Die Werte hinter den Büchern
Die taz, die sich online wie einige Zeitungen und Zeitschriften inzwischen ebenfalls über Crowdfunding zu finanzieren versucht, hat dankenswerterweise eine informative Serie zum Thema gestartet, auf dass es endlich in die Köpfe und Herzen gerate. Im ersten Teil geht es um die Frage, wie in Zeiten kultureller und künstlerischer Kaputtsparerei das Publikum zunehmend zum Vielfalt erhaltenden Faktor wird. Das ist keineswegs die primäre Aufgabe eines Publikums, aber wer zu lange auf die Politik wartet und nichts unternimmt, wird irgendwann mit einer berlusconisch anmutenden Kulturlandschaft leben müssen. Ob das so er-lebenswert wäre?
Im Artikel findet man alle Plattformen, die derzeit auch in Deutschland arbeiten und kann sie deshalb gut vergleichen. Eminent wichtig ist nämlich, wie viele Fans sich überhaupt bei so einer Plattform versammeln. Die meisten bringt allerdings der Künstler bei - und womöglich liegt es daran, dass Projekte aus Musik und Film nicht nur häufiger auftauchen als schriftstellerische, sondern die Macher von ersteren einfach fitter und ideenreicher sind im Aktivieren von Fans. Menschen ohne Plan oder solche, die Social Media scheuen, sollten von Crowdfunding allerdings die Finger lassen und auf den guten alten Erbonkel warten. Denn hier muss ich schon vorab die Werbetrommel für etwas rühren, das erst entstehen will.
Der Erbonkel könnte inzwischen in Bücher investieren. Die Wirtschaftswoche erzählt, wie Bücher zur Wertanlage werden, warum deutsche Bücher so billig zu erzocken sind und worauf man achten muss, wenn man statt in Aktien in alte Bücher investiert. Schon gewusst: Wenn der Autor nicht signiert hat, hilft wenigstens ein berühmter Vorbesitzer, der seinen Namen im Buch hinterlassen hat. Signiert der Autor auch noch für die Berühmtheit, steigt der Preis entsprechend.
Viele Autoren, die noch keinen Weltruhm erlangt haben, wissen das gar nicht: Gebraucht sind auch ihre Bücher mit Signatur sehr viel wertvoller als ohne. So viel zum Nebensinn von Signierveranstaltungen - da wird barer Geldwert geschaffen, aber auch ein hoher ideeller Wert für Fans. Wie lebensleer sind dagegen E-Books - zumal so manche Signatur ganze Geschichten erzählt. Ich erinnere mich noch gut an meine Aufregung, als ich bei einer Auktion spottbillig Anne Schlumbergers "The Schlumberger Adventure" ersteigerte, von ihr selbst für eine Freundin ausführlichst handsigniert. Kein Mensch hat sich damals für Erdöl interessiert und darum auch nur geahnt, wer die Schlumberger-Tochter war. Mein Glück beim Bieten.
Apropos ideeller Wert: Kürzlich habe ich mit schwerem Schlucken ein Programmheft für 4 Euro erstanden. Aus reinem Sammlerwahn, weil das Thema eine Bedeutung für mich hat. Für vier Euro kann man anderswo ganz schön viel Heft bekommen. Zugegeben, das Teil ist oberedel gemacht, in Weinrot und Weiß, mit ein paar glitzergoldenen Seiten und hochwertigen Fotos. Als ich es dann durchblätterte, wurde ich aber doch ein wenig wütend und fühlte mich etwas verschaukelt: Von 56 Seiten waren neun Seiten plus Innen- und Außenrücken Luxusmarkenwerbung, neun goldene Seiten Sponsorenaufzählung und acht Seiten Eigenwerbung inklusive Spendenaufrufe. Man könnte meinen, zumindest die Anzeigen der Luxusmarken könnten so ein Heft großteilig finanzieren. Was habe ich an diesem Abend gelernt!
Ein einfaches, kostenloses, dünnes Programmheft hätte ich vor der Vorstellung gelesen und nach der Vorstellung liegenlassen oder weggeworfen. Dieses sammle ich. Und warum habe ich es gekauft, obwohl es eigentlich zu teuer ist? Weil es ein edler Sinnenschmaus ist. Weil es darin Informationen gibt, die ich woanders so nicht finde. Weil ich damit auch hinter die Kulissen schauen kann. Weil es einmalig ist und so nicht wiederkommen wird. Weil es zu einem schönen Ritual dazugehört. Weil man glaubt, es dringend zu brauchen. Weil es ein Stück Luxus im Alltag ist. Und noch schlimmer: Es macht sogar etwas her, wenn man es "aus Versehen" auf dem Wohnzimmertisch liegenlässt - Gespräche entspinnen sich.
So. Jetzt lesen wir das Ganze noch einmal und setzen statt "Programmheft" das Wort "Buch". Warum eigentlich nicht? Prompt schoss mir der Gedanke in den Kopf, dass einige Verlage doch sehr schöne Bücher schaffen. "Das Buch der Rose" war so eins, edel und ästhetisch aufgemacht. Aber dann passiert mit solchen Büchern etwas, was einem Festspielhaus nie passieren würde: Sie werden nur über den Inhalt verkauft, der dem Klappentext nach genausogut in einem Billigtaschenbuch stehen könnte. Der wahre Mehrwert eines solchen Buchs wird jedoch nicht vermittelt - und nicht selten so das eigentlich interessierte Zielpublikum verfehlt.
Meine eigene Hausaufgabe besteht nun darin, die gewonnenen Erkenntnisse auf mein Nijinsky-Projekt zu übertragen. Auch wenn mir durch das Herstellungsverfahren natürlich technische Grenzen gesetzt sind, versuche ich doch, das Buch so edel wie möglich zu gestalten. Ich will mehr als nur "hingeworfenen" Text. Ich finde, gedruckte Bücher haben neben dem E-Book eine sehr große Existenzberechtigung - und noch größere Chancen, wenn sie auch nutzen, was ihnen eigen ist. Aber da fehlt oft noch der Sprung ins Marketing, das man solch einer Kultureinrichtung durchaus abschauen könnte.
Kaum ein Autor blickt in seinem Vertrag auf den Paragrafen mit den Sonderausgaben und wundert sich darum auch nicht, warum diese besonders billig angeboten werden. Das kommt aus alten Zeiten, als Sonderausgaben für Buchclubs oder die Schule gedruckt wurden. Wie viele Verlage aber drucken Sonderausgaben inzwischen auch für Firmen! Natürlich wollen die Geld sparen, aber wollen sie wirklich eine Billigversion? Warum soll so eine Firma nicht eine feste Auflage abnehmen, wenn sie dafür eine Luxusausgabe bekommt, die es so im Handel nicht gibt? Welch exklusives Weihnachts- und Sammlergeschenk! Wir überlegen heutzutage, in wie vielen Dateiformaten wir ein E-Book anbiete müssen. Wer denkt eigentlich darüber nach, dass es ein und dasselbe Buch für unterschiedliche Ansprüche und Preisvorstellungen in unterschiedlichen Aufmachungen geben könnte? Nicht ganz unaufwändig: Kleinere Strukturen sind hier eindeutig flexibler und haben die Nase vorn.
Natürlich kann man auch ganz herkömmliche Bücher ganz herkömmlich schreiben. Aber dann muss man unbedingt und dringend leiden! In ihrer herrlich ironischen SpOn-Kolumne rät Frau Sibylle alias Sibylle Berg speziell Autorinnen: Seien Sie nicht ironisch, seien Sie bitter! Natürlich verrät sie auch, warum sich die Waffen-SS in der Autorenbio gut macht, wie man "Blocksatz gewordene Selbstfindung" praktiziert und warum Frauen anders schreiben sollten als Männer. So macht Schreibunterricht höllisches Vergnügen!
4,- €. In Worten: vier. Zu teuer? Mir kommen die Tränen. ;-)
AntwortenLöschenGruß Jörg M., der sein Brot damit verdient, Bücher zu verkaufen
Wenn man sich den Inhalt so manch hübsch aufgemachter Programmhefte anschaut, dann können einem schon die Tränen kommen....
AntwortenLöschenEin Programmheft ist kein Buch. Wenn ich mit ganzseitigen Anzeigen von nobelsten Nobelfirmen zugekleistert werde, erwarte ich in der Tat, dass sich das preissenkend auswirkt.
AntwortenLöschenIch kenne Theater und Opernhäuser, die durchaus Inhalt und Preis in ein anderes Verhältnis bringen.
Aber wie ich geschrieben habe - mir war es die vier E wert, aus den genannten Gründen.
Für vier Euro bekomme ich natürlich kein Buch (mal den Ebayschrott zu einem E ausgenommen). Aber darum ging es hier ja gar nicht. Eine Buch-Luxusausgabe müsste selbstverständlich auf Bücher übertragene Preise haben!