Euphrodisiakum

Schreiben ist das schönste Euphrodisiakum der Welt! Eigentlich sollte ich in Abgabepanik verfallen, denn bis 15.8. muss mein Hörbuch fertig sein und bisher steht nur die Hälfte - rein an Seiten gezählt. Stattdessen sagt mir mein kleiner Finger, dass sich Dinge im Manuskript runden, die ich nicht für möglich gehalten hätte. Denn meine größte Angst war, als ich unbeabsichtigt und zufällig ins hundertjährige Jubiläum der Ballets Russes fiel: Da schreiben doch alle anderen auch drüber und so viele, die mehr wissen als ich?

Kapitel 2 (von 4) war die schlimmste Herausforderung. Nur tendenziöses Material vorhanden, in allen Extremen, kaum objektive Aussagen. Daraus musste ich ein Bild herausschälen, das jenseits aller Aufgeregtheiten denkbar gewesen sein könnte. Irgendwie brachte mich mein kleiner Finger fast vom Thema ab, denn der hatte eine Parallele gefunden, die nicht hätte sein dürfen. Nun passiert das öfter, dass sich Künstler einer Zeit gegenseitig befruchten, ohne sich persönlich zu kennen - oder dass an verschiedenen Orten der Erde die gleiche Idee aufkeimt, weil die Zeit einfach reif ist.

Ich habe unwahrscheinlich viel recherchiert, sogar eine Wissenschaftlerin angesprochen auf Originalmaterial. Das ist leider noch nicht erfasst und so wird es noch Jahre dauern, bis man damit arbeiten kann. Da ich mir jedoch keins dieser Bücher leisten kann, an dem man zehn Jahre schreibt, nur um irgendwelche Entdeckermeriten zu kassieren, schraubte ich einen Gang zurück in - nennen wir es mal "begleitende Bilder". Ich habe aber nicht aufgegeben und nebenher weiter recherchiert. Doch die Verbindung zwischen X und Y, die so schön hätte sein können, war nicht zu finden. Dann hatte ich das Kapitel schon abgeschlossen und stieß im Internet auf einen einzigen winzigen Satz über eine unwichtige Nebenfigur, der mich wieder in eben jene Stadt führte.

Die Spur von dort aus warf mich fast um. Meine Theorie war im Prinzip gar nicht so übel gewesen. Ich hatte sie nur falsch herum vermutet. In der umgekehrten Richtung gesucht. Es gab keine beweisbare Verbindung von X zu Y, aber sehr wohl eine belegte, wichtige von Y zu X!
Ich denke, mit dieser kleinen Sensation habe ich das schwierigste und aufwändigste Kapitel schön rund und "anders" bekommen. Selbst wenn in diesem Jahr noch zehn Ballets-Russes-Bücher erscheinen sollten - das wird keiner haben, da bin ich mir sicher!

Jetzt kommt ein schön zu schreibendes Kapitel, in dem es sehr viel um Kunst geht, um Avantgarde. Ein Terrain, auf dem ich mich zu Hause fühle, weil ich jede Menge Altbekannte treffe. Trotzdem saß ich heute erst einmal ein wenig belämmert da, weil ich mir in meinem Plan unerklärlicherweise "Petruschka" von Strawinsky als Musik dazu aufgeschrieben hatte (nach Gefühl: "Klingt, wie sich das Kapitel anfühlt"). Wie bitte sollte ich von diesem bunten, volkstümlichen Ballett den Schlenker zur Avantgarde hinbekommen?

Ich schaue meine Notizen zur Materialsammlung an, die aus jener halb unbewussten, wilden Sammelphase stammt. Sehe einen Pfeil und "rech", mein persönliches Zeichen dafür, dass ich das noch eruieren muss. Schlage im Internet nach, falle bald um, weil ich bei youtube sofort das Original von 1924 sehen kann (Teil 1 / Teil 2)

Wie ich jetzt weiter vorgehe? Ich höre mir immer wieder Petruschka an. Schaue mir das Video an. Dann trinke ich einen Espresso - und ich weiß jetzt schon, es wird mir die ganz besondere Verbindung und Linie einfallen, die ich für mein Material brauche. Auch wenn Léger wahrscheinlich in meinem Buch nicht vorkommen wird und seinen Film lange nach Nijinskys Wegtauchen gedreht hat. Aber auf diese Weise finde ich meinen eigenen Einstieg und kann endlich vorwärtsschreiben.

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