der letzte Historische...
Normalerweise hätte ich dankend abgelehnt, mit der Erklärung, sie habe wohl einfach nur nicht den gleichen Geschmack wie diese anderen Leser. Ich lese nämlich schon lange keine historischen Romane mehr. Nicht, dass ich als Geschichtsbesessene keine mögen würde. Mit Lust habe ich sie früher verschlungen, von Thomas Manns "Joseph und seine Brüder" über sämtliche Romane Lion Feuchtwangers, die Bücher von Leon Perutz (der auch feine Phantastik schrieb) bis hin zu den russischen Klassikern, bei denen mir allenfalls Gogols Schlachtengetümmel-Szenen in "Taras Bulba" langsam auf die Nerven fielen, weil es mir zu lang tümmelte. Umberto Ecos "Der Name der Rose" fand ich wunderbar.
Irgendwann kam dann auch der historische Roman in der Unterhaltungsindustrie an. Ich las bis in die Nacht an Noah Gordons "Der Medicus" und war beeindruckt von Irving Stones "Michelangelo". Aber schon den ersten "-in"-Roman (Definition) pfefferte ich enttäuscht an die Wand - es war der gefeierte Bestseller "Die Päpstin" von Donna Cross - und das Romanende schien mir eines der lieblosesten seit Jahren. Lieblos dahingeschrieben, als habe das Lektorat zum verfrühten Abgabetermin gepfiffen.
Ich möchte jetzt keine Klischees wiederholen, warum ich selbst seit Jahren keine historischen Roman mehr gelesen habe. Ich hörte ungefähr zu dem Zeitpunkt auf, als die Titel nur noch ein "-in" oder eine "Tochter des" und Grafiken aus der Präraffaelitenkiste trugen, weil ich als Frau das Frauenbild nicht mehr ertrug, das von der fröhlichen Massenvergewaltigung im Kostüm direkt in die willige Eherolle neben dem Märchenprinzen führte. Ausnahmen und Perlen gibt es sicherlich, aber sie sind im Einheitsbrei schon von der Aufmachung her nicht mehr zu finden. Meine Freundin weiß das alles und wagte es trotzdem. Und sie gab mir einen dieser historischen Romane, der natürlich ganz anders sein soll, der immerhin kein Wallegewand zeigt und keine geköpfte Frau - und nicht einmal über einen weiblichen Titel verfügt. Der Autor / die Autorin (Namen will ich aus gutem Grund nicht nennen und bleibe der Bequemlichkeit geschuldet bei der ersten Form) verkauft nett und ist in Insiderkreisen wahrscheinlich bekannt (ich habe den Namen zum ersten Mal gehört, aber ich gehöre ja auch nicht dazu).
Ich stellte mir also vor, ich hätte einen völlig "normalen" Roman vor mir zur Prüfung und machte einen auf Romandoktor. Was wurde mir da angeboten?
Cover:
Auch mit Lesebrille erkenne ich darauf nichts außer dem weithin leuchtenden Aufkleber "Bestseller". (Habe ich schon einmal gesagt, wie sehr ich mit Aufklebern verschandelte Bücher hasse?). Also ein Buch, mit dem sich eine breite Masse von LeserInnen identifizieren kann, egal, was sie lesen möchte.
Titel
Verführerisch, aber leider ist es ein Aufsetzertitel, der mit dem Buch zunächst nicht viel zu tun hat, sondern lediglich als Kaufanreiz an andere Bestseller erinnern soll. Ein echter Marketingtitel.
Blurbs (was ist ein Blurb / wie erfindet man Blurbs)
Man beschwatzt mich, dass ich das Brikett mit furchtbar vielen hundert Seiten in einer Nacht schaffen würde (seichte Sache?), dafür noch jede Menge Mysteriöses (ich ahne Geheimbünde, Weltverschwörung, Pseudokatholisches) und Emotionen frei Haus geliefert bekäme (Lektorensprech für austauschbare Fluchtliteratur: "pralles Leben"). Die Auswahl der zitierten Zeitungen zeigt mir, dass ich als Leser eine Frau sein sollte.
Klappentext
Zeitangabe, überhaupt viel Zeitenkram, viel Geheimnis und noch mehr Geheimnis bis in Seelenabgründe, pralles Leben also, mit einer ebenso prallen, pardon, geheimnisvollen Frau. Kurzum, es geht um ein geheimnivolles Geheimnis aus dem prallen Leben der prallen alten Zeiten. Darin vorkommend: Ein Mann und eine Frau (frau rate, ob sie sich kriegen!). Ach ja, Tod. Damit hätten wir das Untergenre bestimmt: womöglich ein historischer Krimi?
Kurzum: Diesen Klappentext habe ich schon mindestes 25 Mal gelesen. Warum also sollte ich dann dieses Buch auch noch lesen?
Das Buch
In einer Art Gewaltritt galoppiere ich (historisch, also per Pferd!) an zig Personen vorbei, die ich mir nicht einmal an der Farbe ihrer Wämser oder Wämse merken kann, geschweige denn an den austauschbaren Namen. Ich kann sie nämlich weder vor mir sehen noch eine Hauptfigur ausmachen. Sehen kann ich dagegen künstlich beatmete historische Kleiderständer, die sich in einer überladenen Kulisse bewegen, um allerhand Sätzlein auszutauschen, die klingen, als habe Mel Brooks das Mittelalter inszenieren wollen.
Was wird da in Sammet und Seide geschwelgt, mit Atlas geraschelt und in Beinkleidern nur so dahergeschritten! Sie "können von dem Schauspiel kaum genug bekommen", egal, was sie tun - und was sie tun, ist für die Handlung fast ebenso egal. Da ist alles sehr mächtig und vielsagend und geheimnisvoll, das sagt uns der Autor jedes Mal explizit zu jeder Szene dazu, damit wir es auch glauben wollen. Selbst Männer klappern angesichts des Rätselhaften mit den Augendeckeln, krallen sich in Polster, ängstigen sich vor dem Wahnsinn und ja, natürlich, klar, wie sollte es anders sein: vor schrecklichen, bösen Geheimbünden und Weltverschwörern. So saftig geheimnisvoll und verschwörerisch sind diese Verschwörer, wie es sonst eigentlich nur noch ein paar rechtsgerichtete Tröpfe heutzutage in viertklassigem Propagandamaterial heraufzubeschwören versuchen.
Und weil überhaupt nichts passiert außer einer diffusen Bedrohung durch das Bedrohliche, treibt der Autor die Handlung voran mit diversen Dialogen: In kurzen verständlichen Sätzen für einfache Gemüter über "hübsche" Gegenden, mit tonnenweise Emotionen (Angst und Ver- bis Bewunderung quellen nach jedem Satz), wenn sich Held und Heldin anzwitschern. In hochgelahrten Reden mit unfreiwillig witzigem Latein (leider zuhauf in der Fremdwortbedeutung des 21. Jahrhunderts) im trockenen Dozentenstil, wenn das Mannsbild sich unter Männern beweist. Wir ahnen an diesen Stellen völlig erschlagen, wie genau der Autor recherchiert haben muss. Es wäre wirklich zu schade, wenn uns all diese Fußnoten der Geschichte entgingen!
Ich bin jetzt auf Seite 113 und kann mir inzwischen endlich merken, wer von diesem Personalkarussel die Hauptfigur ist. Bemerkt habe ich außerdem, dass der Klappentext völlig falsche Hoffnungen weckt, denn der Tote führt mich nicht in einen historischen Krimi, sondern liegt nur herum, damit die Figuren überhaupt ein gemeinsames Thema zu besprechen haben und sich treffen. Und mir geht es ganz genau wie meiner Freundin: Ich empfinde nichts, ich sehe keine lebendigen Menschen vor mir, bin vom prallen Kostüm- und Ausstattungsschinken in Stoffen und Aufbauten erschlagen - und weiß immer noch nicht, worum es eigentlich geht. Warum also sollte ich dieses Buch lesen?
Wann Handwerk tötet
Trotzdem bin ich fasziniert. Mich fasziniert nämlich, mit welcher Brillanz der Autor sein Handwerk versteht und wie genau berechnet er es einsetzt. Er jongliert meisterhaft mit den Versatzstücken, die ein historischer Roman verlangt; vergisst wirklich kein einziges Stichwort, das Lektoren des prallen Lebens lustvoll aufstöhnen lässt. Das ist nicht nur ein Bestsellerautor, sondern ein Wunschautor: So jemand macht auch nach fünf historischen Romanen noch nicht schlapp! So jemanden könnte man wie eine Maschine mit Wunschstichworten aus der Programmkonferenz füttern und er würde wieder einen Bestseller daraus stricken. In diesem Buch ist zur Reife gebracht, was Autorenratgeber der Instant-Sorte fordern und wovon handwerkliche Anfänger träumen.
Und ganz genau deshalb funktioniert das Buch nicht. Genau deshalb berührt es nicht, sondern läuft ab wie ein Film, bei dem man gefahrlos nebenher auf die Toilette gehen kann, ohne etwas zu verpassen. Es mutet an wie die austauschbaren Familienserien im Vorabendprogramm, die man in historisch Gewänder gesteckt hat - im Gegensatz zu einem Depardieu, der auch noch einen reinen Kostümfilm zum Genuss hochreissen würde.
Der Roman ist zu perfekt, zu logisch, zu genau nach Handwerksregeln geschaffen - und darum zu clean. Da zieht einer perfekt im Hintergrund an Strippen, jede einzelne Person ist bis ins Styling hinein wie nach einer Hollywood-Software gestaltet: Ist dein Held blond, reich und klug, mach den Antagonisten klein, dreckig und schwarzgelockt. Solche Abziehbilder haben keine Persönlichkeit und so verpufft auch die ganze ach so geheimnisvolle Geschichte ohne jedes Leben.
Leben bricht Logik. Leben ist nicht perfekt. Leben erfüllt keine Erwartungen und spielt nicht nach Klischees. Leben ist keine Beruhigungstablette, Leben fordert. Leben ist unverschämt, krumm, faszinierend, böse, berauschend und noch vieles mehr - aber es kann garantiert nicht nach Stichworteplan aus der Marketingabteilung abgehakt werden. Da nützt es auch nichts, wenn Figuren, hinter denen sich der Autor nur unzureichend verbirgt, mir alle halbe Seiten zurufen: "Achtung, das macht jetzt richtig doll Angst, das ist jetzt ganz arg romantisch, das ist unheimlich gruslig, Vorsicht, Geheimnis, Verrat, Vorsicht, Verschwörung!" - Ich nehme ihnen das nicht ab, wenn sie es nicht leben. Und es erstickt mich als Leserin, wenn mir sämtliche Emotionen im Knopfdruckverfahren vorgeschrieben werden. Für wie dumm halten die mich eigentlich?
Wünsche für die Zukunft
All den Menschen, die wie ich gerne Romane aus fernen Zeiten lesen (würden), all den Kolleginnen und Kollegen, die gerne lebendige, lebende Romane aus anderen Zeiten schreiben (würden), wünsche ich von ganzem Herzen, dass diese unsägliche Marketingmasche sich bald selbst erstickt, damit endlich wieder ROMANE auf diesem Sektor möglich werden. Meine Freundin werde ich trösten können: Es liegt tatsächlich nicht an ihr. Sie lässt sich schlichtweg nicht für dumm verkaufen. Und damit gehört sie zu einem von vielen Großverlagen immer schmählicher vernachlässigten, ja manchmal fast verachteten LeserInnenpotential.
PS: Aus alter Erfahrung wünsche ich mir hierzu Kommentare auf sachlichem Niveau. Namentliche Verrisse und Verunglimpfungen von KollegInnen und deren Büchern bitte nicht hier abladen!
Hallo,
AntwortenLöschendu sprichst mir wirklich aus der Seele. Das ist einer der Gründe, warum ich die historischen Romane nun nicht mehr in die Hand nehme. Exakt wie du es beschreibst - Abziehbilder in einer perfekten Marketingstrategie... Für die Zukunft bleibt zu hoffen, dass auch wieder andere Romane den Weg in die Buchhandlungen schaffen!
LG
N.
Ich gehe mal davon aus, dass es nicht mein historischer Roman war, den du da zerpflückt hast, oder? ;-) Aber nein, Wamse kommen ja bei mir nicht vor. Und blonde Schönlinge auch nicht.
AntwortenLöschenIch denke, es reicht, die Leseproben, die es jetzt zu Hauf im Web gibt, anzulesen, da braucht man erst gar nicht das Buch kaufen. Ich frage mich ja immer wieder, wer die Leserschaft ist, die sich mit solch einem hingerotzten Klischeehaufen abgibt. Ist es, dass die Leser immer anspruchsloser werden? Oder werden sie einfach anspruchsloser gemacht?
Und weil wir gerade beim anonymen Bashing sind, muss ich auch etwas loswerden. Also, ich habe über Umwege eine promovierte Historikerin kennen gelernt, die so freundlich war, meine historischen Anmerkungen durchzusehen und auf Richtigkeit zu prüfen. Aber lesen wollte sie mein Buch nicht, sie lehnte es freundlich ab, empfahl mir aber noch ein Buch zu lesen, das sich mit der Französischen Revolution auseinander setzte. Ich guckte in das Buch und erblasste. Da wurde die Frau vom Mann zum "Kaffee" eingeladen. Direkt und ohne Umschweife. Und überhaupt, die Sprache. Grausam heutig. Und das ärgert mich, wenn solche Bücher dann überall aufliegen, ständig präsent sind und anderen Büchern keinen Platz zum Atmen lassen.
Okay, ich hör jetzt auf. Bringt ja nix. Außerdem kicken gleich die müden Griechen. Darf man nicht verpassen ;-)
Übrigens, wusste nicht dass die "Quotes" am Buchrücken "Blurbs" heißen. Wieder etwas dazugelernt.
Wie recht Sie haben! Bei der Lektüre dieses Beitrags habe ich gerade herzlich gelacht.
AntwortenLöschenMein letzter »Historischer« liegt auch schon lange zurück - »Die Päpstin« habe ich schon nicht mehr geschafft, mich allerdings gähnend durch den Film gequält. Dabei gilt meine Leidenschaft der Historie - nicht zufällig habe ich Geschichte studiert und arbeite als »personal historian«. Trotzdem oder besser deshalb nerven mich die Historischen Romane. Fast alles, was man verteidigend ins Feld führen kann, erweist sich bei genauerer Betrachtung als falsch. So wird oft die Detailversessenheit für das Genre ins Feld geführt und argumentiert, es biete vielen Leserinnen und Lesern einen ersten, oft sogar den einzigen Zugang zur Geschichte. Mit dem gleichen Recht könnte man sagen, dass Ben Hur oder jeder beliebige Sandalenfilm die Zuschauer über die Antike aufklärt.
Wenn ich etwas über die Bekleidungssitten des 15. Jahrhunderts wissen möchte, quäle ich mich nicht durch 550 Seiten ansonsten belanglose Literatur, sondern besorge mir ein Fachbuch und schaue mir Gemälde aus der Zeit an.
In diesem Zusammenhang sollte man einmal schauen, welche Bücher eigentlich das Etikett »Historischer Roman« aufgedrückt bekommen. »Im Namen der Rose« hatte es genauso wenig nötig wie »Das Parfum«, obwohl Süßkinds Roman ein präzises Bild der Lebenswirklichkeit im vorrevolutionären Frankreich zeichnet. Dabei geht es ihm gar nicht darum und trotzdem: Er wählt diese Zeit als Bühne, auf der seine Geschichte spielt. Also lässt er sie vor unseren Augen auferstehen. Wir können die Menschen sehen, unter anderem ihren Gestank riechen, ihren Hunger fühlen, ihre Armut und Verzweiflung mit Händen greifen. All das ist in der Eskapismusliteratur unserer Tage nicht gefragt - im Gegenteil. Das Mittelalter erscheint meistens als verkleidete Gegenwart, in der die Menschen zwar antiquiert daherschwurbeln, ansonsten aber nicht viel anders denken und fühlen als ich.
Eine Anmerkung noch zur Definition: Wenn ich es richtig verstehe, wird ein Roman von den Liebhabern des Genres erst dann als »historisch« akzeptiert, wenn seine Handlung vor mehr als 100 Jahren spielt bzw. wenn keine der auftretenden Figuren mehr leben kann. Was für eine unhistorische Sichtweise. Ein Buch, dessen Geschichte 1941 spielt, fiele dann nicht in dieses Genre.
Ach ja: Die Geschichte des 30-jährigen Krieges hat mich schon immer fasziniert. Warum aber bitteschön soll ich mich durch all die Geschichten von Huren, Henkern, Hebammen, Bräuten und sonstigen Gestalten quälen, anstatt den »Simplicissimus« zu lesen und damit die Geschichte aus erster Hand zu erfahren. Die im vergangenen Jahr im Eichborn-Verlag erschienen »Neuübersetzung« aus dem Deutsch des 17. Jahrhunderts von Reinhard Kaiser liegt gerade auf meinem Nachttisch.
Liebe Petra,
AntwortenLöschenwie allseits bekannt, bin ich blutiger Laie und betrachte die Welt der Schriftstellerei aus weiter Ferne. Da mein Horizont nur einen kleinen Teil des Monitors belegt, fülle ich den Rest unermüdlich mit meinen Vermutungen und Gedankensplittern.
Ich finde es menschlich sehr lobenswert, dass Sie für eine Freundin in die Masse getaucht sind, nur um ihr die Bestätigung zu verschaffen, dass diese Masse wirklich das ist, wonach sie riecht.
Was zunächst so schien, zwar ein Liebesdienst, aber pure Zeitverschwendung zu sein, hat sich meines Erachtens als wissenschaftliche Forschungsarbeit erwiesen. Ihr Bericht und Ihre Analysen haben mir eindeutige Erkenntnisse geliefert. Vom Buch der literarischen Evolution sind für mich auf einen Schlag alle 7 Siegel abgesprungen und zerbrochen, es liegt nun völlig offen.
Der Roman ist zu perfekt, zu logisch, zu genau nach Handwerksregeln geschaffen - und darum zu clean. Da zieht einer perfekt im Hintergrund an Strippen, jede einzeln.
Damit ist der Fall klar! Das Buch wurde wie schon viele andere Bestseller, von einem Computer geschrieben. Google und Amazon scannen schon lange alle Bücher, Schriftstücke, Bestellungen, Listen, Rezensionen ... einfach alles!
( Nur Blogs von PvC, Schreibtäter und anderen Autoren dieses Kalibers, die es immer wieder schaffen, ein paar Leserseelen zu retten und aus der breiigen Masse zu ziehen, der Unterbelichtung zu entreißen und sie zu erhellen, werden beim Scannen tunlichst ausgeklammert, um die Programmlogik des Bestsellercomputers nicht zu verunreinigen.)
Dem Computer ist es ein Leichtes, alle Scanergebnisse zu kombinieren und perfekte Verkaufserfolge jedes Genres zu erzeugen. Ob es unter den Schrifstellerandroiden und humanoiden Schreibcomputern im Schreibsaal auch noch hochspezialisierte, menschliche Autoren gibt, spielt nur in einer kurzen Übergangsphase eine Rolle und ist an einigen Ausnahmen der Produkte zu erkennen.
Sie haben mit Ihrer Arbeit mindestens eine der Zehn Thesen zur Evolution der Technik von Karl Olsberg anschaulich unterstützt.
Wenn der Mensch nun auch schon das Schreiben von Büchern Computern überlässt und nicht nur das Zusammenschrauben von Autos, das Komponieren von Musik, das Malen von Bildern, die Frequenz des Herzschlages, die Partnerwahl und die Kommunikation, dann dauert es sicher nicht mehr lange, bis auch die Leser durch Computer ersetzt werden. Das vereinfacht die Sache noch einmal erheblich.
Gruß Heinrich
P.S. Herzlichen Dank für die polnische Übersetzung, die Sie für mich gemacht haben - die ist einfach grandios!
Willkommen im Blog, Nadine - durch Kommentare lerne auch ich wieder neue Blogs kennen!
AntwortenLöschenNun, was ich hier mache, ist ja weder Bashing noch große Forschungsarbeit. Ich habe lange Jahre als Feuilletonistin Literaturkritiken geschrieben, die weitaus bissiger waren - was ich mir als Autorin leider nicht erlauben darf, wenn ich nicht gelyncht werden will. Aber als Autorin lerne ich erst recht aus der Analyse von Büchern, wie das Schreiben "funktioniert".
Tatsächlich reichen einem Profi normalerweise zwei, drei Seiten, um zu wissen, was ein Manuskript taugt und ob es sich lohnt, weiter zu lesen.
Ich muss mal die Leser von Massen- und Fluchtliteratur in Schutz nehmen. Als ich in der Schulzeit am Fließband jobbte, las ich abends Heftchenromane, die ich tagsüber aufs Altpapierband werfen musste. Wenn ich im Moment völlig erschöpft von der Packerei heimkomme, lege ich die Füße hoch und ertrage gerade noch einen "heiteren" Spielfilm, nicht mal mehr Krimis. Massenliteratur hat also durchaus ihre Berechtigung und ihren Markt.
Was mich an der Sache aufregt, ist dasselbe, warum ich derzeit enttäuscht den Fernseher ausknipse oder mir plötzlich alte Musicals aus den 1950ern anschaue: Auch das Massenpublikum wird für blöder gehalten, als es ist. Hätte man Respekt vor den LeserInnen, würde man ihre Wünsche wirklich für voll nehmen, dann könnten auch Vorabendserien oder historische Romane irre gut gemacht sein.
Stattdessen konstruieren sich weltferne Köpfe angebliche Leserschaften zusammen (ohne jede Marktforschung, das würde ja Geld kosten), stellen Maximen für Leserwünsche aus dem Kaffeesatz auf - und senken penetrant und kontinuierlich das Niveau.
Was mich erschüttert: Sie kommen scheinbar damit durch. Noch gab es keine öffentliche Fernsehervermüllung erboster Zuschauer, keine Happenings enttäuschter Leser in Buchhandelsketten. Auch der Mist wird konsumiert und verkauft. Das bestätigt die Macher, noch niedriger anzusetzen, noch billiger zu produzieren.
Die Leute, die enttäuscht keine Bücher mehr lesen oder sich lieber handwerklich stimmige US-Serien auf CD kaufen, sieht ja keiner. Lost generation. Und irgendwann können wir das, was es mal gab, tatsächlich nicht mehr lesen und verstehen.
Übrigens, der Herr Schreibtäter hat bemerkt, welch Unverschämtheit ich begangen habe, das Label "historischer Roman" auf Leute wie Mann, Feuchtwanger oder Eco zu beziehen. Aber genau da wird deutlich, wie künstlich und sinnentlehrt diese Schublade ist - und wie wenig Chancen diejenigen haben, die knapp neben der Schublade liegen.
AntwortenLöschenApropos Ben Hur: Fällt mir Quo Vadis ein, der Filmstoff kam vom Literaturnobelpreisträger Henryk Sienkiewicz, wurde ein Meilenstein der Filmgeschichte. Obwohl auch "nur Fiktion", mit allen qualitativen Mitteln hergestellt (bis hin zu Ustinov als Nero). Wunderbares Beispiel dafür, dass man auch in der Massenunterhaltung Mühen und Qualität nicht scheuen sollte.
@Heinrich
Ende der Neunziger fand ich im Internet eine damals schon angestaubte Software für Drehbuchschreiber, die tatsächlich nach dem Blond-Schwarz-Schema funktionierte. Ich bin mir sicher, das ist inzwischen so vervollkommnet, dass wir gar nicht mehr merken, dass es uns schon nicht mehr gibt!
Schöne Grüße,
Petra
Hi, Petra,
AntwortenLöschenbeim Lesen deines Beitrags fiel mir unser Psychiater ein, der mal gesagt hat: Neurotische Menschen denken immer: meint der/ die vielleicht mich? Aber nein, ich muss deshalb nicht aufjaulen und es mir mit dir verscherzen, denn du sagst etwas, was ich auch schon immer gedacht habe. Ich wollte nie einen Schmöker von 600 oder 800 Seiten schreiben, womöglich noch nach "Masterplan" und dann mit abgeschnittenem Kopf
auf den Stapeln liegen. Dass es doch dazu kam und ich mich sogar darüber freute, hängt mit meinem übergroßen Wunsch nach Gesehen- und Gelesenwerden zusammen.
Ich bin seit Jugend eine Freundin der Historie, habe den Simplizissimus drei mal gelesen, Umberto Ecos "Name der Rose" ebenfalls drei Mal, und die beiden "Medicus"-Romane waren für mich eine willkommene Abwechslung in den Einheitstönen, die mit der Zeit so schrill und penetrant daherkamen wie das Getute bei der Fußballweltmeisterschaft. Wie ich in meinem Blog einmal schrieb, bezeichnete eine Buchhändlerin diese Bücher als "Lesefutter", und wie du selber sagst, haben sie auch durchaus ihre Berechtigung. Momentan lese ich einen langweiligen Krimi und gucke Fußball, nur um abzuschalten.
Die historischen RomanInnen waren ein Trend, der sich selber im Lauf der Jahre totgelaufen hat. Sagte mein Bruder nicht schon vor längerer Zeit: Ich bin fed up mit diesen Büchern? Und ich selber, Hand aufs Herz, bin es auch. Für mich war es eine Übung, es hat mir Spaß gemacht und die Welt, die ich dabei kennenlernte, hat mich fasziniert. Ein letzter, S.Lotz-typischer ist noch auf der Wanderschaft, aber wie ich schon schrieb, ist nun das Ende der Fahnenstange erreicht. Das bedeutet nicht, dass ich nie mehr historische Romane schreiben werde, sondern, dass ich nie mehr, nach auch noch so geringen Marktvorgaben Romane schreiben möchte(als da zum Besipiel sind: weibliche Hauptfigur, Liebe muss glücklich enden) bzw. nur das davon, was ich auch selbst bevorzuge.
Du hast mir, wie gesagt, von Anfang an die Augen geöffnet, und wenn ich dir auch nicht in allem gefolgt bin-das wolltest du sicher auch nicht, deine Ratschläge sind ja nur Anregungen-so hast du mir eben die Anregung gegeben, meine eigene Stimme zu suchen und zu finden.
Zm Abschluss meines diesmal doch längeren Monologes noch ein Beispiel aus dem "prallen Leben": Ein junger Mann sagte mal zu seiner Ziehmutter: Mensch, dein Essen schmeckt fast so gut wie aus der Dose! Damit fordere ich die Autoren auf, wieder mit Zutaten zu kochen, die das Essen wirklich schmackhaft machen.
Herzlichst
Christa
Ich will es ja mit meiner Miesmacherei auch gar nicht übertreiben. Aber wenn Sie mir den Blick hinter die Kulissen gewähren, erschrecke ich eben auch. Dass die Menschen in Sachen Kunst, Kultur und Literatur ebenso oberflächlich werden wie beim Fastfoodessen und deshalb auch so behandelt und bedient werden, ist schade aber nicht aufzuhalten.
AntwortenLöschenAuch wenn leichte Unterhaltung gerechtfertigt ist und die Masse für noch dümmer verkauft wird, als sie schon ist, trägt jeder Einzelne der Masse dazu bei - ich auch! Ich will nur ehrlich zugeben, dass mir das bewusst ist.
Trotzdem darf ich mich über Parteiprogramme, Werbeanzeigen, Schlagzeilen und Buchtitel aufregen, die alle nicht halten, was sie versprechen.
Ich habe nichts dagegen, wenn die Menschen ihr Niveau aus Bequemlichkeit senken wollen, ich habe nur etwas gegen Unehrlichkeit, egal ob Betrug oder Selbstbetrug.
Gruß Heinrich
Ich habe ebenfalls sehr gern historische Romane gelesen - als die Buchtitel noch nicht auf -in endeten.
AntwortenLöschenInzwischen kann ich diese Dinger nicht mal mehr als Romane ansehen - und ich vermute, in den Verlagen sieht man das ähnlich.
Und eigentlich tun mir die Autorinnen leid. Die arbeiten monatelang, um gründich zu recherchieren (die meisten jedenfalls), wälzen unzählige Fachbücher, um dann vielleicht eine einzige korrekte Information zu finden, investieren Zeit, Mühe, Herzblut und freuen sich über das Erscheinen ihres Buchs.
Daß die Verlage diese Bücher gar nicht als Romane ansehen, zeigt sich m. M. nach an der geradezu sichtbaren Lieblosigkeit.
Einheitscover, Einheitstitel, Einheitsklappentext, tonnenweise rasch auf den Markt geworfen
Ich als Leser komme mir beispielsweise verschaukelt vor, wenn ich ein Buch sehe, in dessen Titel mir ein dicker Rechtschreibfehler entgegenspringt (nein, den Titel nenne ich nicht, es geht nicht um das Buch selbst, das übrigens in einem großen Publikumsverlag erschien).
Haben die Lektoren in der Deutschstunde nicht aufgepaßt?
Vermutlich schon, aber für mich drückt sich da geradezu plakativ die Lieblosigkeit aus. Und die Geringschätzung der Leser. Ist ja eigentlich ein Fehler, aber den dummen Lesern fällt das doch sowieso nicht auf.
Mein Wunsch an die Verlage wäre: Nur halb soviele historische Romane veröffentlichen, aber dafür solche, die auch den Titel "Roman" verdienen. Autorinnen und Autoren, die wirklich gute historische Romane schreiben könnten, wenn sie nicht an die Strickmuster der Verlage gefesselt wären, gäbe es garantiert!
Nach Abschluss meines Studiums (Sprachwissenschaft und Germanistik) hab ich eine ganze Weile überhaupt nix anderes gelesen als billig gemachte Krimis.
AntwortenLöschendas war die einzige Möglichkeit, diesem antrainierten Verhalten, diesem Zwang zum Analysieren und Auseinandernehmen von Texten, zu umgehen.
Also hab ich mich quer durch die Stadtbibliothek gelesen. Ich kann mir keine Bücher mehr kaufen, weil ich schon alle Regale und Schränke hier in der Wohnung mit Büchern vollgestopft hab. Ich kaufe mir nur noch Sachen, die ich wirklich behalten will. Fastfood-Bücher werden ausgeliehen.
also, jedenfalls. als diese Krimis dieses mittlerweile sehr bekannten Autors verfilmt wurden und plötzlich alle seine Bücher gelesen haben, da hab ich den also auch mal gelesen bzw. als Hörbuch angehört.
und ich war so was von enttäuscht. Die Machtart und alles, das haben jede Menge andere Autoren schon gemacht, das haben jede Menge davon viel viel besser hinbekommen. ich konnte das nicht verstehen, warum es da so einen Hype darum gab.
ich glaube, dass ich einfach schon viel zu viel gelesen hab, um da irgendwie noch objektiv zu sein. Ein Buch, das mich fesseln möchte, muss sich schon arg viel Mühe geben. Seit ich lesen kann, hab ich alles verschlungen, was mir in die Hände kam. Bücher, Prospekte, die "Bäckerblume", alles. irgendwann war ich satt. mehr hat dann einfach nimmer reingepasst.
Bei den historischen Romanen war es genauso. Die ersten Bücher von der Sorte hab ich noch verschlungen und war total begeistert. und danach ist es langweilig geworden. da fang ich dann an, nur noch jeden zweiten Satz zu lesen und dann fliegt das Buch in die Ecke. und ich bin frustriert. heutzutage geht es in so vielen Bereichen des Lebens nur noch um Marketing, Quoten, Auflagen. Qualität muss man oft genug leider mit der Lupe suchen.
da lese ich lieber in aller Ruhe Max Frisch, Thomas Mann, Heinrich Böll oder Josef Roth oder auch John Irving. und Michael Connelly.
auch wenn die letzten beiden so gar nicht in die Aufzählung passen, das sind eben die Autoren, die ich am liebsten mag.
Deren Bücher kann ich auch mehrfach lesen und find immer wieder etwas, was mich fasziniert.
ich entwickle mich ja weiter, mein Horizont erweitert sich und von daher ändert sich auch meine Sichtweise auf die jeweiligen Bücher und mein Umgang mit den im Buch aufgebrachten Themen. Diese Bücher sind der rote Faden, an dem ich immer wieder lande, an dem ich meine eigene Entwicklung ablesen und weiterverfolgen kann.
Manche Bücher liest man einfach mit Genuss und das immer wieder. Andere sind wie schon oben erwähnt Fastfood. Dann gibts viele viele graue Mäuse, die so "mitlaufen" ohen großartig Eindruck und Spuren zu hinterlassen.
so, mag sein, dass das ein wenig am Thema vorbeiging. aber das musste mal gesagt werden.
und jetzt geh ich ganz profan Kaffee kaufen.
beste Grüße
ein schönes WE an alle Mitlesenden
Josefa/Texterhäschen
Spannende Kommentare, die ich mir später noch einmal in Ruhe durchlesen will.
AntwortenLöschenNur gleich mal als Entwarnung an Christa: Eigentlich schreibe ich solche Beiträge nicht gegen, sondern FÜR AutorInnen und Leserinnen historischer Romane. Weil ich ihnen viel mehr Abwechslung, Wahlmöglichkeiten und Freiheit im Geschmack wünsche, als ich derzeit in der Stapelware erkennen kann.
Christa, du bist ein Beispiel einer Autorin, die mir allein bei der Beschreibung eines heutigen Cafébesuchs an einer Stadtmauer Historie spürbar vermittelt - und wenn dann Menschen wie du auch nicht mehr befriedigt sind, gibt mir das zu denken. Ich kenne sehr erfolgreiche Autorinnen von HiRos, die resigniert sagen: "Das ist nicht mehr das, womit ich anfing und was ich liebe, aber ich setze eben noch drauf, was geht, und dann mach ich was anderes." Ich stelle mir das SCHLIMM vor, ein Schreiben aufgeben zu müssen, weil es kein TREND mehr ist.
Und ich höre die Zynismen aus den Lektoraten, von den gleichen Leuten, die solche Sachen einkaufen. Wenn ich die zitieren würde, würde Heinrich wohl in die Wüste auswandern! Ich sehe auch, wie bei den KollegInnen die Honorare in den letzten Jahre schrumpften, wie sie immer stärker unter Druck gesetzt werden, nach dem Motto: "Friss oder stirb". Man macht sich so viel Gedanken, ob ein Produkt durch Kinderarbeit geschaffen wurde. Keiner fragt, ob bei einem Buch der Autor gequält wurde. ;-)
Als mir vor Jahren ein Fernsehproduzent sagte, Filme für die Privaten würden nur noch als Werbefüller und Werbeunterstreicher gedreht, hielt ich ihn für verrückt. Heute sehe ich, dass all das, was wir über den HiRo hier sagen, schon auf den Krimi angewandt wird, wie das Josefa anreißt.
Ein lieber Kollege, der hoffentlich bald mal seine Schüchternheit beim Kommentieren überwindet, erzählte mir gestern Erschreckendes über das "Herunterlektorieren" klassischer Kinderbücher.
Und dann kaufen die Verlage wieder fleißig Lizenzen aus dem Ausland ein, weil man dort seine Leser nicht grundsätzlich auf kleinstem Nenner vereinigen will und ergo die Autoren auch Unterhaltungsliteratur zu Blüten treiben.
Trotzdem: Nicht verzweifeln. Den "anderen" Markt gibt es, er verschafft sich dank Internet zunehmend Gehör und eine Menge engagierter Menschen denkt an neuen Strukturen herum...
Ja, wir kennen (mehr oder weniger) die Ursachen für die hier beschriebene Situation. Ja, auch ich bin mit dieser Gesamtsituation unzufrieden. Ja, es tut gut, sich darüber auszutauschen.
AntwortenLöschenÄndern werden wir es aber nur, indem wir diesen anderen Markt - den es ja gibt - füttern. Schreiben müssen wir und nochmals schreiben. Gegen all die triefenden Marktgängigkeiten anschreiben und Nischen finden. Uns beim Schreiben wieder mal die Hände und Füße schmutzig machen, den Verstand verlieren, Leser überfordern (oder zumindest überraschen), Lektoren vor den Kopf stoßen und die neuen Veröffentlichungsmöglichkeiten mit Verstand nutzen.
Ist zwar blöd, dass ich als Newbie sowas sage. Von außen lässt sich's leicht daherschwätzen, ich weiß.
Trotzdem ändert sich selten etwas dadurch, dass man nicht vorhandene Möglichkeiten beklagt, sondern nur dadurch, dass man vorhandene nutzen lernt.
Zumindest erzähle ich mir das immer und immer wieder ...
Es ist gar nicht blöd, wenn ein Newbie sowas sagt. Solche Sachen sollten Newbies öfter sagen und alte Hasen in ihrer schleichenden Betriebsblindheit öfter lesen! Und dass es nicht einfach so leicht dahergeschwätzt ist, weißt du selbst.
AntwortenLöschenDu hast nämlich so Recht: über dem Klagen vergisst man gern das Handeln. Die Leute, die ständig nur den Untergang des Abendlandes heraufbeschwören und das Ende des Buchs - und nichts anderes mehr tun, verpuffen eine Menge wertvolle Energie. Als alter Berufskritikaster muss ich allerdings auch gestehen, dass Kritisieren verdammt viel Spaß macht (und im Extrem zur Selbstbefriedigung verkommen kann).
Im Idealfall führt Kritik zum Nachdenken und Bestimmen des eigenen Standorts - eben für die Handlungen. Allein unter den Kommentatoren haben wir Beispiele: Christa lässt sich nicht verbiegen und findet auch mit ihrer Vielfalt Verlage. Richard (der sich hinter 1668cc versteckt) hat ein völlig innovatives Konzept zur Finanzierung eines historischen Romans aufgestellt (Webseite!). Da sind also sogar Leute innerhalb des Genres am Erproben ihres Eigen-Sinns!
Es wird immer spannende Geschichten geben, die früher spielen. Nur werden sich die ganz anderen und neuartigen vielleicht tarnen, vielleicht erscheinen sie einfach nur als "Roman"?
In meiner Bibliothek stehen z.B. erfolgreiche Romane, die oft Vergangenheit und Gegenwart verknüpfen, die dem etablierten Genre alle Knochen brechen und nie und nimmer "historische Romane" genannt werden dürften, obwohl sie sich intensiv mit Geschichte beschäftigen:
Jonathan Safran Foer: Alles ist erleuchtet
Colum McCann: Zoli / Der Himmel unter der Stadt
Daniel Kehlmann: Die Vermessung der Welt
Aleksandar Hemon: Lazarus (Material im Blog)
und für eine spätere Rezension:
Markéta Pilátová: Wir müssen uns irgendwie ähnlich sein
Man könnte als Autor natürlich auch hergehen und sagen: Genrevorschriften, ihr könnt mich mal, ich mach das jetzt wie der Kehlmann, ich schreibe einfach ein Buch, mein Buch.
Noch ein Nachtrag: Natürlich stehen enttäuschte LeserInnen nicht völlig im Regen, sie orientieren sich um, "Geschichtliches" gibt es zuhauf, etwa in Biographien, und wie Matthias B. erwähnt, in Sachbüchern (hierhin flüchten vor allem männliche Leser). Und weg vom Buch in andere Medien.
AntwortenLöschenSehr zur Freude von entsprechenden Autoren, die professionell genug für Fernsehdokumentationen sind, hier herrscht sogar Bedarf, weil es zu wenig brillante Profis gibt. Und je mehr Romane langweilen, desto eher boomt das "erzählende" Sachbuch, das ich ja immer noch zu erlernen suche - wobei ich regelmäßig fluche, dass es bei uns keine Ausbildung dafür gibt, wie z.B. im angelsächsischen und französischen Raum.
Diese Diskussion hier umreißt ziemlich genau das, was mich seit Monaten beschäftigt: der mangelnde Respekt des Literaturbetriebs dem Leser gegenüber bzw. die fehlende Bereitschaft den Leser überhaupt Ernst zu nehmen (außer als "Kaufvieh"); der Einheitsbrei, mit dem die Verlage die Leser abspeisen; die Zensuren und Ausschluss- mechanismen, die Verlage den Autoren entgegensetzen. Tja, und weil das nicht so bleiben kann, wie es ist, habe ich ein Projekt gestartet. Petra hat es (Zitat: "Den "anderen" Markt gibt es, er verschafft sich dank Internet zunehmend Gehör und eine Menge engagierter Menschen denkt an neuen Strukturen herum...") sehr gut getroffen. Ich entwickle gerade eine Internetplattform, auf der jeder Autor seine fertigen Manuskripte (Klappentext und Leseprobe) einstellen kann und die Leser dann direkt entscheiden können, welches Manuskript als Buch herausgebracht wird. Wozu braucht man Verleger, die auswählen, was zum Buch wird? Leser können selbst entscheiden! Sie brauchen keine Bevormundung durch Verlage. Das schafft ein viel breiteres literarisches Angebot, eine viel größere Vielschichtigkeit der Texte (statt des Einheitsbreis, den wir momentan haben), thematische und inhaltliche Freiräume für die Autoren und freien Zugang zum Literaturbetrieb für jeden, der teilnehmen möchte.
AntwortenLöschenIch bin überzeugt davon, dass es Autoren gibt, die gute und andere Manuskripte schreiben, die Prinzipien haben, sich was trauen und etwas verändern wollen. Ich bin auf der Suche nach ihnen.
Mein Projekt namens euryclia steckt noch in den Anfängen. Wer immer was beitragen möchte (Fragen, Anregungen, Ideen, Hinweise), ist herzlich willkommen und kann sich bei mir (z.B. über Twitter) melden. Zusammen lässt sich bestimmt was bewegen.
LG
Marion Schwehr
Liebe Frau Schwer,
AntwortenLöschensolche pauschale Verlagsschelte ("Zensur" / "Bevormundung") möchte ich hier nicht so stehenlassen. Und zwar nicht nur deshalb, weil ich selbst meine wirklich wichtigsten Projekte auch in der veränderten heutigen Zeit nur seriösen Verlagen anvertraue und anvertrauen werde.
Ich habe in meinem Blog vielfach über den Nutzen und die Wichtigkeit des Partners Verlag geschrieben - denn ein Verlag leistet Dinge, die für einen Self-Made-Autor wenn nicht unmöglich, so doch horrend teuer wären. Das fängt beim Qualitätslektorat an und hört bei der Fach-PR auf. Lesen Sie das Interview, das ich mit Richard Breuer gemacht habe - wie viele "Jobs" beim Selbstverlegen von einer Person geleistet werden müssen.
Wenn ich sage, den "anderen Markt" gibt es, so meine ich damit ausdrücklich Verlage. Neben der Massenliteratur gibt es nämlich eine Menge engagierter Verlage, literarischer Verlage, Independents und Nischenverlage, die nicht nur ihre Autoren vorbildlich pflegen, sondern auch ihre Bücher.
Nur ist es ganz typisch z.B. für Anfänger, dass sie sich grundsätzlich erst mal beim größten Konzern bewerben und damit meist einfach nur beim falschen Verlag oder im falschen Programm (habe ich zuerst genauso falsch gemacht). Und die meisten Autoren sind in der Tat nicht gut genug - in Zeiten, in denen jeder meint, Superstar werden zu können. Schriftstellerei ist harte Arbeit (plus Talent) und auch das Bewerben will gelernt sein.
Ein Autor muss sich heute direkt entscheiden, ob er für den Massenmarkt schreiben will / kann oder für den anspruchsvolleren Markt. Beide haben ihre Berechtigung. Beide verlangen ein ganz spezifisches Können. Oft ist ein und demselbe Verlag Mischunternehmen mit Imprints für Massenliteratur und für "Feineres".
Nur ist ein Verleger nie ein Feind, nie ein böser Zensor. Verlage sind Partner, Bücher entstehen im Teamwork zwischen Autor und Spezialisten. Wenn dann in Großunternehmen die Strukturen verkrusteter sind als im Kleinverlag oder Lektoren daneben entscheiden oder nach Profit entscheiden, so ist das nur ein Zeichen dafür, dass es "menschelt" und wirtschaftliche Bedingungen für Kleinunternehmen anders aussehen als für Konzerne.
Auch Ihre Plattform wird wohl keine Sozialstiftung werden und wie viele anderer dieser schon existenten Plattformen Geld verdienen wollen. Und Ihre LeserInnen werden trotz Entscheidungverfahren das gleiche Problem haben, das im gesamten Selfmade-Markt noch schlimmer steckt als im Massenmarkt etablierter Verlage: Wie filtere ich gute Texte aus all dem Müll heraus, aus all der rasenden Selbstüberschätzung?
Übigens bietet ein Verlag seinen Autoren noch etwas Unschätzbares: Er bezahlt sie für ihre Arbeit. Er bezahlt sogar vorab Garantiehonorare, damit sich der Autor überhaupt leisten kann, ein Buch zu schreiben!
Hallo Petra,
AntwortenLöschenauch ich bin der Meinung, dass Verlage enorm wichtige Aufgaben bei der Veröffentlichung von Büchern übernehmen und - damit was Vernünftiges bei raus kommt - partnerschaftlich mit den Autoren zusammenarbeiten müssen. Sehr viele Verlage tun dies ja auch. Gerade hinsichtlich Lektorat, aber auch Layout zeigt sich ja wie gewissenhaft und professionell ein Verlag arbeitet (oder eben nicht). Bei anderen Aufgaben wie z.B. der PR, die du ansprichst, sehe ich das Ganze schon kritischer. Natürlich ist es heute so, dass ein Buch, für das kein Marketing gemacht wird, kaum Chancen hat, von den Lesern wahrgenommen zu werden bzw. überhaupt in den Buchhandlungen zu landen. Das ist ja gerade das Problem mit dem Selbstverleger und oft auch Independentverlage zu kämpfen haben. Andererseits finde ich es geradezu grotesk, wie stark (gerade) schlechte Titel vermarktet und durch inszenierte Marketingstrategien in die Buchläden und auf die verkaufsattraktiven Büchertische gepusht werden. Und das betrifft nicht allein die Verlage. Selbst seriöse Rezensenten unterliegen ja in dieser Hinsicht ihren eigenen Marketingeffekten und steuern die Aufmerksamkeit der Leser manchmal in Richtungen, die man nicht nachvollziehen kann. Ich will jetzt nicht von dem Fall Hegemann sprechen. Das ist ja nur die Spitze des Eisbergs, die aber ganz gut zeigt, wie unser Literaturbetrieb momentan funktioniert.
Was ich anprangere sind also nicht einzelne Verlage (eine "Verlagsschelte" liegt mir in jedem Falle fern), sondern die Mechanismen des Literaturbetriebs als Ganzes. Im Spiel, wie es momentan funktioniert, wählen ja die Verlage die Texte aus, die sie für verkaufbar halten. Das müssen nicht immer die besten Texte sein und sind es auch nicht. Es sind die Manuskripte, die mehr oder minder massentauglich sind, um das Geschäftsmodell der Verlage mittels Quersubventionierung zu ermöglichen. Dass da auf der Strecke bleibt, was besonders, eigenwillig, anders ist, ist leider eine Tatsache. Dass es Verlage (v.a. Independentverlage) gibt, die diese Lücke schließen (wollen), ist gut, aber in den allermeisten Fällen auch tragisch, weil sie und ihr Erfolg eben auch an der guten Vermarktung in den Buchläden hängen (wie schon erwähnt). Dass die meisten Independentverlage kaum überleben können oder als Teilzeitjob betrieben werden, obwohl das, was die Leute dort leisten, weit mehr ist als ein Vollzeitjob, ist bedenklich und zeigt m.E. wieder wie verquer dieses System ist.
Teil 2 zu meinem Kommentar:
AntwortenLöschenDie Rolle der Verlage liegt m.E. darin, das Niveau der Manuskripte zu heben und ihre Qualität herauszuarbeiten, Texte zu verbessern, den letzten Schliff zu geben. Was ein professionelles Lektorat eben macht, zusammen mit dem Autor, im Dialog, meinetwegen auch in hitzigen Diskussionen. Dagegen kann die Auswahl der Manuskripte direkt von den Lesern übernommen werden. Und muss es sogar. Denn wenn man mal bedenkt, dass die allermeisten Titel, die heute von Verlagen veröffentlicht werden, über Literaturagenten kommen und die direkt eingesandten Manuskripte kaum beachtet oder vernünftig geprüft werden, dann ist es ja jetzt schon offensichtlich, dass die Verlage mit der Flut an Einsendungen nicht mehr zurecht kommen. Wie auch? Bei der Masse an Texten kann es auch wirklich nur eine Masse an Menschen schaffen, einen Überblick zu bekommen. Eben eine Community von Leuten, die sich für Bücher, fürs Lesen und für eine ganze Bandbreite an Texten und Themen interessieren. Ich sehe also den Wert, den ein guter Verlag leistet, sehr wohl. Er liegt in der gelungenen und partnerschaftlichen Unterstützung des Autors. Aber eben nicht in der Auswahl der Titel, die ich als "Zensur" hinsichtlich des Angebots möglicher Texte und als "Bevormundung" des Lesers bezeichnet habe, und die diese gesamte Marketingmaschinerie überhaupt erst nötig macht. Genau darum geht es mir und daran möchte ich etwas ändern.
Ich glaube, es wäre eine gute Sache, die Verleger als "kulturelle Türsteher" zurückzupfeifen und allen Autoren, die Interesse haben, Zugang zum Literaturbetrieb zu verschaffen. Den Markt offen und frei gestalten. Natürlich kommt da immer der Hinweis, dass es ja soviel schlechte Manuskripte gibt und so viele, die sich berufen fühlen und es doch nicht können. Das sagst Du ja auch. Das mag schon sein, aber für all diejenigen (und die gibt es eben auch), die gut schreiben und trotzdem nicht rein kommen, weil sie nicht die richtigen Beziehungen haben oder keine Veranlagung, um sich bei den richtigen Verlagen/Literaturagenten, etc. anzubiedern. Für all diejenigen ist es wirklich bitter zu hören, das hätte schon seine Ordnung, dass sie draußen bleiben aus dem Literaturbetrieb.
Und noch zum Schluss: Natürlich wäre es toll mit meiner Plattform irgendwann mal Geld zu verdienen. Aber ohne Idealismus wird es sicherlich nicht gehen.
In diesem Sinne, viele Grüße
Marion
Hallo Marion,
AntwortenLöschendanke fürs Zurechtrücken einiger "schneller Thesen" - ich kann bei der Menge Text nicht auf alles eingehen, will aber ein paar Stichworte zum Nachdenken geben:
Es ist nicht das vielgepriesene Marketing oder die PR, die Bücher hochbringen; Bucherfolg steht und fällt mit dem Vertrieb, dessen Präsenz, Rührigkeit etc. pp. Womit wir dann wieder beim Thema Buchhandel inklusive Marktkonzentration sind - denen wiederum die Verlage ausgeliefert sind. Stichwort Rabattsystem etc.
Wenn sie an dieser Stelle schlau mit Ihrer Plattform agieren, können Sie Stärken entwickeln.
Ich will Ihnen etwas verraten: Die vielbeschworenen Rezensionen bringen einem Buch nicht viel. Ich hatte einmal eine gute Rezension in der FAZ, das brachte genau drei Monate lang etwa 20 verkaufte Exemplare mehr. Kollegen, die ins Feuilleton kommen, erleben Ähnliches. Es gibt erst einen Effekt, wenn gleichzeitig alle, am besten noch kontrovers, über ein Buch schreiben - siehe Hegemann. Das kann auch ein PR-Profi nur dann planen, wenn er einen Skandal in petto hat. Aber wer kauft dann ein zweites Buch, wenn er das erste nur gekauft hat, um mitreden zu können?
Da ich selbst auch in der PR arbeite, kann ich sagen, dass die meisten PR-Aktionen auch nichts bringen, weil sie schlicht verpuffen (auch in den Social Media mit Ausnahme "kultiger" oder IT-Bücher). Und um richtig etwas machen zu können, braucht's halt schon ein nettes Budget. Viel steht und fällt auch mit der Mitarbeit der Autoren.
Ich habe ein Problem mit dem Prädikat "schlechte Bücher". Ich weiß gar nicht, was ein schlechtes Buch ist und wer das entscheiden soll. Können Millionen Fliegen irren oder nicht? ;-)
Womit ich Ihnen absolut recht gebe: Der Kettenbuchhandel und das Feuilleton als bisher einzige Empfehlungs-"Instanz" mit ausreichender Reichweite sind heute das Problem. Ich bin so idealistisch, in ein paar Jahren Alternativstrukturen zu sehen.
Fortsetzung:
AntwortenLöschenVerdienstspannen in Kunst und Kultur - über deren Jämmerlichkeit habe ich schon viel geschrieben. Das ist ein Problem von Wertigkeiten in einer Gesellschaft, denke ich.
Allerdings: Es ist ein Märchen, dass keine unverlangt eingesandten Manuskripte verkauft werden (man darf sich halt nicht ganz blöd anstellen und muss vor allem vorher anfragen , sich Namen besorgen - lernt man in Autorenforen). Gerade literarische Verlage kaufen viel ohne Agenturen.
Und es ist auch ein Märchen, dass man nicht bei Agenturen unterkommt. Anbiedern kommt da weniger, man muss erstens professionell etwas draufhaben und zweitens mit seiner Art zur Agentur passen und umgekehrt. Nicht jede Agentur passt zu jedem Autor.
Ich bin mal so frech zu sagen, wenn ich Bewerbungsdepperl das geschafft habe, mit meinen schrägen, nicht massenkonformen Büchern, dann schaffen das auch andere.
Bei Ihnen würden die Leser Lektorenarbeit übernehmen, also die Nadel im Heuhaufen suchen. In einer Community mit einem stark definierten Profil kann ich mir das gut vorstellen. Ich könnte es mir aber nicht bei einer allgemeinen Plattform vorstellen. Dann entstünde der Tante-Erna-Effekt. Denn nenne ich so, weil ich eine Tante habe, die mir ständig sagt, ich schriebe völlig falsche Bücher und so kompliziert, ich solle mir doch endlich mal so ein Heftchen holen und was lernen. Leserentscheidungen können also auch gruslig ausgehen. ;-)
Literatur war und ist übrigens schon immer offen. Es wird ja keinem verboten, ein Buch zu drucken.
Ich wünsche Ihnen jedenfalls viel Erfolg (ohne die Fehler anderer Plattformen) - und wenn es Ihnen eines Tages gelingen sollte, eine literarische Perle zu entdecken und in den Handel zum Erfolg zu puschen, wäre ich natürlich die erste, die neugierig wäre!
Schöne Grüße,
Petra
(Ich hab jetzt durchweg gesiezt - ich blick das in meinem eigenen Blog nie so recht...)