Billigheimer

Ein deutscher Großmarkt macht Werbung, wer heute nach Mitternacht im Schlafanzug zum Einkaufen komme, bekomme 25% Rabatt auf alles, was Rabatt haben darf (also doch nicht alles).

Es ist erstaunlich, wie weit Menschen gehen, um billiger einzukaufen. Es ist faszinierend, womit man heute Werbung platzieren kann. Es ist erschreckend, wozu und wie leicht man Menschen manipulieren kann, sogar, dass sie Dinge tun, für die sie sich sonst schämen würden. Man braucht heute für die Massenmanipulation nicht einmal mehr die Politik, nur noch ein Sonderangebot.

Natürlich denke ich ernsthaft darüber nach, ob ich nicht bei meiner nächsten Lesung im Oktober aus "Elsass. Wo der Zander am liebsten im Riesling schwimmt" denjenigen Lesern freien Eintritt gewähre, die nur mit einem Zander bekleidet aufkreuzen. Na ja, die Damen dürfen noch zwei Kugelhopfe dazu tragen. Also Lesung nicht billig billig, sondern für umme!

6 Kommentare:

  1. Hat man in Frankreich noch nicht mitbekommen, dass die Deutschen mittlerweile jeden Schotten an Knausrigkeit in die Tasche stecken??

    Beklagen sich, dass die Milch 30 Cent teurer wird, und jetzt 80 Cent kostet, rennen aber regelmäßig am 2. und 3. Januar los, um sich bei Saturn und Media Markt nen neuen Flachbildfernseher für €650,- und noch eine dritte Digitalkamera für €80,- zu kaufen, denn: "Ist ja Neujahrsrabatt!"


    Milch würde weggehen wie ein Impfstoff gegen Armut, wenn sie den Preis einfach auf €1,40,- setzen würden, nen dicken Rabattaufkleber draufpappen, und sie für 80 Cent verkauften...

    Manchmal schäme ich mich wirklich ein wenig...

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  2. Hallo Marco,
    DU musst dich doch nicht für andere schämen.

    Aber wenn ich mir die Entwertung vieler Kulturberufe so anschaue, frage ich mich schon manchmal, ob man solche Perversitäten nicht als Kunst-Happening veranstalten sollte und vielleicht noch absurd auf die Spitze treiben könnte. Zumindest Presseaufmerksamkeit hätte man damit.
    Leider entsteht dann ein anderes Problem: Sind die Billigheimer das Wunschpublikum?

    Was nichts kostet, ist ja nichts wert...
    Erzählte mir mal einer aus einer Pharmafirma, wie sie mit einem Spitzenprodukt der Naturmedizin baden gingen. Völlig unverständlich, weil die Qualität hoch und der Preis (um die 6 DM) niedrig war.
    Sagte ihnen ein Berater, es sei zu billig, die Leute seien der Meinung, Billiges könne nichts wert sein, ein derart preiswertes Medikament nichts nützen.

    Sie haben zehn DM aufgeschlagen. Einfach nur so, deshalb. Das Medikament - immer noch das Gleiche - ging ab wie die Rakete. Und wurde zum Kassenschlager der Firma.

    So groß der Jubel über Sparpreise ist - es schlägt zurück und vernichtet Existenzen, die uns letztendlich sehr viel mehr kosten (siehe Fernsehdoku "Der Walmart-Effekt").
    Ich habe im Journalismus und auch in der PR reihenweise Kollegen im Konkurs erlebt, die glaubten, sich der Preisspirale anpassen zu müssen und sich für Dumpinghonorare feilboten. Weil sie dachten, damit mehr und bessere Kunden zu bekommen. Ein gefährlicher Trugschluss...

    Schöne Grüße,
    Petra

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  3. Dabei ist "Fremdschämen" gerade ein sehr populäres Hobby unter jungen Deutschen. (Siehe: "Castingshoweffekt")

    Vielleicht ist es von den Produkten abhängig, was Leute zahlen wollen?
    Vielleicht darf es auch nicht einfach "billig" sein, sondern muss "teuer, aber heruntergesetzt" sein?

    Bei Nahrungsmitteln und Elektronik zieht eindeutig das Günstiger = mehr Verkäufe.
    Tim Mälzer, ein Hamburger Fernsehkoch, hat mal was schönes gesagt, als der Gammelfleischskandal tobte: "Die Leute stecken mehr Geld in ihr Auto als in das, was ihre eigenen Körper antreibt. Und sie wundern sich, dass eine Leberwurst 25 Cent kostet und dann schlechtes, billiges Fleisch in den Waren steckt. Gute Nahrung ist teuer!"

    Um die unwirtschaftlichen Preise bei Lebensmitteln auszugleichen, kommt hier aber mittlerweile jeder drauf, einfach "Bio" auf seine Nahrungsprodukte zu kleben. DAFÜR zahlen die Leute nämlich wieder mehr.

    Kein Wunder also, dass es schon die ersten Fälle gab, in denen Etikettenschwindler aufgeflogen sind. Deren Produkte schienen nämlich für 60 Cent ans Regal genagelt zu sein. Also flugs "Bio" draufgeschrieben, den Preis auf 2 Euro hochgesetzt, und schon hatten sie Lieferengpässe.

    Der Kunde ist ein seltsames Wesen...
    Übrigens: Die Kaufhäuser verkaufen mittlerweile Kleidung aus Bio-Baumwolle... die mit Bio-Waschmitteln in Bio-Waschmaschinen gewaschen werden soll...
    Sogar Bio-Glas hab ich schon gesehen...

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  4. Hallo Marco,
    könnte es nicht auch daran liegen, dass immer mehr Menschen in Armut leben und Essen à la Mälzer ein Traum für sie bleibt? Das ist ein Teufelskreis...

    Wie ernährt man sich z.B. von einer Lesung, deren Normhonorare seit über zehn Jahre nicht gestiegen sind, während alles andere, vor allem Heizöl und Benzin, immens teurer geworden sind? Wie kommt man rum mit einer Familie, wenn einer oder beide arbeitslos sind?

    Ich bekomme hier in Frankreich oft solche Schicksale mit. Da lernt man ganz schnell, dass Aufklärung, Wissen und Bewusstheit beim Einkaufen auch Luxus sind - man braucht dazu nämlich Energie und einen freien Kopf. Es gibt da Schulungen, sich mit extrem wenig Geld vernünftig zu ernähren. Das klappt oft nicht mehr ohne Hilfe von außen - es müssen Depressionen überwunden werden und die Angst, in den nächsten Tagen vielleicht nichts mehr essen zu können.

    Deshalb ist meiner Meinung nach ganz wichtig, praktische, positive Hilfen zu bieten. Und da kann es manchmal schon helfen, gegen die Bio-Angst einfach mal den nächsten Gemüsebauern zu besuchen und zu schauen, wie der das macht. Es gibt immer mehr Direktvermarkter, die man persönlich kennenlernen kann und die einen auch gern herumführen.

    Und so, wie es immer mehr Arme gibt, gibt es auch immer mehr Leute mit richtig viel Geld. Und von denen sollte man sich dann nicht in die Armut herunterhandeln lassen...
    Man wird in Zukunft wohl wieder über Wertigkeiten diskutieren müssen.

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  5. Hmm...

    Alles möglich, obwohl gerade Mälzers Küche wahrlich günstig ist.

    Und für mich persönlich gilt das Armutskonzept nicht, wenn die Leute, die sich über die schon erwähnte Milchpreiserhöhung beschweren, aber drei Flachbildfernseher, zwei Computer, ein Laptop, drei Digitalkameras, zwei Katzen und zwei Autos haben.

    Und selbst einige "Hartz IV" Familien die ich kenne haben sieben Handys, drei DVD-Spieler und gehen vier Mal in der Woche für 30 Euro zu McDonalds. Dafür haben sie Geld. Sich aber mal frische Tomaten zu kaufen, und echtes Fleisch - DAS ist den allen dann plötzlich zu teuer!

    Ich bin in meinem ganzen Umfeld der Einzigeder sagt: "Ja, ich kauf mir lieber frische Lebensmittel für 20 Euro statt 4 DVDs bei Media Markt!"
    Ist eine beliebte Frage, die ich öfter stelle. Und bislang gewinnen grundsätzlich die DVDs. ;)

    Für mich sagt das viel über die Geistehaltung zumindest in Hamburg aus...

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  6. Hallo Marco,
    ich halte es immer für gefährlich, vom eigenen Erlebensumfeld oder Einzelfällen auf eine ganze Gesellschaft extrapolieren zu wollen - oder wie der Elsässer sagt: 'S gibt solchene un solchene.

    Aber du hast natürlich recht - jeder Mensch setzt seine Prioritäten anders. So gibt es z.B. auch Länder, wo Essen und Genuss einen sehr hohen Stellenwert haben, nicht zuletzt deshalb, weil sie zusätzlich auch soziale und manchmal religiöse Funktionen erfüllen.

    Würde man die Frage nach den Prioritäten im Zusammenhang mit meinen Beiträgen zur Entwertung von Autorenarbeit (und Kulturarbeit überhaupt) weiterdenken, wäre das allerdings gruslig.

    Die Schlussfolgerung hieße dann, dass die Menschen außer Fastfood-Texten gar nichts mehr wollten und zufrieden wären.
    Und die große Frage dahinter: Wie viel Zerstörung von Kultur und Kunst (und dann Fehlen) verträgt der Mensch?

    Schöne Grüße,
    Petra

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