Der Duft der Bücher

Es dürfte ja inzwischen hinlänglich bekannt sein, dass Bücher im Verkauf auch deshalb vermehrt als reine Ware wie Shampoo oder eingelegter Hering behandelt werden, weil immer mehr "Buchhändler" gar nicht mehr ausschließlich mit Büchern handeln. Amazon ist das Paradebeispiel für einen Gemischtwarenladen - es gibt dort inzwischen sogar eine Kfz-Abteilung. Und wer sich für "Witze unter der Gürtellinie" interessierte, kaufte auch die "Klobürste Sissi" oder Kondome mit Nana-Minze-Geschmack. Bei Thalia gibt man sich etwas gediegener - das Hauptgeschäft bringt Parfums, Cremes und Kosmetik unters Frauenvolk.

Irgendwie haben wir gerade bei Twitter herumgewitzelt, wie verkaufsfördernd darum ein Duft zum Buch sein könnte. @PeterHellinger kreierte gleich "Kiss of the Vampire" passend zum Trend. Wenn es nur nicht so verdammt teuer wäre, ein Parfum zu lancieren und dann auch noch bei Douglas in den Regalen zu platzieren - das Geld steckt man dann doch lieber in den Buchvertrieb.

Manche Leute hätten ja das Geld. Und den richtigen Namen. Zuerst hielt ich es für einen gelungenen Aprilscherz, aber gestern war nicht der erste April. Karl Lagerfeld himself möchte nämlich ein Buchparfum kreieren! Er hat sich eigens dafür mit dem Verleger Gerhard Steidl zusammengetan. Das ist der Mensch, dessen atemberaubenden Kunst- und Fotobände einem beim Auspacken im schönsten Sinne des Wortes den Atem nehmen - sie riechen so wunderbar nach wertvollen Papieren, hochwertigen Lacken und leckeren Farben. Nicht gemeldet wurde allerdings, ob sich Frauen künftig den "fettigen Duft" mit linolhaltigen Nuancen hinters Ohr oder doch lieber auf den E-Reader tupfen werden.

Für mich als Synästhesistin haben Bücher tatsächlich einen Duft - völlig unabhängig davon, ob Papier und Druckfarben riechen. Mein Roman "Stechapfel und Belladonna" duftet für mich in der Herznote ganz stark nach goldgelben Freesien, in der Kopfnote nach frisch gemähten Butterblumen, und er hat als Basis eine Mischung aus Moosen und etwas Moschus. Nur deshalb konnte ich mich mit dem maigrünen Cover anfreunden, denn nichts ist schlimmer, als wenn das Cover anders riecht als das Buch.

Duften wird auch der Nijinsky. Das kommt allerdings nicht von ungefähr, denn eine Reise in die Zeit der Ballets Russes ist auch eine Reise zu den Nobelkreationen Pariser Parfumeure. Damals war man so verrückt nach dem Erlebnis "Gesamtkunstwerk", dass zu den berühmtesten Balletten gleich die passenden Düfte lanciert wurden. Als mir mein Artikel dazu jetzt wieder in die Hände fiel, fiel es auch gleichsam wie Schuppen von meinen Augen: L'Heure Bleue (Die blaue Stunde) von Guerlain, kreiert, als Nijinsky 1912 den "Blauen Gott" getanzt hatte, ist das Parfum, dem ich in einer gewissen Ladenkette vergeblich nachgespürt habe. Dort setzt man bekanntlich eher auf Modetrends und Stapelware.

Ich musste lachen: Autorin mit Nischenbuch sucht verzweifelt Nischenparfum. Buch und Parfum sind blau und das ist die Lieblingsfarbe der Autorin. Der Duft muss einfach her! Natürlich werde ich so mein Buch auch nicht bei Thalia platzieren können. Will ich aber gar nicht, das wird exklusiver verkauft werden.
Aber der passende Duft zum Buch*, wenn das kein Anstoß ist für komische Ideen! Monsieur Lagerfeld kommt mir da mit seiner Buchbastelei gerade recht zur Inspiration.

* Natürlich duftet auch dieser Artikel. Vielmehr die Autorin. Schicksalsjahr Nijinskys, Kriegsende-Parfum, 1919 für die Ballets Russes kreiert und dank der alten Parfumeurskunst ein Duft, der auf keiner Haut, an keinem Tag gleich riecht.

4 Kommentare:

  1. Euodios Thym17/4/11 02:05

    Ihr Bewunderer, Verehrteste, kann zwar Ihren Duftschwärmereien nur virtuell folgen: Die Natur seiner Heimat mit einem Übermaß an Nebel und die Unnatur des Naturschutzes in seiner Wahnstadt (sagte ich Wahnstadt oder Wohnstadt? - Ich meine natürlich beides) mit einem Übermaß an aggressiven Pollen haben leider seine Geruchssensoren zerstört. Umso hemmungsloser und von sensorischen Banalitäten ungestört kann er sich den virtuellen Olfaktorien widmen. Ich imaginiere - oh - wunderbar - oh, Moment, könnten Sie bitte die Schuhwichse von Lagerfeld noch etwas wegwedeln - aber jetzt, glaube ich, ist er da - ist er das, ja, ich glaube, ich habe ihn - ein Rausch ohne besoffen zu sein, ein Hauch älterer trockener männlicher Schweiß, aber sehr schwach, ganz stark, fast dominant der Duft von Schnürbodenstaub - und jetzt, ist der Kerl etwa erregt?, o, pardon, das wird gleich mit eau de toilette bereinigt - neinnein, keine Komplikation, ach, danke für die Lilien, eine neue Kreation, riecht nach Ledersitzen im Automobil - und jetzt, streift sich doch der Kerl das verschwitzte Trikot über den Kopf, nimmt kurz das Handtuch, keine Dusche, nicht mal einen Lappen, stürzt sich in Seidenhemd und Smoking, das süße Schwein - ochochochoch! - ichwollteichwäreaucheinschwulerkerl! - Saukerl, du verruchter! - Gleich haut es mich um! Und das alles aus einem Parfum, das bei Thalia riecht wie der nicht ganz weggelüftet Bodenreiniger von gestern abend!

    War mir ein Vergnügen, Madame, beduften Sie mich bald wieder. Wenn wir uns näher kennen, werde ich mir die Frage erlauben: Wie duften Sie, Madame, allgemein, hier, da?

    Mit Verehrung
    Ihr Euodios

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  2. Oh Verwertetster, oh Euloge unter den Euodia (habe ich Euch angemessen dekliniert?), oh einziger Thymus in einem Beet voller Bohnenkraut - was vergnüge ich mich mit dieser duftenden Note zur pollenhustenden Frühstückszeit - und wünschte, wir könnten angesichts leidender Geruchssensoren und wunder Bronchien unseren Austausch auf dem Zauberberg fortsetzen, oder wenigstens in St. Moritz, in der abgerissenen Villa Guardamunt, von wo aus sich auch der schon länger abgerissene Nietzsche endlich besuchen ließe. (Er wartet immer noch darauf, dass ich sein Manuskript lese).

    Lasst mich ein paar kleine Nuancenveränderungen vorschlagen, denn Euereins hat sicher nur im Eifer des lustvollen Dahindarbens die Basisnote aus Diaghilews Hotelschlafbürowohnzimmer vergessen, diesen unverwechselbar rauchigen Dunst grusinischen Tees aus dem Samowar - denn das heiter-perlende Champagnergespritz (auf nackter Haut?) eignet sich vorzüglich als Kopfnote. Leicht salzig, etwas scharf und eine winzige Spur bitter dabei der Duft von Kaviar, den man sich auch in Paris nicht entblödete, mit steigendem Kartenverkauf zu schaufeln.

    Lilien? Nein, nicht allzu viele, das ist dekadent, mon chèr, das sind die gewachsenen Pfiffe der Belle Époque und zu viel Hauch aus diesem Nichtleben in den "Sanatorien" danach. Le Spectre de la rose - meine Nase sieht Bourbonrosen, pfundschwere Blüten, hauchzart gefältelt wie ein Tutu! Nur keine Bange, dem Kerl im Androgyn werden wir schon gerecht, spritzen wir sie auf, mit diesem klitzekleinen besonderen Tropfen, den sie schon zu Lebzeiten für sein Ballett abgefüllt haben: Narcisse Noir. Konventionen brechende Narzissen für unseren Narziss... Lustschwärze.

    Apropos Narziss, wenn der große Thomas noch leben würde, könnten wir ihn fragen, wie man jenen unverwechselbaren Hauch aus den Ferien einfängt - Lido von Venedig, Grand Hotel des Bains, Ihr wisst ... Liebesschmerz, Lebensschmerz und dieser wunderschöne junge Polenrusse am Strand, Vaciu! Wenn wir das Parfum "Tod in Venedig" nennten?!?

    Madame, mit Verlaub, duftet gerade nach Hund, dem Staub lehmig vertrockneter Felder, nach Sonnenlicht und viel zu viel Pollen, atchoum! Kandinsky hätte seine wilde Freude daran und würde Sonnenblumen malen.

    Habe die Ehre, Monsieur***,
    Eure Waslawa Weihrauch

    *** und bitte um Übersendung unseres Briefwechsels an das Literaturarchiv in Marbach, bevor er der Nachwelt verloren geht

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  3. Sniffy F. alias Euodios17/4/11 13:29

    Absolument le vôtre et absolument d'accord, Madame! Aber Ihre Texte muss man auch mit Geländer zur Kenntnis nehmen, las ich doch gerade mit pollenroten Augen und übernächtigter Brille (hab sie dann gleich gewaschen) das schockierende Wort Lustschwänze! Ttt!

    Und Ihre Frage nach dem Lido, irgendwo hab ich das schon im sensorischen Archiv, der Reiz für die Moschuskomponente unseres Vorschlags kommt wohl schon vom hohen Humus- und Humansubstanz-Anteil im nassen Sand zwischen den Kieseln, aus welchen orifices, wollen wir nicht détaillieren, aus allen!, aus halbvermoderten Muscheln und Seeigeln, und dem, was so von Chioggia herüberweht, oder von Mestre, wo sich übrigens neben Morges (Morgue?) bei Lausanne die größten Labors für künstliche Düfte finden. Warum, glauben Sie, dass in ganz Europa das Ciabatta aus Drecksmehl so beliebt ist? Für die Basisnote würde ich aber nicht gleich die Inversion zu erkennen geben und eher was nehmen wie ranzige Florida-Sonnencreme auf der Haut junger trampender Amerikanerinnen mit einem Schuß Qualm aus schlecht gewarteten Vaporettodieseln. Kopfnote Artischockenblüte aus Burano ginge auch, mit einem Spritzer Diaghilev aus Ihrer Rezeptur.

    Muss eilig davon. Eine Rindsbouillon rein aus den Labors von Nestle aus Morges.
    Votre bien dévoué
    Sniffy Fartinghorse

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  4. Mon dieu, my god, Mr Fartinghorse,
    wissen Sie, was passiert ist?!?

    Lady Ottoline Morrell wälzt sich inmitten des gesamten Bloomsbury Kreises lachend auf dem Eisbärfell! Fast hundert Jahre lang habe man sie nicht ernst genommen, als sie erzählte, wie Fans Nijinskys Unterwäsche aus der Garderobe stahlen, nicht einmal Virginia habe damals hinhören wollen. Und Patrick Süßkind habe über einem erlesenen Earl Grey lediglich blasiert die Augen erhoben und geflüstert: "... nur aus Jungfrauen... nur reine, weibliche De..., pardon Enfleurage!"

    Und stellt Euch vor, Wassily hat gerade angerufen. Er sei jetzt doch sehr neugierig geworde, was wir aus einem BLAU an Düften köchelten, ob es für ihn dann auch noch nach tiefer Orgel klinge, er schwinge sich gleich munter aufs Fahrrad. Ihr wisst, so sehr ich es schätze, mich stundenlang von seiner Hochintelligenz betören zu lassen - aber der Mann stinkt! Was habe ich ihm das letzte Mal seine schrecklichen Kippen nachräumen müssen, Machorka oder was er da ohne Unterlass in sich hereinpafft, man sollte den Farbauftrag auf seinen Gemälden einmal näher auf Asche untersuchen lassen.

    Nichts gegen den guten Wassily, ich liebe ihn heiß und innig, aber ich kann ihn doch nicht jedes Mal in den Kohlenkeller sperren!

    Eile wieder in die russische Sonne, die partout nicht richtig warm werden will. Empfehle euch einen festsitzenden Kneifer gegen Euer laszives Lesen - bedenkt, sonst landen wir nie im Literaturarchiv!

    Votre precieuse
    Hermione Kataraktova

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