Der Ommm-Effekt

Es soll ja Leute geben, die sich jahrelang in japanische ZEN-Klöster einsperren lassen, irre teure Wochenendselbsterfahrungskurse mit irre viel Ommm buchen oder für ihren irre reichen Guru kollektiven Selbstmord begehen, um einmal im Leben diesen wunderbaren Zustand zu erreichen: Ein LEERES Hirn.

Also das, was man hat, wenn man nicht ständig das Handy am Ohr hält, twittert und gleichzeitig die Schwiegermutter bei Facebook entfreundet. Nicht diese scheinbare Leere, sondern echtes Ommm, Nada, Totalwellness in den verkrampften engen Windungen der grauen Schwabbelmasse. Als Kinder haben wir das im Schaukelstuhl ausprobiert: Sich beim Schaukeln ganz fest auf den Schwabbel konzentrieren und prüfen, ob man es schwappen hört oder sieht oder fühlt oder was auch immer. Die größten Philosophen unter uns waren der Meinung, ihr Hirn könne plötzlich wie auf hoher See glauben, einem überdimensionalen Wal zu gehören. Oder so ähnlich.

Jedenfalls weiß jetzt jeder, was ich meine. Völlige, NICHTige, leere Gedankenlosigkeit ist noch eine Stufe berauschender als handelnde Gedankenlosigkeit im billigen Alltag. Nichts mehr denken, nichts mehr müssen, nichts mehr wollen, einfach nur noch SEIN. Also, falls man noch IST, wenn sich das Hauptteil da oben verabschiedet hat und auf den Bahamas klönt. So eine Levitation in der Hirnschale ist schließlich nicht ganz ungefährlich - denn irgendwann kommt unser Denkzentrum mit Wucht zurück. Das hält nicht jeder aus, der nur drei Prozent davon fit hält.

Eben habe ich die billigste Variante entdeckt. Ohne Kurs, ohne Guru und lustig improvisiert. Madame hat brav übersetzt. Musste sich mit dem Tagespensum leider böse ranhalten. Hat also schneller als sonst übersetzt. Und noch mehr übersetzt. Der Schwabbel wollte schlapp machen. Nix da, Schwabbel, noch drei Seiten. Schwabbel schlappte hinterher. Schwabbel schlabberte. Denn plötzlich drehte der Autor auf. Zitierte älteres Französisch. Gefiel sich plötzlich in schrillsten Redewendungen und selbstgebastelten Metaphern. Ich kann das doch nicht, schrie die Übersetzerin. Du hast mich zum Schwabbeln gebracht, rief die Schwabbelmasse, sieh zu, wo du bleibst - und sie stürmte vorwärts, wie ein graues überfettetes Hängebauchschwein eben so stürmt. Und noch ein paar Seiten...

Und dann ist es passiert. Wenn man in einem muskellosen Gewebe einen Krampf bekommen kann, dann habe ich das eben geschafft. Riesige Alarmglocken droschen mich in Richtung Küche, wo ich wie ein hirnloser Roboter völlig automatisch einen großen Café au lait köchelte und Heißhunger auf ein Quark-Honig-Brot bekam. Reiner Pawlow'scher Effekt, ohne jede intellektuelle Leistung. Zucker und Eiweiß, das kleine Kerlchen da oben weiß genau, was ihm gut tut.

Plötzlich klingelte das Telefon. Jemand sprach in der Sprache des zu übersetzenden Autors. Ich stotterte hilflos etwas wie Ommm. - Verstehen Sie vielleicht besser Deutsch, fragte die freundliche Dame. - Äh, le Deutsch, non c'est pas meine Sprakke. Und dann habe ich einfach zugehört und in gehörigen Abständen Ommm gesagt. Es ging um die neue Klimawandelsteuer. Ommm. Bahamas, sag ich ja. ZEN im Tank. Hirnerwärmung.

2 Kommentare:

  1. Sabine Kanzler11/11/09 11:14

    Ich erinnere mich an eine vergleichbare Erfahrung: Englischkurs....eine Woche lang....von morgens bis abends und in den Pausen ein drohender Dozentenfinger, wenn ein deutsches Wort hörbar wurde.

    Zuhause das Wissen um einen leeren Kühlschrank...was brauchen wir? Zettel holen und aufschreiben, damit man nichts vergisst. Wissen, was man braucht, aber wie hieß bloß das Ding? Ok, dann eben auf Englisch....äh....!!

    Zwischenwelterfahrungen!

    Ich hab dann meine Affenintelligenz benutzt: durch den Supermarkt laufen und das nehmen, was einem nützlich vorkommt. Ein teurer Einkauf!

    :-)

    Sabine

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  2. Herrlich, Sabine, die Affenintelligenz merk ich mir!
    Petra

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