nie ma

Anfang der Neunziger gab es in Osteuropa noch die Einkaufsläden altkommunistischer Lieblichkeit. Die Verkäuferin saß irgendwo auf einem Heringsfass und strickte, oder las Zeitung oder mampfte mit ihren Freundinnen Kuchen. Wehe, man störte die Dame mit dem versteinerten, grantigen Gesicht unnütz. Wenn man etwas haben wollte, hatte das zackzack zu gehen, und bitte nur von den Dingen, die in Reichweite standen und gut sichtbar waren.

Verlangte man dagegen eine Ware, die weiter hinten im Laden zu finden war oder gar nur im Lager wartete, blaffte einem die Dame in Polen ein "Nie ma" entgegen, was so viel heißt wie "hammwernich!" Manchmal riefen es die Verkäuferinnen auch schon, bevor man den Laden ganz betreten hatte - oder wenn man nur danach aussah, als wolle man ihnen die Kuchenpause anschneiden. "Nie ma" wurde für mich zum Inbegriff schlechter Laune und Knappheit, zur Auswegslosigkeit zwischen gesalzenem Hering und eingelegten Gurken. Hammwernich, hamm keine Lust, wollnwernich, gipsnich. Mach, dass du weiter kommst...

Eben weiß ich es "amtlich", dass ich jetzt selbst "nie ma" blaffen muss. Es gibt mich nicht mehr. Also so gut wie nicht mehr, denn ein kleines Cornichon schwimmt noch verlassen und einsam im Gurkenfass. Und das ist noch nicht einmal ein Buch. Eigentlich ist meine Existenz als Buchautorin ausgelöscht...

Ich will nicht die grausame Geschichte erzählen, mit der eine externe Abwicklungsfirma nach einem Verlagsverkauf mein geliebtes "Das Buch der Rose" erfolgreich an die Wand gefahren hat und nun verramscht - natürlich ohne mich informiert zu haben. Was interessiert schon den Autor sein eigenes Buch. Was ist schon ein Autor wert, den man abschafft. Das Buch war aus firmenrechtlichen Gründen in die Hände dieser - buchfernen - Firma übergegangen und nicht in den Bestand des neuen alten Verlags. Demnächst wird es schön billig im Antiquariat auftauchen.
Alles andere hätte ich diesem Buch gewünscht.

Damit bin ich unsichtbar. Es gibt mich fast nicht mehr als Autorin. Die einzigen noch verfügbaren Produkte sind keine Bücher. Das Elsassbuch ist noch als Hörbuch zu haben und Opus Arte, die Produktionsfirma der BBC, hält fleißig eine DVD von 2002 auf Lager, an der ich mitgearbeitet habe und auf der ich auch im Interview erscheine. Möglich, das es noch eins der Viola-Beer-Bücher gibt, im Moment kläre ich leider immer noch meine Rechte mit Lübbe ab, die sich mit der Umgestaltung zu Bastei von meinen Büchern getrennt hatten, die bei BLT erschienen.

Obwohl ich weiß, dass Verramschung der ganz normale Lauf eines modernen Bücherlebens ist, obwohl ich selbst ständig erzähle, die Fristen würden immer kürzer werden, treffen mich manche Buchtode ganz besonders. Allein sieben Bücher von mir verschwanden nur deshalb, weil Verlage verkauft oder Programme von neuem Personal völlig neu gestaltet wurden - drei der Bücher waren richtig erfolgreich im Moment ihres Sterbens.

Dabei habe ich noch Glück. Ich habe nie wie einige meiner Kolleginnen und Kollegen ausstehende Honorare oder Bücher nach Konkurs herausklagen müssen. Ich kenne ein paar Schriftsteller, die waren nach einem Verlagskonkurs auf Jahre ruiniert. Dagegen sind reguläre Verlagsverkäufe oder Fusionen noch himmlisch. Aber das tröstet mich nicht. Ich habe zwei Jahre meines Lebens für dieses Buch gegeben.

Abgesehen davon, dass mir jetzt nach einem Hering aus dem Fass einer grantigen Verkäuferin wäre, stürzt mir gerade eine Menge kindlicher Glaube an die heutige Buchwelt zusammen. Die Konzentration wird zunehmen. Wenn schon eine Stadt wie Frankfurt (und Leipzig nun auch) ernsthaft darüber klagt, dass immer mehr Verlage abwandern - weil es sie ins Zentrum zieht, weil sie verkauft werden, weil sie geschluckt werden oder fusionieren - was sollen wir Autoren dann erst jammern?

Früher hätte man geraten: Du musst eben schnell nachlegen. Aber wer garantiert mir, dass der Verlag, bei dem ich nachlegen würde, auch in einem Jahr noch existiert? Wer sagt mir, dass nicht irgendein Controller, irgendeine Unternehmensberatung plötzlich alles umgestalten lässt und Programmplätze streicht?

Ich werde mir jetzt eine gepflegte Vorabenddepression nehmen und mir irgendeine tieftragische Musik anhören. Werde ein Stündlein in triefendem Selbstmitleid schwimmen und schwören, nie wieder auch nur irgendeinem Verlag ein Manuskript anvertrauen zu wollen. Spätestens gegen Mitternacht werde ich meinen Beruf endgültig aufgeben und alles hinschmeißen. Und morgen sehen wir dann mal weiter...

5 Kommentare:

  1. Och neee! So ein schönes Buch! Irgendwie ist das schon echt Sch...!

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  2. Liebe Petra,

    ich habe das mit Trauer und auch Wut im Bauch gelesen-irgendwie ist mir nämlich auch die ganze Zeit nach "nie ma" zumute, nicht nur, was die Produktion und den Tod von Büchern betrifft. Heuet habe ich wieder Kopfschmerzen wegen der Zustände in unserer Republik. Nur wenige Bücher hätten es verdient, so hinwegrationalisiert zu werden, und schon gar nicht deine! Natürlich hören wir ab sofort auf zu schreiben-sind wir denn jedermanns Hampelmann?
    Aber ich bin auch so gestrickt, ich will sehen, was morgen sein wird ...

    Herzlichst, und mit einerVerbeugung vor deinen Büchern
    Christa

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  3. Ach ihr beiden, danke, das tut so gut! Der Fachberater, der mein Buch so wunderbar gegengelesen und bereichert hatte, war auch vollkommen entsetzt, vor allem über den Vorgang, wie die Abwicklungsgesellschaft vorher damit umging...

    Was mich am meisten aufregt: Eins meiner besten Bücher ist weg. Aber meinen Zitatemüll à la Viola kann man noch kaufen! Es geht eben nicht um Inhalte.

    Ärgerlich ist die Peinlichkeit, dass ich erst durch Leser davon erfuhr; ärgerlich ist, dass ich zwei Engagements absagen muss, weil ich keine vergriffenen Bücher vorstellen kann.

    Jetzt ist Morgen und ich bin ganz komisch drauf. Wenn mir heute ein Verlag einen Vertrag anbieten würde, würde ich wahrscheinlich brüllen vor Lachen und ablehnen.

    Es wird natürlich weiter Bücher von mir geben. Zunehmend sogar solche, die ich immer schon schreiben wollte. Irgendwann werde ich das Rosenbuch in einer anderen Version / Aufmachung und ohne Verfallsdatum neu auflegen. Im Moment hat mir aber diese Firma den Markt dafür kaputt gemacht, erst wird sich das Antiquariat freuen. Kurzum: Ihr bekommt das demnächst zum Spottpreis.

    Sobald ich an die Dateien in meinem Uralt-Kaputt-Comp komme, werde ich meine beiden Romane als E-Books neu auflegen. (Ich will jetzt keine Witze über Back-ups hören ;-)

    Außerdem soll in diesem Jahr das Elsassbuch in neuer Aufmachung auferstehen, dessen zweite Auflage zum Glück so restlos ausverkauft war (und nicht verramscht wurde), dass auch das Antiquariat nichts erhaschen konnte. Zwar wird es noch dauern, aber über meine Europa-Schiene wird in diesem Bereich noch einiges nachfolgen können.

    Jetzt muss erst einmal der Nijinsky satzreif gemacht werden. Ich schlage drei Kreuze, dass der verlagsbefreit erscheint...
    Herzlichst,
    Petra

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  4. Liebe Petra,

    dieses nur zur Beruhigung: Ich habe gestern "Das Buch der Rose" in der sehr gut sortierten Heine-Buchhandlung an der Hamburger Universität zwischen Werken von Kierkegaard und Herder gesehen. Ja, es schmerzt, gute Bücher "verramscht" zu sehen. Aber es gibt wahrlich schlimmere Orte, präsentiert zu werden. Und es ist doch auch so, dass es nun Menschen lesen, die es ansonsten niemals kennen gelernt hätten ... ;-)

    Herzliche Grüße,
    Heike

    P.S. Und nun bin auch ich stolze Besitzerin dieses Buches.

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  5. Liebe Heike,
    Kierkegaard, Herder...meine Nasenspitze hängt gleich ein wenig höher. Vielleicht muss man erst verramscht werden, um neben die richtigen Bücher gestellt zu werden? ;-)
    Viel Freude am Buch wünscht Petra

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