Edle Bücher und Preziosen in Rastatt

Nach den vielen Beiträgen in diesem Blog unter dem Label "Baden-Baden" werden die meisten längst ahnen, dass ich, bevor ich nach Frankreich und Polen geriet, aus dem Badischen komme (ich konnte sogar einmal die Hymne singen). Und wer meine Auftritte auf der Landkarte verfolgt, wird wissen, dass es mir geht wie dem berühmten Mörder: Man kehrt immer wieder zu den Orten einstiger Untaten zurück. Trotzdem existiert von mir keine typische Autorenvita, wie sie sich heutzutage besonders gut verkaufen würde:
Ist in Kanada und Zimbabwe geboren, lebt und arbeitet heute in einem hinterbayrischen Dorf, wo er neben diversen Literaturpreisen als Tellerwäscher, Leichenwäscher und Gelegenheitsposaunist arbeitet.
Ich rede aus zwei Gründen nie über meine Geburtsstadt: Erstens kann ich solchem Heimatgedöns nicht viel abgewinnen. Zweitens hatten wir schon in der Schulzeit keinen sehnlicheren Wunsch, als so schnell wie möglich unsere Provinz zu verlassen, um endlich Nachtleben, aber vor allem Kunst und Kultur zu erleben. Das Gymnasium nebst der dort vermittelten - damals noch altsprachlich-humanistischen - Bildung war edel und bot Abiturienten mit besonderem Geschmack immerhin das lebenslängliche Privileg, neben einem ausgestellten Mumienpaar in der Schlosskirche heiraten zu dürfen. Wir waren verwöhnt und hörten uns in der inzwischen bekannten historischen Bibliothek der Schule, umgeben von Originalen eines Dürer, Holbein oder Grien, Schriftsteller wie Günther Grass oder Walter Kempowski an. Aber sonst gab es eigentlich kulturell nicht viel.

Kenner werden wissen, dass ich vom Dunstkreis um Sibylla Augusta rede, die ich schon in der nach ihrem Gatten benannten Schule nicht richtig buchstabieren konnte, weil sich ein anderes Mädchen dreist verdreht Sybilla nannte. Die Rede ist vom mittelbadischen Rastatt, wo ich als Kleinkind auf den Kanonen des prächtigen Möchtegern-Versailles der Markgrafen ritt und mir vorstellte, ich hieße Münchhausen. In der Jugend flüchteten wir dagegen kanonenschnell nach Karlsruhe und Baden-Baden, ins Elsass und schließlich mit dem Führerschein noch weiter weg. Rastatt war eine Stadt, in der man damals als Schüler für sehr lauen Lohn Schundhefte wie den Landser und sogenannte "Erotik" beim Hersteller aufs Altpapierband sortieren konnte, bis man sich genügend qualifiziert hatte, um für besseres Geld in einer benachbarten Firma Verpackungstexte im Siebdruck auf Kosmetikflaschen zu drucken. Immerhin, es gab eine Institution von Buchhandlung, mit Lesungen und Kunstausstellungen - aber irgendwann gab es auch die nicht mehr. Rastatt war lange Zeit literarisch ein weißer Fleck auf der Landkarte, mit einem Angebot von Schmonzetten, Heftchen und Schlank-dich-frei-oder-friss-dich-fromm-Büchern. Dafür konnte man dann in einer großen Autofabrik jobben.

Ich hatte zuerst im Börsenblatt von der Neueröffnung der Sibylla Augusta Buchhandlung in Rastatt gelesen. Mit allen Vorbehalten der Emigrantin, die froh ist, aus der Provinz entflohen zu sein, umkreiste ich die Adresse zunächst sehr weiträumig. Mit der typischen Ignoranz und Überheblichkeit einer Emigrantin fragte ich mich: Was konnte das schon für ein Buchangebot sein, in einer Stadt, in der das Ladenangebot sich seit Jahren einer "Geiz-ist-geil"-Atmosphäre hingibt (bis sogar das alte Kaufhaus am Platze einging), in der es außer Konsum und der Jagd nach Mercedes-Jahreswagen nichts zu geben schien? Aber dass der ehemalige Vorsitzende des Börsenvereins BaWü, Wolfgang Peitz, und sein Neffe Henrik Friedrich das Projekt in Angriff genommen hatten, sprach doch eher dafür, dass ich eine Ignorantin bleiben würde, wenn ich nicht zumindest mal vorbeischaute.

Der erste Eindruck einer Annäherung von außen ist eine Kulturreise an sich. Man bewegt sich von den Ramschläden und austauschbaren Geschäften der Fußgängerzone (aus Richtung Kaiserstraße) zu einem Fastfood-Ketten-Bäcker (auch längst tot: der traditionsreiche Konditor) - und die gefährliche Assoziation zu ebensolchen Buchhandlungen mag sich zunächst aufdrängen. Dann stürzt man noch mindestens ein Niveau tiefer mit einem monströsen, grellbunten Laden voller Billigstware. Was mag nach so viel Dekadenz kommen, in welcher der vielgepriesene Untergang des Abendlandes auf Cent-Niveau gefeiert wird?

Zum Glück das genaue Gegenteil. Ruhig und geschmackvoll gestaltete Schaufenster, nicht wenige an der Zahl. Selbst Biss-Bücher wirken darin wie Edeldekorationen, es gibt aber vor allem prachtvolles antikes Porzellan und Bücherpreziosen ohne schreiende Farben, dafür mit umso ausdrucksvolleren Titeln und Namen. Kunst. Und noch mehr Kunst im großzügigen Eingangsbereich, der einen mit genussreichen Bildbänden und preiswerteren Büchern einfängt.

Das nimmt die Schwellenangst, denn dahinter öffnet sich ein großzügig gestalteter Buch- und Kunsttempel, den ich so in der Tat in jeder anderen Stadt erwartet hätte. Und dann fiel mir auf, dass hier nur wiederbelebt ist, was in Rastatt über Jahrzehnte verdrängt und vergessen wurde - oder wofür sich nur historisch und kulturell interessierte Menschen begeisterten. Markgräfin Sibylla Augusta hat im nahen Schloss Favorite, dem sogenannten "Porzellanschloss" nämlich eine legendäre Sammlung hinterlassen. In der Buchhandlung ihres Namens gibt es nicht nur Porzellan, sondern vor allem keine Stapelware. Die Antiquitäten, auf denen sich die Bücher - fast möchte ich sagen "räkeln" - kann man genauso kaufen wie Sammlerstücke aus Porzellan mit Goldrändern und Kobaltbemalungen, mit Rosen und historischen Mustern. Dass dann auch noch die Wände für Kunstausstellungen genutzt werden und der Laden trotzdem nicht vollgestopft, sondern luftig und großzügig wirkt, macht die Buchhandlung zu einem Wohlfühlort, einer Oase. Es gibt eine Kinderspielecke und Sitzgelegenheiten. Nichts für eilige Passanten, denn man will schauen, sich orientieren, entdecken. Großstädter werden mein Schwärmen vielleicht belächeln, mögen aber bitte beachten: Es handelt sich um eine Buchhandlung in einem Städtchen mit rund 50.000 Einwohnern, alle Dörfer mitgezählt.

Auf einem dieser alten Tische entdeckte ich dann auch gleich ein Buch, das mir wegen seiner künstlerischen und außergewöhnlichen Aufmachung ins Auge fiel. Beinahe hätte ich es ebenfalls für eine Antiquität gehalten. Denn wann sieht man schon einmal Bücher der Berliner Friedenauer Presse in corpore, die schönen Wolffs Broschuren noch dazu? Wo kann man heutzutage noch in einen Laden gehen und sich einfach die Gesamtausgabe von Ossip Mandelstam (Amman Verlag / Biographie) mitnehmen?

Natürlich kann man hier auch seinen Biss kaufen, während sich die Historie eher in Sachbüchern und Bildbänden breit macht. Aber man wird eben auch von Gustav Mahlers Briefen, von Spezialliteratur über altes Porzellan und Regionalia, von anspruchsvollen Geschenkbüchern und Verlagsnamen verführt, die man in Fastfoodläden vergeblich sucht: Wagenbach (siehe Interviewhinweis im Blog), Friedenauer Presse, Suhrkamp, Marix, Agora - um nur einige wenige zu nennen. Und für eine wie mich, die als Leserin die noch viel zu unbekannte, viel zu selten vorgestellte Literatur Osteuropas und Russlands entdecken will, ist der Laden ein echtes Gourmetrestaurant. In diesem Umfeld kann ich mir Bücher wie Eduard Kotschergins "Engelspuppe" vorstellen oder die bibliophile Kafka-Biografie aus dem Parthas-Verlag, Kerstin Deckers Else-Lasker-Schüler Biographie "Mein Herz - Niemandem", vielleicht auch Literatur von Olga Tokarczuk.

Die Inhaber und ihre Buchhändlerin betonen, dass sie gern ausgefallene literarische Wünsche und die Suche nach Perlen in Buch- und Schreibkunst unterstützen. Der Service ist unaufdringlich, freundlich und höchst kompetent. Wem das alles noch nicht reicht: In der ziemlich frisch eröffneten Buchhandlung soll es bald regelmäßig Kunstaustellungen und Lesungen geben.

Mir hat der Besuch dort wieder eines bewiesen: Bücher werden am ehesten gekauft, wenn man sie in die Hand nehmen kann, wenn sie im Buchhandel präsent sind. Hätte ich mir sonst je "Das Ohr" von Gennadij Gor (Friedenauer Presse) spontan bestellt, es überhaupt entdeckt? Hier schmiegte es sich fast von selbst in meine Hand - und war gekauft. Zum Glück gibt es diese Art Buchhandel - und zum Glück gibt es gerade heute mutige Menschen, die solche Buchhandlungen aufmachen.

Sibylla Augusta Buchhandlung Rastatt
Rappenstraße 10-12, gegenüber vom Hotel Schwert (Verbindung zwischen Herren- und Kaiserstraße)

Disclaimer:
Weil man das heutzutage immer dazu sagen muss: Dieser Artikel ist kein Auftragswerk, sondern unabhängig, ohne Wissen der Buch-Kaufrausch-Verursacher und aus eigener Beurteilung entstanden.

4 Kommentare:

  1. Liebe Petra,
    vielen Dank für deinen ausführlichen Bericht über eine besondere Buchhandlung. Es ist schön, wenn es heute noch Eröffnungen von solchen bemerkenswerten Läden gibt. Ich wünsche der Buchhandlung viel, viel Glück! Sie wird ihre Liebhaber finden, da bin ich mir sicher. Eine hat sie ja schon entdeckt. : )

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  2. Liebe Petra,

    das ist ein sehr schöner Beicht über die Eröffnung des Buchladens in Rastatt! Wenn wir das nächste Mal dort sind, werde ich bestimmt hineinschauen. Übrigens hat mich die Erwähnung der Schule an etwas erinnert: Meine Schule in Flensburg hieß "Auguste -Viktoria-Schule", nach der Gattin von Wilhelm II.
    Herzlichst
    Christa

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  3. Ja, ich wünsche mir auch immer, dass solcher Mut und die Liebe zu Kunst und Kultur belohnt werden!

    Ich hatte gestern eine interessante Diskussion mit einer Rastatterin, ob sich denn in jeder Stadt ein passendes Publikum fände. Ich unverbesserliche Optimistin behaupte, dass es in jeder Stadt und jedem Dorf Menschen gibt, die nach Kultur hungern. Schwierig wird es, wenn sie so ausgehungert sind, dass sie resigniert haben und gar nicht mehr suchen.

    Diese Gefahr besteht bei allen radikalen und kurzfristig gedachten Sparmaßnahmen derzeit. Und ich bekomme öfter das Heulen, wenn auch auf Europaebene Konsum und das Einrichten von Kaufpalästen als wichtiger erachtet werden als Kultur. Umso wichtiger, dass sich die saftigen Weideplätze in Sachen Kunst und Kultur herumsprechen! Da kann sich jeder beteiligen - und das kostet nicht einmal Geld.

    @Christa
    Wenn du vorher Bescheid sagst, wann du in der Gegend bist, könnten wir zusammen einen Kaffee trinken?

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  4. Liebe Frau von Cronenburg,
    auch ich bin begeisterter fan der
    Sybilla Augusta Buchhandlung in Rastatt. Und das nicht nur, weil es mein Elternhaus ist. ;-)
    Mit soviel Liebe zum Detail und Kompetenz ausgestattet, gepaart mit engagierter
    unaufdringlicher Fachberatung der Inhaber und Fachberater.
    Gerade heute war ich wieder dort und habe 6 Bücher erstanden. Noch dazu
    einen unentdeckten Führer „Kunst- und Kulturdenkmale“ im Landkreis Rastatt und
    in Baden-Baden. Stunden lang hätte ich mit Herrn Wolfgang Peitz über dies
    und das sinnieren können, in der gemütlichen mit historischen Möbeln ausgestatteten
    Lese- und Parlierecke. Es war leider nur eine Stunde Zeit, die ich dort verbringen konnte.
    Gerne ganz oft. Es ist in der Tat ein literarischer Tempel.

    Prädikat: Besonders wertvoll

    Herzliche Grüße von
    Ingrid-Maria Schmöckel

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