Faule Fische fliegen
Es kocht in Frankreich. Weil Idefix nur laut gebellt hat, was alle Wildschweinesser heimlich denken. Und weil jetzt der Fischhändler mit seinen Freunden für den Majestix, der eigentlich auch Kaiser von Rom sein könnte, heftig mit faulen Fischen um sich schlägt. Das lassen sich die Wildschweinesser natürlich nicht bieten und schlagen zurück. Schon droht ein heiliger Hinkelsteinkrieg: "Was wird man zukünftig noch in Stein meißeln dürfen? Und sind zehn Euro Preisgeld bei der Hundeschau Schweigegeld genug?"
Die Literaturnation hat ihren Literaturskandal. Angefangen hat es mit einer bekannten, bereits preisgekrönten Literatin, Marie N'Daye. Die machte das, was Merkel und Sarkozy angeblich wünschen: Sie zog 2007 nach Berlin und schreibt dort in französischer Sprache feine Bücher. Und wie das bei Literaten so ist, die auch noch interviewt werden, ist sie nicht still umgezogen, sondern hat gesagt, sie ziehe unter anderem auch deshalb nach den Wahlen weg, weil sie das neue Frankreich mit seinen neuen Politikern als monströs empfinde. Hat keinen gestört damals. War ja nur irgendeine Schriftstellerin, eine Schwarze, eine Frau, ad acta damit.
Jetzt hat die Frau nach dem Prix Femina aber auch noch den begehrtesten und berühmtesten französischen Literaturpreis verliehen bekommen: den Prix Goncourt. Der ist zwar nur mit symbolischen zehn Euro dotiert, aber mit jeder Menge Ehre. Zu wenig Schweigegeld eigentlich, oder? Das neue Frankreich unter Sarkozy empfindet sie nämlich immer noch als monströs.
Jetzt schreit der UMP-Abgeordnete Eric Raoult auf und fordert ein "devoir de réserve" für Schriftsteller, insbesondere für preisgekrönte. Das bedeutet "Pflicht zur Zurückhaltung" und meint nichts anderes als einen öffentlichen Maulkorb, was politische Meinung und Kritik am System Sarkozy betrifft. Dass diese Forderung kommt, wundert zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Denn eben hat der Präsident eine Werbekampagne lanciert, die den Franzosen die Grande Nation wieder in einer Größe schmackhaft machen soll, die sie längst nicht mehr hat. Die Schlagworte von der nationalen Identität und den Verpflichtungen dem Land gegenüber sollen von der derzeitigen Krise und Malaise bei den Bürgern ablenken. Und irgendwie geht die Kampagne neuerdings ständig in die Hose...
Raoult ist kein Unbekannter mit seiner Meinung. Mit Schwarzen hat er seine Probleme, mit Sozialhilfeempfängern sowieso, mit Leuten, die ihre Meinung sagen, noch mehr. Er verteidigt auch schon mal lautstark den tunesischen Präsidenten, weil der einen kritischen Le-Monde-Journalisten ausweisen lässt. Geht ja nicht an, dass dann eine Schriftstellerin Kritik übt in einer freiheitlichen Demokratie. Da müssen Mittel und Wege dagegen her.
Marie N'Diaye hat Kulturminister Mitterand aufgerufen, Stellung gegen Raoult zu beziehen. Mitterand war bisher nicht dazu bereit, weil er der Meinung ist, in einem freien Land dürften beide Seiten frei ihre Meinung sagen. Und plötzlich sagen alle ihre Meinung. Die Politik mischt sich ein. Segolène Royal überspringt mit einem Interview das Schweigen des Kulturministers. Bernard Pivot aus der Jury des Prix Goncourt spricht Eric Raoult jede Kenntnis des Kulturlebens ab und hält einen Maulkorberlass für Schriftsteller für "sinnlos". Wer die Zeitungsberichte verfolgt, fällt von der Groteske ins Absurde: großes Theater.
Und die Intellektuellen, die Raoult abfällig als "intellos" bezeichnet, die gehen natürlich auf die Barrikaden. 1789 hat Frankreich der Welt vorgemacht, was Freiheit bedeutet, zu der auch das Recht auf freie Meinungsäußerung gehört, die Pressefreiheit, die Freiheit der Kunst. Hart erkämpft wurden diese Rechte gegen die absolutistischen Herrscher - und solche Errungenschaften machten einst die Größe der Grande Nation aus. Auch das gehört zur nationalen Identität Frankreichs: Stolz sein zu können auf all diese demokratischen Werte und Menschenrechte und Freiheiten, sie darum mit allem Nachdruck zu verteidigen. Denn die Demokratie von heute wird nicht, wie so gern vorgegeben, von außen bedroht, sie wird Schrittchen für Schrittchen von innen ausgehöhlt. Von Menschen, die sich auch noch als Demokrativertreter wählen lassen und gewählt werden.
In solchen Zeiten wird es immer wichtiger, dass überhaupt noch jemand den Mund aufmacht. Wir Deutschen haben schmerzhaft gelernt, wohin Schweigen und Mitläufertum führen können. In Frankreichs eisigem Kulturklima wachen derzeit reihenweise Intellektuelle auf: Es ist wieder an der Zeit, nachzudenken, öffentlich Stellung zu beziehen, Rückgrat zu beweisen. Wo Literaten von Politikern mit Maulkorb bedroht werden, lohnt es sich wieder, auf den gesellschaftspolitischen Aspekt von Literatur zu schauen. Zumal dieser Maulkorb bis nach Berlin reichen soll.
update:
Immer wieder spannend, Medien verschiedener Länder zu vergleichen. In Deutschland gestern schien man den Vorfall eher amüsiert als nette nebensächliche Anekdote zu betrachten. Für die Kreativen in Frankreich ist es dagegen mal wieder ein Einblick in den Abgrund - Künstler und Kulturschaffende haben seit etwa zwei Jahren immer weniger zu lachen unter der neuen Politik...
M. Raoult hat ja eigentlich fast etwas Gutes getan mit seinem Ausspruch.
AntwortenLöschenErstens habe ich mir heute die Le Monde gekauft, um den entsprechenden Artikel zu lesen. Das hat eindeutig meinem Französisch gut getan. Merci, Monsieur!!!!
Zweitens macht er für die Mme NDiaye Werbung auf internationaler Ebene, wie es so ein popeliger Prix Goncourt alleine nie geschafft hätte.
Und drittens macht er sich mit ein, zwei Sätzen international bekannt und zum Affen. So schnell und flächendeckend schafft das noch lange nicht jeder!!!
Mir scheint, dass im französischen TV so eine gewisse «Diskussionskultur» vorhanden ist. Da wird immer jeweils leidenschaftlich, emotional und ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen diskutiert.
AntwortenLöschenIch muss allerdings zugeben, dass ich bis anhin nie genau hinhörte, weil mir diese Sendungen einfach zu nervös sind. So frage ich mich nun: Wird denn da nur über Bagatellen diskutiert oder auch über ernsthaftere Themen?
Owei, Titus, ich muss etwas gestehen: Als Nichtbesitzerin einer Schüssel kann ich im Elsass seit dem Digitalfernsehen nur noch deutschsprachige Sender empfangen, selbst ARTE kommt nicht ums Eck aus Strasbourg, sondern wird von Baden-Baden aus eingespeist. Warum? Wir hocken am Berg und die auch. Und die Pariser wollen kein Geld ausgeben, "Ostsibirien" zu versorgen.
AntwortenLöschenWas im Fernsehen seither abgeht, kann ich also nicht sagen - wobei du mit deiner Diskussionskultur Recht hast - das sind eher echte Debatten. Es gibt immer banalere Niedrig-IQ-Diskussions"shows", aber auch Sendungen wie "Paris-Berlin" in ARTE. Es existieren jede Menge öffentlicher Debatten mit Schriftstellern - übrigens auch live, sehr viel mehr als Lesungen. Meine Freunde finden es z.B. komisch, dass ich aus meinen Büchern wie die Märchentante vorlese, anstatt gleich mit dem Publikum zu debattieren.
Ich ging jetzt eigentlich von Diskussionen in der Presse aus, im Internet und meinem Bekanntenkreis. Da ist dieser Vorfall nur die Spitze des Eisbergs - und insofern, Sabine, hast du vollkommen recht, die Künstler und Intellektuellen reiben sich natürlich auch die Hände, endlich wieder einen knackigen Aufhänger zu haben! (Und es ist ja noch nicht sooo lang her, dass sie auf die Straße gingen).
Ich bekomme die neue Politik ja am eigenen Leib zu spüren - und habe durch unseren Theaterverein und die Künstlerberatung in Str. noch andere Einblicke. Das ist Grusel pur. Abgesehen von den glimmernden Renommierprojekten zum Ruhm der Politiker wird hier Kultur gerade flächendeckend kaputtgemacht. Was bleiben wird, ist ein bestens verdaulicher, angepasster Glamour-Brei, falls sich die Künstler unterkriegen ließen.
Nicht zu reden vom Prekariat unter den Künstlern, das inzwischen nicht nur der Totalüberwachung bis in Verträge hinein ausgeliefert ist, sondern wie alle Sozialhilfeempfänger auch der Polizei gemeldet wird, weil diese Kreise potentiell eher kriminell würden. Kein Jux.
Leider trifft der Rechtspopulist Raoult "Volkes Stimme" vor allem in der Provinz und ich möchte gar nicht wiederholen, wie man da über Künstler und Intellektuelle spricht. Ich lebe in so einem Landstrich... Dazu die nationale Identitätskampagne der Regierung, da ensteht äußerst ungutes Gedankengut.
Genau deshalb brauchen wir unsere Debatten, die machen nämlich verdammt kreativ.