Märchen vom Kartoffelknecht
Die raue Wirklichkeit
Zugegeben, ich liebäugle auch damit. Ich besitze wieder die vollen Rechte an einem über 200seitigen geistigen Eigentum und könnte damit anstellen, wovon andere nur reden. Ach, einmal den hypermoderntrendangesagtmarketingwahnsinns Coup landen!
Klaus Wrede vom Fachverlag Symposion meint im Börsenblatt:
"Man sollte jede gängige Verbreitungsform nicht nur dulden, sondern möglichst legalisieren und fördern. Diese Lösung klingt radikal, ist aber marktkonform."
Kostenloses Kopieren und legalisierte Piraterie schließt er ein. Hauptsache marktkonform.
Das Märchen
Nennen wir unsere Musterautorin Gina Grumbier. Sie hat einen Roman über Kartoffeln geschrieben. Und in einem herkömmlichen Verlag veröffentlicht, der noch mit Papier und Pappdeckeln arbeitet. Werbeabteilung und Pressestelle nutzen zwar bereits Emails, bedienen aber hauptsächlich Adressaten, die - wie wir dank Herrn Burda nun wissen - womöglich aussterben könnten. Nun kommt nach Jahren der Verlag und sagt dankend, sie hätten keine Kapazitäten für Pausenfüller frei und eher ein Nudel- und Reispublikum, ob die Autorin sie nicht von ihren Lagerkosten im ohnehin hoffnungslos überfüllten Nahrungsmittelregal befreien wolle. Da habe einst einer ein wenig wirr eingekauft, nun müsse man mit der Zeit gehen.
Schön war's gewesen, das Gefühl mit dem Buch, aber wir auf dem Land wissen ja, der Großmarkt dreht immer schneller, Klimakatastrophe trifft Krise: den Kollegen gammeln die Kartoffeln in immer kürzeren Jahreszeiten weg. Und jetzt kommen diejenigen, die einst Kartoffeln zu hegen versprachen, die sich als Schnitt- und Vermittlungsstelle zwischen Schöpfer und Esser verstanden und sagen: Ätschbätsch, reingefallen, wir sind doch nur marktkonforme Rechtezocker, ihr müsst das verstehen, neoliberaler Kapitalismus, uns interessiert schon lange nicht mehr, wie eure Kartoffeln unter der Schale aussehen.
Gina Grumbier schaut sich überrascht um und bemerkt, dass es längst Kartoffelbanken und Kartoffelbörsen gibt, auf die sie selbst keinerlei Einfluss mehr hat. Sie hält nämlich, das zeigt ihr der eigene Banker bei jedem Besuch deutlich, als Künstlerin nur die Bad Bank.
Wie bin ich da nur hineingeraten, wie komme ich wieder heraus, fragt sich die Schöpferin vom Land. Und da fällt ihr auf, dass sie all das beherrscht und praktiziert, wovon Verlage und Fachleute nur reden: PR-Wissen, Medienkompetenz, Social Web, Vernetzung. Ha, denkt sich Autorin Grumbier, das kann ich doch auch als unterbezahlter Mensch, schließlich wird im Internet alles verschenkt!
Autorin Grumbier motzt ihre alte Kartoffel digital auf, baut Gimmicks ein, die noch nicht einmal Amazon in seinen milliardenschwersten Alpträumen angedacht hat - und macht sich fröhlich ans Verschenken. Ist ja ihr geistiges Eigentum, sie darf das. Digitale Kartoffelfreuden völlig umsonst, Piraterie völlig legalisiert, weil ohnehin jeder kopiert. Gina Grumbier geht noch weiter: Via Social Web lanciert sie eine Aktion, bei der zum hemmungslosen Gebrauch ihres einstigen geistigen Eigentums aufgerufen wird. Eine Kiste mit Belegexemplaren eines anderen Buchs, noch aus Papier, verlost sie für die dreistesten Ideen der Umverteilung.
In den Medien klopft sie markige Sprüche und redet eine Menge Purée. Von radikalen, marktkonformen Autoren, die endlich gelernt hätten, worauf es in einer freien, durch und durch digitalisierten und demokratisierten Welt ankomme. Nämlich nicht mehr auf die Verlage, die einem Verschenksegen doch ohnehin nur im Wege stünden, die nicht reif seien fürs Social Web, die ohnehin nur für wenige ausgewählte Spitzentitel Werbung 1.0 initiierten. Gina Grumbier holt mit ihrem Kartoffelstampfer zum Kahlschlag aus. Das Feuilleton und die Medien, für Skandale und Kulturkampf immer zu haben, liegen ihr zu Füßen. Inzwischen wird ihr Kartoffelroman auf den Caiman Islands raubkopiert und in Nordkorea gegen Waffen getauscht.
Dies wäre kein Märchen, wenn es kein Happy End gäbe. Die Kartoffelschöpfer gründeten nämlich eine ländliche Kooperative. In ihren heruntergekommenen Bauernhosen saßen sie im Rechenzentrum und überschwemmten die Welt mit unermesslichen Textmengen, kostenlos. Ehemalige Piraten halfen ihnen, edle, wertige Plattformen von internationalem Renommé zu schaffen. Hacker sorgten dafür, dass zu jedem gekauften e-book kostenlos hundert weitere auf das Lesegerät gesaugt wurden. Unter ihren Butlern und Dienstmädchen konnte man den ein oder anderen ehemaligen Verleger entdecken.
"So", sagte Gina Grumbier, "jetzt sind alle übersättigt. Jetzt gieren die Fresser nach Nouvelle Cuisine, nach dem kostbaren, edlen Nichts auf feinem Porzellan. Nach aufgeschäumten Winzigkeiten von Wortsalaten. Es ist so weit, Freunde."
Und alle Autorinnen und Autoren stellten plötzlich das Texten ein. Sie schrieben keine Romane mehr und keine Sachbücher und verprassten das Geld, das sie mit Partnerprogrammen und Werbeeinschaltungen verdient hatten. Irgendwann, das wussten sie, würde der Hunger da draußen die Bittsteller auf Knien zu ihnen treiben. Ihr letztes Geld würden die Esser geben für einen Text, einen winzigen nahrhaften Text...
Zugegeben, ich liebäugle auch damit. Ich besitze wieder die vollen Rechte an einem über 200seitigen geistigen Eigentum und könnte damit anstellen, wovon andere nur reden. Ach, einmal den hypermoderntrendangesagtmarketingwahnsinns Coup landen!
Klaus Wrede vom Fachverlag Symposion meint im Börsenblatt:
"Man sollte jede gängige Verbreitungsform nicht nur dulden, sondern möglichst legalisieren und fördern. Diese Lösung klingt radikal, ist aber marktkonform."
Kostenloses Kopieren und legalisierte Piraterie schließt er ein. Hauptsache marktkonform.
Das Märchen
Nennen wir unsere Musterautorin Gina Grumbier. Sie hat einen Roman über Kartoffeln geschrieben. Und in einem herkömmlichen Verlag veröffentlicht, der noch mit Papier und Pappdeckeln arbeitet. Werbeabteilung und Pressestelle nutzen zwar bereits Emails, bedienen aber hauptsächlich Adressaten, die - wie wir dank Herrn Burda nun wissen - womöglich aussterben könnten. Nun kommt nach Jahren der Verlag und sagt dankend, sie hätten keine Kapazitäten für Pausenfüller frei und eher ein Nudel- und Reispublikum, ob die Autorin sie nicht von ihren Lagerkosten im ohnehin hoffnungslos überfüllten Nahrungsmittelregal befreien wolle. Da habe einst einer ein wenig wirr eingekauft, nun müsse man mit der Zeit gehen.
Schön war's gewesen, das Gefühl mit dem Buch, aber wir auf dem Land wissen ja, der Großmarkt dreht immer schneller, Klimakatastrophe trifft Krise: den Kollegen gammeln die Kartoffeln in immer kürzeren Jahreszeiten weg. Und jetzt kommen diejenigen, die einst Kartoffeln zu hegen versprachen, die sich als Schnitt- und Vermittlungsstelle zwischen Schöpfer und Esser verstanden und sagen: Ätschbätsch, reingefallen, wir sind doch nur marktkonforme Rechtezocker, ihr müsst das verstehen, neoliberaler Kapitalismus, uns interessiert schon lange nicht mehr, wie eure Kartoffeln unter der Schale aussehen.
Gina Grumbier schaut sich überrascht um und bemerkt, dass es längst Kartoffelbanken und Kartoffelbörsen gibt, auf die sie selbst keinerlei Einfluss mehr hat. Sie hält nämlich, das zeigt ihr der eigene Banker bei jedem Besuch deutlich, als Künstlerin nur die Bad Bank.
Wie bin ich da nur hineingeraten, wie komme ich wieder heraus, fragt sich die Schöpferin vom Land. Und da fällt ihr auf, dass sie all das beherrscht und praktiziert, wovon Verlage und Fachleute nur reden: PR-Wissen, Medienkompetenz, Social Web, Vernetzung. Ha, denkt sich Autorin Grumbier, das kann ich doch auch als unterbezahlter Mensch, schließlich wird im Internet alles verschenkt!
Autorin Grumbier motzt ihre alte Kartoffel digital auf, baut Gimmicks ein, die noch nicht einmal Amazon in seinen milliardenschwersten Alpträumen angedacht hat - und macht sich fröhlich ans Verschenken. Ist ja ihr geistiges Eigentum, sie darf das. Digitale Kartoffelfreuden völlig umsonst, Piraterie völlig legalisiert, weil ohnehin jeder kopiert. Gina Grumbier geht noch weiter: Via Social Web lanciert sie eine Aktion, bei der zum hemmungslosen Gebrauch ihres einstigen geistigen Eigentums aufgerufen wird. Eine Kiste mit Belegexemplaren eines anderen Buchs, noch aus Papier, verlost sie für die dreistesten Ideen der Umverteilung.
In den Medien klopft sie markige Sprüche und redet eine Menge Purée. Von radikalen, marktkonformen Autoren, die endlich gelernt hätten, worauf es in einer freien, durch und durch digitalisierten und demokratisierten Welt ankomme. Nämlich nicht mehr auf die Verlage, die einem Verschenksegen doch ohnehin nur im Wege stünden, die nicht reif seien fürs Social Web, die ohnehin nur für wenige ausgewählte Spitzentitel Werbung 1.0 initiierten. Gina Grumbier holt mit ihrem Kartoffelstampfer zum Kahlschlag aus. Das Feuilleton und die Medien, für Skandale und Kulturkampf immer zu haben, liegen ihr zu Füßen. Inzwischen wird ihr Kartoffelroman auf den Caiman Islands raubkopiert und in Nordkorea gegen Waffen getauscht.
Dies wäre kein Märchen, wenn es kein Happy End gäbe. Die Kartoffelschöpfer gründeten nämlich eine ländliche Kooperative. In ihren heruntergekommenen Bauernhosen saßen sie im Rechenzentrum und überschwemmten die Welt mit unermesslichen Textmengen, kostenlos. Ehemalige Piraten halfen ihnen, edle, wertige Plattformen von internationalem Renommé zu schaffen. Hacker sorgten dafür, dass zu jedem gekauften e-book kostenlos hundert weitere auf das Lesegerät gesaugt wurden. Unter ihren Butlern und Dienstmädchen konnte man den ein oder anderen ehemaligen Verleger entdecken.
"So", sagte Gina Grumbier, "jetzt sind alle übersättigt. Jetzt gieren die Fresser nach Nouvelle Cuisine, nach dem kostbaren, edlen Nichts auf feinem Porzellan. Nach aufgeschäumten Winzigkeiten von Wortsalaten. Es ist so weit, Freunde."
Und alle Autorinnen und Autoren stellten plötzlich das Texten ein. Sie schrieben keine Romane mehr und keine Sachbücher und verprassten das Geld, das sie mit Partnerprogrammen und Werbeeinschaltungen verdient hatten. Irgendwann, das wussten sie, würde der Hunger da draußen die Bittsteller auf Knien zu ihnen treiben. Ihr letztes Geld würden die Esser geben für einen Text, einen winzigen nahrhaften Text...
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