Nischenchancen
In meinem kritischen Twitter-Selbstversuch bin ich auf ein interessantes Phänomen gestoßen: Es twittern dort ja auch schon Verlage, was einem praktische Einblicke ins Programm gibt - ideal für Emigranten wie mich. Und natürlich interessieren mich genau die Verlage nicht, die mir in Kettenbuchhandlungen mit riesigen Stapeln sowieso entgegen springen und mittlerweile so aggressiv und laut werben, dass die Stimmen der kleineren untergehen.
Jetzt stoße ich dort auf einen Verlag, von dem ich noch nie in meinem Leben gehört habe. Mit richtig feinen, interessanten, liebevoll gemachten Büchern. Warum sind die bisher an mir vorbeigegangen? Warum habe ich sie nie wahrgenommen? Ganz einfach- Bücher, die man nirgends sieht, kauft man allenfalls auf persönliche, ziemlich eindringliche Empfehlung. Oder weil man bei einer Recherche darauf stößt, das Thema dringend braucht. Und genau diese Wahrnehmung ist in ihrer Breite in Deutschland inzwischen extrem gestört.
Die großen Buchhandelsketten listen Bücher kleinerer Verlage nicht. Wer keinen Vertriebsverbund mit einem "Großen" eingehen kann, bleibt draußen. Es ist, als hätte es diese Bücher, diesen Verlag nie gegeben. Und die engagierten, eigentümergeführten Buchhandlungen sind in manchen Städten und Regionen fast schon Luxus. Ihre persönlichen Empfehlungen sind Gold wert, aber auch sie müssen in einer Überfülle von Angeboten nach Perlen fischen.
Perlentauchen anno dazumal
Bleibt - als Verteiler Nr. 1 im literarischen Bereich - das Feuilleton. Als ich Mitte der Achtziger im Feuilleton zu arbeiten begann, waren die Redakteure einer jeden Zeitung stolz darauf, unentdeckte Perlen, herausragende "andere" Bücher und Nischenverlage zu entdecken. Das, was ohnehin in den Buchhandlungen lag, schoben wir gern in andere Ressorts ab, wo es ohnehin besser passte. Kochbücher in die Kochecke, Historische Romane zum passenden Artikel über die Zeit im Sonntagsmagazin, Liebesromane auf die Seite für die Frau. Wir beim Feuilleton begriffen uns als Trüffelschweine, die Preziosen fanden, wo andere nur nackte Erde vermuteten. Es gab sogar einen Wettstreit mit der Konkurrenz: Welche Nische würde man vor ihnen ausfindig machen?
Und dann kamen das journalistische Glattbügeln, der Blick auf Profit und Quote. Heute besprechen alle Feuilletons so ziemlich die gleiche Soße und jeder, wirklich jeder will dabei gewesen sein, wenn ein Bestseller - nein, nicht entdeckt - bejubelt wird, den die Werbeabteilungen der Verlage ins Haus puschen. Kleine Zeitungen schauen, was die großen besprechen und die wollen sich gegenseitig nicht nachstehen. Dann arbeitet man sich langsam an den üblichen Verdächtigen nach unten. Für das Besondere, Andere, Neue bleibt selten noch Zeit.
Der Lärm der Masse
Ich erinnere an den Littell-Effekt, der so viele wunderbare Neuerscheinungen schlicht aus den Zeitungen drängte. Denn als Littell abgefeiert war, galten die guten anderen Bücher bereits als zu alt, um sie zu besprechen. Der Feuilletonist von heute - Ausnahmen gibt es zum Glück immer noch reichlich - schmückt sich mit Namen und Erfolgen anderer. Risiko ist von der Chefetage aus nicht mehr gefragt. Nicht auszudenken, wenn man einen Flop empfehlen würde, während die Konkurrenz den Roman des Jahres ins Blatt hebt!
Also sind Independent Verlage und Nischenprodukte auch in unseren herkömmlichen Informationsmedien weitgehend unsichtbar geworden (über lustvolle Büchersendungen im Fernsehen breite ich jetzt mal den Mantel des Schweigens). Kurzum: Bücher, die man nicht anfassen kann, nicht ansehen kann, über die man nichts lesen kann, kauft man nur im Ausnahmefall. Schade, sie hätten anderes verdient. Vielfalt würde uns vielleicht auch den Überdruss nehmen, wenn wir allüberall nur immer von den gleichen Titeln hören?
Das Internet, speziell mit seiner Ausformung der Social Media, ist nun aber ein ideales Medium für die Nische, für das Besondere geworden. Die Nutzung kostet nicht viel Geld verglichen mit herkömmlichen Werbemitteln. Gut gemachte Nutzung kostet aber doch wieder Geld, weil wo-manpower und Technik, aber durch den Gedanken des Teilens und die ohnehin grassierende Selbstausbeutung von Webaktiven lässt sich manches auffangen. Dadurch bleibt das Internet in diesem Bereich aber auch frei von den Interessen Dritter, wie etwa Anzeigenkunden. Es ist außerdem ein experimenteller Raum, ein schnellebiger und damit kreativer dazu.
Lautstärkeregler
Die größte Chance aber liegt darin, dass sich im Internet alle Beteiligten auf gleicher Ebene vernetzen können. Unter Umgehung all derer, die sich weigern, ihren Blick auf bestimmte Programme zu werfen. Verlage und AutorInnen treffen LeserInnen direkt (nicht umsonst investieren dann auch die ganz Großen fleißig in Communities), aber auch unabhängige BuchhändlerInnen. Handel trifft Verbraucher trifft Erzeuger trifft Schöpfer.
Internet hat gegenüber den herkömmlichen Medien noch einen Vorteil. Was der Buchhandelskette der höchste Stapel, ist dem Feuilleton der Bestseller im Aufmacher. Gewichtungen sind eindeutig von Sowieso-Schon-Groß bis zum dazwischengequetschten Vierzeiler für den Kleinsten. Und wie wir beim Massenverkauf von Billigtiteln mit immer den gleichen Blurbs und Werbeversprechen konfrontiert werden, schaltet sich auch das Feuilleton gleich: So viele Rezensionen sind keine, so viele Redakteure drucken den Verlagswerbetext wortwörtlich oder leicht verändert ab. Die Generation Praktikum, die ohnehin kaum Zeit und Geld bekommt, kann mehr meist gar nicht mehr leisten. Die Leser hungern derweil nach Vielfalt und Rückgrat, Relevanz und Risikobereitschaft auch bei den Rezensionen - und wandern ins Internet ab.
Wer je an einem Forum teilgenommen hat, weiß, dass sich virtuell Lautstärken verschieben können. Ein zutiefst schüchterner, ruhiger Mensch kann im Internet äußerst kommunikativ und interessant erscheinen. Typen, die einfach nur immer wieder ihre gleiche Werbeleier absondern, klickt man weg, schaltet man stumm. Wenn jemand etwas zu sagen hat, liest man hin - vor allem aber kann man nach Gleichgesinnten suchen, nach den eigenen Interessensgebieten. Würde man jedem nur einen einzigen Satz zuteilen, klänge der Verlagsgigant genauso laut oder leise wie der Einmannbetrieb. Hier liegt die Chance für die Nische.
Lustvolles Eckenstehen
Wer mein Blog länger kennt, wird fragen, warum sich meine Gedanken ständig um die gleiche Sache drehen. Ganz einfach - auf der einen Seite ist das eine Art Lebensthema. Ich schreibe seit einigen Jahren selbst Bücher, die manche als "Nischenprodukte" belächeln und sehe aus eigener Anschauung, welche Chancen darin stecken und welche Irrtümer über Märkte selbst bei KollegInnen grassieren. Mein Elsassbuch, das ich zunächst für eine nette regionale Angelegenheit hielt, hat alle Erwartungen, auch die in einem Publikumsverlag möglichen, überholt. Es gab zwar sogar Rezensionen im Feuilleton, aber bekannt gemacht hat es sich auf Leserebene und durch unkonventionelle Kanäle.
Und als Journalistin habe ich mir den einstigen Faible für das Besondere, für die Blüten jenseits des Wegesrands bewahrt. Meine Entdeckerfreude und Lust, was Bücher betrifft, ist ungebrochen. Nun habe ich weder Kapital noch Leute, um eine Nischenplattform hochzuziehen. Aber auch das ist Internet: Man kann winzig beginnen, wie mit diesem Blog. Und so bringt mich Twitter auf Ideen, die noch dunkel und lose im Hinterkopf schwirren und auf Vernetzung setzen. Ich würde gern etwas für die "Nische" tun, so wie früher - sehr persönlich, sehr subjektiv, aber mit Leidenschaft.
Pläne
Wenn mein Hörbuch produziert sein wird (jetzt ist Stress pur angesagt), wenn ich im Herbst mit meinem "Brotjob" für Europa beginnen werde (Thema kulturelle Förderung von Nischenregionen) und ruhig an meinem Roman schreiben kann, will ich hier ein paar Aktionen und neue Schwerpunkte austesten. Auf der Suche nach guten, qualitativ hochwertigen Büchern, die man sonst zuwenig sieht. Vielleicht finden sich ja Vernetzungen mit Mitstreitern...
Bin gerade zufällig hier reingerutscht und hängengeblieben - eine Zufälligkeit bzw. Überraschung, die Zeitungsfeuilletons tatsächlich kaum noch bieten. Applaus und Respekt für diese Ein- und Ansicht. Beleg dafür, dass man unbeschadet das Medium wechseln kann, wenn man denn offen für die Vorzüge des Neuen ist.
AntwortenLöschenLesezeichen angelegt.
Wolfgang Lehner
Danke für das Kompliment! Ich freue mich, wenn ich da eine Nische füllen kann.
AntwortenLöschenUnbeschadet wechseln allerdings leider nur die Leser - bei einer Zeitung kann ich mir mein Brot verdienen, dieses Blog wird durch reine Selbstausbeutung geführt. Da kommt man dann nicht nur an Energiegrenzen, sondern muss auch auf aufwändige Recherchen etc. verzichten.
Ich denke aber, durch den Sharing-Aspekt kommt man auch wieder an Informationen, die früher kompliziert herbeitelefoniert werden mussten. Beide Medien haben ihre Vorzüge...
Petra van Cronenburg