Kraut und Rüben

Ich sollte heute Rasen mähen oder die Osterpause im Blog abbrechen. Dumm nur, dass ich im Kopf eher Kraut und Rüben habe, denn ich berechne grausame Formeln, die sich aus Papierstärken und -gewichten und Pappedeckel und solchen Sächelchen multiplizieren. Ist ein klein wenig amüsanter als eine Steuererklärung - Betonung auf klein. Mein Kopf allerdings ähnelt dadurch dem Boden draußen: Zentimeterbreite Lücken tun sich auf. Das letzte Mal hat es Mitte März geregnet und der Regen scheint auch diesmal unsere Region auszusparen. Im Wald vertrocknen die Bäume, kaum dass sie geknospt haben, und die Wiesen werden gelb. Aber ich könnte wetten, bei Twitter jammern demnächst die ersten über ein paar Tröpfchen dringend benötigten Wassers von oben.

Wer wissen will, ob er bei Twitter Erfolg für sein Projekt oder seine Strategie verbuchen kann, für den gibt es übrigens eine Studie. Die ist tüchtig in Fachsprech gehalten, lohnt sich aber, wenn man Twitter als PR-Instrument nutzt. In Trotteldeutsch sagt die Studie ungefähr: Pfeif auf Followerzahlen und ähnliches Rankinggedöns. Erfolgreich bist du nur, wenn du Einfluss hast. Und Einfluss ist, lieber eine Person in engerer Beziehung zum Denken zu bringen, als 1000 Personen am Wind vorbei zu nerven. Twitter funktioniert also genauso wie ein Marienkäferliebestanzbuch. Wie das funktioniert? Lokal statt global.

Ganz einfach: Mit einem Marienkäferliebestanzbuch bewirbt man sich nicht bei Random House. Man bläst die PR dafür nicht wahllos heraus an Kleintierzüchter mit Grillphobie, Zwergentöter oder SPD-Mitglieder mit Heuschnupfen. Man fängt klein und lokal an. Im Käfer- oder Liebesverlag, am besten aber in einem Nischenverlag, der die Puppen tanzen lässt. Baut sich den Ruf als durchgeknalltester Marienkäferintimbeobachter mit Tanzdiplom im ganzen Dorf auf, was wiederum Lokalpresse beibringt. Und dann vernetzt man sich mit all den käfergeilen Tanzmäusen, die unter Twitters Elite zu finden sind. Auf keinen Fall also mit Sascha Lobo. Der ist für Hahnenkämpfe zuständig. Oder so.

Kraut und Rüben in meinem Hirn, ich sag's ja! Dabei hätte ich durchaus Lust, mal wieder eine Sprache zu lernen. Nachdem ich heute gelesen habe, Polnisch und Russisch zählten angeblich zu den schwersten Sprachen der Welt - und ich Polnisch viel leichter als Französisch fand - dachte ich, wäre Russisch nicht übel. Wo und wie aber den richtigen Sprachkurs finden, wenn ich es mit Paukmethode nicht schaffe? Ich kann Sprachen nur durch Nachahmung und Intuition lernen, am liebsten von jemandem mit linguistischem Gespür...

Die Kurse von Rosetta Stone wurden mir empfohlen (vor allem für schnelle Konversation), aber hoppla, 400 Euro??? Dafür bekomme ich eine Menge fremdsprachlicher Donald-Duck-Hefte - meine bisherige Methode, mich an fremde Sprachen heranzutasten, und übrigens die einzige, die mir Französisch wirklich schmackhaft machte. Monsieur Picsou sei Dank. Wer sich mit ähnlichen Gedanken herumschlägt - hier gibt es eine sehr aufschlussreiche Rezension in Sachen Rosetta. Und wer es mit Englisch schafft und es gern abenteuerlicher mag, dem seien die FSI Language Courses empfohlen - public domain übrigens. Da lassen sich dann auch so exotische Idiome erlernen wie Amharic, Chinyanja oder Fula, Igbo, Lingala, Tagalog, Twi oder Yoruba. Man gönnt sich ja sonst nichts.

Gönnen könnte man sich ein anderes globales Vergnügen. Der Insel-Verlag hat den kunsthistorischen Bildband von Beat Wyss: "Die Pariser Weltausstellung 1889 - Bilder von der Globalisierung" aufgelegt. Das ist nicht nur ein Muss für Avantgarde-Fans und Menschen, die erfahren wollen, wie es zu der großen kulturellen und künstlerischen Umwälzung zum Jahrtausendwechsel nach 1900 gekommen ist. Es ist auch eine dieser Preziosen, anhand derer man scheinbar moderne Probleme und Veränderungen an längst vergangenen Zeiten überprüfen und vergleichen kann, um die heutige Befindlichkeit zu relativieren.

1900 liefert mir das Stichwort zu einer grandiosen Verwurschtelung von Zeiten und Räumen - oder anders gesagt: Ein Buch muss nicht immer nur einfach ein Buch sein. Der so ganz andere Verlag Das Wilde Dutzend (Twitter @daswildedutzend) hat in letzter Sekunde beim Virenschleuder-Preis eine Aktion eingereicht, die mich spontan fasziniert: Ausstellung rund um das Logenmitglied Adele 1900 in Berlin.

Fiktiv oder nicht, hinter dem Verlag steht angeblich keine Mitarbeiterschaft, sondern eine geheime Loge, die nach und nach Geheimnisse verlegen will. Also scheinbar ganz normale Bücher in einem nur scheinbar normalen Verlag. Als erstes Buch erschien eine viktorianische Schreckenschronik eines fiktiven Autors. Also ein scheinbar normales Buch eines scheinbar normalen Autors. Noch können wir der Verquickung von Realität und Fiktion folgen. Irgendwie ist die Loge alias Verlag also an die Schrift gekommen.

Jetzt wird es aber erst richtig geheimnisvoll! Adele ist Logenmitglied. Das einzige bekannte und auch noch uralt - 1900 soll sie in Berlin gewohnt haben. Adele nun hat sich an die Fersen jenes verschollenen Autors geheftet, der im 21. Jhdt. gedruckt wird. In der Berliner Kunstbox wiederum kommunizieren die Besucher mit Adele, die eigentlich längst tot sein müsste - und helfen ihr bei der Spurensuche. Dann wird das ganze Geheimdingenslogenverschollengeheimnis auch noch auf Facebook und ins Blog gehievt - Zeiten und Räume verwirren sich endgültig und bilden ein Gespinst um ein real existierendes Buch eines real nicht greifbaren Autors eines realen, geheimnisvollen Verlags ... Nachlesen! Das ist transmediales Storytelling at it's best. Nun soll sogar ein Laden, pardon, ein Salon von Adele dazukommen ... eine Zeitmaschine?

Wenn ich von solchen Ideen höre, fängt mein Hirn an, fröhlich zu ticken. Was ließe sich alles aus Büchern gestalten, wenn man sich endlich von all den herkömmlichen Ideen lösen würde! Wenn man Büchern mindestens eine vierte, wenn nicht fünfte und sechste Dimension zugestehen würde. Dann hätte es vielleicht auch bald ein Ende mit diesen Pseudo-E-Books, die lediglich Dateien für Papier in ein anderes Format konvertieren, ohne die erzählerischen Möglichkeiten eines anderen Mediums auch nur im geringsten zu nutzen.

Unsereins geht an die Rechenmaschine zurück. Aber die Idee eines Nijinsky-E-Books schwebt natürlich längst im Raum. Nur würde darin nie und nimmer das Gleiche stehen wie im Printbuch. Warum auch?

Da kommen natürlich auch die Warner und Mahner gerade richtig: Eine vergnügliche Satire zur Zukunft von Büchern und Autoren: 2050: "Analog Reading Will Be Digitally Simulated".

2 Kommentare:

  1. Wo und wie aber den richtigen Sprachkurs finden, wenn ich es mit Paukmethode nicht schaffe? Ich kann Sprachen nur durch Nachahmung und Intuition lernen

    Na, da bietet sich doch die Tandem-Methode an!
    Schau dir mal diese Seite der Uni Bochum an:
    http://www.slf.ruhr-uni-bochum.de/bochum-deu.html

    Es gibt auch ein "social network", in dem man Sprachpartner finden kann, leider weiß ich nicht mehr, wie es heißt, aber einfach mal suchen nach diesem Stichwort Sprachpartner.

    Und dann suchst du dir einen netten Russen aus St. Petersburg aus und kommst so endlich mal dorthin :)

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  2. GRANDIOS!!! Herzlichen Dank, Jan. Genau so etwas schwebte mir vor Jahren sogar mal vor, nur scheitert die Sprachtausch-Methode ja daran, wenn die Partner zu unterschiedliche Kenntnisse oder Interessen haben. Wenn das aber heutzutage schon professionell vermittelt wird - klasse. (Google spuckt jede Menge aus!)

    Vor allem wird hier genau das geboten, was ich suche und was Rosetta laut Beschreibung überhaupt nicht bietet: Lernen über die fremde Kultur, also interkultureller Austausch.

    Hihi, wenn das wie eine Partnerbörse funktioniert, was schreib ich da: Suche netten russischen Verleger zum fröhlichen Austausch von Manuskripten via Baden-Airport? ;-)))

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