich von nichts und niemandem in ihren Träumen beirren lassen. Man kann erahnen, wie viel Zeit, Geld und Mühen sie in ihr Schreiben investiert hat und gegen welche Widerstände sie kämpfen musste: Ihr erstes Buch ließ sie nämlich in einem PoD-Verlag drucken und kaufte gleich noch eine Auflage fertig (das muss man heutzutage nicht mehr). Dass sie in vier Wochen 500 Exemplare eines für Verlage als unverkäuflich geltenden Riesenklopses von 1000 Seiten verkaufte, klingt dann wirklich wie ein Märchen. Die meisten PoD-Autoren, vor allem Newcomer, können froh sein, wenn sie ihre Exemplare an Verwandte, Freunde und Bekannte loswerden, für 500 verkaufte Bücher muss man schon ganz gut arbeiten.

Aber alles ist relativ. Ich erinnere mich an einen Kollegen bei Lübbe, der Bücher für die berühmte "Altpapiertapete" hinter den Spitzentiteln schrieb und mit knapp 600 verkauften Exemplaren im Jahr dabei war. Ich selbst staunte nicht schlecht, dass sich meine Tante-Erna-Zitate-Sammlungen, die ich in drei Stunden heruntertippte, besser verkauften als Romane - und mein Buch im Literaturverlag um ein mehrfaches besser als das im riesigen Publikumsverlag. Von meinem Agenten hörte ich, dass Verlage in gewissen Bereichen Auflagenerwartungen nach unten korrigierten, etwa im Sachbuch, Hardcover. Da stiegen mit den Skandalbüchern die Spitzentitelerwartungen ins Unermessliche, während man beim Spezialthema mit 1000 verkauften Exemplaren zufrieden war. Das breite Mittelfeld brach weg. Wenn ich 1998 als blutiger Anfänger im damals renommierten, aber eher kleineren Eugen Diederichs Verlag 5000 Stück des Odilienberg-Buches  im ersten Jahr verkauft hatte und völlig unzufrieden war, so muss ich heutzutage ungleich mehr arbeiten, um das überhaupt zu erreichen - oder viel größere Verlage wählen. Und nach ein paar Monaten oder einem Jahr bricht der Verkauf dann völlig ein, wenn die Backlist nicht gepflegt wird.

Nele Neuhaus lag mit ihrem ersten Buch im PoD-Verfahren also durchaus in einem Zahlenbereich, den selbst Kollegen in Publikumsverlagen ertragen müssen. Aber sie schaffte sechs Auflagen. Ihr zweites PoD-Buch verkaufte sie 10.000 mal - und dann schlug Ullstein zu. Der Verlag kaufte die Autorin ein, die es inzwischen auf die Bestsellerlisten geschafft hat. Unbedingt lesen (der Beitrag befindet sich unter der Buchliste) - auch so kann es gehen. Eine sehr interessante Geschichte, weil sie zeigt, was Autoren aus eigener Kraft leisten können, welche Arbeit das macht und welche Vorteile ein Verlag dann für die Autoren hat.

Die Utopie vom vernetzten Buch
Die dritte Geschichte ist eine Utopie. In meine Brotjob begegne ich wundervollen Büchern, meist aus den Themenbereichen Kunst, Kultur oder Tourismus, die in Zusammenhang mit Europaprojekten entstehen und in Auftrag gegeben werden. In der Regel werden dafür Verlage bezahlt, eigentlich strenggenommen eine Art DKZV - nur dass sich hier ganz seriöse Verlage bezahlen lassen. Das ist auch irgendwie verständlich, weil der Verlag die Themen nicht aussuchen kann und auch nicht die Autoren. Doch leider kranken diese Bücher an genau dieser Zusammenarbeit. Viele Verlage haben eine unzureichende Distribution und schon gar keine grenzüberschreitende. Viele sind einfach zu klein und manche sogar zu unprofessionell, um wirklich alles leisten zu können - nicht selten sind "nur" Regionalverlage im Spiel. Und manchmal leiden auch die Bücher darunter, dass sich die Macher nicht ausreichend von den Verlagen beraten lassen, was publikumswirksamer wäre.

Kurzum: Das ist eine Notgemeinschaft, keine echte Partnerschaft. Beide Seiten könnten sehr viel intensiver voneinander profitieren und ihr Know-How austauschen. Aber im Verlagsalltag ist dafür weder Zeit noch Raum. Spezialverlage gibt es nicht. Die Utopie bestünde darin, einen Verlag zu finden, der nicht nur zweisprachig herstellt, sondern auch den Vertrieb in zwei Ländern beherrscht. Die Utopie bestünde darin, dass dieser Verlag offen wäre, seine Bücher mit anderen Darstellungsformen, auch technischer Art, zu vernetzen. Das alles ist recht kompliziert, denn zur interkulturellen Kompetenz käme auch eine intermediale Kompetenz. Und obendrein wäre der Verlag ein Partner von vielen - in einem absolut gleichberechtigten Team von Autoren, Künstlern, Agenturen. Zukunftsmusik?

Insofern verstehe ich mein PoD-Projekt auch als Feldversuch. Es geht mir nicht einfach nur darum, ein Buch erscheinen zu lassen. Ich will sozusagen am lebendigen Leib ausprobieren, was ich als Autorin heutzutage selbst bewegen kann und welche Partner mir helfen können, ein Projekt in bestmöglicher Form (im Rahmen der Finanzen) bestmöglichst anzubieten und zu fördern. Ein Verlag kann solch ein Partner sein. Doch mit meinem Testlauf bin ich neugierig auf die Zukunft: Ich sehe nicht nur Schilder zu Wanderwegen im Wald und in Broschüren, sondern längst die passende App, das animierte Buch, mit individueller Sprachwahl natürlich ...

Übrigens - falls jetzt jemand ruft: Wir machen sowas längst - bitte bei mir melden. Ernsthaft.

update:
Enhanced Ebooks - ein Kommentar von Steffen Meier vom Ulmer Verlag
- das ist ganz genau das, was ich mir zu meiner Utopie (keine Belletristik) als Ergänzung zum Print vorstellen könnte. Dass man sich dann darum streitet, ob so etwas noch E-Book oder schon App ist - finde ich ... ziemlich "deutsch"...
Auch wenn im Publikum noch die Abspielgeräte fehlen, auch wenn sich Prototypenentwicklung zuerst finanziell und vom Aufwand her nicht lohnen mag - das alles hat man der ersten Dampflokomotive auch vorgeworfen. Ich bin gespannt auf die nächsten Jahre und die mutigen Experimentatoren!
Durchsetzen werden sich solche neuen Formen natürlich nur, wenn die Verlage rechtzeitig Fachautoren aufbauen. Jedes Medium braucht ein eigenes Schreiben - und daran krankt die 1:1-Übertragung zwischen Print und Digital derzeit.
Auch Rowohlt ist mit Enhanced Ebooks bei der Buchmesse dabei.

5 Kommentare:

  1. Liebe Petra,

    interessanter schriftstellerischer Werdegang unserer Kollegin Nele Neuhaus.
    Und dir machen ihre BOD-Erfolge sicher Mut für dein eigenes Projekt.

    Dafür gutes Gelingen

    wünscht

    Siegfried Langer

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  2. Danke, Siegfried! Aber ich verrate dir etwas: Erfolgsstories anderer benutze ich als Realistin nie zum Mutzüchten. Es ist nicht übertragbar, was andere machen, was anderen gelingt, sonst hätten wir alle Harry Potter erschaffen. ;-)

    Mein Projekt hat ja bereits eine "Verlagsadelung" und ich kenne den Bedarf und weiß, was ich biete. Mir hakt es im Moment nur noch an der nötigen Freizeit, was ich allerdings auch positiv betrachte: Ich habe so mehr Zeit zum Nachdenken und Planen. Das Buch soll nämlich nicht nur gut werden, sondern auch noch schön...

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  3. Hallo Petra,

    ich habe zu deinem Artikel noch ein prominentes Beispiel gefunden, wie die Zusammenarbeit zwischen Autoren und Verlagen aussehen kann: Scott Sigler.

    Ich hab hier einmal den Link zu seinem Vortrag auf der TOC 2010 und eine deutsche Kurzzusammenfassung. Er steht für mich auf jeden Fall für das zukünftige Verhältnis zwischen Autoren und Verlagen.

    Viele Grüße,

    Matthias Czarnetzki

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  4. Hallo Matthias,
    mir hat vor einiger Zeit ein Förderer von Musikernachwuchs gesagt: "Wenn ihr in Deutschland doch endlich mal mit euren "ja, aber" aufhören und einfach machen würdet. Natürlich könnt ihr auf die Nase fallen, aber dann habt ihr wenigstens auch das Scheitern gelernt!"

    Trotzdem - so inspirierend solche Beispiele sind, unsere Buchmärkte sind absolut nicht zu vergleichen. Wir haben z.B. keine solide und ausreichende Basis für diese Geschenkaktionen (vom PR-Standpunkt aus gesehen), die Blogger- und Social Media Szene deckt hier nur lächerlich kleine Bereiche ab. (Zum Vergleich beider Länder schaue man mal hier http://kulturmanagement.wordpress.com/2010/09/23/als-blogger-einen-monat-im-museum-leben/ )

    Was einen natürlich nicht davon abhalten sollte, solche Ideen auf hiesige Verhältnisse umzubauen - und wer Pionier ist, fällt ohnehin besser auf.

    Trotzdem habe ich bei diesem Weg einen sehr schalen Geschmack im Mund. Das verführt nämlich Verlage dazu, Risiken auszulagern (und das passiert bereits!) - auf Kosten der Autoren, die ohnehin schon am Ende der Nahrungskette stehen. Irgendwann wird man nicht mehr nur einen Agenten brauchen, sondern auch noch einen PoD-Erfolg nachweisen müssen. Irgendwann wird "Nische" nur noch nach Selbermacher-Erfolg eingekauft?

    Ganz ehrlich: Wenn ich es als Autor allein schaffe, selbst die Buchproduktion und Werbung zu bewältigen, damit auch noch Erfolg zu haben, das Risiko zu überleben - welchen vernünftigen Grund sollte ich dann haben, zu viel geringeren Tantiemen an einen Verlag zu verkaufen? Mir fiele nur das Knacken des Kettenbuchhandels als erstrebenswert ein.

    Der Verlag in jenem Fall setzt sich dann ins gemachte Nest und hat seine wichtigste Kernkompetenz umgangen: Risiko einzugehen, ein Buch oder einen Autor in den Markt zu bringen! Das verstehe ich nicht unter Partnerschaft, das ist in europäischen Verhältnissen Outsourcing von Unternehmertum ;-)

    5-Buch-Verträge gibt es meines Wissens in D. nicht. Und selbst ein 2-Buch-Vertrag kann man weder als geregeltes Einkommen noch als Sicherheit betrachten. Ich kenne zu viele Kollegen, die danach wieder auf der Straße stehen.

    Tja, jetzt hab ich mal "ja, aber" gemacht..., schrecklich... ;-)

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  5. Hallo Petra,

    als ich vor zehn Jahren nach England gezogen bin, habe ich dort ein steifes, auf Form und Etikette bedachtes Völkchen erwartet. So ähnlich wie Patrick McNee in Schirm, Charme und Melone. Statt dessen traf ich auf lockere, freundliche, hilfbereite und in den meisten Fällen einfach chaotische Typen, die das Leben wesentlich leichter nehmen als wir hier in Deutschland. Dort ist generell die "Eroberung von Nischen" ein beliebter Volkssport.

    Gerade die Aufgeschlossenheit einfach Mal Neues auszuprobieren, hat mich erstaunt und begeistert. Und ich versuche immer noch, mir diesen Geist von Neugier/Naivität zu bewahren wenn es darum geht, einfach etwas Neues auszuprobieren. Da ich dank sicherem Brotjob kein großes Risiko eingehe, kann ich natürlich alles ausprobieren, was an neuen Ideen über die Buchverbreitung von drüben rüberschwappt. Ich werde wohl in Zukunft auf meinem Blog und in meinem Newsletter mehr darüber berichten, was ich ausprobiert und welchen Erfolg oder Misserfolg ich damit gehabt habe.

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