Abenteuer im Rechteland
Ich muss mir jetzt unbedingt den Kopf freischreiben, nachdem ich eine halbe Stunde verzweifelt bei einem Nacktfotografen der 1920er recherchiert habe. Google hatte mich in die Irre geschickt. Die Bebilderung des Nijinsky-Buchs lässt mir langsam graue Haare wachsen. Das liegt daran, dass ich als Künstlerin und Urheberin nicht nur darauf bestehe, dass meine Urheberrechte gewahrt werden - ich respektiere natürlich auch die der anderen. Abgesehen davon, dass alles andere illegal wäre.
Nur ist die Rechtslage bei historischen Fotos gar nicht immer so einfach herauszufinden. Fotoagenturen halten so manches im Programm, nicht immer mit ausreichenden Herkunftsbestimmungen, dafür aber zu manchmal horrenden Preisen, die mit keinem Urheberrecht der Welt gerechtfertigt wären. In meinem Fall ging es um eines der Fotos aus dieser Abbildung: Nijinsky in der Rolle des "blauen Gottes". Ich kenne mein Sujet immerhin so gut, dass ich die Abbildung als eine Seite aus der Comoedia von 1912 identifizieren konnte. Der Abdruck der Seite wäre nach so langer Zeit rechtefrei und kostenlos, allenfalls Gebühren für eine ordentliche digitale Aufbereitung könnten fällig werden. Nun liegt mir aber ein fehlerfreies Einzelfoto aus der Serie vor - doch wer hat es geschossen? Ist er schon über 70 Jahre tot?
Zum Glück gibt es Google - also spüre ich sämtlichen Fotos von Nijinsky in dieser Rolle nach, natürlich weltweit. Eine Agentur bietet es doch tatsächlich frech für 315 Dollar an, wenn man es nur halbseitig drucken würde. Massenweise kursieren die Fotos aber auch sonstwo im Web, wo man sich um Urheberrechte oder Quellenangaben überhaupt keine Gedanken mehr macht: In Blogs, Foren, auf Websites. Es sei auch einmal ausdrücklich davor gewarnt, sich auf das Material bei Wikipedia zu verlassen. Selten fand ich so viel illegal zusammenkopiertes Material wie dort, teilweise sogar dreist von Museen gestohlen. Drum trau schau wem ... Wer mit solchen Methoden ein Buch gestaltet wie manche ein Blog, kann übel bluten!
Es braucht dann oft einige Tricks, die richtigen Eingabekombinationen zu finden, bis Google endlich einmal eine genauer beschriebene Fotoversion ausspuckt. Würden die Leute ordentliche Quellenangaben hinterlassen, würden sie so manchem Rechercheur das Leben leichter machen. Durch zwei andere Bilder im gleichen Kostüm kam ich immerhin zu einem Namen: Walery. Das klang irgendwie russisch-französisch und damit wahrscheinlich. Monsieur Walery war denn sogar unter seiner Berufsbezeichnung zu finden - aber war er wirklich der Fotograf Nijinskys? Er schwelgte nämlich in nacktem Fleisch! Nackte Frauen vor Kubismus, nackte Frauen vor Art Deco. Alles höchst apart und ein herrliches Zeitgemälde, aber Ballett? Wie gut, dass Google dann auch manchmal Fehler macht. Mein Fahnderauge fand nach zig Seiten einen Link, der nicht ins Schema passte: Stanislaw Walery.
Der war Engländer, hatte feine Damen in vollem Ornat und Royals fotografiert und passte damit eher zu den Ballets Russes. Zu früh wollte ich mich allerdings nicht freuen. Denn zu viele Fotografen in Sachen Nijinsky hatten sich als äußerst zählebig erwiesen, selten zuvor war ich auf so viele Menschen gestoßen, die im 19. Jahrhundert geboren worden waren und an die 100 Jahre alt wurden! Fotograf scheint zumindest damals ein sehr gesundheitsfördernder Beruf gewesen zu sein.
Ich hatte Glück. Monsieur Stanislaw Walery war 1863 geboren und 1935 gestorben. Damit ist das Bild auf meiner Festplatte rechtefrei. Ich habe zwar nirgends im Web einen Hinweis gefunden, dass ausgerechnet dieses eine Foto von ihm ist - aber ich fand seinen Namen zu zwei anderen der Serie. Alles andere ist logischer Rückschluss.
Noch grausliger gestaltete sich die Recherche zu einem anderen Bild. Das wurde fälschlicherweise schon allen möglichen Fotografen zugeschrieben, aber der wirkliche ist schlicht nicht mehr zu recherchieren. Ich kann nur ungefähr das Jahr bestimmen. Alle Bücher, in denen es vorkommt, wissen eigentlich auch nichts und nehmen es als rechtefrei hin. In diesem Fall kann ich mich auf meine und auf deren Recherche berufen und den berühmten Passus ins Buch drucken, der sinngemäß besagt, dass ich nach bestem Wissen und Gewissen ...
Dann ist da aber ein Foto, von dem ich 100%ig weiß, dass es rechtefrei ist, weil von einem Fotografen namens Bert. Wer aber soll mir das glauben? Mit weißem Retuschierstift hat hier nämlich jemand aufs Original einen berühmten Namen gekritzelt, der ganz und gar nicht rechtefrei wäre, sondern sogar ziemlich teuer . Es hilft alles nichts: Seine Fotos müssen gesichtet werden, die von Bert ebenfalls. Ich muss Vergleiche anstellen. Zu wessen Stil passt die Aufnahme? Diese Recherche hat Tage gedauert, aber nachher war ich richtig stolz: Ich konnte eine ganze Serie rekonstruieren, aus der es entnommen war. Natürlich von Bert.
Und warum das alles? Wo ich gestern noch über zwei bisher unveröffentlichte Zeichnungen frohlockt hatte? Auch das ist das Los bei einer Buchbebilderung: Die Vorlagen waren nicht nur für die Drucktechnik grenzwertig, sondern auch sonst von ausgesprochen mieser Qualität. Und plötzlich entdeckte ich beim Bestellen zu den Abdruckrechten noch einen kleingedruckten Passus zusätzlich: Die Nationalbibliothek lässt sich nicht nur das Digitalisieren bezahlen (was seriös und normal ist), sie erhebt auch noch die Gebühren quasi pro Megabyte! Ich wäre also für eine ansehnliche Zeichnung mit allem zusammen auf etwa 60 bis 70 Euro gekommen. Das macht bei zwei kargen Zeichnungen rund 150 Euro, die ich wieder erwirtschaften müsste. Also bleiben die Zeichnungen weiterhin unveröffentlicht. Und Monsieur Walery - der mit den Royals, nicht der mit den Nackten, kommt zum Zuge. Und der Unbekannte von 1916 auch.
Endergebnis: Finger und Augen wund recherchiert, dafür ca. 150 Euro Vorinvestitionen gespart. Man rechne sich aus, wie viele Bücher über den Ladentisch wandern müssen, bis auch nur diese vergleichsweise geringe Summe über Tantiemen eingespielt wäre. Und das sind ja nicht die einzigen Kosten am Buch. Verlage können da natürlich üppiger rechnen, verrechnen sich aber auch durchaus einmal...
Aber es hat sich gelohnt. Die beiden Ersatzfotos passen noch viel besser zum Text, eines davon geradezu genial. Und nicht, dass jetzt jemand denkt, ich sei masochistisch mit diesem Projekt - ich übernehme schon seit Jahren ähnliche Fotorecherchen für Auftraggeber. Auf meiner Auswahl beruhten auch die Abbildungen im Buch "Schwarze Madonnen" und die Cover-Grafikerin von Lübbe arbeitete beim "Lavendelblues" nach meiner Vorschlagsliste von Fotos. Die Bebilderung zu "Das Buch der Rose" suchte ich mit der Verlegerin gemeinsam aus. Man braucht dazu die Kenntnis des Textes und des Umfelds, ein gutes Auge, Kenntnis der entsprechenden Datenbanken und das Wissen, wie man unzureichende Angaben recherchiert. Sehr hilfreich ist dabei je nach Projekt ein Händchen für Sparsamkeit, denn nicht jeder Auftraggeber kann bei Getty Images einkaufen.
Nur ist die Rechtslage bei historischen Fotos gar nicht immer so einfach herauszufinden. Fotoagenturen halten so manches im Programm, nicht immer mit ausreichenden Herkunftsbestimmungen, dafür aber zu manchmal horrenden Preisen, die mit keinem Urheberrecht der Welt gerechtfertigt wären. In meinem Fall ging es um eines der Fotos aus dieser Abbildung: Nijinsky in der Rolle des "blauen Gottes". Ich kenne mein Sujet immerhin so gut, dass ich die Abbildung als eine Seite aus der Comoedia von 1912 identifizieren konnte. Der Abdruck der Seite wäre nach so langer Zeit rechtefrei und kostenlos, allenfalls Gebühren für eine ordentliche digitale Aufbereitung könnten fällig werden. Nun liegt mir aber ein fehlerfreies Einzelfoto aus der Serie vor - doch wer hat es geschossen? Ist er schon über 70 Jahre tot?
Zum Glück gibt es Google - also spüre ich sämtlichen Fotos von Nijinsky in dieser Rolle nach, natürlich weltweit. Eine Agentur bietet es doch tatsächlich frech für 315 Dollar an, wenn man es nur halbseitig drucken würde. Massenweise kursieren die Fotos aber auch sonstwo im Web, wo man sich um Urheberrechte oder Quellenangaben überhaupt keine Gedanken mehr macht: In Blogs, Foren, auf Websites. Es sei auch einmal ausdrücklich davor gewarnt, sich auf das Material bei Wikipedia zu verlassen. Selten fand ich so viel illegal zusammenkopiertes Material wie dort, teilweise sogar dreist von Museen gestohlen. Drum trau schau wem ... Wer mit solchen Methoden ein Buch gestaltet wie manche ein Blog, kann übel bluten!
Es braucht dann oft einige Tricks, die richtigen Eingabekombinationen zu finden, bis Google endlich einmal eine genauer beschriebene Fotoversion ausspuckt. Würden die Leute ordentliche Quellenangaben hinterlassen, würden sie so manchem Rechercheur das Leben leichter machen. Durch zwei andere Bilder im gleichen Kostüm kam ich immerhin zu einem Namen: Walery. Das klang irgendwie russisch-französisch und damit wahrscheinlich. Monsieur Walery war denn sogar unter seiner Berufsbezeichnung zu finden - aber war er wirklich der Fotograf Nijinskys? Er schwelgte nämlich in nacktem Fleisch! Nackte Frauen vor Kubismus, nackte Frauen vor Art Deco. Alles höchst apart und ein herrliches Zeitgemälde, aber Ballett? Wie gut, dass Google dann auch manchmal Fehler macht. Mein Fahnderauge fand nach zig Seiten einen Link, der nicht ins Schema passte: Stanislaw Walery.
Der war Engländer, hatte feine Damen in vollem Ornat und Royals fotografiert und passte damit eher zu den Ballets Russes. Zu früh wollte ich mich allerdings nicht freuen. Denn zu viele Fotografen in Sachen Nijinsky hatten sich als äußerst zählebig erwiesen, selten zuvor war ich auf so viele Menschen gestoßen, die im 19. Jahrhundert geboren worden waren und an die 100 Jahre alt wurden! Fotograf scheint zumindest damals ein sehr gesundheitsfördernder Beruf gewesen zu sein.
Ich hatte Glück. Monsieur Stanislaw Walery war 1863 geboren und 1935 gestorben. Damit ist das Bild auf meiner Festplatte rechtefrei. Ich habe zwar nirgends im Web einen Hinweis gefunden, dass ausgerechnet dieses eine Foto von ihm ist - aber ich fand seinen Namen zu zwei anderen der Serie. Alles andere ist logischer Rückschluss.
Noch grausliger gestaltete sich die Recherche zu einem anderen Bild. Das wurde fälschlicherweise schon allen möglichen Fotografen zugeschrieben, aber der wirkliche ist schlicht nicht mehr zu recherchieren. Ich kann nur ungefähr das Jahr bestimmen. Alle Bücher, in denen es vorkommt, wissen eigentlich auch nichts und nehmen es als rechtefrei hin. In diesem Fall kann ich mich auf meine und auf deren Recherche berufen und den berühmten Passus ins Buch drucken, der sinngemäß besagt, dass ich nach bestem Wissen und Gewissen ...
Dann ist da aber ein Foto, von dem ich 100%ig weiß, dass es rechtefrei ist, weil von einem Fotografen namens Bert. Wer aber soll mir das glauben? Mit weißem Retuschierstift hat hier nämlich jemand aufs Original einen berühmten Namen gekritzelt, der ganz und gar nicht rechtefrei wäre, sondern sogar ziemlich teuer . Es hilft alles nichts: Seine Fotos müssen gesichtet werden, die von Bert ebenfalls. Ich muss Vergleiche anstellen. Zu wessen Stil passt die Aufnahme? Diese Recherche hat Tage gedauert, aber nachher war ich richtig stolz: Ich konnte eine ganze Serie rekonstruieren, aus der es entnommen war. Natürlich von Bert.
Und warum das alles? Wo ich gestern noch über zwei bisher unveröffentlichte Zeichnungen frohlockt hatte? Auch das ist das Los bei einer Buchbebilderung: Die Vorlagen waren nicht nur für die Drucktechnik grenzwertig, sondern auch sonst von ausgesprochen mieser Qualität. Und plötzlich entdeckte ich beim Bestellen zu den Abdruckrechten noch einen kleingedruckten Passus zusätzlich: Die Nationalbibliothek lässt sich nicht nur das Digitalisieren bezahlen (was seriös und normal ist), sie erhebt auch noch die Gebühren quasi pro Megabyte! Ich wäre also für eine ansehnliche Zeichnung mit allem zusammen auf etwa 60 bis 70 Euro gekommen. Das macht bei zwei kargen Zeichnungen rund 150 Euro, die ich wieder erwirtschaften müsste. Also bleiben die Zeichnungen weiterhin unveröffentlicht. Und Monsieur Walery - der mit den Royals, nicht der mit den Nackten, kommt zum Zuge. Und der Unbekannte von 1916 auch.
Endergebnis: Finger und Augen wund recherchiert, dafür ca. 150 Euro Vorinvestitionen gespart. Man rechne sich aus, wie viele Bücher über den Ladentisch wandern müssen, bis auch nur diese vergleichsweise geringe Summe über Tantiemen eingespielt wäre. Und das sind ja nicht die einzigen Kosten am Buch. Verlage können da natürlich üppiger rechnen, verrechnen sich aber auch durchaus einmal...
Aber es hat sich gelohnt. Die beiden Ersatzfotos passen noch viel besser zum Text, eines davon geradezu genial. Und nicht, dass jetzt jemand denkt, ich sei masochistisch mit diesem Projekt - ich übernehme schon seit Jahren ähnliche Fotorecherchen für Auftraggeber. Auf meiner Auswahl beruhten auch die Abbildungen im Buch "Schwarze Madonnen" und die Cover-Grafikerin von Lübbe arbeitete beim "Lavendelblues" nach meiner Vorschlagsliste von Fotos. Die Bebilderung zu "Das Buch der Rose" suchte ich mit der Verlegerin gemeinsam aus. Man braucht dazu die Kenntnis des Textes und des Umfelds, ein gutes Auge, Kenntnis der entsprechenden Datenbanken und das Wissen, wie man unzureichende Angaben recherchiert. Sehr hilfreich ist dabei je nach Projekt ein Händchen für Sparsamkeit, denn nicht jeder Auftraggeber kann bei Getty Images einkaufen.
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