Vorleser im Exposéformat
Normalerweise schläft ein hart arbeitender Schriftsteller zur späten Vorleserstunde das erste Mal vor dem Fernseher ein. Diesmal schlummerte ich bereits selig bei irgendeinem Krimi davor (es kommen ja immer Krimis) und wurde dann rüde geweckt. Etwas im Rhythmus der austauschbaren ZDF-Klangteppiche hatte sich merklich verändert, Stimmen erhoben sich. Blinzelnd erkannte ich einen dunklen Mann und eine helle Frau, die sogar meinen Hund geweckt hatten. Aha, Krimi-Doublenight, wahrscheinlich irgendein Killer in Manhattan, aber warum sitzen die so gemütlich und fein gestylt?
Plötzlich war ich hellwach und erkannt Ijoma Mangold und Amelie Fried in der Sendung, wegen der ich extra vor dem Fernseher sitzen geblieben war, um sie auch ja nicht zu verpassen: "Die Vorleser". Obwohl mir zu so später Stunde meine Bettlektüre oder ein Glas Wein mit Freunden näher liegen als Kultursendungen. Die beiden "stritten" also über ein Buch und das blieb mir deshalb als einziges merkfähig im Kopf: Joey Goebel, Heartland. Warum aber soll ich einen Roman kaufen, den einer mag und einer nicht mag? Geschmacksurteile kann ich wohlfeil bis zum Erbrechen bei Amazon haben. Die beeindrucken mich auch dort nicht.
Immerhin, Mangold hat ab und zu noch seinen Geschmack begründet, aber selbst dazu war die Zeit zu knapp. Dabei schafft genau das die Bindung zum Zuschauer. Erst wenn ich weiß, warum einer etwas nicht mag oder lobt, erst wenn ich erkennen kann, ob mein eigener Geschmack dem seinen entspricht oder nicht, kann ich über einen Buchkauf entscheiden. Ansonsten brauche ich andere Auslöser: Ernsthafte Literaturkritik, Faszinierendes über Autoren oder Packendes an Inhalten.
Das ist überhaupt das Grundproblem der Sendung, das war es schon bei Elke Heidenreich: Wie die Säue durchs Schlachthaus werden die Bücher durch eine viel zu kurze halbe Stunde getrieben. Hauptsache viel Schnitzel auf dem Teller. Die Moderatoren reden sich atemlos. Diesmal hatte ich den Eindruck, jemand habe die Sendungsteile mit der Stoppuhr genau abgezählt und zeigte den Moderatoren schon im Voraus die rote Karte für Sekundenverschwendung.
Dafür können die Moderatoren nichts, das ist der Fehler des ZDF. Dort sollte man konsequenter mit der Form umgehen, die man zur Verfügung stellt. Ich schlage in Zukunft für viel Buch in wenig Zeit eine Videoclipsendung vor, dann könnte man den Profit steigern: Buchtrailer à 30 Sekunden, macht nach Adam Riese 60 abgefeierte Bücher. Sprich, man könnte die Zeit für Literatur auf eine Viertelstunde herunterkürzen. Andere Möglichkeit: Beschränkung bei den Titeln und mehr Tiefe ... Traum: Mehr Sendezeit.
Ich wollte natürlich nicht zu kritisch sein. Erste Sendung - das Lampenfieber kann ich mitfühlen. Eine verschlafene Kritikerin vor der Mattscheibe taugt auch nicht. Aber plötzlich musste ich lachen. Schallend lachen. "Die Vorleser" bewirkten bei mir einen seltsamen Effekt, dem Tante Erna nicht erliegt, weil sie zum Glück branchenfern ist. Die wird vielleicht wirklich auf die besprochenen Bücher achten und hat mit dem Einspieler über Walter Sittler so richtig was fürs Herz bekommen (nur nicht die passenden Bücher dazu). Ich jedoch sah vor meinem geistigen Auge eine auf Effektivität gebürstete Programmkonferenz, die sich anhörte wie Lektoren, die schlecht geschriebene Exposés ihrer Autoren kritisieren.
Das war wie ein Lehrfilm über Regieanweisungen in Sachen Buch-PR im Kettenhandel: "Lesernutzen, streicht den Lesernutzen heraus!" - "Wir brauchen mehr Identifikationspunkte! 90% aller Leser sind Frauen!" - "Ihr wart jetzt zwei Minuten einig, ein wenig mehr Konfliiiikt bitte! Sachte, nicht zuviel, sonst verschrecken wir Tante Erna!" - "Denken Sie an die breite Masse, wir machen keine Bücher / Sendungen für ein Nischenpublikum!" - "Leeeeesernutzen! Sagen Sie was über Emotionen! Fangen Sie die Frauen ein, die Frauen!"
Ich muss wohl deliriert haben. Für mich wirkte die Sendung einfach nur clean und so perfekt abgespult, dass sie den Charme eines Autoren-Exposés entwickelte. Das ist auch noch kein packendes Manuskript, sondern nur ein Verkaufsinstrument dafür, dass Lektoren das Manuskript überhaupt erst anfassen wollen. Auf die allzu angeordnet wirkenden Pseudo-Emotiönchen hätte ich verzichten können. Wie bitte soll ein Moderator aber in 30 Minuten echte Emotionen entwickeln und wechseln können, wenn er kein gelernter Schauspieler ist? Ach, Marcel, der konnte das noch. Sich in Rage reden, fetzen, schwärmen... (der hatte aber auch mehr Sendezeit pro Buch).
Schließlich bekam ich sogar Mitleid: Drei Bücher in drei Minuten, das klang wie Speeddating im Großverlag, wie das Termine-Abrasseln auf der Buchmesse. Die wahren Gespräche würden woanders laufen. Schade, gegen Dennis Schecks Schnellverrisse am Abfallband (ARD) blieb das blasses Abziehbild. Kein Mut zur Meinung. Klappentextartiges. Schecks Minutenverrisse kann man immerhin genüsslich wie Wein schlürfen, die gibt man sich auch als Schriftsteller wie der Masochist vom Dienst - weil mit Sprachwitz und Verve etwas schnell auf den Punkt gebracht wird. Es soll Kollegen geben, die lesen sie sogar noch einmal auf der Webseite nach und tauschen Links.
Schade um die Sendung. Hochachtung für Ijoma Mangold und Amelie Fried, die mit den verschrobenen Vorstellungen des ZDF und einem hirnrissigen Zeitkonzept zurechtkommen müssen - und gegen diese Widrigkeiten tapfer wie Don Quichote den Kampf aufgenommen haben. Sie werden sich in den folgenden Sendungen sicher routiniert einspielen. Weniger Hetze, mehr Raum für echten Inhalt, für Authentizität, wäre ihnen und dem Publikum zu wünschen. Und ich wage kaum zu wünschen: Mehr Leidenschaft. Bücherliebhaber sind keine Fische.
Vielleicht jedoch haben die Vorstellungen des Senders Tante Erna nach später Krimistunde wirklich angesprochen und all die anderen, die krank, einsam oder bettlägerig die Nacht auf Samstag daheim verbringen. Ich bin ganz offensichtlich nicht das Zielpublikum, aber ich beziehe meine Lektüretipps auch schon lange nicht mehr aus der Glotze.
PS: Manche Kritiken lesen sich vergnüglicher, als es die Sendung war, z.B. in "Der Westen". Deren Hinweis zum Schluss konsequent zu Ende gedacht: Was wäre, wenn Amelie Fried mit Markus Lanz beim Kochen über Bücher sprechen würde? Dann könnten vielleicht Ijoma Mangold und Thea Dorn ...?
Plötzlich war ich hellwach und erkannt Ijoma Mangold und Amelie Fried in der Sendung, wegen der ich extra vor dem Fernseher sitzen geblieben war, um sie auch ja nicht zu verpassen: "Die Vorleser". Obwohl mir zu so später Stunde meine Bettlektüre oder ein Glas Wein mit Freunden näher liegen als Kultursendungen. Die beiden "stritten" also über ein Buch und das blieb mir deshalb als einziges merkfähig im Kopf: Joey Goebel, Heartland. Warum aber soll ich einen Roman kaufen, den einer mag und einer nicht mag? Geschmacksurteile kann ich wohlfeil bis zum Erbrechen bei Amazon haben. Die beeindrucken mich auch dort nicht.
Immerhin, Mangold hat ab und zu noch seinen Geschmack begründet, aber selbst dazu war die Zeit zu knapp. Dabei schafft genau das die Bindung zum Zuschauer. Erst wenn ich weiß, warum einer etwas nicht mag oder lobt, erst wenn ich erkennen kann, ob mein eigener Geschmack dem seinen entspricht oder nicht, kann ich über einen Buchkauf entscheiden. Ansonsten brauche ich andere Auslöser: Ernsthafte Literaturkritik, Faszinierendes über Autoren oder Packendes an Inhalten.
Das ist überhaupt das Grundproblem der Sendung, das war es schon bei Elke Heidenreich: Wie die Säue durchs Schlachthaus werden die Bücher durch eine viel zu kurze halbe Stunde getrieben. Hauptsache viel Schnitzel auf dem Teller. Die Moderatoren reden sich atemlos. Diesmal hatte ich den Eindruck, jemand habe die Sendungsteile mit der Stoppuhr genau abgezählt und zeigte den Moderatoren schon im Voraus die rote Karte für Sekundenverschwendung.
Dafür können die Moderatoren nichts, das ist der Fehler des ZDF. Dort sollte man konsequenter mit der Form umgehen, die man zur Verfügung stellt. Ich schlage in Zukunft für viel Buch in wenig Zeit eine Videoclipsendung vor, dann könnte man den Profit steigern: Buchtrailer à 30 Sekunden, macht nach Adam Riese 60 abgefeierte Bücher. Sprich, man könnte die Zeit für Literatur auf eine Viertelstunde herunterkürzen. Andere Möglichkeit: Beschränkung bei den Titeln und mehr Tiefe ... Traum: Mehr Sendezeit.
Ich wollte natürlich nicht zu kritisch sein. Erste Sendung - das Lampenfieber kann ich mitfühlen. Eine verschlafene Kritikerin vor der Mattscheibe taugt auch nicht. Aber plötzlich musste ich lachen. Schallend lachen. "Die Vorleser" bewirkten bei mir einen seltsamen Effekt, dem Tante Erna nicht erliegt, weil sie zum Glück branchenfern ist. Die wird vielleicht wirklich auf die besprochenen Bücher achten und hat mit dem Einspieler über Walter Sittler so richtig was fürs Herz bekommen (nur nicht die passenden Bücher dazu). Ich jedoch sah vor meinem geistigen Auge eine auf Effektivität gebürstete Programmkonferenz, die sich anhörte wie Lektoren, die schlecht geschriebene Exposés ihrer Autoren kritisieren.
Das war wie ein Lehrfilm über Regieanweisungen in Sachen Buch-PR im Kettenhandel: "Lesernutzen, streicht den Lesernutzen heraus!" - "Wir brauchen mehr Identifikationspunkte! 90% aller Leser sind Frauen!" - "Ihr wart jetzt zwei Minuten einig, ein wenig mehr Konfliiiikt bitte! Sachte, nicht zuviel, sonst verschrecken wir Tante Erna!" - "Denken Sie an die breite Masse, wir machen keine Bücher / Sendungen für ein Nischenpublikum!" - "Leeeeesernutzen! Sagen Sie was über Emotionen! Fangen Sie die Frauen ein, die Frauen!"
Ich muss wohl deliriert haben. Für mich wirkte die Sendung einfach nur clean und so perfekt abgespult, dass sie den Charme eines Autoren-Exposés entwickelte. Das ist auch noch kein packendes Manuskript, sondern nur ein Verkaufsinstrument dafür, dass Lektoren das Manuskript überhaupt erst anfassen wollen. Auf die allzu angeordnet wirkenden Pseudo-Emotiönchen hätte ich verzichten können. Wie bitte soll ein Moderator aber in 30 Minuten echte Emotionen entwickeln und wechseln können, wenn er kein gelernter Schauspieler ist? Ach, Marcel, der konnte das noch. Sich in Rage reden, fetzen, schwärmen... (der hatte aber auch mehr Sendezeit pro Buch).
Schließlich bekam ich sogar Mitleid: Drei Bücher in drei Minuten, das klang wie Speeddating im Großverlag, wie das Termine-Abrasseln auf der Buchmesse. Die wahren Gespräche würden woanders laufen. Schade, gegen Dennis Schecks Schnellverrisse am Abfallband (ARD) blieb das blasses Abziehbild. Kein Mut zur Meinung. Klappentextartiges. Schecks Minutenverrisse kann man immerhin genüsslich wie Wein schlürfen, die gibt man sich auch als Schriftsteller wie der Masochist vom Dienst - weil mit Sprachwitz und Verve etwas schnell auf den Punkt gebracht wird. Es soll Kollegen geben, die lesen sie sogar noch einmal auf der Webseite nach und tauschen Links.
Schade um die Sendung. Hochachtung für Ijoma Mangold und Amelie Fried, die mit den verschrobenen Vorstellungen des ZDF und einem hirnrissigen Zeitkonzept zurechtkommen müssen - und gegen diese Widrigkeiten tapfer wie Don Quichote den Kampf aufgenommen haben. Sie werden sich in den folgenden Sendungen sicher routiniert einspielen. Weniger Hetze, mehr Raum für echten Inhalt, für Authentizität, wäre ihnen und dem Publikum zu wünschen. Und ich wage kaum zu wünschen: Mehr Leidenschaft. Bücherliebhaber sind keine Fische.
Vielleicht jedoch haben die Vorstellungen des Senders Tante Erna nach später Krimistunde wirklich angesprochen und all die anderen, die krank, einsam oder bettlägerig die Nacht auf Samstag daheim verbringen. Ich bin ganz offensichtlich nicht das Zielpublikum, aber ich beziehe meine Lektüretipps auch schon lange nicht mehr aus der Glotze.
PS: Manche Kritiken lesen sich vergnüglicher, als es die Sendung war, z.B. in "Der Westen". Deren Hinweis zum Schluss konsequent zu Ende gedacht: Was wäre, wenn Amelie Fried mit Markus Lanz beim Kochen über Bücher sprechen würde? Dann könnten vielleicht Ijoma Mangold und Thea Dorn ...?
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