Pool oder Prekariat?

Ich muss sicher nicht das Klischee neu aufwärmen, mit dem Buchautoren öfter von Laien konfrontiert werden: Demnach sitzen wir den ganzen Tag am eigenen Pool vor der eigenen Villa und kippen uns harte Cocktails hinter die Binde, um in lauer Sommernacht endlich für ein Stündchen inspiriert schreiben zu können. Wer nachschaut, welcher Prozentsatz, pardon, Promillesatz von Schriftstellern wirklich erfolgreich wird und zu den Gutverdienern zählt, wird schnell eines Besseren belehrt. Dem Großteil der Buchautoren geht es wie vielen freien Künstlern und Kreativen (die nicht für Agenturen / Firmen arbeiten) auch: Die Verdienstspannen liegen etwa auf Prekariatsebene.

Auf Susannes "Sonnenseite" habe ich den Hinweis auf Anne Köhlers Buch "Nichts werden macht auch viel Arbeit" (Dumont) entdeckt und das Interview, das die Autorin SpOn gab. Anne Köhler lebt ein Leben, das dem vieler Künstler ähneln dürfte: Sie jobbt verzweifelt herum, um sich ihre Kunst finanzieren zu können. Und sie hat sich für dieses harte Leben vorsätzlich entschieden. Auch mich erschrecken die Kommentare bei SpOn - auf Verständnis können Künstler in der "normalen" Bevölkerung offensichtlich nicht unbedingt hoffen.

Zunächst war ich angetan von Anne Köhlers Plänen, weil sie den meinen irgendwie zu ähneln scheinen. Als Freiberuflerin jongliere auch ich mit unregelmäßigen Aufträgen und unterschiedlichen Tätigkeiten. Die Lohnentwicklung der letzten Jahre zwingt mich, nun drei statt zwei Berufe auszuüben, um mit mehr Arbeit auf das gleiche Einkommen wie früher zu kommen. Und das, obwohl ich einmal gut allein von vier Büchern leben konnte. Gleichzeitig gelingt es mir trotzdem nicht immer, mit den deutschen Honoraren auf den französischen Mindestlohn zu kommen - das war einmal genau umgekehrt. In schlechteren Zeiten lebe ich deutlich unter der Armutsgrenze, der französische Staat subventioniert dann weniger eine "faule" Künstlerin, sondern das, was Auftraggeber zu zahlen nicht mehr bereit sind. Ich bin mir bewusst, dass solch ein "Multijobbing"-Leben immer mehr Menschen in vielen anderen Berufen trifft und Freiberufler in den Anfangszeiten oft gar nicht anders können. Trotzdem möchte ich das Problem allein unter dem Gesichtspunkt "Schreiben" beleuchten - und natürlich dabei die wenigen Berühmten ausklammern.

Mich erschreckt nämlich, was ich auf den Websites vor allem junger Menschen immer häufiger lese: "Ich bin Autorin und habe meinen Beruf aufgegeben, um mich ganz meinem ersten Buch widmen zu können." - "Ich bin Schriftsteller und arbeite an einem Roman. Um mich voll entfalten zu können, habe ich meine Stellung gekündigt und einen Gelegenheitsjob angenommen." Erschreckend sind solche symptomatischen Aussagen vor allem deshalb, weil die meisten dieser selbsternannten Autoren sich als solche noch nie bewiesen oder nur wenige Nicht-Bestseller veröffentlicht haben.

Natürlich hat jeder das Recht zu leben, wie er will. Auch die Ansprüche in Sachen Lebensstandard sind individuell verschieden. Natürlich kann man sich von Mama, Papa, Partner oder Erbonkel finanzieren lassen, man kann Stipendien oder Preise gewinnen. Aber ich will es ganz deutlich sagen: Vom Veröffentlichen einiger Bücher allein kann niemand leben. Und wenn er es kann, muss er ständig damit rechnen, irgendwann vielleicht völlig abzustürzen.

Als ich ins Buchgeschäft einstieg, gab es die Faustformel, dass man bei etwa sieben laufenden Büchern keinen Zusatzberuf mehr bräuchte. Bei guten Vorschüssen und schnellem Durchsatz konnte man das sogar toppen. Doch heute hat diese Gleichung neue Unbekannte: Sehr viel längere Wartefristen (auch mit Agentur) und Leerzeiten - sinkende Vorschüsse - allgemein sinkende Auflagenzahlen auch in Publikumsverlagen - kürzere Verramschungsfristen. Die Arbeit an einem Buch bleibt diesselbe - der Nettogewinn ist in den vergangenen Jahren eher gesunken. Der Großteil der Autoren ist also gezwungen, sich irgendwo anders Geld zu verdienen.

Wohl dem, der einen sogenannten "Brotberuf" erlernt hat, der ein halbwegs normales Leben ermöglicht und eine Altersversorgung sichert. Jedem jungen Menschen, der begabt ist und Bücher schreiben will, möchte ich aus eigener Erfahrung inständig raten, nicht wegen eines unsicheren Traums auf eine fundierte Ausbildung und einen Beruf zu verzichten. Nie und nimmer würde ich im Stadium unfertiger Manuskripte oder laufender Verlagsbewerbungen einen guten Job hinwerfen. Das sind Milchmädchenrechnungen, Illusionen. Was wird nach der Ernüchterung, wenn nach anderthalb Jahren auch der 30. Verlag abgesagt hat? Viele erfolgreiche Schriftsteller haben solche Durststrecken hinter sich.

An Anne Köhlers Wahl, die sich als Kellnerin, Köchin oder Bürodame durchschlug, empfinde ich jedoch etwas anderes als kritisch. Sie arbeitet in Gelegenheitsjobs, dem Interview nach im eher ungelernten Bereich. Ich kenne einige Kollegen, die so leben, allerdings darunter leiden und sich auf Dauer vollkommen auspowern. Wer sich ständig auf Hilfsarbeiter-Ebene herumschlägt, bekommt große Probleme:
  • Das Lohnniveau bei Gelegenheitsjobs ist rapide gesunken und zwingt zum Multijobbing in einem Pool extremster Konkurrenz (auch durch Ein-Euro-Jobs).
  • Gelegenheitsjobs verlangen oft körperliche Hochleistung und ermüden geistig. Bis zu welchem Alter hält man so ein Leben durch? Was kommt danach oder in Krankheitszeiten? Und wie viel Energie bleibt daneben wirklich für die nicht minder anstrengende Kreativität?
  • Welche Aufstiegschancen in ein besseres Leben und eine Altersversorgung habe ich konkret?
  • Wie viel Existenzangst kann ich mir leisten, bis sich die Kreativität verabschiedet?
  • Habe ich mir auch nur annähernd bewiesen, dass sich dieses Opfer lohnt? Oder träume ich nur?
Ich habe an früherer Stelle davon berichtet, was ich bei der Künstlerberatung in Straßburg lernen konnte. Obwohl es ähnliche Lebensläufe in Frankreich - vor allem in Notstandsgebieten - auch gibt, scheinen mir viele Künstler doch sehr viel mehr professionalisiert. Nur wenige können sich vorstellen, nicht irgendwann mit ihrer Kunst auf einen grünen Zweig zu kommen und dafür lieber kunstnah zu arbeiten, als Teller zu waschen. Da ist man der Auffassung, dass eine qualifizierte, den eigenen Interessen nahe Berufstätigkeit sehr viel mehr inspiriert und zur Kreativität am Text anstachelt. Wer zufrieden im Brotberuf ist, schreibt leichter.

Hauptberufliche (!) Autoren arbeiten deshalb oft zusätzlich in buchaffinen Berufen, als Korrektoren, Übersetzer, Lektoren, Texter oder Dozenten. Die Künstlerberatung weitet darüber hinaus den Blick, sich als Profiautor wie ein Unternehmer zu betrachten. Der Text fürs Buch ist das Zentrum, um das eine Menge anderer bezahlter Arbeiten kreist. Französische Autoren veranstalten Lesungen und Debatten, engagieren sich aber auch in der Schulung von Kindern  und Jugendlichen, wofür es eigene Programme gibt. Workshops und Werkstätten lassen sich nicht nur persönlich aufziehen, sondern an Firmen, Institutionen oder bei Büchertagen an Kommunen und Bibliotheken verkaufen. Je erfindungsreicher einer ist, desto einträglicher ist das Geschäft. Die kulinarische Lesung in Zusammenarbeit mit Gastronomen bringt natürlich mehr ein als die Wasserglaslesung in der Buchhandlung.

Solch ein freies Dasein ist nicht weniger schwierig zu organisieren und durchzusetzen als jede andere Selbstständigen-Arbeit. Es ist ganz bestimmt nicht für den "Angestellten-Typus" zu empfehlen. Aber im Gegensatz zum Kellnern haben diese Nebenjobs etwas mit dem eigenen Traum zu tun, mit den eigenen Büchern und Vorlieben.

Noch etwas anderes ist mir wichtig bei dieser Empfehlung zum "eierlegenden Wollmilchschwein Autor": All diese Tätigkeiten fallen wieder zurück auf die Arbeit als Autor. Sie helfen den eigenen Büchern, bringen wichtige Kontakte und liefern weitere Mosaiksteinchen auf dem Weg zur Marke, zum Autor, an dessen Name Leser sich erinnern können. Sicher bereichern Gelegenheitsjobs bis zu einem bestimmten Limit die eigene Erfahrung und den Fundus, den man für Romane braucht. Aber irgendwann kommt der Punkt, an dem man mehr Energie in den Aufbau der eigenen Schriftstellerpersönlichkeit stecken muss, an dem man sich öffentlich präsentieren muss. Und woher soll man dann mit mehreren Aushilfsjobs und fleißigem Texten noch die Energie für eine Lesereise nehmen?

Wie gesagt, jeder tickt anders und jedes Konzept hat seine Vorteile und Tücken. Aber auch Schriftsteller werden mit den Jahren nicht jünger... Wer sich also fragt, wie er sein Schreiben langfristig finanzieren könnte, sollte sich zuerst einmal fragen, ob sich nicht das Schreiben mit dem Schreiben und verwandten Arbeiten so unterstützen ließe, dass es wirklich neben der Berufung zu einem echten Beruf wird.

6 Kommentare:

  1. Das Lohnniveau bei Gelegenheitsjobs ist rapide gesunken und zwingt zum Multijobbing in einem Pool extremster Konkurrenz (auch durch Ein-Euro-Jobs).

    Was mir beim Rumsinnieren mit einem Freund aufgefallen ist: Vor 20 Jahren brachte ein Nebenjob in München rund 15 Euro die Stunde. Heute bringt er 7 bis 7,50 Euro. Leider kosten die Wohnungen heute nicht mehr dasselbe wie damals...

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  2. Wer das Buch gelesen hat, weiß dann auch, dass Anne Köhler diplomierte Kulturwissenschaftlerin und Kulturjournalistin geworden ist und die Nebenjobs immer artverwandter geworden sind mit den Jahren ...

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  3. @Lisa F.
    Danke für den Hinweis! Schade, dass dies im doch noch nicht so alten Interview nicht anklang.
    Ich habe ohnehin den Eindruck, Ole Reißmann hat die Autorin womöglich vorführen wollen: Das Interview klingt eindeutig nach Sachbuch und man wundert sich, warum sie Probleme ausblenden will. Erst die Leseprobe daneben zeigt, das ist ein literarischer Text! Ganz unglücklich gelaufen.

    @Irene G.
    So ist es. Ich kannte jemanden, der mit einer qualifizierten schönen Stellung in München abends dazuverdienen musste, um es sich leisten zu können, mit der Familie in einer überteuerten Stadt zu leben, wo es diese qualifizierte Arbeit für ihn gab.
    Die Kommentatoren beim SpOn ahnen gar nicht, wie schnell das jeden treffen kann.

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  4. Ich meinte natürlich 15 Mark damals :-)

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  5. Die besser bezahlten Nebenjobs und die festen Jobs mit weniger Überstunden waren wohl auch ein Grund, warum früher politisch mehr los war. Die Freiräume für alles Mögliche waren größer.

    Heute gibts absurde Diskussionen über Frauenquoten im Vorstand von DAX-Unternehmen, die für die Mittelschicht sowieso unerreichbar sind.

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  6. Warum soll man Dinge nicht diskutieren, nur weil sie für manche nicht erreichbar sind?
    Frauen auf höchster Ebene würden Unternehmenskulturen bewegen - das kommt allen anderen Schichten zugute.

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