Radiostar mit fünf Fingern

Ein Kollege hat mir mal gesagt, man merke an meinen Büchern, dass ich in Frankreich lebe: Es ginge ständig irgendwo um Essen und Trinken (Kunststück, wenn man kulinarisch literarische Reiseführer schreibt). Na und jetzt, mit dieser Kolumne... da bekomme ich langsam Selbstzweifel. Klinge ich zugedröhnt, high oder wie die Kräuteroma aus dem Fliegenpilzwald? Heiße ich Baba Jaga?

Kommt also doch tatsächlich jemand vom Radio hierher. Genauer gesagt, vom RBB. Und was wollen die? Nicht etwa für längst überfällige Rezensionen recherchieren oder sich ein Bild von mir machen. Nein, die lieben KollegInnen gugeln "Cannabis, Mehltau, rauchen"!

Nun habe ich ja zwei schlechte Eigenschaften: Ich bin auch Journalistin, also von Geburt an viel zu neugierig. Und ich bin Buchautorin, habe also eine ganz gefährliche Fantasie. Ich reime mir aus allem und jedem Geschichten zusammen, reine Fiktion, versteht sich.

Ich sehe da also eine Redaktionskonferenz vor mir, wo der Chef mit leuchtenden Backen dasteht und sagt: "Bringse mal wieder was für unsere Landbevölkerung. Heuer ist Hanfernte, und Sie wissen ja, das staubt immer so und die armen Kerls auf ihren Treckern, die leiden... Machense was, zielgruppenaffin, der verlorene Hörer von heute besitzt anderthalb Misthaufen, fährt mit Heizöl und liest keine Bücher. Dafür hat jede moderne Erntemaschine Anschluss ans Internet! Ich will heute diese Superstory vom Hanf hören! Damit bedienen wir gleich noch die Hörer aus schicken städtischen Schichten, Künstler, Werbefachleute, Journalisten!"

Den Einwurf eines Redakteurs, dass Werbefachleute und Journalisten seit Jahrzehnten auf härterem Stoff seien, überhört er. "Habt ihr je gehört, dass in Brandenburg jemand Speed im Vorgarten pflanzt oder Koks schaufelt? Haltet mir den regionalen Bezug!"

Jetzt sehe ich die armen Kollegen am frühen Morgen herumrödeln, sturznüchtern am miesen Redaktionskaffee hängend. Und mit Treckerfahren haben sie es nicht so, da fällt ihnen nur dieser uralte Witz von Otto ein. Außerdem ist das Wetter schlecht, der Kuhdung müffelt und überhaupt. In Berlin gibt's Hanfplantagen allenfalls auf Dachböden oder in Blumentöpfen, es hilft alles nichts, sie müssen raus. Vor-Ort-Termin bei Bauer Cannabius.

Jetzt haben aber junge Journalisten gelernt, dass sich die gute alte Recherche durch Gugeln ersetzen lässt, dass man das virtuelle Leben für ein wirkliches nehmen kann und den Bauern damit ein X für ein U vormachen. Sie gehen auf virtuellen O-Ton-Fang.

Die zierliche Redaktionsassistentin gibt den entscheidenden Tipp: "Denkt dran, Katastrophen, Krisen, Skandale! Ohne drohenden Weltuntergang verkauft ihr unserem Chef keine Story mehr!" Ihr Kaffee ist schlecht, aber Ideen hat die Frau, das muss man ihr lassen.

Doch der zuständige Redakteur sitzt immer noch auf der Radioleitung. Eine Hanf-Katastrophe, die das Abendland dem Untergang weiht, kann er sich nicht vorstellen. "Was wäre denn so richtig schlimm, wenn man was im Garten pflanzt?", fragt er die Assistentin.

Die hätte sich schon längst einen Redakteursposten verdient. Wieder hat sie den rettenden Einfall: "Dieses Jahr war DIE Katastrophe in meinem Rosengarten. Stell dir vor, überall dieser fiese Mehltau, eine Invasion, eine Bedrohung zum Schluss sogar für Ringelblumen und - man glaubt es nicht - Salbei! Alles weiß, wie dieses perverse Pulver, dass sie mal in den USA aus dem Geheimlabor geklaut hatten und verschickt. Also ich hätte glatt die Rosenblätter abkratzen können und die Briefe hätten genauso ausgesehen. Ein Pilz. Keine Rettung, keine Gegenwehr möglich, will man nicht zu Giftgas greifen!"

Der Redakteur ist glücklich. DAS ist eine Story! Mehltau-Invasion bei Cannabis in Berlin-Brandenburg. Steckt El-Quatschda dahinter? Gibt es bereits Bekennerschreiben? Was sagt die Geheimpolizei dazu? Brennt bei Gugl bereits der rote Knopf mit der Direktleitung ins Pentagon? Endlich, endlich... Das wird sein ganz großer Durchbruch werden. Mit erwartungsvoll zitternden Händen tippt er die Worte in die Suchmaschine, die die Welt mehr erschüttern werden als Klimakatastrophe und Titanic zusammen: Cannabis, Mehltau, rauchen.

Und so landet der arme Kollege hier. Tja, Kollege, warum soll es dir bei der Recherche eigentlich besser gehen als mir?

PS: Soeben in meinem Ordner für später gelandet: Romanidee "Mehltaumord im Hanffeld"

4 Kommentare:

  1. Ich habe mich gerade köstlich über ihre kleine Geschichte amüsiert. Und erschreckenderweise musste ich die ganze Zeit an die Bild denken. Obwohl ich Österreicher bin.

    Hmm, ich sollte wohl auch weniger rauchen. Obwohl, dadurch das ich "Cannabis, Ventil der Verdrossenheit?" gegoogelt habe bin ich ja erst hier gelandet.

    AntwortenLöschen
  2. Cannabisl Mehltau rauchen, der Chefredakteur, gell?

    AntwortenLöschen
  3. Also bei dem Wahlausgang in Österreich wär ich auch verdrossen. Vielleicht das Cannabis lieber an die richtigen Politiker verfüttern?

    AntwortenLöschen
  4. Vielen Dank das du mich daran erinnerst. Entweder wir verfüttern das liebe Kraut an die Politiker und sie werden frivoler oder aber auch fauler.

    AntwortenLöschen

Deine Sicherheit:
Mit restriktiven Browsereinstellungen kannst du nur als "Anonym" und mit "Namen / URL" kommentieren. Möchtest du dein Google-Profil verwenden, musst du aktiv im Browser unter "Cookies von Drittanbietern" diejenigen zulassen, die nicht zur Aktivitätenverfolgung benutzt werden. Nur so kann das System dein Profil nach Einloggen erkennen.

Mit der Nutzung dieses Formulars erkläre ich mich mit der Speicherung und Verarbeitung meiner Daten durch Google einverstanden (Infos Datenschutz oben im Menu).
(Du kannst selbstverständlich anonym kommentieren, dann aber aus technischen Gründen kein Kommentarabo per Mail bekommen!)

Spam und gegen die Netiquette verstoßende Beiträge werden nicht freigeschaltet.

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.

Powered by Blogger.