Zehnjähriges

Beinahe hätte ich es nicht gemerkt, dass ich in diesem Jahr mein Zehnjähriges als Buchautorin feiere. So kurz vor der nächsten Buchmesse hebt man natürlich nicht gleich die Tassen, sondern zieht ein möglichst schonungsloses Resumée.

An mein erstes Buch, ein Sachbuch, erinnere ich mich nur noch mit einem sanften nachsichtigen Lächeln und wundere mich, warum keiner im Verlag je aufgemuckt hat, dass meine Sätze viel zu verquast akademisch und stilistisch einfach nicht auf der Höhe waren. Es werden also auch Bücher gedruckt, wo einer erst schreiben lernen will. Welten liegen dazwischen bis zum Rosenbuch. Inzwischen habe ich meinen Stil gefunden und lerne, was ich daraus alles machen kann.

Welten liegen auch zwischen der Arbeitsweise von "damals" und heute. Meinen ersten Verlag habe ich noch besucht, wie eine Familie kennengelernt - und so wurden auch die Autoren behandelt und geschätzt. Mein Lektor besuchte mit mir den Handlungsort und während des Schreibens entspann sich ein reger Fachaustausch. Ich bekam sogar Recherchetipps und Material vom Verlag. Man hat mich regelrecht gelehrt, wie man Autor wird. Kein kleiner Verlag, aber irgendwann war solches menschenbezogene Arbeiten und Entwickeln von Büchern nicht mehr wirtschaftlich - es gibt den Verlag längst nicht mehr. Bücherschreiben ist heute hochprofessionelles, effektives Arbeiten auf Zeit und wird dank Internet mit Mausklicks erledigt. Nachwuchs wird nicht mehr aktiv in Verlagen herangezogen, es wachsen doch automatisch so viele Autoren nach. Und die wechseln, ebenfalls untreu, auch mal ganz schnell zur Konkurrenz.

Aber ich bin wieder zu den Ursprüngen zurück. Das erzählende Sachbuch lag mir - ohne dass ich das wusste - bereits im Studium, wo sich ein Professor beklagte, meine Arbeiten seien ja gut recherchiert, aber einfach viel zu spannend geschrieben.

Was hat sich in zehn Jahren noch getan? Die Zeit, die man auch als Profi braucht, um ein neues Projekt zu verkaufen, hat sich erheblich verlängert. Risikofreude, Schwung und Begeisterung der Neunziger sind dahin. Der Apparat ist aufgebläht, die Entscheidungswege in den großen Verlagen haben sich verlängert. Dafür sind die Normalhonorare noch ziemlich genau auf dem gleichen Stand wie damals. Um den zu überschreiten, muss man heute Spitzentitel liefern, einen Namen haben etc.

Etwas hat sich seltsam umgedreht. Als ich in den Neunzigern anfing, verstanden sich viele Verleger und Lektoren als ein wichtiger Faktor in der Volksbildung. Bücher waren nicht nur dazu da, Menschen zu unterhalten, sondern durften beim Lesen durchaus fordern. Wenn wir den Menschen nicht Niveau bieten, müssen wir uns nicht beklagen, wenn eines Tages keiner mehr lesen will. So dachte man damals. Bücher, das war das kleine Stückchen "mehr" im Leben: Mehr Leben, mehr Horizonte, mehr Ebenen, mehr Bereicherungen... Leser waren interessierte neugierige Menschen, die sich gern herausfordern ließen - jedenfalls stellte man sie sich so vor. (Und es gibt natürlich noch heute Verlage, die sich das so vorstellen).

Heute höre ich bei Lesungen und Auftritten immer häufiger Klagen. "Wir wissen nicht mehr, was wir noch lesen können. In all dem Müll mag es ja noch Intelligentes geben, aber man findet es nicht mehr", sagen die Leser, die in der Überfülle bedruckten Papiers geistig verhungern. Ähnlich wie im Fernseh- oder Comedygeschäft verkaufen sich Skandale, Debiles, Lächerliches inzwischen recht schnell. Bei Anspruchsvollem tönt die Frage: "Können wir das unseren Lesern zumuten?"
Das Bild der Publikumsverlage vom Durchschnittleser, der natürlich eine Frau ist, darf man gar nicht öffentlich machen. Es gäbe entweder einen nationalen Leseboykott - oder die Welt würde beweisen, dass es leider stimmt.

Und es ist schwieriger geworden, an die "eigenen" Leser überhaupt heranzukommen. Es gibt sie, sie sind da draußen irgendwo. Aber sie können sich immer weniger entscheiden angesichts der unübersehbaren Menge von Neuerscheinungen. Die Instanzen, die früher Bücher empfahlen, werden von immer weniger Menschen ernst genommen. Ein gebildeter Mensch und Literaturliebender, der vielleicht umstritten ist, aber Rückgrat, Meinung und Kenntnis besitzt - so wie Reich-Ranicki - fehlt beim Nachwuchs. Heute hält man ein Buch in die Kamera: Lesen!

Das Feuilleton nagelt sich selbst auf Bücher fest, die ohnehin Bestseller sind oder werden, weil man dann so schön dasteht, wenn man über einen redet, über den alle anderen auch reden. Auch hier will keiner mehr das Risiko wagen, gegen den Mainstream zu arbeiten und noch Unentdecktes zu entdecken. Man druckt immer öfter den Werbetext des Verlags ab und nennt das "Rezension". Spätestens bei der dritten Dublette nehmen Leser solche Blätter nicht mehr ernst. Und Autoren bleiben dadurch ohne echte, fundierte, fachliche Kritik. Und all die Leserrezensionsprojekte im Internet? Wir wissen, wie Musiker ihre Wertungen erreichen und welche Schlammschlachten da abgehen... Bliebe der Buchhändler, wenn es ihn denn noch gäbe.

Auch das haben die zehn Jahre gebracht: Marktkonzentration. Wachsen von großen Ketten und Giganten, Eingehen von Kleinen. Verkäufe, Fusionen, Konkurs. Bei Verlagen wie im Buchhandel. Nicht zu reden von all den unbekannten Kollegen, die bei solchen Transaktionen auf der Strecke blieben.

Persönliche Veränderung: Weniger naive Freuden als früher, mehr Realismus und gesunde Desillusion. Früher habe ich ein neues Buch glücklich gestreichelt. Heute schaue ich es nachdenklich an und frage mich, wann es verramscht werden wird. Man schreibt Bücher schon lange nicht mehr, damit etwas bleibt, und schon gar nicht fürs Leben.

Früher habe ich mehr oder weniger für mich geschrieben, autark, auf Verlage konzentriert. Heute brauche ich in regelmäßigen Abständen Publikum live, um wieder einmal hautnah zu spüren, dass Leser nicht so dumm sind, wie sie manche gern herbeireden möchten. In den Neunzigern sah ich die Zukunft gegen die deprimierenden Zustände während der Medienkrise im Buchgeschäft. Dort schien alles so aufbauend, hell und licht... es roch nach kreativer Entfaltung. Es brodelte, es ließ sich etwas bewegen. Heute beziehe ich meine Motivationen wieder aus anderen Arbeiten - weil ich dort das gute alte Brodeln schneller spüre. Mir fehlt wohl der innere Zen.

Und ein Ausblick? Müsste ich mein Geld mit Prophetie verdienen, würde ich sagen, dass sich die Verlage in gewissen Bereichen (natürlich nicht überall) überflüssig machen werden oder eines Tages auch gegen gewisse Alternativen sich für Autoren nicht mehr rechnen. Ich wage zu behaupten, dass spezialisierte Werbe- und Auftrittsagenturen in den kommenden Jahren wichtige Aufgaben übernehmen werden, direkt beim Autor, ohne jeden Zwischenhandel. Unterschiedliche Medien werden sich noch stärker vernetzen und nicht mehr unbedingt unterscheidbar bleiben. Wie das zu finanzieren sein könnte, wage ich nicht vorauszuschauen. Denn ich sehe in der Zukunft leider auch die Möglichkeit, dass die kreative Arbeit selbst immer schlimmer entwertet wird. Das wiederum hieße, dass man schleunigst seinen Taxischein machen sollte...

Fazit nach zehn Jahren also: Trotzdem. Jetzt erst recht.

2 Kommentare:

  1. Trotz alledem, Petra: Glückwunsch zum Zehnjährigen! Dein Beispiel macht Mut.

    Herzlichst
    Christa

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  2. Danke Christa!
    Aber der Glückwunsch kommt ja nicht trotz alledem - ich bin nach zehn Jahren immer noch da und meine eigenen Projekte faszinieren mich mehr und mehr!

    Ich denke, in unserem Geschäft ist es wie überall in der Kunst: Man braucht einen eisernen Willen, Mut, und enorm viel Durchhaltevermögen und Zähigkeit. Und wenn man dann das erste Buch geschafft hat, fängt die Arbeit erst an. Und beim zweiten wieder und dann kommen neue Herausforderungen. Man muss flexibel sein, kreativ auf äußere Katastrophen (z.B. Verlagskonkurs etc.) reagieren.

    Risikobereitschaft braucht man, schlimmer als beim Roulettespielen - das ist nämlich sicherer. So schwer das manchmal zwischendurch mit der Selbstmotivation ist, ich stell mir dann immer einen ganz langweiligen, regelmäßigen, sicheren Job vor, in dem ich schon heute weiß, was ich im nächsten Monat machen werde. Das macht mir dann solche Angst, dass ich mich wieder von Neuem ins kalte Wasser stürze (für das man aber auch Routine entwickelt).

    Also immerhin, ich habe schon zwei meiner Verlage überlebt!

    Dass ich die Tassen trotzdem nicht hebe, hat mit blödsinnigem Künstleraberglauben zu tun. Zur Buchmesse sind einige neue Projekte unterwegs zum Verkauftwerdenwollen. Also dreimal hinter die Schulter gespuckt und auf Holz geklopft und toitoitoi und Salz und...

    Herzliche Grüße,
    Petra

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