Im Meer des Wahnsinns

Die Nachrichtennahrungskette

Bei Twitter kursierte kürzlich der wahre Spruch "we are overnewsed, but underinformed". Tatsache ist, dass auch hartgesottene Nachrichtenjournalisten längst nicht mehr wirklich auf die Reihe bekommen, was wir derzeit von Kriegen und Katastrophen in der Welt wissen oder gar nicht erst erfahren. Nur noch als kollektive Leistung ist es zu schaffen, einen Überblick zu behalten, zu recherchieren, die richtigen Fragen zu stellen. Das Heraushauen von Nachrichten überschlägt sich so hektisch, dass zum Nachfassen, zu den so wichtigen Hintergrundberichten, oft kaum mehr Zeit bleibt. Das Internet hat den Nachrichtenhunger um ein Vielfaches beschleunigt. Fast hilflos erscheinen die Versuche, Ereignisse wenigstens durch Chroniken zu begreifen. Zeit zum Nachdenken und Hinterfragen - wer hat sie noch? Wer nimmt sie sich?

Und der Mensch am anderen Ende der Nachrichtennahrungskette? Wie viel Wahnsinn können wir wirklich begreifen? Etwa wenn man uns erzählt, wie die als Helden verklärten, unwissenden und oft ungelernten Leiharbeiter bei Tepco unter Bleidecken auf verseuchten Böden schlafen, kaum Nahrung bekommen, aber dafür Geld? Will sich irgendwer vorstellen, dass hier Männer tatsächlich mit Einkaufstüten gegen Radioaktivität kämpfen, um diese eine Möglichkeit zu verhindern, die eine Millionenstadt auslöschen könnte, ein Wahrzeichen von Technologie und Turbokapitalismus? Wer schaut noch hin, wenn japanische Bauern Milch auf ihren Feldern wegschütten, als betrage die Halbwertszeit nur ein paar Wochen? Interessiert es uns wirklich, dass die IAEA und die WHO die ganze Welt belügen, Informationen zurückhalten, Tschernobyl heute noch schönreden und längst nicht mehr unabhängig sind?

Menschliche Abgründe

Der Abgrund ist zu tief. Der Blick in unsere eigene Schwärze könnte uns wahnsinnig machen. Was sonst nicht einmal in der Geschlossenen denkbar wäre, wird immer öfter offiziell und vor laufenden Kameras zelebriert. Wir selbst reden unser eigenes Wissen mit einem "Restrisiko" schön. Auch die Rufer nach dem Abschalten brauchen Rückbau und Endlager - aber bitte nicht vor der eigenen Haustür. Tschernobyl haben wir vielleicht so schnell vergessen, weil es unter einem "Sarkophag" verschwand, dessen Risse kaum noch jemanden scheren. Die Sperrzone wird zur Touristenattraktion. Wann werden wir vergessen, dass Tepco jetzt das hochradioaktive Wasser einfach in den Ozean kippt, weil Wasser bekanntlich "verdünnt"? Eigentlich ist doch längst alles egal, was will man machen, was nützt es, wenn man macht, wie soll man die Lähmung überwinden?

Feuchte Hundeaugen

Und plötzlich geht ein Foto um die Welt. Reuters hat es verbreitet: Ein Hund mit rührenden feuchten Augen, von allen Seiten gehalten. Mitten im Wahnsinn, im Unfassbaren, haben japanische Rettungskräfte in einer Großaktion einen Hund aus dem Meer geborgen - drei Wochen nach dem Tsunami. Einen Hund. Zyniker, die solche Tierliebe nicht verstehen, bleiben erstaunlich ruhig. Denn hier ist mehr geschehen. Der Hund ist zur Ikone geworden. Mitten im Meer des Wahnsinns verkörpert er das kleine bißchen Alltag und Normalität, das sich Millionen Menschen auf dieser Erde nicht vorstellen können, weil sie längst das Unvorstellbare leben, traumatisiert von Gewalt, Folter, Naturkatastrophen, Hunger, Krieg. Mitten im Unfassbaren vermittelt das Foto vom Hund Hoffnung - Hoffnung auf eine Welt, in der auch Platz bleibt, ein Herz für Tiere zu haben. Das ist kaum zu glauben in einem Moment, wo apokalyptische Bilder überwiegen. Wie viel hat der Mensch doch in der Hand! Er kann eine Spezies vernichten, sogar sich selbst - und er kann eine Spezies retten. Der unbekannte japanische Hund zeigt der Welt, was mit freiem Willen und der Entscheidung zum Guten möglich wäre. Und doch halten wir die Extreme kaum aus: Menschen können nicht gerettet werden, ein Hund überlebt?

Das Künstlerlabor

Es mag zynisch klingen, aber solche Extremlagen sind die idealen Labors für Künstler. Sie schauen von Berufs wegen genau hin, setzen sich dem Unsäglichen aus, lassen es wirken, schauen in Abgründe und nehmen sich das, was keiner mehr zu haben glaubt: Zeit zum Nachdenken. Nirgendwann sonst lässt sich derart deutlich über das widersprüchliche Wesen des Menschen nachdenken. Extreme bieten Reibungsflächen. Kaum eine Kunst lebt so intensiv davon wie die Literatur. Ohne Konflikt kaum ein Buch. Ohne Konflikt und Zerrissenheit kaum eine glaubhafte Figur. Protagonist und Antagonist - die fleischgewordenen Extreme. Der Mörder im Vorstandsanzug und der Arbeiter mit den Einkaufstüten an den Füßen. Der zynische Diktator, der sein Volk abschlachtet, und der Rettungshelfer, der sich zu einem Hund abseilt. Und all die Grautöne, dieses Vexierspiel zwischen Gut und Böse, dieses wahre Leben: Der demokratische Präsident, der den Diktator hofierte und wegen eines Wahlkampfs als erster zu den Waffen greift. Der frischgebackene Atomkraftgegner, der eine Petition gegen Windkrafträder vor seinem Haus unterschrieben hat. Der Liquidator, der sich kaufen lässt, weil er die Folgen nicht kennt und vielleicht in verzweifelter Lage ist. Oder der Held, der eigentlich nur ein egoistischer Glücksritter ist?

Nachrichten können diese Vielschichtigkeit nicht erfassen - Literatur kann zeigen, dass es auch jetzt kein klares Entweder - Oder gibt, kein Schwarz und Weiß. Literatur, sofern sie nicht in der Nabelschau stecken bleibt, kann sich dem Wesen des Menschen nähern.
Aber das braucht Zeit und Abstand, Innehalten und Nachdenken. Nehmen wir als Beispiel "9/11". Als die Twin Towers durch einen Terroranschlag zu Schutt und Asche fielen, war Literatur darüber nicht möglich. Zu frisch waren die Angst, die Emotionen - wer konnte noch klar denken, geschweige denn literarisch reflektieren? Wie sehr waren auch wir im "aufgeklärten Westen" Opfer von Propaganda? Eines der ersten bahnbrechenden literarischen Werke zum Thema, Jonathan Safran Foers bilddurchwirkter Roman "Extrem laut und unglaublich nah", erschien 2005. Immer wieder tauchen dabei Fotos vom Fliegen auf - bis das Schemen des einzelnen, sich aus dem World Trade Center stürzenden Menschen zur Ikone wird und mit dem Text in Dialog tritt.

9/11: Ästhetik der Katastrophe

In der Bilderflut damals schälten sich für mich vor allem zwei Fotos heraus (hier und hier zu sehen). Sie berührten mich extrem stark, nahmen mir mehr den Atem als alle Trümmerfotos sonst. Erst später habe ich begriffen, warum: Sie bargen trotz der unfassbaren Katastrophe eine ungeheure Ästhetik, wirkten in sich fast wie ein Kunstwerk - vielleicht ein Kunstwerk über unsere Zivilisation? Vor allem aber steckte im zweiten Foto ein ungeheuer starkes Déja-vu. Ich wusste, ich hatte diesen Anblick schon einmal gesehen. Obwohl das unmöglich war.

Die beiden Fotos ließen mich nicht los, aber erst vor zwei, drei Jahren fand ich die Lösung des Déja-vus. Es war 1917. Auf einer Theaterbühne stand eine Kulisse mit drei Wolkenkratzerskeletten, die verblüffend der Aufstellung unserer Neuzeitkatastrophe ähnelten. Das Modell des Bühnenbilds gibt das nur unzureichend wieder. Picasso hat es gestaltet, ebenso wie das Kostüm des "amerikanischen Mannes", der nach 9/11 so vielsagend hochmodern wirkt. "Parade", ein surrealistisches Ballett von Satie und Cocteau - mit diesen Hochhausskeletten und den Welten, die aufeinander treffen, 1917, am Ende des ersten großen Weltenbrands.

Ikonen des Untergangs

Ein Foto wird zur Ikone, wenn es als Platzhalter für ein Ereignis immer wieder neue Dinge über uns und die Welt erzählt. Verbindet es sich mit anderen Ikonen wie in diesem Beispiel, kann es Geschichten und Geschichte verbinden, Horizonte erweitern und sich mit neuen Bedeutungen aufladen. Wer solche Bilder im Kopf hat, wird anders hinschauen. Auch aus Fukushima gibt es solche "Skelettbilder", was eigentlich kein Wunder ist: Wenn moderne Bauten einstürzen, ähneln sie sich. Ein Foto zeigt den streichholzdünn scheinenden Innenaufbau eines Reaktors. Das andere Foto wurde von den meisten Zeitungen benützt: Picasso lässt grüßen. Warum wurde es immer und immer wieder abgedruckt? Es hat die Qualität zur Ikone, zum Abbild vom qualvollen Sterben eines Technologiewahns.

Schaut man sich die drei Gebäudeskelette in Reihe an, gibt es zwei Möglichkeiten. Die Durchgeknallten und Hocherleuchteten basteln aus seriellen Eindrücken Weltverschwörungen und esoterischen Dummfug, weil man dabei so schön wenig denken muss. Dabei sprechen alle drei Ikonen - aus dem Ersten Weltkrieg, von 9/11 und aus Fukushima für sich, ganz real, ganz bodenständig. Das erste Bild ist von einem klarsichtigen Künstler, der die erste große Katastrophe des 20. Jahrhunderts verarbeitet hat. Das zweite Foto stammt von einer Katastrophe, bei der wir live Zuschauer waren, als befänden wir uns in einem üblen Computerspiel. Das dritte Foto in der angeblich aufgeklärtesten Zeit ist ein eher rares Stück. Man muss nach ihm suchen. Satelitenbilder überwiegen. Tepco verkauft lieber Großansichten des Kernkraftwerks, glänzende imposante Ansichten, aus der Ferne fast sauber und aufgeräumt anzusehen. Vor allem aber weit genug entfernt, um die Menschen im Wahnsinn nicht zu erblicken, die fürs Leben gezeichneten - so sie denn noch eines haben werden.

Uns gehen die Bilder aus

Uns gehen in den Nachrichtenfluten die Bilder aus. Die richtigen Bilder. Im Irakkrieg hat es im großen Stil angefangen. Filme und Fotos eines sauberen, wohnzimmerkompatiblen Kriegs, der so virtuell wirkt wie ein Computerspiel. Embedded photographers im Dienste der Propaganda. Mit Japan erleben wir eine Steigerung, zumal das Fotografieren an gewissen Orten lebensgefährlich wäre. Wer gibt das Fotomaterial heraus? Was bekommen wir von wem zu sehen? Aber vor allem: Was bekommen wir nicht zu sehen?

Bisher hat Literatur genau hinschauen können. Bisher haben sich immer wieder Literaten mit diesen Abgründen auseinandergesetzt und weiter gedacht. Aber was bekommen wir nach dieser Katastrophe in Büchern zu lesen? Was bekommen wir vor allem nicht mehr zu lesen? Wo werden in Zukunft welche Geschichten erzählt werden können?

Der japanische Findlingshund schärft die Aufmerksamkeit in der Abstumpfung durch Bilderflut und Nachrichtenschwemme. We are overnewsed and underinformed. Die großen Lücken erzählen die wahren Geschichten.

Aus urheberrechtlichen Gründen kann ich die Fotos nicht im Blog zeigen - die Links führen jedoch direkt auf die Fotos.

6 Kommentare:

  1. Liebe Petra,

    das Bild mit den feuchten Hundeaugen erinnert mich an einen Film von Michael Moore (ich weiß leider nicht mehr welcher), indem ein Kaninchen im Kochtopf landete und alle Welt aufschrie. Dass nebenbei aber Menschen starben, viel nicht so stark ins Gewicht, da Schwarze (!). Ich weiß nicht, was ich von solchen Rettungsaktionen halten soll. Stundenlange Arbeit für ein paar feuchte Hundeaugen? Mir stehen die Menschen irgendwie näher.
    "We are overnewsed and underinformed", kann ich unterschreiben. Man stumpft ab, bei dieser Bilder- und Nachrichtenflut.

    Liebe Grüße
    Nikola

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  2. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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  3. Mit deinen Gedanken sprudeln meine:

    Schnelllebig ist unser Alltag, und wir sind es auch. Ja die Nachrichtenagenturen überschlagen sich. Wenn man nichts NEUES zu berichten hat, wird einfach wiederholt und von nächsten Katastrophen - oder von bebenden politischen Ereignissen berichtet. Diesen einen Fernsehkanal, an den ich gerade denke habe ich längst verbannt. Es gibt nichts, was man nicht schon weiß und das wissen alle. Warum also Zeit vergeuden, wenn Informationen nicht wirklich informativ sind?

    Wie viel Wahnsinn können die Menschen in den Katastrophengebieten überhaupt noch verkraften und ertragen? Wer denkt noch an den schwärzesten Tag Neuseelands; als am 22.02.2011 gegen Mittag, das Beben die Menschen dort überraschte? Das Erdbeben galt als das verheerendste seit 80 Jahren und dann kam Fukushima. Eine Apokalyptische Kettenreaktion, wie man sie nur aus Horrorfilmen kennt. „Eine Wiederauflage der Katastrophe von 1986“ sagt Hannes Jaenicke, der heute den Film "Die Minensucherin" auf ZDF vorstellte und uns aufzeigt, wie schnell wir vergessen.

    Martin Kessel sagte:
    "Der Krieg hat einen langen Arm. Noch lange, nachdem er vorbei ist, holt er sich
    seine Opfer".

    ( "Die Minensucherin" beginnt übrigens heute am 04.04.2011 um 20:15 auf ZDF )

    ...und so, kann man diese Worte auch auf vielerlei andere Dinge münzen.

    Nachdem Herr Jaenicke über die längst vergessenen Landminen in Angola sprach, wurde das Gespräch auf die Fukushima Ruinen in Japan gelenkt. (siehe ZDF Mediathek)

    Und ich denke mir, wem nützt einseitiges Denken und Handeln, wenn ein Land die Welt nicht verändern kann? Sonne, Wind und BIO - und Dänemark ging mit gutem Beispiel voran.
    http://www.focus.de/wissen/wissenschaft/klima/tid-20275/sonne-wind-und-biomasse-neues-konzept-fuer-erneuerbare-energien_aid_566725.html

    Hier auch noch ein interessanter LINK:
    http://www.visitdenmark.com/tyskland/de-de/menu/turist/oplevelser/gruenes-oekologie-daenemark/samsoe-daemarks-insel-erneuerbarer-energie.htm

    Den Löwenanteil an natürlichen Energieressourcen in Österreich macht die Wasserkraft aus. Sehr lobenswert. Aber wer wußte, dass Österreich - Atomenergie aus Tschechien bezieht?
    http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/1292520/Oesterreich-Atomstrom-aus-Tschechien

    Ästhetik der Katastrophe und Kunstobjekte
    Bei diesen Zeilen kam mir ein Bericht über einen tschechischen Fotografen in den Sinn, der seine Photos illustrieren lassen hatte. Er machte Aufnahmen im Sperrgebiet. Diese wurden später über ein Buch veröffentlicht. Titel und Buch sind mir leider entfallen. Hier ein paar Fotos, die ich im Netz gefunden habe.

    http://acidcow.com/pics/16330-chernobyl-today-52-pics.html

    Mit deinen Zeilen sprudeln die Gedanken nur so aus mir heraus und ich denke an die Menschen in Haiti, die immer noch zwischen Schutt und Geröll ihr Leben meistern müssen.

    Wie auch immer, ich danke dir für deinen Beitrag und wünsche einen schönen Feierabend!

    PS: Über die ZDF Mediathek kann man auch das Interview mit Hannes Jaenicke sehen, der übrigens kurz vor dem Fukushima-Beben in Tschernobyl war.

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  4. Liebe Petra,

    "Die großen Lücken erzählen die wahren Geschichten."
    Du hast mit diesem großartigen Beitrag die Sache auf den Punkt gebracht. Was den Hund betrifft:
    Das erinnert mich an den Tod des Eisbären, der viele Leute anscheinend mehr beschäftigt und traurig gemacht hat als das ganze Fukushima- und Welt-Desaster. Ich glaube, solange es noch solche Journalistinnen und Journalisten wie dich gibt, brauche ich die Hoffnung nicht auzugeben.

    Herzlichst
    Christa

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  5. Danke für eure Beiträge, die auch mir wieder den Horizont erweitern!

    @Christa
    Zu deinem letzten Satz: Genau deshalb bin ich Buchautorin geworden, weil ich als Journalistin solche Sachen nicht verkaufen kann ;-) Es leisten sich auch nur noch ein paar ganz große Eliteblätter /-sender aufwändige Reportagen, Hintergrundberichte oder Features.

    zum Hund:
    Erstens sehe ich da überhaupt keine Parallele zur Medienmache um Knut (völlig anderes Phänomen). Zweitens wage ich nicht, über Menschen in Ausnahmesituationen zu urteilen, nicht einmal darüber, wie ich mich selbst verhalten würde.

    Ich denke mir das anders. Ich habe mal einen ganz jungen Kerl beim Rettungsdienst erlebt, nachdem er bei einem Massenunfall auf der Autobahn zwischen zig Leichen entscheiden musste, wo Rettung sich zuerst "lohnte", weil sie zu wenige waren. Ich kenne einige junge Feuerwehrleute, die beim Crash des Airbus auf dem Mont St. Odile völlig unvorbereitet aus den Dörfern ausrücken mussten, um in Plastiktüten alles aufzusammeln, was noch irgendwie nach Fleisch oder Knochen ausah. Die sind trotz ausführlicher Psychotherapie fürs Leben gezeichnet. Einer sagte mal, das Schlimme sei gewesen, dass in diesem Grauen so überhaupt kein Leben mehr denkbar gewesen sei, nicht einmal das winzigste Tier habe er an der Absturzstelle gesehen.

    Ich kann mir vorstellen, dass dieser quietschlebendige Hund, der drei Wochen überlebt hatte, inmitten des Grauens, wo keine Menschen mehr zu retten sind, schlicht auch eine Rettung für die Retter war?

    Und vielleicht hat er ihnen die Kraft gegeben, trotz besseren Wissens weiter zu machen, immer in der Hoffnung, dass auch irgendwo ein Mensch so lange überlebt haben könnte?

    Wir wissen das nicht. Wir wissen natürlich auch nicht, was Tante Erna am Küchentisch mit dem Foto anfängt.

    Als Journalistin hätte ich den Hund allerdings auch ins Blatt gehoben. Gerade weil wir an den apokalyptischen Bildern abstumpfen. Da ist auch noch etwas anderes: Den Hund als "Überleben" kann ich als Fotograf brutal in seiner Nacktheit und Hilflosigkeit ablichten. Wenn es aber ein kleines Mädchen wäre, drückt ein Fotograf nicht mehr hemmungslos drauf.

    Fortsetzung folgt...

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  6. @Tanja
    Ich liebe es, wenn Leute sprudeln! :-)
    Leider habe ich die Sendung nicht gesehen, ich stak auf ARTE noch im Ersten Weltkrieg fest...

    Du sprichst etwas sehr Wichtiges an, das mir nicht nur in den Medien völlig fehlt. Sobald eine Katastrophe "abgefrühstückt" ist, interessieren die Menschen nicht mehr. Aber es werden weltweit immer mehr Menschen, die seelisch ein Leben lang gezeichnet sind. Auf ARTE kam eine Doku, wie die Erdbebenopfer auf Haiti unter Gangsterbanden leiden. Aber wer schaut ARTE? Wer schaut so spät solche Dokus? Eine winzige Minderheit.

    Als Kind kannte ich noch alte Frauen, die drei Kriege erlebt hatten: 1870, Erster und Zweiter Weltkrieg. Das waren ausnahmslos, selbst in ihrer Zerbrochenheit, sehr starke Frauen, die mir immer wieder einschärften: Wenn ihr eines Tages ein Leben haben wollt, führt keinen Krieg. Das war das Schreckliche in allen Lebensläufen: Die konnten nicht lieben, nicht leben, wie sie wollten, konnten nicht mal einfach ein Buch schreiben, Partys feiern oder ungestört auf die Schule gehen. Die hatten nur so kraftvoll überlebt, weil sie sich mit allem arrangiert hatten.
    Spätestens seit dem 1. Weltkrieg wissen wir, wie viele Menschen damals Selbstmord begingen, drogensüchtig wurden oder in der Psychiatrie landeten, weil sie mit den Erlebnissen nicht fertig wurden.

    Das macht mich am meisten fertig: Obwohl wir das alles wissen müssten, drehen wir ständig an der Schraube, dass es uns eines Tages vllt. genauso geht.

    Trotzdem bin ich optimistisch. Aus dem Ausland gesehen wirkt die deutsche Reaktion auf Fukushima auf mich zwar kopflos, emotional und manchmal sogar ökoromantisch; wenn ich sehe, dass Deutschland derzeit seine Importe von Atomstrom aus Tschechien u. Frankreich verdoppelt, um das Moratorium durchzuhalten, kann man es sogar heuchlerisch nennen. Trotzdem glaube ich an Vorbildfunktionen. Wenn die Sache etws freier von Emotionen mit anderen diskutiert würde, können sich durchaus Meinungsänderungen ergeben. Wir sind eben keine nationalen Inseln mehr. Dazu ein guter Artikel in der SZ:
    http://www.sueddeutsche.de/kultur/frankreich-und-die-atomkraft-eine-wolke-bis-zum-rhein-1.1081288

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