Schweigen über das Schreiben
Dann ist offensichtlich ein persönlicher Kumpel am Apparat, offensichtlich auch Marketingmacho. Mann kommt schnell zur Sache, aber so genau wollte ich doch gar nicht wissen, was im Bett alles nicht mehr stimmt! Die neue Blonde sei schuld, sonst ginge das mit den Weibern immer... Ich ertappe mich bei einem mitleidsvollen Blick auf die Hose neben mir. Vom Schlafzimmer schaltet er unversehens mit Klick ins nächste Gespräch - und was er am anderen Ende so herunterputzt, anbrüllt und zur Schnecke macht, dass es allen Anwesenden peinlich wird, ist ganz offensichtlich seine Sekretärin. Einige Anwesende grinsen: Die Umschaltung vom Bettproblem zur Entgleisung gegenüber der Angestellten war allzu vielsagend. Vor uns sitzt plötzlich ein trauriges Häufchen Möchtegernmacho, völlig nackt und entblößt, mit all seinen Ängsten und Aggressionen, seinen charakterlichen und körperlichen Unzulänglichkeiten. Ein Mann ohne Geheimnis. Ein sehr kleiner, sehr uninteressanter Mann also.
Was das mit dem Schreiben zu tun hat?
Ich will jetzt nicht die doch ganz stimmigen Klischees von der Liebesbeziehung zwischen Autor und Text aufwärmen - oder den Vorgang des Schreibens als einen erotischen bezeichnen. Aber nicht umsonst kann man sich ja Muse oder Muserich in knackiger menschlicher Gestalt vorstellen. Jahrhunderte haben Künstlerinnen und Künstler nach solch einem Kuss gedarbt! Ich will jetzt auch nicht groß und breit von den heimlichen Freuden und Lüsten erzählen, die man erleben kann, wenn man sich mit einem blutjungen Text ins Schreibkämmerchen einschließt, sich mit einem rotzfrechen und widerspenstigen Text kappelt oder sich einen auf der Zunge zergehen lässt. Früher jedenfalls war diese Er otik des Schreibens intakt, weil es Heimlichkeit gab, Verhüllungen, Schweigen. Nur mit auserlesenen besten Freunden und in langjährigen Künstlerfreundschaften tauschte man sich darüber aus, was die Schreibfeder so alles herauskitzelte.
Und heute? Was Goethe und Eckermann einst still dem Pferdeboten anvertrauten, brüllen wir unter Publikum in Autorenforen oder Blogs herum. Wir sabbern uns öffentlich einen ab, bei Facebook oder Twitter besser konserviert und archiviert als in jedem Literaturarchiv. Wir tun es nicht mehr heimlich. Wir reden darüber. Wir reden über jeden kleinsten Rülpser beim Akt, tauschen uns aus, ob wir die Zähne vorher oder nachher putzen und was man unternehmen könnte, wenn man mal den Griffel nicht mehr hochkriegt. Die "Schreibblockade" und was man dagegen tun kann, ist in Autorenforen mindestens genauso oft Thema wie woanders die Einkaufstipps für ein gewisses Männermittel, das mit V. anfängt. Wie der Handyman, dem ich kürzlich zuhören musste, reden wir über einzelne Stellungen und lassen uns von Erfahreneren Rezepte geben, die so theoretisch einleuchtend und praktisch undurchführbar klingen wie das Kamasutra. Als sei alles Handwerk, als gäbe es die Erfolgsformel für einen Höhepunkt im dritten Akt wirklich.
Wir gehen nicht besonders einfühlsam um mit unseren Ideen und ersten Textversuchen. Anstatt sie zu behüten, anstatt sich selbst erst einmal mit ihnen zusammenzuraufen und das Prickeln der ersten Liebe zu erleben, brüllen wir sie in die Öffentlichkeit. Kein Wunder, wenn dann so ein schüchterner, zierlicher Text die Zahnbürste nimmt und uns verlässt. Kein Wunder, wenn uns die Idee, die wir eben noch packen und festhalten wollten, eine Nase dreht und sagt: "Du hast mich verraten!"
Aber wollen das nicht alle? Verlangen nicht alle den gläsernen Autor, die gläserne Schriftstellerin? Müssen wir uns nicht ständig brüllend am Handy vor allen anderen beweisen, dass wir jemand sind; dass wir noch da sind? Es tut so gut, sich öffentlich Luft zu machen, wenn der Akt daneben ging, wenn sich der Konflikt selbstständig gemacht hat! Es tut so gut, wenn die Leidensgenossen einem dann unterm Schreitisch die Glückspillen reichen und man endlich erfährt, dass ein hoher Prozentsatz von Schriftstellern Texte bearbeitet, ohne sich die Zähne zu putzen!
Und manchmal, da merken wir gar nicht mehr, wie sie uns mitleidig auf die Hose schauen, wie wir uns nackt und bloß öffentlich lächerlich machen. Eines Tages wundern wir uns vielleicht, warum keine Idee und kaum noch ein Text bei uns bleiben mögen; warum wir immer schneller und wilder hierhin und dahin fremdgehen, anstatt endlich einmal an einer Beziehung richtig zu arbeiten. Viele werden dann machtvoll die Financial Times ausbreiten, vielleicht eine Menge klug klingenden Geschwätzes über Märkte absondern. Und irgendwo, ganz leise, fast unhörbar, schleicht etwas an uns vorbei. Vielleicht etwas ungelenk, vielleicht nicht hübsch, vielleicht zu schüchtern. Ein Wesen, das Stille sucht und Abgeschiedenheit, das die Entblößung zunächst scheut. Werden wir dann noch Sinne dafür haben? Es könnte der Text unseres Lebens sein...
...brüllen wir sie in die Öffentlichkeit. Kein Wunder, wenn dann so ein schüchterner, zierlicher Text die Zahnbürste nimmt und uns verlässt.
AntwortenLöschenDas Brüllen in die Öffentlichkeit ist teamorientiertes Netzwerken der Schriftsteller - der Text, der mit seiner Zahnbürste in die weite Welt wandert ist nichts weiter als ein Samen, der irgendwo zur wunderschönen Blüte wird, der sich vermehrt, fortpflanzt und kreuzt.
Was ist "teamorientiertes Netzwerken der Schriftsteller", lieber Heinrich?
AntwortenLöschenLiebe Petra,
AntwortenLöschenich habe Sie so verstanden, dass früher die SchriftstellerInnen ihre Ideen für sich behalten haben. Heute werden durch intensive Kommunikation im Netzwerk scheinbar nicht nur Ideen gewonnen sondern auch 'verraten'. Also öffentliches Brainstorming im Team, wenn AutorInnen im Blog Fragen stellen, die von Lesern oder KollegInnen beantwortet werden und neue 'Lösungen' bringen.
Gruß Heinrich
Als kölsch-katholisches Mädchen zitiere ich mal Jesus Sirach (über die Verantwortung beim Reden): "Worfle nicht bei jedem Wind, und gehe nicht auf jeden Pfad! (...) Sei schnell bereit beim Hören, aber bedächtig bei der Antwort! Ehre und Schmach liegen in der Hand des Schwätzers, des Menschen Zunge ist sein Untergang."
AntwortenLöschenAber ich widerspreche in einem Punkt: Auch Schriftsteller früherer Tage hatten ein team... (bitte?) - hatten regen Briefwechsel, bei dem sie ihre Ideen besprachen und dann auch von einander abkupferten. Siehe Goethe/Schiller.
LG Nikola
Wieder fein beobachtet und lecker serviert, diese leidige Ambivalenz. Das rechte Maß und den richtigen Zeitpunkt zu finden, vielleicht liegt darin die Kunst? Ich kenne Phasen, in denen ich nach außen so sehr mein Gefieder spreize, dass ich in Wahrheit gar nicht schreibe, sondern nur noch das Schreiben inszeniere. Manchmal ist aber genau das gerade wichtig. Außerdem übt es darin die Seitenblicke auf die eigene Hose zu ertragen. Ich kenne ebenso Phasen, da sind alle Türen zu und nichts und niemand kommt rein, in meine Bruthöhle. Und dazwischen liegt der Alltag mit der Frage, was wann dran ist.
AntwortenLöschenGrüße an alle zusammen!
AntwortenLöschenHerrlich, Jesus Sirach ist doch wirklich der Lichtenberg seiner Zeit ;-)
Und ja, Schriftsteller früherer Epochen hatten Austausch und "Netzwerke" - aber haben sie sich mit jedem x-beliebigen, dahergelaufenen Schriftsteller ausgetauscht? ;-)
Es geht mir im Text eigentlich weniger um das Verraten einer Idee im herkömmlichen Sinn. Diese Angst ist sinnvoll bei Sachbüchern, da beklauen sich sogar Verlage - aber kann man aus einer Idee wirklich zweimal den gleichen Roman stricken?
Simona, du kommst der Sache sehr nahe. Da ist einerseits dieser öffentliche Aspekt, bei dem man nie weiß, wie viel man eigentlich von seiner Hose zeigt. Geht mir mit dem Blog oft selbst so. Obwohl ich absolut nichts über mein Privatleben und meine Innereien schreibe, was ich nicht auch einem Journalisten erzählen würde (und ich kenn die Brüder ja), erschrecke ich manchmal vor den eigenen Beirägen. Aua, denke ich dann, was kann man da wieder alles herauslesen! Halte ich das heute aus?
Noch viel stärker ist ein anderer Aspekt, um den es mir ging. Man kann sich selbst Projekte abtöten, wenn man zu früh darüber spricht. Wobei das weniger mit Mitwissern zu tun hat, sondern womöglich an der Ausdrucksform liegt. Kann Darüber-Reden einen Text eindimensionaler machen? Kann der Moment des Aussprechens vor anderen womöglich Entwicklungswege verbauen?
Ein Kollege formulierte das mal so: Wenn ich zu früh begeistert von einem Projekt erzählt habe, ist aus diesem Projekt nie etwas geworden.
Diesem Geheimnis des notwendigen Schweigens würde ich gern auf den Grund kommen. Erfahrene Schriftsteller haben ein untrügliches Gespür dafür, wann der Punkt gekommen ist, wo man durch Reden ein Projekt nicht mehr einengt oder zerstört.
Das Gespür kann beim modernen Netzwerken durchaus verlorengehen!
@Heinrich
AntwortenLöschenIch hatte mal an einem Tisch einen Fotografen, Filmmenschen, Musiker und bildenden Künstler. Wir stritten uns bestimmt eine Stunde lang herrlich darüber, wer von uns der eifersüchtigsten, intrigantesten, eigenbrödlerischsten, a-sozialsten und egomansten Berufssparte angehört. Wir konnten zu keinem Ergebnis kommen...
Schöne Grüße,
Petra
Liebe Petra,
AntwortenLöschenich vermute, es wäre auch zu keinem Ergebnis gekommen, wenn an dem Tisch noch ein Börsenmakler und ein Anwalt gesessen hätten.
Ein Elektriker oder ein KFZ-Mechaniker hätte allerdings eine eindeutige Zuordnung gefunden. ;)
Gruß Heinrich
Ja, das mit den Projekten töten ist interessant. Ich meine, ho ho, nicht, dass ich nun schon soooo viele davon abgewickelt hätte (*räusper*), aber angefangen ;-) Das Phänomen kenne ich also sehr wohl aus eigener Anschauung. Ein Projekt z.B. habe ich ganz schnell totgeritten, weil ich sofort losgelaufen bin und es allen erzählt habe. Totaler Rohrkrepierer nach nicht einmal einem halben Jahr. Aber man lernt ja. Das aktuelle #wip war schon fast mit der Grundschule durch, als ich erstmals außerhalb der Familie darüber sprach. Und dann habe ich es trotzdem fast ersäuft, als ich vorschnell Testleser rangelassen habe. Es musste ein paar Monate rekonvaleszieren bevor es mich wieder zum Schwimmen mitgenommen hat. Wir üben weiter und ich kann nur hoffen, dass dieses Gespür sich weiter entwickelt und ausbaut.
AntwortenLöschenAndererseits: So manches Projekt wird nix, weil man nicht schnell genug das Eisen geschmiedet hat. Das schmollt dann und haut ab. Manchmal weiß man nicht, ob das nun gut war, oder nicht ;-)
"Ein Kollege formulierte das mal so: Wenn ich zu früh begeistert von einem Projekt erzählt habe, ist aus diesem Projekt nie etwas geworden."
AntwortenLöschenDas sagt nichts über den Grund des "Scheiterns" aus.
Aus eigener Erfahrung darf ich aber anmerken, dass man durchaus ein Projekt nicht weiter verfolgt, weil man zu viele unqualifizierte Meinungen darüber einholt.
Es ist immer eine Gradwanderung - muss ich über mein Projekt reden, weil ich Hilfe benötige oder rede ich darüber, weil ich eine Meinung hören möchte und warum möchte ich dann die Meinung hören? Aus Unsicherheit heraus?
Das Netz macht es einfacher Meinungen einzuholen, die sollten uns aber nicht davon abhalten unseren Weg zu gehen.
Im Grunde ist es für mich so: Höre auf dein Bauchgefühl - auch wenn es nicht angesagt ist.
PS Heinrich hat mich über seinen Blog hierher gelockt :-)
Werte Madam,
AntwortenLöschenherzlich willkommen in dieser Hütte! Die Fragen sind sehr hilfreich. Mir kommt dazu spontan der Spruch in den Sinn: "Viele Köche verderben den Brei." Gehört da nicht auch eine gehörige Portion Rückgrat dazu, auf den eigenen Bauch zu hören und sich durchzusetzen? Vor allem in Simonas Beispiel von den vielen Testlesern.
Lahme Rohrkrepierer hatte ich auch schon, Simona. Etwa einen Roman, dessen Thema mir die Politik unseres Staatspräsidenten leider ad absurdum geführt hat. Da sag ich mir aber auch: Wenn ein Projekt so aktualitätsbezogen ist und so wenig langfristig trägt, war der Exitus ein Segen. Und manchmal taugen solche Projekte ja als Kompost für spätere (nie was wegwerfen)!
Trotzdem verstehe ich das Mysterium noch nicht. Buchprojekte haben manchmal etwas von kapriziösen Lebewesen an sich. Und warum sind manche schüchterner als andere?
Ich tausche das Temperatur-d heimlich mit einem ordnungsgemäßen t - da hat mich wohl der fiese Winter hier bei uns beeinflusst ;-)
AntwortenLöschenBraucht man viel Rückgrat?
Vielleicht. Ich weiß es nicht. Es ist bei mir so, dass ich, wenn ich weiß, warum ich etwas mache, meine Arbeit verteidigen, aber auch diskutieren kann.
Ich bin ein Typ, der viel hinterfragt. Nicht um des nervens Willen, sondern um aus vielen Blickwinkeln heraus zu betrachten und dann eine Entscheidung zu treffen. Das ist dann strenggenommen kein "Bauchgefühl" mehr, aber irgendwie doch. Hach ist das kompliziert.
Bei Leseproben ist das immer so eine Sache. Was soll beurteilt werden? Und wie ehrlich möchte jemand überhaupt beurteilt werden?
Verderben also viele Köche den Brei? Nein, nur wenn man zu unsicher ist, fragt man zu viele Köche, die u. U. nur in einer Pommesbude arbeiten :-)
Das trifft es genau, denke ich!
AntwortenLöschenPS Heinrich hat mich über seinen Blog hierher gelockt :-)
AntwortenLöschenDanke Madam, dass Sie meine Arbeit würdigen! Ich bin weder Koch, noch arbeite ich an einer Pommesbude.
Ich bin nicht einmal Gourmet, futtere fast alles, bin aber auch kein Kostverächter, wenn mir Gutes angeboten wird und komme auf den Geschmack.
Ich ziehe durch die Blogs der AutorInnen und gebe Feedback aus Sicht eines Lesers. Vielleicht ist die Summe der Kommentare von Fachleuten, KollegInnen und Unwissenden das Rezept mit vielen Zutaten für ein Amuse-Gueule oder eine Beilage, auch wenn der Hauptgang des Menüs vom Chefkoch schon festgelegt ist.
Gruß Heinrich
Die Kommentare selbsternannter "Unwissender", lieber Heinrich, sind oft viel spannender und hilfreicher als die von sogenannten "Fachleuten"!
AntwortenLöschenUnsereins kann nämlich auch verdammt betriebsblind sein.
Schöne Grüße,
Petra
Ich habe auch schon Projekte verschreckt, weil ich zu früh - und zu viel - darüber geredet habe. Aber viel eher, weil ich vorschnell war. Dazu muss man sagen, dass ich hauptsächlich im Bereich der Fanfiction unterwegs bin und im Internet veröffentliche. Wenn ich einen Text zu früh einstelle, kann es passieren, dass nichts mehr daraus wird. Meistens weil die Muse ihren Koffer packt und mich mit erhobenem Mittelfinger verlässt.
AntwortenLöschenAber andererseits bin ich froh, dass man sich heutzutage so problemlos mit anderen über das Schreiben austauschen kann. Denn, man lernt doch immer noch etwas dazu. Und auch so manche Idee blüht erst richtig auf, wenn man sie mit jemandem geteilt hat, gerade wenn noch Zweifel da waren.