Das Flüstern der Kunst
Eben noch habe ich das Schweigen beim Schreiben begreifen wollen, das - wie man an den zahlreichen wunderbaren Kommentaren sieht - auch anderen bekannt zu sein scheint. Heute ist es dann unverhofft passiert, trotz Tropenhitze, trotz der Abwicklung von ablenkenden Telefonaten und Formalitäten. Ich kann wieder schreiben. Es geht noch.
Kalt erwischt hat mich ausgerechnet eine Geschichte, die ich absolut geheim halte, über die ich nicht spreche, weil ich dabei eben diese Angst habe, sie könnte mir dann davonfliegen. Denn es ist eine völlig ungeplante Geschichte, keine nach Plotschema, nach Ratgeberbausteinen schon gar nicht. Wie schon so oft, entstand sie durch eine Figur, die plötzlich dastand und nicht mehr gehen wollte. "Volatile" würde ich zu ihrer Essenz sagen, was auch im Deutschen verständlich ist, in dem ich kein wirklich angemessenes, passend klingendes Wort finde. Zumal sich diese Geschichte, die einmal Romananfang werden will, nur schreibt, wenn ich sie eigentlich gar nicht schreiben möchte.
Es begann mit meiner Siesta-Lektüre: Gennadij Gor und seiner Erzählung "Der Wasserkessel", in welcher ein Mann für seine Umwelt spurlos verschwindet oder womöglich stirbt, während er feststellt, dass er sich in den Wasserkessel seiner Frau verwandelt hat. Er kann alles hören, sehen, sogar einmal agieren, aber er kann sich nicht bemerkbar machen aus seiner Welt heraus.
Wie ich so lese, bemerke ich, dass etwas geschieht. Ein Wasserkessel kann nicht sprechen und dieser lebt doch. Können Geschichten sprechen? Gors Geschichte jedenfalls schien sich selbstständig zu machen. Während ich noch ihre Worte mit den Augen aufnahm, setzte sie sich zum Tee mit ein paar Gästen. An den Samowar gebeten wurden drei Erlebnisse aus meinem Leben, eines davon das eben beschriebene Abenteuer um die Lehrersatire. Und die drei Erlebnisse hatten ebenso Phantastisches zu erzählen.
Das bewusste Erlebnis hob den Zeigefinger und sprach: "Was wäre geschehen, wenn die Siebzehnjährige jenes jetzt im Blog hinterlassene Plädoyer damals hätte sehen können?" Darauf meldete sich ein anderes Erlebnis, das winzig und unscheinbar am Tisch saß: "Ich bin ja nur eine Eintrittskarte, man bräuchte kein Aufhebens von mir machen. Aber die Person hat mich gekauft zur Belohnung nach einem katastrophalen Jahr. Was wäre geschehen, wenn sie damals die wahren Katastrophen hätte sehen können, die erst mit meiner Einlösung vorbei sein würden?"
Ich las in Gors "Wasserkessel" und saß gleichzeitig mit der Geschichte beim Tee. Aber wie der Mann, der zum Wasserkessel wurde, war auch ich in dem Moment eine Verschwundene; eine, die alles hört und sieht und nicht sprechen kann - nicht sprechen durfte. Hätte ich in diesem Moment gesprochen, wären die Teebesucher schnurstracks geflohen. So aber begann der Samowar blau zu glühen, in diesem Kandinsky'schen "Die Welt ist tief"-Blau. Und das hatte ich irgendwo schon einmal gesehen. Irgendwo anders, wo es ums Schweigen ging.
Ich neigte das Buch ein wenig zur Seite und dachte nach. Ich lief zum Computer und fand auf Anhieb die Datei. Jene Figur in jener unaussprechbaren Geschichte trug ein Kleid in eben jenem Blau. Und plötzlich wirbelten der Samowar und das Blau und das Kleid und die Geschichte und der Wasserkessel und die Frau mit der Frau und die Eintrittskarte fiel vom Stuhl. "Ich bin nur eine Eintrittskarte", schrie sie mich an, "man bräuchte kein Aufhebens von mir machen", röchelte sie. Aber in dem Moment hatte sie schon die Jahreszahl auf ihrem Bauch gewechselt und auch sie konnte alles sehen und hören und nicht mehr sprechen.
Schweigend legte ich Gors Buch weg, schlich mich weg von den Gästen des Wasserkessels und näherte mich vorsichtig der Frau in Blau in der beschwiegenen Datei. Endlich wusste ich, warum sie ständig von einem Ort spricht, sich an einen Ort träumt, auf einen Ort wartet, andere an diesen Ort bringen will - und doch nicht hinreisen kann.
Die Eintrittskarte aber, die körperlich in einer fremden Stadt auf mich wartet, hat sich wieder erholt und lacht mich aus. "Ich bin nur eine Eintrittskarte, man bräuchte kein Aufhebens von mir machen", flüstert sie und fügt dann glucksend hinzu: "Aber den Text hättest du dir genauer anschauen können, den Text! Steht nicht auf meinem Herzen genau dieser Ort geschrieben?" Tatsächlich. Ich hatte die Karte gekauft, weil der Ort damit zu mir kam, in jene fremde Stadt. Es war einer dieser seltsamen Orte, die im Blau des Schweigens wandern können.
Kalt erwischt hat mich ausgerechnet eine Geschichte, die ich absolut geheim halte, über die ich nicht spreche, weil ich dabei eben diese Angst habe, sie könnte mir dann davonfliegen. Denn es ist eine völlig ungeplante Geschichte, keine nach Plotschema, nach Ratgeberbausteinen schon gar nicht. Wie schon so oft, entstand sie durch eine Figur, die plötzlich dastand und nicht mehr gehen wollte. "Volatile" würde ich zu ihrer Essenz sagen, was auch im Deutschen verständlich ist, in dem ich kein wirklich angemessenes, passend klingendes Wort finde. Zumal sich diese Geschichte, die einmal Romananfang werden will, nur schreibt, wenn ich sie eigentlich gar nicht schreiben möchte.
Es begann mit meiner Siesta-Lektüre: Gennadij Gor und seiner Erzählung "Der Wasserkessel", in welcher ein Mann für seine Umwelt spurlos verschwindet oder womöglich stirbt, während er feststellt, dass er sich in den Wasserkessel seiner Frau verwandelt hat. Er kann alles hören, sehen, sogar einmal agieren, aber er kann sich nicht bemerkbar machen aus seiner Welt heraus.
Wie ich so lese, bemerke ich, dass etwas geschieht. Ein Wasserkessel kann nicht sprechen und dieser lebt doch. Können Geschichten sprechen? Gors Geschichte jedenfalls schien sich selbstständig zu machen. Während ich noch ihre Worte mit den Augen aufnahm, setzte sie sich zum Tee mit ein paar Gästen. An den Samowar gebeten wurden drei Erlebnisse aus meinem Leben, eines davon das eben beschriebene Abenteuer um die Lehrersatire. Und die drei Erlebnisse hatten ebenso Phantastisches zu erzählen.
Das bewusste Erlebnis hob den Zeigefinger und sprach: "Was wäre geschehen, wenn die Siebzehnjährige jenes jetzt im Blog hinterlassene Plädoyer damals hätte sehen können?" Darauf meldete sich ein anderes Erlebnis, das winzig und unscheinbar am Tisch saß: "Ich bin ja nur eine Eintrittskarte, man bräuchte kein Aufhebens von mir machen. Aber die Person hat mich gekauft zur Belohnung nach einem katastrophalen Jahr. Was wäre geschehen, wenn sie damals die wahren Katastrophen hätte sehen können, die erst mit meiner Einlösung vorbei sein würden?"
Ich las in Gors "Wasserkessel" und saß gleichzeitig mit der Geschichte beim Tee. Aber wie der Mann, der zum Wasserkessel wurde, war auch ich in dem Moment eine Verschwundene; eine, die alles hört und sieht und nicht sprechen kann - nicht sprechen durfte. Hätte ich in diesem Moment gesprochen, wären die Teebesucher schnurstracks geflohen. So aber begann der Samowar blau zu glühen, in diesem Kandinsky'schen "Die Welt ist tief"-Blau. Und das hatte ich irgendwo schon einmal gesehen. Irgendwo anders, wo es ums Schweigen ging.
Ich neigte das Buch ein wenig zur Seite und dachte nach. Ich lief zum Computer und fand auf Anhieb die Datei. Jene Figur in jener unaussprechbaren Geschichte trug ein Kleid in eben jenem Blau. Und plötzlich wirbelten der Samowar und das Blau und das Kleid und die Geschichte und der Wasserkessel und die Frau mit der Frau und die Eintrittskarte fiel vom Stuhl. "Ich bin nur eine Eintrittskarte", schrie sie mich an, "man bräuchte kein Aufhebens von mir machen", röchelte sie. Aber in dem Moment hatte sie schon die Jahreszahl auf ihrem Bauch gewechselt und auch sie konnte alles sehen und hören und nicht mehr sprechen.
Schweigend legte ich Gors Buch weg, schlich mich weg von den Gästen des Wasserkessels und näherte mich vorsichtig der Frau in Blau in der beschwiegenen Datei. Endlich wusste ich, warum sie ständig von einem Ort spricht, sich an einen Ort träumt, auf einen Ort wartet, andere an diesen Ort bringen will - und doch nicht hinreisen kann.
Die Eintrittskarte aber, die körperlich in einer fremden Stadt auf mich wartet, hat sich wieder erholt und lacht mich aus. "Ich bin nur eine Eintrittskarte, man bräuchte kein Aufhebens von mir machen", flüstert sie und fügt dann glucksend hinzu: "Aber den Text hättest du dir genauer anschauen können, den Text! Steht nicht auf meinem Herzen genau dieser Ort geschrieben?" Tatsächlich. Ich hatte die Karte gekauft, weil der Ort damit zu mir kam, in jene fremde Stadt. Es war einer dieser seltsamen Orte, die im Blau des Schweigens wandern können.
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