Schall und Rauch
Ich frage mich, ob dieser Umgang mit dem Aufbau von Texten nicht sogar eng an den eigenen Umgang mit Sprache und Sprachenlernen gekoppelt ist. So lerne ich z.B. Sprachen am besten durch Imitation, habe als Synästhetikerin aber zu den Klängen auch Farb- und Formverläufe als zusätzliche Wahrnehmungsebene. Es ist immer für einen Lacher gut, wenn ich erzähle, dass ich bis heute keine einzige Rechtschreibregel beherrsche (nach der Reform sowieso nicht), beim Fahnenkorrigieren jedoch jedes falsch gesetzte Komma als grellgiftblauen Blitz im linken Ellenbogen spüre. Tatsächlich schreibe ich so auch: Ein Text ist für mich ein farbiges, musikalisches Werk zum Hörsehen.
Namensklang als Charaktermerkmal?
Dementsprechend verrückt verhalte ich mich bei Kleinigkeiten, die dem Leser wahrscheinlich nie auffallen. Ich verbringe vorab viele Tage, um die Namen meines Romanpersonals musikalisch abzustimmen. Zunächst aus praktischen Gründen: Ich habe unlängst wieder ein Buch weggelegt, weil ich die ohnehin unsauber gezeichneten Personen schlicht nicht auseinanderhalten konnte. Allerweltsnamen, allesamt zweisilbig, alle auf den gleichen Vokal endend. Wir geben uns solche Mühe, bei Dialogen Alltagsfloskeln zu streichen - warum können wir uns nicht etwas mehr Mühe mit den Namen geben? Heißt eine Person Jana, darf die zweite nicht Lana heißen. Wenn schon zweisilbig, warum dann nicht Nele - "a" gegen "e"? Ich gehe da noch weiter ... Namensbedeutungen, psychologische Wirkungen von Vokalen, kurze Stakkatosilben, weich Gedehntes... Und dieses Arbeiten mit Klängen hört nicht bei den Namen auf. Der Name muss mit der Person völlig verschmelzen.
Ras alias George Clack hat sich in seinem Blog mit "Much in a name" Gedanken um die Namen von Romanfiguren gemacht. Und er kommt darauf, dass gute Autoren nicht einfach jeden dahergelaufenen Namen nehmen, weil die Wirkung des Namens und der Charakter der Romanfigur oft untrennbar zusammen gehören. Es ist lesenswert, warum und wie wir auf Namen wie James Bond, Harriet Quimpy oder Armistead Flock abfahren - und das funktioniert in jeder Sprache. Man kann Namen sogar so gestalten, dass sie international klingen.
Die Musik der Sprache
Wer dagegen einmal ins Polnische hineingelesen hat, wird mit Klängen vielleicht seine liebe Not haben. Zunächst stehen da unwahrscheinlich lange Konsonantenreihungen, die auch noch mit allerlei Akzenten diesselben verändern. "Da bricht man sich ja die Zunge ab!", stöhnt fast jeder Ausländer ohne slawische Vorbildung. Doch welche Überraschung: Meist handelt es sich um diverse, feinstens unterschiedene Zischlaute, die insgesamt weich und melodisch klingen, aber auch herrlich zischen und rasseln können. Als ich in Polen vor Neid erblasste, weil die jungen Leute Fremdsprachen fast akzentfrei sprachen oder sogar im Englischen einen echten Oxfordakzent imitieren konnten, bekam ich von einer Linguistin eine nachvollziehbare Erklärung. Das Polnische, das an Klängen sehr viel reicher ist als andere Sprachen, wirke wie Musik aufs Ohr der Kleinkinder. Sie entwickelten ein feineres Gehör für Klänge und könnten einfachere Lautkombinationen deshalb genauer imitieren.
Ob das stimmt, kann ich nicht beurteilen. Irena Grudzinska Gross von der Princeton University macht in ihrem Artikel "The Prison and Freedom of Language" aufschlussreiche Beobachtungen beim Besuch von Dichterlesungen, wo der Klang der Sprache fundamentaler Bestandteil der Dichtung ist. Um dem Verhältnis zwischen Dichter und Sprachklängen näherzukommen, lauscht sie slawischen Emigranten beim Dichten in der Muttersprache und in der Fremdsprache Englisch. Auch sie kommt auf die Parallelen zur Musik: Da spielt einer zwei Instrumente, von denen er eines im Schlaf beherrscht und das andere noch unzureichend. Warum also schreiben Emigranten dann in der neuen Sprache?
Schreiben Emigranten anders?
Grudzinska Gross ist sich in ihrem Artikel für Biweekly nicht ganz sicher, wie viel Selbstbestätigung an Integration ein Schriftsteller sich damit beweisen will und wie viel ihn an der Andersartigkeit und den neuen Zwängen einer Fremdsprache reizt. Ich glaube, es spielen wohl viele Aspekte zusammen eine Rolle. Wenn ich von mir selbst ausgehe - Emigrantin, die in einem anderssprachigen Land deutschsprachige Bücher schreibt - so gebe ich unumwunden zu, dass ich neidisch bin auf jeden afrikanischen oder arabischen Kollegen, der sich perfekt in Französisch mitteilt, auf jede russische oder türkische Kollegin, die deutsche Literatur schreibt. Warum kann ich das nicht? Warum schreibe ich keine französischen Bücher?
Ich denke, es hat etwas mit der Musiktheorie zu tun. Fast alle Ausländer, die französische Literatur schreiben, sind von klein auf mit Französisch als Zweitsprache aufgewachsen. Die meisten Schriftsteller, die in Zweitsprache schreiben, haben wenigstens als Kind Kontakt zu dieser Sprache gehabt. Für mich ist Französisch, auch wenn ich mittlerweile französische Literatur übersetze, immer eine sehr fremde Sprache gewesen. Ich habe sie extrem spät gelernt. Fürs Übersetzen ist diese Distanz hilfreich. Um mich selbst auszudrücken, ist es sicher in mancher Hinsicht verführerisch, weil es zu anderem Denken zwingt. Aber es wird nie so klingen, als würde ich das Instrument im Schlaf beherrschen. Ich werde mich nie einfach fallenlassen können, sondern bin immer abgelenkt von grammatikalischen Überlegungen, von der Suche nach dem exakten Wort.
Trotzdem habe ich vor Jahren ein Heft mit polnischen Gedichten bekritzelt. Die waren offensichtlich immerhin so niedlich, dass Polen ihnen gerne lauschten. Ihnen gefiel, dass ich Wörtern neue Bedeutungsebenen gäbe, ungewöhnliche Zusammenstellungen fände. In der Lyrik ist so etwas am Platze - aber wie viel davon war wirklichen literarischen Überlegungen geschuldet und wie viel der Tatsache, dass ich dieses Instrument erst erlernte und vielleicht nur ständig knapp daneben griff? Aber irgendwie war da mehr: Ich konnte meine Gefühle in dieser Sprache besser ausdrücken als im Deutschen. Ich habe vieles, was ich heute im Deutschen mache, aus meinem Polnisch entlehnt. Im Französischen kann ich dagegen überhaupt nicht über Gefühle reden, aber bestens philosophieren. Irgendwann begann ich, von den Stärken unterschiedlicher Sprachen zu profitieren.
Ich bemerke seit Jahren, dass auch die Muttersprache sich laufend verändert und vom Denken in anderen Sprachen beeinflusst wird. Mir fiel das zum ersten Mal auf, als eine Lektorin meinte, ich hätte einen so netten französischen Satzduktus. Damit meinte sie vor allem meine Manie, mit Doppelpunkten zu arbeiten. Und tatsächlich bemerke ich auch beim Sprechen, dass die deutsche Sprache in Deutschland oft ganz anders klingt als im Ausland, weil man eben nicht mehr wie das imitierende Kind feste Sprachmuster vorgesetzt bekommt. Experimentieren wird leichter. Der Blick aus der Distanz wird schärfer. Um jedoch solch feine Sprachnuancen überhaupt wahrnehmen zu können, muss ich mich schreibend in genau der Sprache bewegen, die ich am längsten geübt habe. Wenn ich all diese Jahrzehnte an Spracharbeit noch einmal in einer anderen nachholen wollte, wäre meine Schreibzeit zu Ende.
Orchesterarbeit am Buch
So komponiere ich in von Kindesbeinen an vertrauten Klängen,bediene mich aber an völlig anderen Instrumenten und Klangfarben. Ich schreibe vielleicht für Klavier, unternehme jedoch alles, um dieses Klavier auch einmal wie eine Oboe klingen zu lassen oder ihm Streicherimitationen zu entlocken. Ich spiele ein Instrument und wechsle es nicht gegen ein anderes. Ich versuche jedoch, das Instrument so zu spielen, dass es vielseitig wie ein Orchester wird. Seither ist mir das Musikalische der Sprache noch wichtiger geworden. Und wenn ich dann in Büchern auf lieblos Hinerzähltes treffe, auf Wörter, die einfach nur aneinander gereiht sind, um eine Handlung voranzutreiben oder lapidar etwas zu sagen, dann packt mich Mitleid mit dieser armen, oft verarmten Sprache. Die ist doch so viel mehr als Wortbedeutung oder Emotion!
Im Alltag reicht es, Hänschen-Klein auf dem Klavier klimpern zu können, egal, mit wie vielen Fingern. Aber Schriftsteller dürfen sich durchaus einiges bei Musikern und Komponisten abschauen. Um ein Instrument, das man nie beiseite legt, wirklich virtuos zu beherrschen, reicht das reine Erlernen nicht. Es ist ein lebenslanger Vorgang des Lernens, Übens und Liebens, damit von einem Text nicht nur Schall und Rauch bleibt.
Wow, das muss ich jetzt erst einmal alles sacken lassen...
AntwortenLöschenAber zu den Namen in Romanen (das sollte jetzt kein Reim werden) möchte ich hinzufügen, dass übertrieben exotische Namen auch sehr abschreckend wirken. Nichts ist schlimmer, als sich beim Lesen, die Gedankenzunge zu verknoten. Auch Namen, die durch Symbolcharakter überladen sind, finde ich übel. Mir persönlich, fällt es jedenfalls sehr schwer, zu einem späteren Zeitpunkt einen Namen abzuändern, dann ändert sich auch der ganze Charakter. Vor Monaten habe ich einen Sergej in einen Sergius (wo wir wieder beim Slawischen wären) abgeändert, und mich immer noch nicht daran gewöhnt. Also wie du sagst, besser viel mehr Zeit in Namen investieren!
Danke, für den schönen Artikel!
LG Nikola
Freut mich, wenn's gefällt, Nikola.
AntwortenLöschenIch denke, man kann das nicht verallgemeinern mit den Romanen. Ein rundkarierter Brennesselblutelfe im Fantasy wird sich andere Namen leisten können als Kommissar Suffkopp oder Serienmörder Meier hinter der Thujahecke von nebenan. (Fällt mir gerade als legendärer Name Phil Marlowe ein, der einem eher in den Sinn kommt als der Name des Autors!)
Die Änderungsprobleme habe ich auch, kann ich gut nachfühlen. Mir stellen sich die Figuren selbst vor, aber wehe, ich ändere dann viel am Namen, dann werden sie grantig und verweigern sich.
Wie praktisch, dass ich beim Sachbuch dann reale Leute vor mir habe...
Schöne Grüße,
Petra
Liebe Petra, ich hoffe, Sie verzeihen mir meine Albernheiten. Da ich mir aber vorgenommen habe, nie hinter dem Rücken über Menschen zu reden, muss ich Ihnen nun erzählen, was bei einem meiner inneren Dialoge abgelaufen ist.
AntwortenLöschenUm der Autorin, die über die Musik der Namen schreibt, etwas zum Blogthema beitragen zu können, habe ich den Namen Petra van Cronenburg untersucht. Dieser Name ist schon Musik und bürgt für Qualität, wohlklingende Worte, harmonische und perfekt komponierte Schriften. Den Namen dürfte man nie verändern!
Trotzdem habe ich in Gedanken versucht, aus dem knappen 'Petra' etwas zu formen. Da schoss ein Name durch die Hohlräume meines Oberstübchens: Ist 'Petrella' eigentlich ein weiblicher Vorname oder was?
Wie immer hat Google mir eine Antwort präsentiert:
Petrella ...frischer wäre unverschämt!
war die erste Fundstelle.
Ich habe aufgegeben, weiter zu forschen, denn einen frischeren Geist als den Ihren gibt es nicht.
Ich wünsche Ihnen einen unverschämt frischen Tag!
Gruß Heinrich
Lieber Heinrich mit dem edlen Namen,
AntwortenLöschenwenn Sie so weiter machen, spendiere ich Ihnen eine Extrataste: die Schmeicheltaste. Hätten Sie den Berg von Komplimenten nicht mit Ironie gewürzt, wäre er fast nicht auszuhalten gewesen...
Petrella ist nun in meiner Sammlung einzigartig - bisher kam als Verkleinerung nur Petronella, was mir ein wenig nach altrömischer Margarine klingt. Und natürlich verrate ich keinem die Ursache für Lachanfälle in Europas Osten, wo man ja bekanntlich Vornamen vortrefflich verkleinern, verniedichen und kneten kann ... bis aus mir das wurde, was sich Asterix und Obelix in die Ohren stopfen (oder waren es die Römer?).
Ach ja - an meinem Namen habe ich selbstverständlich sehr lang und intensiv gearbeitet!
Amüsierte Grüße,
Petra
...aha, nach sorgsamer Recherche weiß ich: sie haben es sich alle in die Ohren gestopft, im Band "Asterix als Gladiator". In dem übrigens ein Präfekt Galliens mit dem wohlklingenden Namen Caligula Alavacomgetepus vorkommt. Für dessen Name wurde viel nachgedacht:
AntwortenLöschenhttp://www.comedix.de/lexikon/db/caligula_alavacomgetepus.php
Liebe Petra,
AntwortenLöschenwenn an meinen Beiträgen etwas überflüssig ist, ist es die Ironie.
Ich kann sie mir scheinbar noch nicht völlig abgewöhnen, weil ich sehr ironisch unterwegs war, als ich noch nicht Heinrich war und noch keine glatte Petersilie kannte, die wesentlich besser als die krause ist.
Aber ganz langsam entdecke ich die schönen Dinge dieser Welt und vertreibe die krausen Gedanken.
Da haben Sie mit Ihren Werken und Berichten großen Anteil. Das kann man ja ruhig mal erwähnen - das ist ja kein Schmeicheln.
Gruß Heinrich
Ist gut, ist gut, lieber Heinrich,
AntwortenLöschenich gestehe damit, dass ich ganz schlecht im Umgang mit Komplimenten bin. Fiel mir kürzlich im neuen Brotjob auf, als mir ein Auftraggeber "positives Feedback" gab - ich bin fast zu Tode erschrocken (Ironie). Weil man als Autor grundsätzlich zuerst und nur hört, was man schlecht macht. Nach einem Buch gibt's von manchen Lektoren vielleicht ein "nettes Buch" oder "schön geschrieben, gefällt mir". Man soll sich ja nicht zu wohl fühlen...
Ironie LIEBE ich. Ich finde es schade, dass sie in Deutschland offenbar ausstirbt - immer mehr Menschen kapieren sie schlicht nicht mehr. Es gibt so viele wunderbare Nuancen von Ironie, von der liebenswürdigen, der feinen, der geistvollen bis hin zur gekasperten oder deftigen, fast zynischen - wäre schade um dieses formale Sprachwerkzeug.
Also bitte: Gewöhnen Sie sich die Ironie nicht ab. Retten Sie diese bedrohte Art vor dem Aussterben!
Schöne Grüße,
Petra
PS: Ein Vor-Heinrich mit krausen Gedanken, sehr ironisch? Sie müssen Pfarrer, Verleger oder Gefängnisdirektor gewesen sein...? ;-)