Zukunft des unabhängigen Buchhandels
Die unabhängigen Buchhändler sind nicht dumm. Sie schauen sich eine Idee ab, die Antiquare längst mit Erfolg praktizieren. Und sie wissen, welche Trümpfe sie in der Hand halten:
- Ausgebildete kundige Buchhändler, die persönlich Bücher empfehlen können
- Buchhandlungen, die durch Veranstaltungen Autoren und Leser zueinander bringen
- Vielfalt an Literatur und Mut zum Besonderen
- Direktkontakt mit den Lesern
- Lagerhaltung und Verkaufsflächen werden immer teurer
- Kunden werden fauler oder meiden die Innenstädte
- Kunden wandern ins Internet ab
- Buchhandlungen sind überregional kaum bekannt
- Buchhandlungen sind online oft nicht zu finden
Es geht aber noch weiter. Auf diesem Portal kann ich nicht nur Buchhandlungen abklappern, ich lerne sogar die einzelnen dort beschäftigten Buchhändlerinnen persönlich kennen, die mich mit Buchtipps versorgen. Denn das Portal sammelt ausdrücklich BuchhändlerInnen, keine Buchhandlungen. Aha, Frau Meier in der nächsten Stadt empfiehlt ständig diese tollen Krimis - ich werde das nächste Mal in die Buchhandlung gehen, wenn Frau Meier Dienst hat! Im Internet sehe ich sie schon einmal auf dem Foto und erfahre die Öffnungszeiten und die genaue Lage der Buchhandlung.
Unabhängige Buchhändler tun natürlich nicht nur etwas für Bücher, sondern auch für ihre Autoren. Also kann ich auch die auf dem Portal kennenlernen und werde mit den neuesten Leseterminen versorgt; erfahre, wann und wo über welches Sachbuch debattiert wird - und kann mir Buchtrailer und Audiodateien anschauen. Zu allem Überfluss geben die unabhängigen Buchhändler sogar eine eigene Flash-Zeitschrift mit Videos für mich heraus. So wird die sinnliche Erfahrung Buchhandel ins Internet übertragen, ohne dass mich der Service davon abhält, die Buchhandlung auch tatsächlich körperlich aufzusuchen. Dabei bin ich nicht einmal mehr auf meine Stadt beschränkt. Vor einer Geschäftsreise oder dem Urlaub werde ich mir selbstverständlich meine Bücher in die jeweiligen Orte schicken lassen und die Buchhandlungen fremder Orte erkunden, die ich sonst vielleicht nie gefunden hätte.
Stopp, Halt. Das ist keine Utopie. Es ist leider Utopie in Deutschland, wo man lieber klagt, als gemeinsam etwas anzupacken. Das beschriebene Portal heißt http://www.1001libraires.com/ (1001 Buchhändler) und wurde in diesen Tagen in Frankreich lanciert: Buchreport berichtet darüber ausführlich.
Natürlich musste ich es sofort ausprobieren. Der Run auf das Portal ist im Moment so groß, dass der Server öfter einmal muckt. Die Postleitzahlensuche will noch nicht richtig funktionieren, hilfreicher wäre es, wenn man die Karte anklicken könnte oder Großräume durchsuchen. Städte einzutippen ist leichter. Leider ist meine Buchhandlung in Wissembourg noch nicht gelistet (gleich mal nachhaken), aber das Maison de la Presse in Haguenau ist immerhin schon einmal verzeichnet, wenn auch die Empfehlungen und Buchhändler fehlen. Aber das sind auch wirklich kleine Läden. Aktiver sind mehrere Buchhandlungen in Strasbourg. Noch will das Portal also gut befüllt werden - die mutigen Pioniere, die bereits mit eigenen Buchempfehlungen auftauchen, sind natürlich am besten sichtbar. Mit diesem Content der Buchhändler wird das Portal übrigens auch stehen und fallen. Die Betreiber @1001libraires versicherten mir via Twitter, dass für die Zukunft bereits Gespräche laufen, andere frankophone Länder einzubinden.
Tatsächlich verspricht das Portal, dass ich das bestellte Buch nach nur zwei Stunden und für eine gewisse Dauer in der von mir gewählten Buchhandlung reserviert vorfinde und dort direkt bezahle - der Service ist kostenlos und ich bekomme sogar eine Bestätigung per sms, wenn ich das wünsche. Bei Bestellungen nach Hause zahle ich online per Kreditkarte (in F üblich). Die Schnelligkeit ist genial - nach Strasbourg würde ich je nach Verkehr durchaus anderthalb Stunden fahren ... Im geschlossenen Kundenbereich kann ich außerdem Wunschlisten anlegen und mitverfolgen, wo sich meine Bestellung gerade befindet.
Genau das ist das Überzeugende für mich an diesem Konzept: Ich werde nicht vom Internet aus der Buchhandlung gedrängt, sondern durch das Internet an die Buchhandlung meiner Wahl gebunden. Anstatt umsonst in die Stadt zu fahren, weiß ich, dass all meine Bücher dort liegen werden, ich kenne die Ansprechpartner und erfahre von Veranstaltungen vor Ort. Nicht nur in der nächsten Stadt auf dem hier wirklich "platten Land" - ich kann das Konzept in jeden Ort Frankreichs mitnehmen, wenn ich unterwegs bin. Dort finde ich dann auch verstecktere Buchhandlungen, über die ich sonst nie gestolpert wäre.
Die Buchhändler haben mit diesem Konzept die einmalige Möglichkeit, nicht nur ihren Laden und ihre Mitarbeiter landesweit zu präsentieren und neue Kundenschichten anzuziehen. Sie verfügen vor allem über ein einheitliches, sicheres und gut zu navigierendes Shopsystem.
Darum mein begeisterter Aufruf aus Frankreich: Liebe unabhängige Buchhändler im Nachbarland, jammert nicht, klagt nicht, sondern schließt euch zusammen. Beginnt eine Qualitätsoffensive - ihr habt so viel zu bieten. Solch gute Ideen wollen hemmungslos kopiert werden! (Übrigens würde ich dann bei Besuchen im Ausland auch öfter bei euch auftauchen - wenn ich wüsste, dass meine vorbestellten Bücher dort warten. Noch kann ich das im Grenzgebiet nur bei einem einzigen Buchhändler umständlich per Mail machen und das dauert auch schon mal länger als 24 Stunden).
So schnell kann's in Deutschland gehen (nur eine Stunde): Mein Artikel ist auch im Buchreport-Blog erschienen.
Nachtrag zum Artikel
Kann dem nur zustimmen! Eine echte Gelegenheit auch für den deutschen Buchhandel. Z.B. könnte der Börsenverein auch mal zeigen, dass das Vorurteil, das ich seit Jahrzehnten über ihn pflege, total falsch ist.
AntwortenLöschenEine fabelhafte Idee, die unbedingt viel viel mehr Nachahmer verdient!!!
AntwortenLöschenSollen wir den Börsenverein fragen, was er von der Idee hält?
AntwortenLöschenGefällt mir im ersten Moment ganz gut. Scheint mir allerdings eher was für Städte über 100.000 Einwohnern
AntwortenLöschenIch kann bestätigen, dass dem nicht so ist, Robert. Wissembourg mit seiner ausgesucht guten Buchhandlung hat 7900 Einwohner, Haguenau immerhin 35.000 - das Elsass ist außerhalb ganz weniger Städte für deutsche Verhältnisse enorm ländlich.
AntwortenLöschenDas gilt übrigens auch für weite Teile Frankreichs.
Das angesprochene Antiquariatsportal http://www.livre-rare-book.com/ baute genau auf die Stärke, im Internet winzigen Händlern in winzigen abgelegenen Dörfern eine Chance und Anschluss an den nationalen Markt zu bieten - es war derart erfolgreich, dass es international geworden ist.
Warum soll ausgerechnet ein Internetportal nur dort wirksam sein, wo ohnehin Infrastruktur vorhanden ist?
Ich erfahre gerade durch @1001libraires, dass das Portal erst seit heute ganz offiziell eröffnet ist - dafür ist es schon ganz schön quicklebendig.
AntwortenLöschenAuch La Libération berichtete:
http://www.ecrans.fr/Libraires-en-ligne-ca-arrive-pres,12419.html
Die Idee finde ich auch gut und unterstützenswert. Das der Laden brummt, zeigt ja nur, wieviele Buchhändler und auch Verlage es satt haben, sich von einigen wenigen Großen das Geschäft diktieren zu lassen.
AntwortenLöschenDer Börsenverein wird da aber nicht viel ausrichten können. Da stehen sicher zuviele Werbeeinnahmen auf dem Spiel. :-X
Weiterhin befürchte ich leider auch, dass, wenn der Konkurrent zu groß wird, Amazon den mal eben einsackt. Das BAVZ war ja auch kein Problem für den Monopolisten, weil es wegen der Preisparität aufgemuckt hat. ;-)
Anhänger des Proletariats vereinigt euch!
AntwortenLöschenSpass beiseite,
Ih hakzte das für eine grossartige Idee. Ich kann mir keine bessere Idee vorstellen, wie man sich gegen die dominierenden Buchgrosskonzerne sonst durchsetzen kann.
Stimmt, die ZVAB hat es vorgemacht, jetzt müssen sich die unabhängigen Buchhändler nur noch finden. Und ich halte das nicht wie Robert für eine Idee, die nur in 100'000+ Städten umsetzbar ist. Natürlich wird der Service für Konsumenten, die auf dem Land leben, etwas weniger Vorteile bringen, aber vielleicht stösst man plötzlich auf eine Buchhandlung im Nachbardorf, von der man sich noch keine Meinung gebildet hat oder von der man sogar noch nie gehört hat, was wiederum wertvoll für den Buchhändler sein wird.
Ich bin gespannt, ob und wie das im deutschen Sprachraum angepackt wird.
Gruss Vega
Mal abgesehen davon, dass ein Börsenverein es leichter hätte, mit so einem Projekt bekannt zu werden: Wäre das nicht eine geniale Geschäftsidee für einen internetaffinen privaten Buchhändler?
AntwortenLöschenCommunities, in denen man für so etwas werben kann, gibt es doch viele. Und es würde sich sicher auch schnell in der Branche herumsprechen!
Es gibt einen neuen Beitrag zur Ergänzung für so manche Fragen...
AntwortenLöschenDie Mühlen im deutschen Buchhandel mahlen gar nicht so langsam! Die Zeit ist reif, um neue Aktivitäten und Kooperationen für Bücher und für den unabhängigen Buchhhandel auf den Weg zu bringen: http://www.lest-bücher.de/
AntwortenLöschenDas neue Portal von und für den unabhängigen Buchhandel empfiehlt Bücher, wirbt für den unabhängigen Buchhandel und steht für das Erlebnis Buch mit allen Sinnen. Der Countdown läuft, der Startschuss für "Lest Bücher" fällt im Mai!
Oha, das ist ja interessant! Erfahre ich Einzelheiten über Macher und Inhalte, wenn es so weit ist?
AntwortenLöschenLiebe Frau von Cronenburg, hinter den Kulissen wird emsig gearbeitet. Sie erfahren in Kürze mehr, versprochen! Wie im letzten Update zum Thema 1001libraires deutlich wird, ist die Gefahr groß, sich zu überheben, wenn man zu viel stemmen will. "Lest Bücher" ist ambitioniert, will aber lieber kontinuierlich wachsen. Ich glaube, das ist auch gut so!
AntwortenLöschenIch freu mich!
AntwortenLöschenIch denke, man vergibt sich nichts, bei einer neuen Community auch einmal offen eine Betaversion anzubieten und macht sich sogar sympathisch, wenn die Kunden bei der Fehlersuche und mit Verbesserungsvorschlägen mitmachen dürfen. 1001libraires verärgert derzeit mögliche Kunden, weil man das einfach als endgültige Vollversion deklariert hat, die auch heute noch nicht funktioniert.