Quergelesen

Begraben wir das Neujahr endlich, auch wenn woanders erst Weihnachten gefeiert wird: Etwa mit der Neujahrsumfrage des Börsenblatts zur Zukunft des Buchs. Launig, dass nicht nur Buchleute wie Denis Scheck gefragt wurden, sondern auch die Juniorchefin von Schlecker. Trotzdem kann ich mir nicht helfen - solche Artikel kommen mir immer vor wie Selbstbestäuber der heimischen Flora. Keiner sagt wirklich etwas Neues, aber alle versichern sich, dass die Welt ihre Pole nicht über Nacht wechselt.

Irgendwie habe ich das sogar richtig dicke: Zuerst wird der Untergang des Buches bestöhnt, dann feiert man manisch bis hysterisch die digitale Zukunft und schließlich kommen Ernüchterung und Alltag geschlichen. Wenn Verkaufszahlen von Null um 250% gewachsen sind, jammern die einen, wenn sie sich dann auf einem normal niedrigen Level konsolidieren - nur weil die Gier nach ständigen 250% verlangt. Und die anderen? Die bejammern schon wieder den Untergang der Zukunft. Eine echte Zahl habe ich gefunden: Laut Bitkom wurden 2010 in Deutschland 450.000 Tablet-PCs verkauft. Der Freitag differenziert den Hype ebenfalls: Flattr flattert. Aber ist ein Nachhype schon ein kleiner Tod oder braucht Zukunft nur ein wenig Durchhalten?

Gestern hatten sie ja auch schon in manchen Blogs den Kindle totgesagt, weil Amazon kurzzeitig ein E-Book gestrichen hatte und dann die gefälschten Rezensionen löschte. Viel Lärm um nichts, denn der selbstgemachte "Bestsellerautor" hatte eine Anleitung geliefert, wie man das System von Amazon zu seinen Gunsten beeinflussen kann - und das muss sich keine Firma gefallen lassen. Über den ganzen Vorgang berichtet lesen.net. Dort kann man auch erfahren, wie irrelevant der Hype um Platzierungen und Verkaufsränge ist. Längst puschen Verlage und etablierte Autoren auf die gleiche Weise. Sie sind nur nicht so dumm, darüber Bücher zu schreiben.

Wem das alles auf den Magen schlägt, der sei in die Küche gebeten: Die Nominierungen für die Gourmand World Cookbook Awards in Deutschland stehen fest. Dreimal dürfen wir raten, warum sich darunter kein einziges E-Book befindet. Und nachdem sogar das Ritual des französischen Essens von der UNESCO unter Schutz gestellt worden ist, wird das Abendland zumindest in der Küche überleben.

Trotzdem sind es mal wieder die als genussfreudig berühmt-berüchtigten Franzosen, denen seit einiger Zeit vieles gar nicht mehr schmecken will. Ein agiler Herr von 93 Jahren schmeckt auch der Regierung nicht: Stéphane Hessels Manifest "Indignez-vous!" ("Empört euch!") geht als Bestseller raketenartig ab. Der lebenserfahrene Intellektuelle ruft zu Zivilcourage und friedlichem Protest auf, zur Teilnahme an politischen Prozessen und Einmischung der Bürger gegen Missstände. Damit trifft er einen Nerv der Zeit, zehn Länder wollen das Buch bereits übersetzen.

Es ist also noch einiges machbar an Zukunft. Und erdacht wird es wo? In Büchern...
Dabei lohnt sich ein Blick auf die Vergangenheit durchaus. Es gibt da ein Buch, das an die 17 Millionen Euro einbrachte und nach 823 Jahren immer noch lesbar ist. Ob wir je wieder so haltbare Preziosen mit Publikumswirkung nach Hunderten von Jahren schaffen?

2 Kommentare:

  1. Ihr Quergelesen finde ich cool ;)

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  2. Freut mich! Ich frag mich manchmal, ob dieser "alte Aufwasch" von Artikeln nicht unendlich langweilig ist, weil es solche Zusammenstellungen ja bis zum Erbrechen im Web gibt ;-)

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