Schreiben kann jeder
Treffen mit Leuten, die in Sachen PR, Kommunikation und Texten unterwegs sind... Die Anekdoten, die wir uns zu erzählen haben, sind haarsträubend bis lustig, haben aber alle drei "Erkenntnisse" gemeinsam:
- Schreiben kann jeder. So viele Analphabeten gibt es schließlich nicht.
- Fotografieren kann jeder. Heutzutage macht das sowieso der Apparat.
- Ergo: Muss ich für Text oder Foto keine Profis beauftragen und es wäre die Arbeit auch nicht wert.
Die wertvolle Broschüre
Da ist die Organisation X, die bei einer heimischen Druckerei nicht ganz billig Broschüren herstellen ließ, die sie ebenfalls nicht ganz billig an ganz normale Menschen verkaufen will. Um Geld zu sparen, hat man den Dorfchronisten texten lassen und der hat das gründlichst besorgt. Bis zum Holzpreis von 1622 und der Aussage des Schultheiß von 1758 alles drin, was Außenstehende nicht interessiert; endlose Bandwurmsätze engstens gedruckt, die Bilder schlampig eingescannt. Fazit: Heulen und Zähneklappern über die bösen Leute, die dafür keine 5 Euro (!) hinblättern wollen.
Facebooking
Kunde Y hat an billigsten Dumpingautor einen Textauftrag vergeben, der gekonnte Fachrecherche und besonders sinnenansprechende Aufbereitung verlangte. Willige Autoren dieser Art finde man ja zuhauf bei Facebook, sagt er, aber jetzt stimme das da nicht und dort und klinge vollkommen hölzern und austauschbar. Jemand nennt ihm einen Spezialisten für genau diese Art Text, der wohnt sogar um die Ecke. Aber der nimmt doch viel mehr Geld als der bei Facebook!
Klatschbase vom Dienst
Kannst du nicht für uns twittern? Du machst das doch eh täglich für dich. Was, welche Strategie? Was wir erreichen wollen? Welche Themen wir haben? Was wir den Menschen bieten möchten? Wozu solche Fragen, du schwätzt doch auch einfach drauflos und das klingt ganz lebendig. Ach, du denkst dabei nach??? Und das kostet was für Firmen? Wieso Zeitaufwand? Wieso Werbestrategie, Twitter ist doch für Jedermann?
Soziale Wesen von Natur aus
Ich habe Ihre Internetarbeit begutachtet. Sie machen das ganz ordentlich, da kann man sich einiges abschauen. Wissen Sie was, ich mache das jetzt auch alles, Blog, Facebook, Twitter, Texten, Kontakten, das volle Programm. Man sieht ja, Sie machen das auch mal so locker nebenbei. Ich könnte das dann nicht nur für mich machen, sondern auch Firma Z anbieten, also noch PR für die machen. Erzählen Sie mir doch nicht, dass man da was gelernt haben muss! Zeitaufwand, pah! Wieso sitzen Sie denn neben Ihrer Arbeit ständig im Internet? Was, Lernen und Üben für Kunden? Was lernen Sie denn da, Sie schreiben doch nur! Das kann doch jeder.
Automatikmodus
Vereinigung V hat sich jahrelang in Sachen Fotos für PR und Werbemittel an einem vor 20 Jahren aufgebauten Uraltarchiv aus Laienfotos bedient. Vor zehn Jahren hat noch keiner gemeckert. Inzwischen kommen von Kunden auch schon mal spitze Bemerkungen über die Mode von annodunnemals auf den Bildern, die längst verschwundenen Landschaftsmerkmale und die eigenartige technische Qualität. Aber ein Fotograf ist doch so teuer, der will ja auch noch Geld für das, was jede Digitalkamera automatisch macht!
Qualität ist im Endeffekt billiger!
All diese Geschichten haben eigentlich ein Happy End. Gut, da gibt es die absolut Unbelehrbaren , die sich in Zeiten von Bedienermentalität und Internet wundersam vermehren - aber für die arbeitet auch keiner gern. Bleiben die Doppelinvestoren: alle oben Genannten suchen nämlich jetzt krampfhaft endlich nach Profis, die das Kind retten sollen, das längst in den Brunnen gefallen ist. Sie wollen nicht wieder hereinfallen, diesmal soll alles stimmen. Und na ja, dann zahlt man eben.
Diese Menschen hätten eine Menge Geld sparen können, wenn sie gleich richtig in professionelle Arbeit investiert hätten. Denn Qualität, die ihren Preis hat, funktioniert auch. Menschen, die ihr Metier gelernt haben, liefern in der Tat andere Ergebnisse als Hobbyisten. Und das macht sich im Endeffekt bezahlt, weil es beim Endverbraucher ankommt.
Meine Tipps:
- Überlegen Sie sich gründlich und in Ruhe, welche Ziele Sie mit welchen Medien erreichen wollen, wie groß Ihr Budget ist und ob Sie das Projekt womöglich subventionieren / fremdfinanzieren lassen können.
- Rechnen Sie viel Zeit für die Vorbereitung. Sponsoren und Mäzene findet man genau dann nicht, wenn man sie erst in der heißen Projektphase sucht.
- Vergleichen Sie weniger reine Preise, sondern Menschen und ihre Arbeit. Suchen Sie in Ruhe die passenden Profis aus. Sie würden einen Beerdigungsredner nicht als Clown für einen Kindergeburtstag engagieren und Texte für einen gastronomischen Prospekt nicht von einem Mathematikprofessor schreiben lassen. Warum also unprofessionelle Texte drucken und dann einstampfen müssen, wenn Sie gleich das verkäufliche Projekt kaufen könnten?
Lesetipp zum Thema: Die Protextbewegung
Das erinnert mich an die frühen 90er Jahre, als das DTP (Desktop Publishing) aufgekommen ist und viele Chefs tatsächlich meinten, dass jetzt ihre Sekretärin die Werbeunterlagen für die Firma gestalten könnten...
AntwortenLöschenWas redest du denn da in der Vergangenheitsform, lieber BodeständiX. Ist auch heute noch so.
AntwortenLöschen@Petra: Was für köstliche Beispiele!
Mich fragen die Leute manchmal, ob ich "schnell" etwas ins Englische übersetzen kann. Wenn ich dann sage, dass man normalerweise aus der Fremd- in die Muttersprache übersetzt, und dass Übersetzen eine Kunst ist, die ich nicht beherrsche, dann werde ich häufig gefragt: "Aber du unterrichtest doch Englisch, oder nicht?"
Wär's nicht effektiver, einfach zu schreiben, statt zu twittern und zu netzwerken und sich in utopischen Träumereien zu verlieren?
AntwortenLöschenBetonung auf "verlieren".
Don Comillo
Diese DTP-Bastel-Prospekte gibt es hier auch noch reichlich, Bodenständix!
AntwortenLöschenWas die Übersetzungen betrifft, ist das im Dreiländereck besonders schwer zu vermitteln. Warum sollte man einen Text schließlich fachgerecht übersetzen, wenn er irgendwie deutsch oder französisch "klingt"?
Und was das Netzwerken betrifft: Daraus wachsen zum Glück die ganz realen bodenständigen Jobs. Auch Aquise will gelernt sein...
Nun, es gibt auch "Überraschungen", wenn man zu eigenen Themen von professionellen Schreibern interviewt wird und dann die Ergebnisse in dem jeweiligen Medium liest. Und ich rede hier nicht vom Käseblatt und dessen Lokalteil, sondern von bundesweiten Zeitungen mit gutem Ruf.
AntwortenLöschenDa liest man dann ein paar eher der Kategorie "Allgemeinplatz" zuzuordnenden selbst formulierte Äußerungen und als Beleg dafür Zitate von sich selbst und von Kollegen. Alles auch nur annähernd Differenzierte, was man im Gespräch so von sich gegeben hat....weg! Heraus kommt Einheitsbrei, der in allen Artikeln maximal einmal umgerührt worden ist....es scheint jedenfalls so.
Da frag ich mich dann schon, ob mein Gesprächspartner nicht kapiert hat, was ich sagen wollte? Oder zu faul war, drüber nachzudenken? Oder es nicht formuliert bekam?
Eine Konsequenz für mich ist Selberschreiben und dann von einem Fachmann lektorieren lassen. Da bleibe ich wenigstens Herrin über den Inhalt.