Abschied von einer Gewohnheit
Ich oute mich: Früher habe ich Plots akribisch in mehreren Farben auf Millimeterpapier und Tapetenrollen entworfen. Letztere haben für eine Übersicht über die ellenlange Merowingergeschichte in meinem ersten Buch herhalten müssen. Und selbst beim "Lavendelblues" nahm ich noch alles vom Hausplan bis zu den Figuren an die Leine. Zugegeben, für ein Sachbuch zumindest kann Struktur doch recht hilfreich sein.
Seit meinem Rosenbuch spätestens lerne ich um: Bild geht vor Struktur. Es ist überraschend, wie viel man schlau daherreden kann, ohne dass sich das Gegenüber auch nur irgendetwas vorstellen kann. Und wenn das dann endlich klappt, bleibt das Gegenüber doch kühl und unbeteiligt - einfach weil der Logik Bilder fehlen. Wir sind Bildermenschen, auch bei Texten. Das Denken beginnt mit dem Bild - siehe Bilderbuch. Beim erzählenden Sachbuch spielt die innere Kamera eine sehr große Rolle.
Bei einem Hörbuch wird diese Diskrepanz noch leichter erfahrbar. Entsteht beim Hören sofort ein Bild im Kopf? Dann bin ich drin und kann folgen. Oder rauschen nur Wörterklänge an mir vorbei? Ich merke den Unterschied bei Lesungen von Sachbüchern. Vor Publikum, nur zum Hören, ist nicht jeder Text in meinem Rosenbuch lesbar. Man müsste darüber eher einen Vortrag halten oder Geschichten dazu erzählen. Die Passagen, die ich gern vorlese, haben alle eines gemeinsam: Sie schaffen innere Bilder.
Ich darf gar nicht erzählen, wie ich mein Hörbuch, das eigentlich ein erzählendes Sachbuch ist, konzipiere. Diesmal passt die Planung nämlich auf eine Briefmarke: Vier Kapitel mit vier Themen, die wiederum an vier Ballettmusiken hängen. Das war's. Alles andere in der Autorin Kopf ist schönstes Chaos, ein unübersehbares Konglomerat aus Mammutrecherchen in Büchern, Ausstellungskatalogen, Zeitungsarchiven, Filmdokumentationen.
In der ersten Phase schaufle ich Recherchematerial in mich herein wie ein Scheunendrescher, möglichst viel, möglichst schnell und möglichst ohne nachzudenken. Diese Fast-Food-Phase der Hirnüberflutung und Sinnesüberreizung dient einem hinterhältigen Zweck: Ohne ordnende Zensoren im Kopf und allgegenwärtige Logik oder Analyse bilden sich Muster und verknüpft sich scheinbar nicht Zusammengehöriges. Erst dann darf das Wachbewusstsein ran und sorgt fürs "Feintuning" und die Tiefenrecherche. Und dann schreibt die Autorin brav und ordentlich auf, was sie pro Kapitel plant.
Die Zeiten sind jetzt auch vorbei. Immerhin habe ich noch nicht den Löffel, aber doch den Griffel abgegeben. Irgendwas schreibt mich. Oder zumindest fühlt sich der Text, der mir herausfließt, nicht wie der meine an. Jeden Abend das gleiche Staunen: War das wirklich ich? Dabei war dieses Kapitel ein besonders gut geplantes. Weil ich Wahnsinnige ein Stück aus der Literatur mit einem Ballett mit Nijinskys Liebesleben mit der Beziehung zwischen Eros und Kunst ... die Leser ahnen es bereits: Das riecht nach hyperintellektueller Verschachtelung und aufreibender Hirnebenengymnastik. Kann also in linear erfahrbarem Hören nicht gut gehen.
Meine Verlegerin hörte sich das nur einmal an und sagte sofort: Da kommt kein Bild. Ähm, was, ich hatte doch so kunstvoll gehäkelt und solche schlauen Parallelen gezogen ... Aber sie hatte genau den Fehler gefunden. Also saß ich da mit dem Kapitelanfang, der nicht funktionierte und meiner Meinung nach gegen das bildreiche erste Kapitel sogar jäh abstürzte. Ich dachte mir fast einen Knoten ins Hirn, um das Problem zu lösen!
Dann überlegte ich, langsam den Analyse-Heini in mir herunterdimmend ... Wie war ich eigentlich auf all diesen Schlauschwätz gekommen? Was stand da am Anfang? Was war der Auslöser gewesen? Tja. Ein Bild, was sonst. Ein Gemälde sogar, das mich an ein Bild in einem Film erinnerte, der ein Bild aus einem Buch ... und dann war da ein Bild, das ich nicht wiederfinden konnte, ich war mir aber so sicher, es in meinem Material aufgehoben zu haben. Es war ein Bild von Nijinsky, das ich geträumt hatte.
Wer jetzt wissen will, wie ich so etwas hinkriege, den muss ich enttäuschen. Ich bin kein Hirnforscher und schon gar kein Plotratgeber. Ich habe dann einfach nur einen Tag frei gemacht. Bin in Baden-Baden beim billigen Modetand über ein Armband gestolpert, das Nijinsky nie im Leben, aber in meinem Traum im Ballett Scheherazade trug. Der Musik zu eben diesem Kapitel! Plötzlich hagelten die Bilder nur so auf mich ein. Ich fügte hier etwas hinzu und dort, trennte Kapitelgewebe auf, flocht Perlen ein und wunderte mich, wie genau man sich doch an wörtliche Zitate aus der Fast-Food-Phase erinnern kann und im Halbschlaf die richtige Seite im richtigen Buch dazu findet.
An solchen Tagen schreibe ich mich wohl in eine Art Furor - ich bin dann weg von dieser Welt und brauche einen Espresso lang, um wieder aufzutauchen. Starre auf meinen Text, liebe ihn, und denke, diese neuen Verknüpfungen und Subtexte und Bilder hätte ich vorsätzlich, analysierend, planend nie schaffen können. Diese Phase nenne ich jetzt Gourmetparadies-Phase. Es ist wie dieses Gefühl, wenn in einem Menu einfach alles stimmt, die Bedienung aufmerksam und freundlich ist und ein göttlicher Wein dazu auf dem Tisch steht - ein glückvoller Schwebezustand.
In dieser Phase mischen sich die Bücher auch in meine Träume. Heute Nacht wollte mich jemand ertränken, ich kam unter Wasser nicht los und sprühte mir aus einer Fensterputzmittelflasche "flüssigen" Sauerstoff in den Mund. Mein Hund weckte mich im letzten Moment und ich war noch lange danach völlig fertig. Da war dieses bedrängende Gefühl von völligem Stillstand, von Nichtbewegung, von einem Nichts, das entweder Ertrinken oder Auftauchen brachte. Was soll das, ich muss arbeiten, dachte ich. Weg mit dem blöden Traumsinnieren.
Ich schaltete meinen Laptop ein, klickte mich weiter im Text und blieb an einem Wort hängen: Stillstand. Und plötzlich wusste ich, warum ich mir da nachts mit Fensterputzsauerstoff die Tomaten von den Augen gerieben hatte. Ein Angelpunkt in Nijinskys Leben, Arbeiten und seinen Choreografien: Die Entwicklung aus dem Stillstand heraus. Nichthandlung als Ansatz im Theater. Der Drehpunkt für den Fortlauf des Kapitels.
Was lerne ich daraus? Ich plane nicht mehr. Ich folge den Bildern. Wenn ich künftig nicht mehr weiter weiß, schalte ich mein Hirn ab, flaniere durch Baden-Baden und schreibe Bücher mittels Armbändern, komischen Träumen und Fensterputzmittel.
Irgendwann muss ich dann meine Wohnung entrümpeln. Seit meinem Rosenbuch häufen sich erschreckend Gegenstände aller Art, die mit Rosen in Zusammenhang stehen. Jetzt kommen ein Scheherazade-Armband, ein Coupon Ballets-Russes-Samt, Ausstellungskataloge, Balletbilder, Ballets-Russes-Kerzenständer, Ballets-Russes-Feste und wer weiß was noch alles hinzu. Zum Glück hängen die bildenden Künstler, die ich erwähnen werde, schon seit Jahren an meinen Wänden.
Ich fürchte mich vor meinem nächsten Buch.
Seit meinem Rosenbuch spätestens lerne ich um: Bild geht vor Struktur. Es ist überraschend, wie viel man schlau daherreden kann, ohne dass sich das Gegenüber auch nur irgendetwas vorstellen kann. Und wenn das dann endlich klappt, bleibt das Gegenüber doch kühl und unbeteiligt - einfach weil der Logik Bilder fehlen. Wir sind Bildermenschen, auch bei Texten. Das Denken beginnt mit dem Bild - siehe Bilderbuch. Beim erzählenden Sachbuch spielt die innere Kamera eine sehr große Rolle.
Bei einem Hörbuch wird diese Diskrepanz noch leichter erfahrbar. Entsteht beim Hören sofort ein Bild im Kopf? Dann bin ich drin und kann folgen. Oder rauschen nur Wörterklänge an mir vorbei? Ich merke den Unterschied bei Lesungen von Sachbüchern. Vor Publikum, nur zum Hören, ist nicht jeder Text in meinem Rosenbuch lesbar. Man müsste darüber eher einen Vortrag halten oder Geschichten dazu erzählen. Die Passagen, die ich gern vorlese, haben alle eines gemeinsam: Sie schaffen innere Bilder.
Ich darf gar nicht erzählen, wie ich mein Hörbuch, das eigentlich ein erzählendes Sachbuch ist, konzipiere. Diesmal passt die Planung nämlich auf eine Briefmarke: Vier Kapitel mit vier Themen, die wiederum an vier Ballettmusiken hängen. Das war's. Alles andere in der Autorin Kopf ist schönstes Chaos, ein unübersehbares Konglomerat aus Mammutrecherchen in Büchern, Ausstellungskatalogen, Zeitungsarchiven, Filmdokumentationen.
In der ersten Phase schaufle ich Recherchematerial in mich herein wie ein Scheunendrescher, möglichst viel, möglichst schnell und möglichst ohne nachzudenken. Diese Fast-Food-Phase der Hirnüberflutung und Sinnesüberreizung dient einem hinterhältigen Zweck: Ohne ordnende Zensoren im Kopf und allgegenwärtige Logik oder Analyse bilden sich Muster und verknüpft sich scheinbar nicht Zusammengehöriges. Erst dann darf das Wachbewusstsein ran und sorgt fürs "Feintuning" und die Tiefenrecherche. Und dann schreibt die Autorin brav und ordentlich auf, was sie pro Kapitel plant.
Die Zeiten sind jetzt auch vorbei. Immerhin habe ich noch nicht den Löffel, aber doch den Griffel abgegeben. Irgendwas schreibt mich. Oder zumindest fühlt sich der Text, der mir herausfließt, nicht wie der meine an. Jeden Abend das gleiche Staunen: War das wirklich ich? Dabei war dieses Kapitel ein besonders gut geplantes. Weil ich Wahnsinnige ein Stück aus der Literatur mit einem Ballett mit Nijinskys Liebesleben mit der Beziehung zwischen Eros und Kunst ... die Leser ahnen es bereits: Das riecht nach hyperintellektueller Verschachtelung und aufreibender Hirnebenengymnastik. Kann also in linear erfahrbarem Hören nicht gut gehen.
Meine Verlegerin hörte sich das nur einmal an und sagte sofort: Da kommt kein Bild. Ähm, was, ich hatte doch so kunstvoll gehäkelt und solche schlauen Parallelen gezogen ... Aber sie hatte genau den Fehler gefunden. Also saß ich da mit dem Kapitelanfang, der nicht funktionierte und meiner Meinung nach gegen das bildreiche erste Kapitel sogar jäh abstürzte. Ich dachte mir fast einen Knoten ins Hirn, um das Problem zu lösen!
Dann überlegte ich, langsam den Analyse-Heini in mir herunterdimmend ... Wie war ich eigentlich auf all diesen Schlauschwätz gekommen? Was stand da am Anfang? Was war der Auslöser gewesen? Tja. Ein Bild, was sonst. Ein Gemälde sogar, das mich an ein Bild in einem Film erinnerte, der ein Bild aus einem Buch ... und dann war da ein Bild, das ich nicht wiederfinden konnte, ich war mir aber so sicher, es in meinem Material aufgehoben zu haben. Es war ein Bild von Nijinsky, das ich geträumt hatte.
Wer jetzt wissen will, wie ich so etwas hinkriege, den muss ich enttäuschen. Ich bin kein Hirnforscher und schon gar kein Plotratgeber. Ich habe dann einfach nur einen Tag frei gemacht. Bin in Baden-Baden beim billigen Modetand über ein Armband gestolpert, das Nijinsky nie im Leben, aber in meinem Traum im Ballett Scheherazade trug. Der Musik zu eben diesem Kapitel! Plötzlich hagelten die Bilder nur so auf mich ein. Ich fügte hier etwas hinzu und dort, trennte Kapitelgewebe auf, flocht Perlen ein und wunderte mich, wie genau man sich doch an wörtliche Zitate aus der Fast-Food-Phase erinnern kann und im Halbschlaf die richtige Seite im richtigen Buch dazu findet.
An solchen Tagen schreibe ich mich wohl in eine Art Furor - ich bin dann weg von dieser Welt und brauche einen Espresso lang, um wieder aufzutauchen. Starre auf meinen Text, liebe ihn, und denke, diese neuen Verknüpfungen und Subtexte und Bilder hätte ich vorsätzlich, analysierend, planend nie schaffen können. Diese Phase nenne ich jetzt Gourmetparadies-Phase. Es ist wie dieses Gefühl, wenn in einem Menu einfach alles stimmt, die Bedienung aufmerksam und freundlich ist und ein göttlicher Wein dazu auf dem Tisch steht - ein glückvoller Schwebezustand.
In dieser Phase mischen sich die Bücher auch in meine Träume. Heute Nacht wollte mich jemand ertränken, ich kam unter Wasser nicht los und sprühte mir aus einer Fensterputzmittelflasche "flüssigen" Sauerstoff in den Mund. Mein Hund weckte mich im letzten Moment und ich war noch lange danach völlig fertig. Da war dieses bedrängende Gefühl von völligem Stillstand, von Nichtbewegung, von einem Nichts, das entweder Ertrinken oder Auftauchen brachte. Was soll das, ich muss arbeiten, dachte ich. Weg mit dem blöden Traumsinnieren.
Ich schaltete meinen Laptop ein, klickte mich weiter im Text und blieb an einem Wort hängen: Stillstand. Und plötzlich wusste ich, warum ich mir da nachts mit Fensterputzsauerstoff die Tomaten von den Augen gerieben hatte. Ein Angelpunkt in Nijinskys Leben, Arbeiten und seinen Choreografien: Die Entwicklung aus dem Stillstand heraus. Nichthandlung als Ansatz im Theater. Der Drehpunkt für den Fortlauf des Kapitels.
Was lerne ich daraus? Ich plane nicht mehr. Ich folge den Bildern. Wenn ich künftig nicht mehr weiter weiß, schalte ich mein Hirn ab, flaniere durch Baden-Baden und schreibe Bücher mittels Armbändern, komischen Träumen und Fensterputzmittel.
Irgendwann muss ich dann meine Wohnung entrümpeln. Seit meinem Rosenbuch häufen sich erschreckend Gegenstände aller Art, die mit Rosen in Zusammenhang stehen. Jetzt kommen ein Scheherazade-Armband, ein Coupon Ballets-Russes-Samt, Ausstellungskataloge, Balletbilder, Ballets-Russes-Kerzenständer, Ballets-Russes-Feste und wer weiß was noch alles hinzu. Zum Glück hängen die bildenden Künstler, die ich erwähnen werde, schon seit Jahren an meinen Wänden.
Ich fürchte mich vor meinem nächsten Buch.
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