Migration und Memorabilien
Die Haushaltsauflösung im deutschen "Ausland" neigt sich ihrem Höhepunkt zu, d.h., die Rümplerin ist nervlich und körperlich fast am Ende und hofft, dass Emmaus nächste Woche wirklich mitnimmt, was nur geht. Spannend ist es, zu erleben, wie fremd mir die Stadt geworden ist, in der ich geboren wurde; wie komisch manches dort auf mich wirkt. Es ist wirklich erstaunlich, wie geordnet und paragraphiert das Leben jenseits des Rheins verläuft und manchmal ertappe ich mich sogar dabei, dass ich mich bei Passanten entschuldigen möchte, wenn ich beim Beladen die Heckklappe meines Autos geöffnet lasse, ohne sie schlüsselklappernd selbst zu bewachen.
Und ich fühle mich wie an der Hand eines riesigen Übervaters, wenn ich Friedhofsordnungen und Parkordnungen (ich lern das nie, dass man nur in Fahrtrichtung parken darf) und Ordnungsordnungen lese . Wie viel menschliches Hirn, wie viel Arbeitskraft ist beim Entwurf solcher dicken Werke auf der Strecke geblieben! Und ist dann etwas einmal nicht geregelt, ruft man nach Papa Staat. Kein Wunder, dass ich dumme Emigrantin natürlich erst einmal hilflos vor einer neuen Wissenschaft stand, die ich so noch nie erlebt habe: der deutschen Mülltrennung. Noch nie in meinem Leben habe ich mir das Hirn zermartern müssen, wie ich all diesen Müll wegwerfen kann, ohne ihn in Einzelteile zerlegen zu müssen und höhere Plastologie zu studieren. Nicht, dass andere Länder ihren Müll nicht trennten, aber da kapiert es auch ein Depperl wie ich.
Aber ich stoße auf eine Menge wildfremder, hilfsbereiter Leute. Heute haben mich welche fast an der Hand genommen, um mir alles zu erklären und zu zeigen, riesig nett und zuvorkommend, aber zunächst ein wenig umständlich. Nach einem wissenden Lächeln und der Frage "czy pan(i) mówy po-polsku" war die Sache geritzt, das Gespräch lief flüssig und links und rechts und eins und drei waren klar. Die Möchtegernpolin wurde freudig in deutsche Lebensverhältnisse und höhere Ordnungsprinzipien eingeweiht und weiß jetzt endlich, wo man wann welchen Schein beantragen muss, um eine einstmals völlig selbstverständliche Handlung unternehmen zu dürfen. Und ein paar Handlungen unternahmen wir dann in guter alter Improvisations- und Tauschtradition, muss ja nicht jeder Paragraph wissen, wie sehr er einen zum Lachen bringt.
Dann musste ich dringend vor Abpfiff des Fußballspiels aus dem Land flüchten. Es gibt für mich nämlich nichts Schlimmeres als trötende Menschenmassen, überhaupt unberechenbare Menschenmassen. Doch kaum hatte ich mein Auto bis auf die letzte Lücke beladen, ging das Juchhei los, Böller knallten, Tröten tröteten, Faschingsstimmung. Soso, nun haben sie also gewonnen, dachte ich. Feiernde, ausgelassene Menschen kamen mir entgegen und strömten in die Innenstadt. Totale Partystimmung, aber die badischen Fahnen sahen so komisch aus. So habe ich dann erfahren, dass hinter dem polnisch-russischen Viertel die Serben feierten. Kein Stau also und freie Fahrt nach Frankreich, wo schon lang kein Grenzer mehr in Kisten schaut.
Es sind die letzten - und die erzählen nun wirklich Geschichten, bergen Dinge, die über Zeiten und Räume gereist sind. Jakob Wassermanns "Kaspar Hauser" in einer Ausgabe von 1908, eines der ersten Bücher im fast buchlosen Haushalt, das ich als kleines Kind verschlungen habe. Ob ich "Die Nonne" von Diderot immer noch so komisch finde wie damals, als ich mit neun Jahren heimlich an das streng verbotene Buch ging? Ein elfenbeinerner, bemalter Brieföffner mit Perlenkordel und gelochten Münzen aus Japan - den hatte mir eine alte Gouvernante geschenkt, die mit ihrem Arbeitgeber, einem amerikanischen Millionär, auf Weltreise gegangen war und ausgerechnet für die Titanic kein Ticket mehr bekommen hatte. In einem Kleiderschrank fand sich meine plattgequetschte Schultüte, die mich einst überragte und mir heute zeigt, wie winzig ich einmal war. Jemand hat darin Negative versteckt, welche die Familie nicht sehen sollte.
Und langsam sind sie fast alle wieder da, die über viele Jahre als verschollen galten, auf uralten Schwarzweißfotos; all die Auswanderer und Kofferträger, die schwarzen Schafe und die brav Angepassten, die Flüchtlinge und die ewig Zurückgebliebenen. Eine Ururoma, mächtig wie ein Schrank; dürre Hungerleider und der angestaubte Schick vieler Jahrzehnte. Osteuropa meets USA. Ob sie sich jemals hätten träumen lassen, dass eines Tages jemand die letzten Erinnerungen wieder in Kisten verpackt, wieder über eine Landesgrenze bringt? Jedenfall musste ich ein Stück Nippes unbedingt retten, einem vor Lachen johlenden Freund zum Trotz, der sagte: "Willst du dir dieses Teil wirklich antun?" Kichernd packte ich es in Papier, ja klar, denn das sei die einzige noch greifbare Rechtfertigung für meine Staatsbürgerschaft - und vielleicht wurde deshalb das "Etwas" schon einmal in der Vergangenheit über die Grenze geschafft. Es handelt sich um absolut schauderhaften Nippes aus Porzellan, fein bemalt: einen deutschen Schäferhund.
Und ich fühle mich wie an der Hand eines riesigen Übervaters, wenn ich Friedhofsordnungen und Parkordnungen (ich lern das nie, dass man nur in Fahrtrichtung parken darf) und Ordnungsordnungen lese . Wie viel menschliches Hirn, wie viel Arbeitskraft ist beim Entwurf solcher dicken Werke auf der Strecke geblieben! Und ist dann etwas einmal nicht geregelt, ruft man nach Papa Staat. Kein Wunder, dass ich dumme Emigrantin natürlich erst einmal hilflos vor einer neuen Wissenschaft stand, die ich so noch nie erlebt habe: der deutschen Mülltrennung. Noch nie in meinem Leben habe ich mir das Hirn zermartern müssen, wie ich all diesen Müll wegwerfen kann, ohne ihn in Einzelteile zerlegen zu müssen und höhere Plastologie zu studieren. Nicht, dass andere Länder ihren Müll nicht trennten, aber da kapiert es auch ein Depperl wie ich.
Aber ich stoße auf eine Menge wildfremder, hilfsbereiter Leute. Heute haben mich welche fast an der Hand genommen, um mir alles zu erklären und zu zeigen, riesig nett und zuvorkommend, aber zunächst ein wenig umständlich. Nach einem wissenden Lächeln und der Frage "czy pan(i) mówy po-polsku" war die Sache geritzt, das Gespräch lief flüssig und links und rechts und eins und drei waren klar. Die Möchtegernpolin wurde freudig in deutsche Lebensverhältnisse und höhere Ordnungsprinzipien eingeweiht und weiß jetzt endlich, wo man wann welchen Schein beantragen muss, um eine einstmals völlig selbstverständliche Handlung unternehmen zu dürfen. Und ein paar Handlungen unternahmen wir dann in guter alter Improvisations- und Tauschtradition, muss ja nicht jeder Paragraph wissen, wie sehr er einen zum Lachen bringt.
Dann musste ich dringend vor Abpfiff des Fußballspiels aus dem Land flüchten. Es gibt für mich nämlich nichts Schlimmeres als trötende Menschenmassen, überhaupt unberechenbare Menschenmassen. Doch kaum hatte ich mein Auto bis auf die letzte Lücke beladen, ging das Juchhei los, Böller knallten, Tröten tröteten, Faschingsstimmung. Soso, nun haben sie also gewonnen, dachte ich. Feiernde, ausgelassene Menschen kamen mir entgegen und strömten in die Innenstadt. Totale Partystimmung, aber die badischen Fahnen sahen so komisch aus. So habe ich dann erfahren, dass hinter dem polnisch-russischen Viertel die Serben feierten. Kein Stau also und freie Fahrt nach Frankreich, wo schon lang kein Grenzer mehr in Kisten schaut.
Es sind die letzten - und die erzählen nun wirklich Geschichten, bergen Dinge, die über Zeiten und Räume gereist sind. Jakob Wassermanns "Kaspar Hauser" in einer Ausgabe von 1908, eines der ersten Bücher im fast buchlosen Haushalt, das ich als kleines Kind verschlungen habe. Ob ich "Die Nonne" von Diderot immer noch so komisch finde wie damals, als ich mit neun Jahren heimlich an das streng verbotene Buch ging? Ein elfenbeinerner, bemalter Brieföffner mit Perlenkordel und gelochten Münzen aus Japan - den hatte mir eine alte Gouvernante geschenkt, die mit ihrem Arbeitgeber, einem amerikanischen Millionär, auf Weltreise gegangen war und ausgerechnet für die Titanic kein Ticket mehr bekommen hatte. In einem Kleiderschrank fand sich meine plattgequetschte Schultüte, die mich einst überragte und mir heute zeigt, wie winzig ich einmal war. Jemand hat darin Negative versteckt, welche die Familie nicht sehen sollte.
Und langsam sind sie fast alle wieder da, die über viele Jahre als verschollen galten, auf uralten Schwarzweißfotos; all die Auswanderer und Kofferträger, die schwarzen Schafe und die brav Angepassten, die Flüchtlinge und die ewig Zurückgebliebenen. Eine Ururoma, mächtig wie ein Schrank; dürre Hungerleider und der angestaubte Schick vieler Jahrzehnte. Osteuropa meets USA. Ob sie sich jemals hätten träumen lassen, dass eines Tages jemand die letzten Erinnerungen wieder in Kisten verpackt, wieder über eine Landesgrenze bringt? Jedenfall musste ich ein Stück Nippes unbedingt retten, einem vor Lachen johlenden Freund zum Trotz, der sagte: "Willst du dir dieses Teil wirklich antun?" Kichernd packte ich es in Papier, ja klar, denn das sei die einzige noch greifbare Rechtfertigung für meine Staatsbürgerschaft - und vielleicht wurde deshalb das "Etwas" schon einmal in der Vergangenheit über die Grenze geschafft. Es handelt sich um absolut schauderhaften Nippes aus Porzellan, fein bemalt: einen deutschen Schäferhund.
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